Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.198/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

4A_198/2019

Urteil vom 7. August 2019

I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichterin Kiss, Präsidentin,

Bundesrichterinnen Klett, Niquille,

Gerichtsschreiber Gross.

Verfahrensbeteiligte

A.________ GmbH,

vertreten durch Rechtsanwalt Mario Stegmann,

Beschwerdeführerin,

gegen

B.________ GmbH,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Mietvertrag, Schlichtungsbegehren,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern, 1.
Zivilkammer, vom 29. März 2019

(ZK 18 554).

Sachverhalt:

A.

A.a. Die A.________ GmbH (Mieterin, Klägerin, Beschwerdeführerin) stellte am
17. September 2018 ein Schlichtungsgesuch bei der Schlichtungsbehörde
Emmental-Oberaargau und beantragte, es sei festzustellen, dass die von der
B.________ GmbH (Vermieterin, Beklagte, Beschwerdegegnerin) ausgesprochene
Kündigung vom 15. August 2018 ungültig sei; der Mietzins sei rückwirkend
herabzusetzen bzw. anzupassen und die aufgeführten Mängel seien zu beheben. Im
Schlichtungsgesuch wurde C.________ als Vertreter der Klägerin aufgeführt.

Die Schlichtungsbehörde lud mit Vorladung vom 20. September 2018 zur
Schlichtungsverhandlung vor. Die Parteien wurden aufgefordert, persönlich zu
erscheinen und sie wurden darauf hingewiesen, dass die Pflicht zum persönlichen
Erscheinen gemäss Art. 204 Abs. 1 ZPO auch für juristische Personen gelte und
diese ein im Handelsregister eingetragenes Organ oder eine mit einer
kaufmännischen Handlungsvollmacht gemäss Art. 462 OR ausgestattete und mit der
Prozessführung betraute Person, die überdies mit dem Streitgegenstand vertraut
sei, zu entsenden hätten. Die Vollmacht müsse neben der Prozessvertretung auch
den Abschluss eines Vergleichs beinhalten. Des Weiteren wies die
Schlichtungsbehörde die Parteien in der Vorladung auf die Säumnisfolgen gemäss
Art 206 ZPO hin. Sie hielt insbesondere fest, dass das Schlichtungsgesuch bei
Säumnis der klagenden Partei als zurückgezogen gelte und das Verfahren als
gegenstandslos abgeschrieben werde. Der Vorladung wurde weiter ein Auszug aus
der Zivilprozessordnung beigelegt. Zudem wurde der Beklagten Gelegenheit
gegeben, innert 14 Tagen seit Erhalt der Verfügung eine schriftliche
Stellungnahme einzureichen.

Die Beklagte nahm mit Eingabe vom 5. November 2018 Stellung zum
Schlichtungsgesuch. Da die Stellungnahme erst am 8. November 2018 bei der
Schlichtungsbehörde eintraf und eine Postzustellung rechtzeitig vor der
Verhandlung vom 9. November 2018 nicht mehr erfolgen konnte, versuchte die
Schlichtungsbehörde, diese der Klägerin per E-Mail an die im Schlichtungsgesuch
angegebene E-Mail-Adresse zuzustellen, doch kam diese E-Mail mit dem Vermerk "
unzustellbar " zurück. In der Folge nahm die Schlichtungsbehörde über die im
Schlichtungsgesuch angegebene Telefonnummer mit C.________ Kontakt auf,
woraufhin dieser seine E-Mail-Adresse angab. In der Folge wurde die
Stellungnahme der Beklagten an diese Adresse - zur Weiterleitung an die
Klägerin - zugestellt.

A.b. An der Schlichtungsverhandlung vom 9. November 2018 waren für die Klägerin
C.________ - ohne Vollmacht - und für die Beklagte D.________ mit
Einzelzeichnungsberechtigung anwesend. C.________ teilte der
Schlichtungsbehörde anlässlich der Verhandlung mit, er habe keine Vollmacht an
die Verhandlung mitgebracht, er sei jedoch der Meinung, der Hinweis auf die
Vertretung im Schlichtungsgesuch genüge.

Die Schlichtungsbehörde verfügte darauf hin, dass die klagende Partei nicht zum
Termin erschienen sei, das Schlichtungsgesuch als zurückgezogen gelte und das
Verfahren als gegenstandslos abgeschrieben werde.

B.

Am 26. November 2018 stellte die Klägerin bei der Schlichtungsbehörde ein
Wiederherstellungsgesuch. Am gleichen Tag erhob sie beim Obergericht des
Kantons Bern Beschwerde. Sie beantragte, die Abschreibungsverfügung der
Schlichtungsbehörde vom 9. November 2018 sei aufzuheben und das
Schlichtungsverfahren, insbesondere die Schlichtungsverhandlung, sei nochmals
durchzuführen.

Mit Entscheid vom 18. Januar 2019 wies die Schlichtungsbehörde das
Wiederherstellungsgesuch ab.

Mit Entscheid vom 29. März 2019 trat das Obergericht des Kantons Bern auf die
Beschwerde nicht ein. Es erwog, die Beschwerde gemäss Art. 319 lit. b Ziff. 2
ZPO stehe nur offen, wenn der Klägerin ein nicht leicht wiedergutzumachender
Nachteil drohe. Da es nicht um eine Kündigungsanfechtung im Sinn von Art. 271
i.V.m. Art. 273 OR, sondern um den Antrag auf Feststellung der Ungültigkeit
bzw. Nichtigkeit der Kündigung gehe und diese jederzeit festgestellt werden
könne, sei ein nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil zu verneinen. Selbst
wenn eingetreten werden könnte, wäre die Beschwerde abzuweisen, denn die
Klägerin sei nicht rechtsgültig vertreten gewesen.

C.

Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 2. Mai 2019 beantragt die Klägerin dem
Bundesgericht - unter Aufrechterhaltung ihrer vor dem Obergericht gestellten
Begehren - die Aufhebung des Urteils vom 29. März 2019. Eventualiter sei dieses
aufzuheben und die Sache an das Obergericht zurückzuweisen, damit dieses eine
materielle Beurteilung der Beschwerde vom 26. November 2018 mittels Entscheid
vornehme. Die Beschwerdegegnerin und die Vorinstanz haben auf Vernehmlassung
verzichtet.

Mit Präsidialverfügung vom 5. Juni 2019 wurde der Beschwerde antragsgemäss die
aufschiebende Wirkung erteilt, nachdem sich dem weder die Beschwerdegegnerin
noch die Vorinstanz widersetzt hatten.

Erwägungen:

1.

Die Vorinstanz nahm einen Streitwert über Fr. 15'000.-- an. Es gibt keine
Anhaltspunkte, dass diese Angabe nicht zutreffen könnte. Die übrigen
Eintretensvoraussetzungen geben keinen Anlass zu Bemerkungen. Auf die
Beschwerde ist - unter Vorbehalt einer rechtsgenüglichen Begründung (Art. 42
Abs. 2 BGG) - einzutreten.

2.

Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es
prüft aber unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungsanforderungen
(Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen,
sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist nicht
gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen
Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen
werden (BGE 140 III 86 E. 2 S. 88 f., 115 E. 2 S. 116).

3.

Eine Abschreibungsverfügung der Schlichtungsbehörde wegen Säumnis des Klägers
infolge Nichterscheinens an der Schlichtungsverhandlung gemäss Art. 206 Abs. 1
ZPO untersteht nach Massgabe von Art. 319 lit. b Ziff. 2 ZPO der Beschwerde
(Urteile 4A_131/2013 vom 3. September 2013 E. 2.2.2.2; 4A_156/2014 vom 15.
April 2014 E. 3.1; und die je dort zitierte Lehre; vgl. auch: FRANÇOIS BOHNET,
SZZP 2013 S. 487 f.; a.M. CHRISTOPH LEUENBERGER, Die Rechtsprechung des
Bundesgerichts zum Zivilprozessrecht im Jahr 2013, ZBJV 2013 S. 275 f.).
Voraussetzung ist somit, dass ein nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil
droht.

3.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz habe zu Unrecht einen
nicht leicht wiedergutzumachenden Nachteil verneint. Die Vorinstanz habe der
Kündigung einen "falschen Charakter" zugemessen. Sie gehe davon aus, es handle
sich um eine ausserordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs. Es sei
schleierhaft, woher die Vorinstanz diese Ansicht nehme. Die Kündigung vom 15.
August 2018 sei per 28. Februar 2019 erfolgt. Als Begründung sei lediglich
"Ausstehende Mieten" vermerkt. Die Beschwerdegegnerin habe sich aber an keiner
Stelle dahingehend geäussert, dass es sich um eine ausserordentliche Kündigung
gemäss Art. 257d OR wegen Zahlungsverzugs handle. Eine ausserordentliche
Kündigung sei aber als solche zu bezeichnen. Die vorliegende Kündigung sei
offensichtlich als ordentliche Kündigung zu verstehen, da statt der erheblich
verkürzten Frist von 30 Tagen gemäss Art. 257d Abs. 2 OR mit der vertraglichen
und gesetzlichen ordentlichen Kündigungsfrist für Geschäftsräume von sechs
Monaten (gemäss Art. 266d OR) gekündigt worden sei. Die Begründung "Ausstehende
Mieten" könne genauso gut dahingehend verstanden werden, dass eine schleppende
Zahlungsmoral als Kündigungsgrund angegeben worden sei. Die Beschwerdeführerin
habe somit nach Treu und Glauben davon ausgehen können, es handle sich um eine
ordentliche Kündigung.

Auch weil die Beschwerdeführerin das Schlichtungsgesuch innert der 30-tägigen
Anfechtungsfrist gemäss Art. 271 i.V.m. Art. 273 Abs. 1 OR eingereicht habe,
sei davon auszugehen, die Beschwerdeführerin habe die Kündigung wegen
Missbräuchlichkeit anfechten wollen. Es sei überspitzter Formalismus, sie auf
die Formulierung ihres Rechtsbegehrens zu behaften. Einer Laiin sei auch nicht
klar, dass es Unterschiede bezüglich der Anfechtbarkeit einer Kündigung wegen
Missbräuchlichkeit einerseits bzw. deren Ungültigkeit/Nichtigkeit anderseits
gebe und letztere ohne Wahrung einer besonderen Frist geltend gemacht werden
könne. Da das Schlichtungsverfahren "unter diesem Blickwinkel " stattgefunden
habe und die Frist gemäss Art. 273 Abs. 1 OR eine Verwirkungsfrist sei, liege
sehr wohl ein nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil vor, wenn auf die
Beschwerde nicht eingetreten werde.

3.2. Sind die Voraussetzungen gemäss Art. 257d Abs. 1 OR erfüllt und hat
insbesondere der Mieter den abgemahnten Zahlungsrückstand innert Frist nicht
aufgeholt, kann die Vermieterin bei Zahlungsverzug ausserordentlich oder
ordentlich kündigen (DANIEL REUDT, in: Das schweizerische Mietrecht, 4. Aufl.
2018, N. 41 zu Art. 257d OR). Hinsichtlich der Form und des Inhalts gelten die
allgemeinen Bestimmungen (Art. 266l OR; DAVID LACHAT, in: Le bail à loyer,
2019, S. 879; HIGI/BÜHLMANN, in: Zürcher Kommentar, 5. Aufl. 2019, N. 50 zu
Art. 257d OR; ROGER WEBER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht I, 6. Aufl.
2015, N. 8 zu Art. 257d OR). Vorliegend hat die Beschwerdegegnerin
offensichtlich wegen Zahlungsverzugs ausserordentlich gemäss Art. 257d OR
gekündigt. Sie gab als Begründung "Ausstehende Mieten" an, wie die
Beschwerdeführerin selber darlegt. Es ist deshalb auch nicht klar, was die
Beschwerdeführerin aus der von ihr angegebenen Literaturstelle (IRÈNE SPIRIG,
in: Mietrecht für die Praxis, 9. Aufl. 2016, S. 702 Rz. 27.1.4) ableiten will,
in der gesagt wird, die Gründe für die Kündigung müssten summarisch angegeben
werden, beispielsweise "Zahlungsrückstand"; denn genau das hat die
Beschwerdegegnerin gemacht. Die Beschwerdegegnerin hat sodann in ihrer
Vernehmlassung an die Schlichtungsbehörde zu Rechtsbegehren Ziffer 1 der
Beschwerdeführerin ("Feststellung, dass die Kündigung vom 15. August 2018
ungültig ist") ausgeführt, dies treffe nicht zu. Die Formalitäten und Fristen
seien eingehalten. Die Kündigung sei angedroht worden. Eine Androhung ist aber
nur bei einer ausserordentlichen Kündigung wegen Zahlungsverzugs erforderlich.
Der Hinweis hätte somit keinen Sinn gemacht, wenn die Beschwerdegegnerin bloss
ordentlich hätte kündigen wollen. Die Beschwerdeführerin konnte nach Treu und
Glauben nicht annehmen, die Beschwerdegegnerin habe lediglich ordentlich
kündigen wollen.

3.3. Auch eine wegen Zahlungsverzugs gestützt auf Art. 257d Abs. 2 OR
ausgesprochene Kündigung kann von der Mieterin gemäss Art. 271 OR angefochten
werden. Diesfalls muss aber nach Treu und Glauben erkennbar sein, dass sie die
Kündigung als missbräuchlich anficht und nicht nur die Feststellung der
Unwirksamkeit der Kündigung begehrt (Urteil 4A_383/2015 vom 7. Januar 2016 E.
2.4; HIGI/ BÜHLMANN, a.a.O., N. 58 zu Art. 257d OR). Dies wurde im zitierten
Urteil 4A_383/2015 bejaht, weil einerseits die Schlichtungseingabe als
"Anfechtungsklage" bezeichnet worden war und im anlässlich des
Schlichtungsverfahrens neu formulierten Begehren verlangt wurde, es sei
festzustellen, dass die Kündigung "unwirksam und missbräuchlich" sei, also
ausdrücklich die Missbräuchlichkeit geltend gemacht wurde (zit. Urteil 4A_383/
2015 E. 2.4). Vorliegend gibt es keine Anhaltspunkte in diesem Sinn. Die
Formulierung des Rechtsbegehrens beschränkt sich unmissverständlich auf die
Feststellung der Ungültigkeit und enthält keinen Hinweis auf
Missbräuchlichkeit. In der Begründung verweist die Beschwerdeführerin auf
Mängel, welche das Mietobjekt aufweise und die nicht behoben worden seien sowie
auf eine Vereinbarung zur Verrechnung bzw. bereits erfolgte Verrechnungen. Die
Einwände beziehen sich somit darauf, dass die Mietzinse bereits bezahlt bzw.
mangels korrekter Vertragserfüllung durch die Beschwerdegegnerin nicht
geschuldet seien. Es fehlt jeder Hinweis auf einen der Missbrauchstatbestände
gemäss Art. 271 und Art. 271a OR. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich,
welches Interesse die Beschwerdeführerin an einer Anfechtung der Kündigung
wegen Missbräuchlichkeit hätte haben können. Gemäss BGE 140 III 591 E. 1 S. 594
kann eine wegen Zahlungsrückstand nach Art. 257d Abs. 2 OR ausgesprochene
Kündigung nur in ganz aussergewöhnlichen Umständen ("à titre très
exceptionnel") missbräuchlich sein. Die Vorinstanz ging somit zu Recht von
einer Klage auf Feststellung der Ungültigkeit der Kündigung aus und trat
folgerichtig auf die Beschwerde mangels eines nicht wiedergutzumachenden
Nachteils nicht ein. Auf die subsidiären materiellen Ausführungen der
Vorinstanz - wonach die Beschwerde, selbst wenn darauf eingetreten werden
könnte, ohnehin abzuweisen wäre, weil die Beschwerdeführerin an der
Schlichtungsverhandlung nicht rechtsgültig vertreten gewesen sei - ist nicht
einzugehen. Denn diese Ausführungen schlugen sich nicht im vorinstanzlichen
Urteilsdispositiv nieder, sondern erfolgten im Rahmen eines obiter dictum. Im
Übrigen wäre ohnehin nicht ersichtlich, inwiefern diese Ausführungen
Bundesrecht verletzen sollten (vgl. BGE 141 III 159 E. 2.6 und E. 3.2 S. 166
f.).

4.

Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Die
Beschwerdeführerin wird kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die
Beschwerdegegnerin hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung, da sie sich
nicht vernehmen liess.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.

Die Gerichtskosten von Fr. 3000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 1.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 7. August 2019

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Kiss

Der Gerichtsschreiber: Gross