Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.259/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

4A_259/2019

Urteil vom 10. Oktober 2019

I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichterin Kiss, Präsidentin,

Bundesrichterinnen Klett, Niquille,

Gerichtsschreiber Luczak.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Suter, Beschwerdeführer,

gegen

B.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Simon Käch, Beschwerdegegner.

Gegenstand

Arbeitsvertrag; Zivilprozessrecht,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts

des Kantons Aargau, Zivilgericht, 1. Kammer,

vom 21. März 2019 (ZOR.2018.52).

Sachverhalt:

A.

A.________ (Arbeitnehmer, Kläger, Beschwerdeführer) war während rund 16 Jahren
für die Generalagentur U.________ der C.________ Versicherung als
Versicherungs- und Vorsorgeberater tätig. Die Generalagentur wird seit dem Jahr
2010 von B.________ (Arbeitgeber, Beklagter, Beschwerdegegner) als
Einzelunternehmung geführt. Am 16. August 2016 kündigte der Arbeitgeber das
Arbeitsverhältnis auf den 30. November 2016. Der Arbeitnehmer erachtete die
Kündigung als missbräuchlich. Ausserdem stellte er sich auf den Standpunkt, die
Parteien hätten am 12. August 2015 neu die Befristung ihres
Arbeitsverhältnisses bis 31. März 2017 vereinbart und am 13. August 2015 habe
er einen neuen Anstellungsvertrag erhalten, so dass das Arbeitsverhältnis gar
nicht vorzeitig mittels Kündigung habe aufgelöst werden können.

B.

B.a. Mit Klage vom 7. März 2017 beim Bezirksgericht (Arbeitsgericht) Muri
beantragte der Kläger, es sei gerichtlich festzustellen, dass die Kündigung vom
16. August 2016 missbräuchlich ist. Der Beklagte sei zu verpflichten, ihm eine
Entschädigung von (nach Abzug der Soziallasten) netto Fr. 77'535.60 zu
bezahlen. Mit Urteil vom 13. März 2018 wies das Bezirksgericht die Klage ab.

B.b. Das Obergericht des Kantons Aargau wies die vom Kläger erhobene Berufung
mit Entscheid vom 21. März 2019 ab. Es erwog, beim am 13. August 2015
abgeschlossenen Arbeitsvertrag habe es sich nicht um einen befristeten Vertrag
gehandelt. Eine missbräuchliche Kündigung gemäss Art. 336 Abs. 1 lit. c OR,
weil der Kläger mit Schreiben vom 20. Juni 2016 eine vom Beklagten
vorgeschlagene Vertragsänderung abgelehnt habe, liege nicht vor. Vielmehr sei
dem Kläger wegen der von diesem am 10. August 2016 gegenüber dem Beklagten
gemachten beleidigenden Äusserungen gekündigt worden. Eine E-Mail des Beklagten
an den Kläger vom 11. August 2016 liess es als verspätet nicht zu.

C.

Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 29. Mai 2019 beantragt der Kläger dem
Bundesgericht sinngemäss, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau sei
kostenfällig aufzuheben und die Sache sei zur Neubeurteilung an dieses
zurückzuweisen (Ziff. 1); eventualiter sei die Klage zu schützen (Ziff. 2). Es
wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.

Erwägungen:

1.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht mehr, dass es sich beim Vertrag vom 13.
August 2015 um einen unbefristeten Vertrag gehandelt hat. Die Beschwerde
richtet sich auch nicht gegen die Beurteilung der Kündigungsmotive und damit
der Missbräuchlichkeit als solche. Vielmehr rügt der Beschwerdeführer einzig
die Nichtzulassung der E-Mail vom 11. August 2016 und beantragt entsprechend im
Hauptantrag die Rückweisung an die Vorinstanz zur erneuten Beurteilung unter
Berücksichtigung dieses Beweismittels.

1.1. Die Vorinstanz stellte fest, der Beschwerdeführer habe die E-Mail vom 11.
August 2016 nach Abschluss des doppelten Schriftenwechsels im erstinstanzlichen
Verfahren eingereicht. Die E-Mail sei ein unechtes Novum, da sie vor Abschluss
des erstinstanzlichen Schriftenwechsels verfasst worden sei. Ein unechtes Novum
könne nach Art. 229 Abs. 1 lit. b ZPO nur berücksichtigt werden, wenn es ohne
Verzug vorgebracht werde und, obwohl es bereits vor Abschluss des
Schriftenwechsels vorhanden gewesen sei, trotz zumutbarer Sorgfalt nicht vorher
habe vorgebracht werden können. Diese Voraussetzung sei hier nicht gegeben. Der
Beschwerdegegner habe in der Duplik neue Beweismittel eingereicht. Mit diesen
habe er aufzeigen wollen, dass sich der Beschwerdeführer auch nach der
Kündigung negativ über ihn geäussert habe. Ausserdem habe er einen
Strafregisterauszug eingereicht. Demgegenüber habe der Beschwerdeführer mit der
E-Mail vom 11. August 2016 beweisen wollen, dass die angeblichen Beschimpfungen
nicht stattgefunden hätten und folglich auch kein Grund für die Kündigung
hätten darstellen können. Da der Beschwerdegegner jedoch schon in der
Klageantwort behauptet habe, die Beleidigungen durch den Beschwerdeführer seien
der Auslöser für die Kündigung gewesen, hätte der Beschwerdeführer Veranlassung
gehabt, die besagte E-Mail schon früher einzureichen.

1.2. Nach Auffassung des Beschwerdeführers verletzt diese Beurteilung Art. 229
Abs. 1 lit. b ZPO sowie Art. 9 und 29 Abs. 3 [recte: Abs. 2] BV. Er bestreitet,
dass er aufgrund der Ausführungen des Beschwerdegegners in der Klageantwort
Veranlassung gehabt habe, die E-Mail einzureichen. Der Beschwerdegegner habe
dort in Ziffer 3 auf Seite 6 einzig behauptet, die Parteien hätten am 10.
August 2016 ein Gespräch geführt, an dem der Beschwerdeführer den
Beschwerdegegner als "Lügner, Betrüger und als dumm" bezeichnet habe.
Prozessual genüge es, eine Parteibehauptung als nicht richtig oder unwahr zu
bestreiten, was er in der Replik auf den Seiten 7 und 8 getan habe. Es sei
nicht erforderlich, dass er diese Parteibehauptung ergänzend mit Urkunden und
so quasi "doppelt" bestreite. Erst in der Duplik habe der Beschwerdegegner dann
das Gespräch vom 10. August 2016 vertieft und seitenlang thematisiert.
Erstmalig habe er dabei behauptet, der Beschwerdeführer habe ihm "ein
strafrechtlich relevantes Verhalten nämlich ein Verbrechen (Betrug)
vorgeworfen" und weitere Urkunden eingereicht, namentlich eine E-Mail vom 15.
Dezember 2016 und einen Strafregisterauszug zu seiner Person mit dem Hinweis,
daraus ergebe sich, dass der Beschwerdeführer den Beschwerdegegner am 10.
August 2016 mit Schimpfworten bedroht habe. Zu diesen Neuerungen in der Duplik
habe er sich in seiner Stellungnahme vom 29. September 2017 äussern dürfen.
Zumutbare Sorgfalt im Sinn des Gesetzes verlange nicht, dass eine Partei
"irgendwie vorsorglich" denkbare Behauptungen und "allfällig tausende von
Belegen vorsorglich einreichen" müsse.

1.3. Die Beschwerde enthält keine Ausführungen zu Art. 9 und 29 Abs. 3 BV
(Letzterer betrifft die unentgeltliche Rechtspflege). Gemeint ist wohl Art. 29
Abs. 2 BV, da der Anspruch auf rechtliches Gehör als verletzt gerügt wird. Eine
rechtsgenügliche Verfassungsrüge (Art. 106 Abs. 2 BGG) liegt aber auch insoweit
nicht vor. Darauf ist nicht weiter einzugehen. Der Beschwerdeführer vermischt
das sich aus Art. 29 Abs. 1 und 2 BV ergebende Recht, sich zu allen bei Gericht
eingereichten Stellungnahmen zu äussern, unabhängig davon, ob sie neue und/oder
wesentliche Vorbringen enthalten und ob ein weiterer Schriftenwechsel
angeordnet wurde (BGE 138 I 484 E. 2.1 f. S. 485 f.), mit der Frage, unter
welchen Voraussetzungen ein unechtes Novum prozessual berücksichtigt werden
darf (Art. 229 Abs. 1 lit. b ZPO).

Bereits die erste Instanz ging zutreffend davon aus, dass mit dem Abschluss des
doppelten Schriftenwechsel der Aktenschluss eingetreten ist (BGE 140 III 312 E.
6.3.2 S. 313 ff.; vgl. auch BGE 144 III 67 E. 2 S. 68). Unbestritten handelt es
sich bei der fraglichen E-Mail auch um ein unechtes Novum und ist deshalb
erforderlich, dass der Beschwerdeführer dieses trotz zumutbarer Sorgfalt nicht
bereits im Rahmen des doppelten Schriftenwechsels, also mit der Replik,
vorbringen konnte (Art. 229 Abs. 1 lit. b ZPO).

Dass unechte Noven trotz zumutbarer Sorgfalt nicht vorher haben vorgebracht
werden können, bedeutet, dass der betreffenden Partei keine Nachlässigkeit bei
der Behauptungs- und Beweisführungslast (bzw. der subjektiven Beweislast)
vorzuwerfen ist. Dazu gehört auch, dass die betreffende Partei die zumutbaren
Nachforschungen vorgenommen hat (CHRISTOPH LEUENBERGER, in: Kommentar zur
Schweizerischen Zivilprozessordnung, Thomas Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 3.
Aufl. 2016, N. 8 zu Art. 229 ZPO).

Kern des Prozesses ist das Motiv der Kündigung. Mit der Klageantwort berief
sich der Beschwerdegegner auf die Äusserungen anlässlich des Gesprächs mit dem
Beschwerdeführer vom 10. August 2016. Nach diesem gravierenden Vorfall sei ihm
nichts anderes übrig geblieben, als zu kündigen. Da am Gespräch keine weiteren
Personen beteiligt waren, führte er verschiedene Mitarbeiter als Zeugen an, die
anschliessend über das Vorgefallene informiert worden seien und dies bestätigen
könnten. Aufgrund dessen war klar, dass der Inhalt des Gesprächs vom 10. August
2016 zentral für den Ausgang des Prozesses werden kann. Der Beschwerdeführer
konnte sich nicht darauf verlassen, dass das Gericht die angebotenen Zeugen
nicht befragen würde, nur weil sie nicht direkt das Gespräch mit angehört
hatten. Auch solche indirekten Aussagen können grundsätzlich als Beweismittel
dienen und in die Beweiswürdigung einbezogen werden (Urteile 4A_189/2018 vom 6.
August 2018 E. 3.2.4; 4A_338/2015 vom 16. Dezember 2015 E. 5.3.3; 4P.10/2000
vom 6. September 2000 E. 1a/bb). Also hätte der Beschwerdeführer Veranlassung
gehabt, selber nach Beweismitteln zu suchen, welche den behaupteten
Gesprächsinhalt als unglaubwürdig erscheinen liessen. Ob sein Standpunkt, dass
er vorerst lediglich bestreiten musste, zutreffen würde, wenn der für den
Inhalt des Gesprächs grundsätzlich beweisbelastete Beschwerdegegner seinerseits
in der Klageantwort nur behauptet und Beweisanträge erst in der Duplik nach der
Bestreitung in der Replik gestellt hätte, kann offenbleiben. Denn das ist wie
dargelegt nicht der Fall.

Die Vorinstanz führte wie erwähnt aus, der Beschwerdegegner habe mit seinen
Ausführungen und Beweismitteln in der Duplik aufzeigen wollen, dass sich der
Beschwerdeführer auch nach der Kündigung negativ über den Beschwerdegegner
geäussert habe, während der Beschwerdeführer mit der E-Mail vom 11. August 2016
habe beweisen wollen, dass die angeblichen Beschimpfungen nicht stattgefunden
hätten. Sie nimmt damit sinngemäss an, es sei bei den Duplikbeilagen um ein
anderes Beweisthema gegangen als bei der E-Mail vom 11. August 2016, mit
welcher der Beschwerdeführer auf diese Urkunden reagierte. Dies trifft so nicht
zu. Namentlich mit dem Strafregisterauszug wollte der Beschwerdegegner den
unbeherrschten Charakter des Beschwerdeführers zeigen. Er fügte damit ein
weiteres Beweismittel hinzu, welches als zusätzliches Indiz für die
Glaubwürdigkeit seiner eigenen Aussage über den Inhalt des Gesprächs vom 10.
August 2016 hätte dienen sollen. Zwar hat der Beschwerdegegner damit seine
Beweisbasis für den nur mit Indizien zu erbringenden Beweis für den Inhalt des
Gesprächs vom 10. August 2016 verstärkt. Das genügt aber nicht, um die
nachträgliche Einbringung der E-Mail vom 11. August 2016 zu rechtfertigen.
Entscheidend bleibt, dass hierfür wie oben dargelegt bereits genügend Anlass
aufgrund der Klageantwort bestand.

2.

Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Der
Beschwerdeführer wird kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine
Parteientschädigung ist nicht geschuldet, da keine Vernehmlassung eingeholt
wurde.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.

Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. Oktober 2019

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Kiss

Der Gerichtsschreiber: Luczak