Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.127/2019
Zurück zum Index I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 2019
Retour à l'indice I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 2019


Hauptinhalt
 

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

4A_127/2019

Urteil vom 7. Juni 2019

I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichterin Kiss, Präsidentin,

Bundesrichterinnen Klett, Niquille,

Gerichtsschreiber Brugger.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

vertreten durch Rechtsanwalt Beat Hunziker,

Beschwerdeführer,

gegen

B.________ AG,

Beschwerdegegnerin.

Gegenstand

Rechtsschutzinteresse,

Beschwerde gegen das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau, 3.
Kammer, vom 5. Februar 2019 (VKL.2018.18).

Sachverhalt:

A.

A.a. A.________ (Kläger, Beschwerdeführer) schloss mit der B.________ AG
(Beklagte, Beschwerdegegnerin) neben der obligatorischen Krankenversicherung
verschiedene Zusatzversicherungen ab, darunter die Spitalversicherung
Halbprivat. Diese Spitalversicherung gewährt ihm bei krankheits- oder
unfallbedingten stationären Behandlungen einen Anspruch auf Behandlung in der
halbprivaten Abteilung bei freier Arzt- und Spitalwahl.

Mit Schreiben vom 3. Januar 2018 erteilte die Beklagte für die
muskuloskelettale Rehabilitation des Klägers in der Privatklinik C.________ in
U.________ eine Kostengutsprache für die Mehrkosten der halbprivaten Abteilung
während 21 Tagen. Die Gutsprache erfolgte mit der Einschränkung, dass nur
Kosten im Rahmen des von ihr festgesetzten VVG-Maximaltarifs in der Höhe von
Fr. 155.-- pro Tag übernommen würden.

Gleichtags unterzeichnete der Kläger und die Privatklinik C.________ eine mit
"Versicherungsdeckung und Garantie-Erklärung" betitelte Vereinbarung mit
folgendem Inhalt:

"Gestützt auf die erhaltenen Angaben im Versicherungsausweis zur
Spitalversicherung besteht für den vereinbarten Klinikaufenthalt ab: 04.01.2018
auf der Abteilung 2 Bettzimmer volle Kostendeckung für Krankenpflege,
Unterkunft und Verpflegung [...].

Im Rahmen der stationären Behandlung fallen keine weiteren Kosten für Sie an
[...].

Falls Ihre Versicherung die Auszahlung der berechtigen Spitalleistungen
verweigert, erteilen Sie eine Vollmacht, damit der Versicherungsanspruch in
Ihrem Namen geltend gemacht werden kann, was für Sie mit keinerlei Kosten
verbunden ist.

Die vorstehend gestützt auf den Versicherungsausweis abgegebene
Garantie-Erklärung hat im Falle verweigerter Versicherungsleistungen
Gültigkeit, wenn die Vollmacht zur Durchsetzung der Versicherungsansprüche
erteilt wird [...]

Soweit Rechnungsbeträge von der Versicherung nicht voll übernommen werden und
auch nicht erhältlich gemacht werden können, werden Sie in diesem Ausmass
entlastet."

Ebenfalls am 3. Januar 2018 erteilte der Kläger auf dem Briefpapier der
Privatklinik der D.________ Consulting und/oder E.________ eine Vollmacht zur
"Durchsetzung der Ansprüche auf Auszahlung der versicherten Spitalleistungen
aus OKP und VVG für den stationären Behandlungsaufenthalt in der Privat-Klinik
C.________ in U.________ gegenüber Krankenkasse/Versicherung".

A.b. Der Kläger hielt sich vom 4. bis am 24. Januar 2018 stationär in der
Privatklinik C.________ auf. Von den dafür angefallenen Behandlungskosten von
Fr. 5'250.-- übernahm die Beklagte den Betrag von Fr. 3'255.-- (21 Tage à Fr.
155.--).

B.

Für den offenen Restbetrag erhob der Kläger am 22. Juni 2018 beim
Versicherungsgericht des Kantons Aargau Klage. Er beantragte, die Beklagte sei
zu verpflichten, ihm für die Behandlung in der Privatklinik C.________ vom 4.
Januar bis 24. Januar 2018 (21 Pflegetage), Fr. 1'995.-- nebst 5 % Zins ab
Klagedatum zu bezahlen.

Mit Urteil vom 5. Februar 2019 trat das Versicherungsgericht auf die Klage
mangels Rechtsschutzinteresse nicht ein.

C.

Gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts erhob der Beschwerdeführer
Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht. Er beantragte, das Urteil des
Versicherungsgerichts sei aufzuheben und die Angelegenheit sei an die
Vorinstanz zurückzuweisen mit dem Auftrag, auf die Klage einzutreten und einen
Sachentscheid zu fällen.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten,
eventualiter sei sie abzuweisen. Das Versicherungsgericht verzichtete unter
Hinweis auf die Begründung im angefochtenen Entscheid auf eine Vernehmlassung.
Der Beschwerdeführer replizierte.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde richtet sich gegen den Endentscheid (Art. 90 BGG) eines
kantonalen Gerichts, das in einer Zivilsache (Art. 72 BGG) entschieden hat. Der
Beschwerdeführer ist mit seinen Anträgen unterlegen (Art. 76 Abs. 1 BGG). Die
Vorinstanz hat als einzige kantonale Instanz entschieden (Art. 7 ZPO i.V.m.
Art. 75 Abs. 2 lit. a BGG), weshalb die Beschwerde in Zivilsachen unabhängig
von der Erreichung der Streitwertgrenze von Art. 74 Abs. 1 BGG zulässig ist
(Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG).

1.2. Die Beschwerde in Zivilsachen ist ein reformatorisches Rechtsmittel (Art.
107 Abs. 2 BGG). Grundsätzlich muss die rechtsuchende Partei einen Antrag in
der Sache stellen. Ein blosser Rückweisungsantrag reicht ausnahmsweise aus,
wenn das Bundesgericht im Falle der Gutheissung naturgemäss nicht selbst in der
Sache entscheiden könnte (BGE 136 V 131 E. 1.2; 134 III 379 E. 1.3 S. 383).
Dieser Fall ist hier offensichtlich gegeben, da sich die Beschwerde gegen einen
Nichteintretensentscheid richtet.

1.3. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die
Beschwerde einzutreten.

2.

Die Vorinstanz erwog, der Beschwerdeführer mache klageweise die Zahlung der
ungedeckten Kosten für den stationären Aufenthalt in der Privatklinik
C.________ in der Höhe von Fr. 1'995.-- geltend. Am 3. Januar 2018 habe die
Privatklinik mit dem Beschwerdeführer vereinbart, dass er für Rechnungsbeträge,
die von der Versicherung nicht voll übernommen würden und die auch nicht
erhältlich gemacht werden könnten, von der Privatklinik entlastet werde. Die
Höhe der zu erlassenden Kosten werde zwar in der Garantieerklärung vom 3.
Januar 2018 nicht betragsmässig festgelegt. Es ergebe sich allerdings nach
ihrem Wortlaut und dem Sinn und Zweck, dass die Privatklinik dem
Beschwerdeführer gegebenenfalls den vollen Betrag von Fr. 1'995.-- erlassen
werde. Diese Garantieerklärung habe damit zur Folge, dass dem Beschwerdeführer
ein (vollständiges oder teilweises) Obsiegen im vorliegenden Prozess keinen
Nutzen bringen würde. Damit fehle es ihm an einem praktischen
Rechtsschutzinteresse.

Im Weiteren verweise der Beschwerdeführer auf die Interessen privater Dritter,
nämlich der Privatklinik sowie anderer Versicherter. Die Wahrnehmung der
Interessen von Drittpersonen sei grundsätzlich nicht schutzwürdig, da jedermann
gehalten sei, seine Interessen selbst wahrzunehmen. Der Beschwerdeführer könne
daraus kein Rechtsschutzinteresse für sich selber ableiten. Nach dem
Dargelegten fehle es dem Beschwerdeführer an einem schutzwürdigen Interesse
nach Art. 59 Abs. 2 lit. a ZPO. Auf die Klage sei somit nicht einzutreten.

3.

Dagegen bringt der Beschwerdeführer vor, er habe sich aufgrund der
Spitalzusatzversicherung darauf verlassen, dass sein Aufenthalt in der
Privatklinik C.________ angemessen versichert sei und ihm keine Zusatzkosten
erwachsen würden. Sein vertragliches Recht auf freie Spitalwahl sei verletzt,
was er mit der vorliegenden Klage durchsetzen möchte. Es gehe ihm neben der
Leistung der vorliegend strittigen Summe von Fr. 1'995.-- auch um die
prinzipielle Feststellung der Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin für
künftige Klinikaufenthalte. Er könne aufgrund seines Alters die Krankenkasse
nicht mehr wechseln und habe ein berechtigtes Interesse daran, den
vertragskonformen Leistungsanspruch bei freier Spitalwahl "gewissermassen für
den Rest seines Lebens" mit einem Gerichtsentscheid sicherzustellen. Entgegen
der Vorinstanz habe er somit ein persönliches, aktuelles und praktisches
Interesse, nämlich ein Leistungsinteresse betreffend der Bezahlung der
strittigen Summe und ein Feststellungsinteresse, weil mit diesem Entscheid auch
der Umfang der Leistungspflicht für die vertraglich zugesicherte, freie
Spitalwahl bei künftigen Klinikaufenthalten definiert werde. Mit dem
Nichteintretensentscheid habe die Vorinstanz Art. 59 Abs. 2 lit. a ZPO
verletzt.

4.

Art. 59 Abs. 2 lit. a ZPO verlangt ein schutzwürdiges Interesse der klagenden
oder gesuchstellenden Partei, damit das Gericht materiell auf die Sache
eintritt. Erforderlich ist im Regelfall ein persönliches Interesse des Klägers,
welches in dem Sinn rechtlicher Natur ist, als die verlangte Leistung, die
anbegehrte Feststellung oder Gestaltung einer Rechtslage ihm einen Nutzen
eintragen muss (BGE 122 III 279 E. 3a; Urteile 4A_630/2012 vom 19. März 2013 E.
3.1; 4A_404/2011 vom 7. November 2011 E. 5.1; 4C.45/2006 vom 26. April 2007 E.
5, nicht publ. BGE 133 III 453; 5P.329/2002 vom 23. Dezember 2002 E. 3.1).

Demgegenüber fehlt das Rechtsschutzinteresse, wenn das Urteil dem Kläger auch
im Falle des Obsiegens keinen Nutzen bringt (Max Kummer, Das Klagerecht und die
materielle Rechtskraft im schweizerischen Recht, 1954, S. 35; Simon Zingg,
Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2012, N. 47 zu Art. 59
ZPO). Ein solcher Nutzen fehlt im Allgemeinen, wenn der streitige Anspruch
bereits befriedet ist oder überhaupt nicht befriedet werden kann (BGE 122 III
279 E. 3a; Urteile 4C.45/2006 vom 26. April 2007 E. 5; 5P.329/2002 vom 23.
Dezember 2002 E. 3.1).

5.

Im vorliegenden Fall fordert der Beschwerdeführer von der Beschwerdegegnerin
Fr. 1'995.-- für ungedeckte Kosten der Behandlung vom 4. bis 24. Januar 2018 in
der Privatklinik C.________. Eine Klage auf Feststellung der Leistungspflicht
für künftige Klinikaufenthalte erhob der Beschwerdeführer nicht. Soweit er sein
Rechtsschutzinteresse mit allfälligen weiteren Klinikaufenthalten begründet,
ist er nicht zu hören.

Bei der geltend gemachten Leistungsklage über Fr. 1'995.-- stützt sich der
Beschwerdeführer auf den zwischen ihm und der Beschwerdegegnerin
abgeschlossenen Spitalzusatzversicherungsvertrag. Für die Geltendmachung dieser
Leistungsklage besteht ein persönliches Interesse des Beschwerdeführers und
zwar das Leistungsinteresse an der Bezahlung der strittigen Summe von Fr.
1'995.--. Die Klage trägt ihm entgegen der Auffassung der Vorinstanz auch einen
Nutzen ein, denn bei Obsiegen hat ihm die Beschwerdegegnerin den eingeforderten
Betrag zu bezahlen. Ob der Beschwerdeführer bei Obsiegen eine Forderung einer
Drittpartei, der Privatklinik, zu begleichen hat oder diese ihm bei Unterliegen
die Schuld erlässt, ist für die Frage des Rechtsschutzinteresses für die
Geltendmachung des vertraglichen Anspruchs gegenüber der Beschwerdegegnerin
irrelevant.

Es besteht damit ein Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers. Die
Argumentation der Vorinstanz, dass das Urteil dem Beschwerdeführer auch im
Falle des Obsiegens keinen Nutzen bringt, verletzt Art. 59 Abs. 2 lit. a ZPO.

6.

Die Beschwerde ist daher gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der
angefochtene Entscheid ist aufzuheben. Die Sache ist zur Fortführung des
Verfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens
wird die Beschwerdegegnerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1
und Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.

Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der Entscheid
des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau, 3. Kammer, vom 5. Februar 2019,
wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Beurteilung an das
Versicherungsgericht zurückgewiesen.

2.

Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.

Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.

4.

Dieses Urteil wird den Parteien und dem Versicherungsgericht des Kantons
Aargau, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 7. Juni 2019

Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Kiss

Der Gerichtsschreiber: Brugger