Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.992/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

2C_992/2019

Urteil vom 4. Dezember 2019

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Seiler, Präsident,

Bundesrichter Stadelmann,

Bundesrichterin Hänni,

Gerichtsschreiber Businger.

Verfahrensbeteiligte

A.________, Beschwerdeführer,

vertreten durch Fürsprecher Dr. Urs Oswald,

gegen

Amt für Migration des Kantons Luzern,

Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern.

Gegenstand

Widerruf der Niederlassungsbewilligung und Wegweisung aus der Schweiz,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 4. Abteilung, vom 21.
Oktober 2019 (7H 19 177).

Erwägungen:

1.

1.1. A.________ (geboren 1965) ist kosovarischer Staatsangehöriger. Er hielt
sich zwischen 1982 und 1993 als Saisonnier jeweils für mehrere Monate pro Jahr
in der Schweiz auf, erhielt 1993 eine Aufenthaltsbewilligung und am 18. Juni
2007 die Niederlassungsbewilligung. Am 4. April 1997 reiste seine Ehefrau
zusammen mit den beiden gemeinsamen Söhnen im Rahmen des Familiennachzugs ein;
sie erhielten ebenfalls zuerst eine Aufenthaltsbewilligung und danach die
Niederlassungsbewilligung. Am 27. Juni 2003 wurde A.________ wegen
Sozialhilfebezugs und Überschuldung ausländerrechtlich verwarnt. Mit Urteil des
Kantonsgerichts Luzern vom 28. August 2015 wurde er wegen mehrfacher sexueller
Handlung mit einem Kind, mehrfacher sexueller Nötigung sowie mehrfacher
Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt; das
Bundesgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Urteil 6B_21/2016 vom
14. April 2016 ab.

1.2. Am 3. September 2018 widerrief das Amt für Migration des Kantons Luzern
die Niederlassungsbewilligung von A.________ und wies ihn aus der Schweiz weg.
Die dagegen erhobenen Rechtsmittel wiesen das Justiz- und
Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern am 17. Juni 2019 und das
Kantonsgericht Luzern am 21. Oktober 2019 ab.

1.3. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 25. November
2019 beantragt A.________ dem Bundesgericht, vom Widerruf der
Niederlassungsbewilligung sei abzusehen und er sei zu verwarnen. Zudem sei der
vorliegenden Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Das
Bundesgericht hat keine Instruktionsmassnahmen verfügt.

2. 

Die gegen den Widerruf der Niederlassungsbewilligung gerichtete Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist zulässig (Art. 82 lit. a, Art. 83
lit. c Ziff. 2 e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. d, Abs. 2 und Art. 90 BGG; vgl.
BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4). Mit dem vorliegenden Entscheid in der Sache wird
das Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung gegenstandslos.

3.

3.1. Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer zu einer längerfristigen
Freiheitsstrafe verurteilt worden ist und dadurch einen Widerrufsgrund gesetzt
hat (Art. 63 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 62 Abs. 1 lit. b AIG [SR
142.20]; vgl. BGE 135 II 377 E. 4.2 S. 379 ff.). Der Beschwerdeführer bringt
vor, der Widerruf sei nicht verhältnismässig.

3.2. Der Widerruf der Niederlassungsbewilligung muss verhältnismässig sein
(Art. 5 Abs. 2 BV und Art. 96 AIG). Abzuwägen ist das öffentliche Interesse an
der Wegweisung gegen das private Interesse des Betroffenen am Verbleib in der
Schweiz (BGE 135 I 143 E. 2.1 S. 147). Massgebliche Kriterien sind dabei unter
anderem die Schwere des Delikts, das Verschulden, die Dauer der Anwesenheit und
der Grad der Integration, die familiären Verhältnisse sowie die
Wiedereingliederungschancen im Herkunftsstaat (BGE 139 I 16 E. 2.2 S. 19 ff.;
139 I 31 E. 2.3 S. 33 ff.).

3.3.

3.3.1. Das Kantonsgericht hat erwogen, dass der Beschwerdeführer
Sexualstraftaten begangen habe, die nach Art. 121 Abs. 3 lit. a BV als
besonders verwerflich gelten. Dies sei bei der Verhältnismässigkeitsprüfung zu
berücksichtigen (vgl. E. 4.2 des angefochtenen Urteils). Das Strafmass von fünf
Jahren Freiheitsstrafe impliziere ein erhebliches ausländerrechtliches
Verschulden. Das Strafgericht habe die objektive Tatschwere als erheblich
eingestuft, weil der Beschwerdeführer seine Körpergewalt eingesetzt habe, um
seine minderjährigen Opfer gefügig zu machen. Er habe seine familiäre und
kulturell begründete Machtposition eingesetzt, um seine sexuellen Bedürfnisse
zu befriedigen. Auch die subjektive Tatschwere sei beträchtlich, weil der
Beschwerdeführer rücksichtslos gehandelt und sein Vorgehen systematisch geplant
habe. Es bestehe folglich ein gewichtiges öffentliches Interesse am Widerruf
(vgl. E. 5.1 des angefochtenen Urteils). Dieses werde nicht dadurch
relativiert, dass die Straftaten vor 11 bis 21 Jahren begangen worden seien.
Die lange Dauer des Strafverfahrens sei vom Strafgericht berücksichtigt worden.
Auch die Dauer des erstinstanzlichen Widerrufsverfahrens wirke sich nicht
zugunsten des Beschwerdeführers aus (vgl. E. 5.2.3 des angefochtenen Urteils).
Von ihm gehe weiterhin eine Bedrohung aus, die mit Rücksicht auf die zu
befürchtenden Rechtsgutverletzungen nicht hinzunehmen sei (vgl. E. 5.3 des
angefochtenen Urteils).

3.3.2. In Bezug auf das private Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib in
der Schweiz hat das Kantonsgericht die lange Aufenthaltsdauer von 26 Jahren
sowie den Aufenthalt davor als Saisonnier berücksichtigt (vgl. E. 6.1 des
angefochtenen Urteils). Er und seine Familie seien ab Oktober 1998 von der
Sozialhilfe unterstützt worden, und zwar auch, nachdem ihm rückwirkend eine
Invalidenrente wegen eines Arbeitsunfalls zugesprochen worden sei. Zudem sei
der Beschwerdeführer damals überschuldet gewesen und deshalb ausländerrechtlich
verwarnt worden. Erst ab November 2003 habe sich die Familie dank
Ergänzungsleistungen von der Sozialhilfe lösen können. Auch vor dem
Arbeitsunfall habe der Beschwerdeführer Mühe gehabt, seinen finanziellen
Verpflichtungen nachzukommen (vgl. E. 6.2 des angefochtenen Urteils). Ihm sei
somit weder in beruflicher, finanzieller noch strafrechtlicher Hinsicht eine
Integration gelungen. Nachdem er sich vorwiegend im Kreis seiner Familie oder
seiner Landsleute bewege, seien auch keine nennenswerten Integrationsbemühungen
auf sozial-gesellschaftlicher Ebene ersichtlich. Seine Deutschkenntnisse
bewegten sich im erwarteten Rahmen (vgl. E. 6.3 des angefochtenen Urteils).

3.3.3. Das Kantonsgericht hat weiter ausgeführt, dass die Ehefrau des
Beschwerdeführers ebenfalls die kosovarische Staatsangehörigkeit besitze. Es
könne davon ausgegangen werden, dass sie vor ihrer Einreise im Kosovo gelebt
habe und mit der dortigen Sprache, Kultur und Lebensweise vertraut sei. Deshalb
sei es der Ehefrau zumutbar, ihrem Ehemann in den Kosovo zu folgen. Verbleibe
sie in der Schweiz, könne der Kontakt mit Besuchen und Kommunikationsmitteln
aufrecht erhalten werden (vgl. E. 6.4 des angefochtenen Urteils). Der
Beschwerdeführer sei im Alter von 17 Jahren zum ersten Mal in die Schweiz
gekommen und habe in der Folge noch weitere elf Jahre hauptsächlich im Kosovo
gelebt. Erst im Alter von 28 Jahren sei er definitiv übersiedelt. Er sei mit
Sprache und Kultur seines Heimatlandes bestens vertraut. Er habe den Kosovo
regelmässig besucht und verfüge dort über ein tragendes Familiennetz. Zudem
werde ihm die Invalidenrente auch im Kosovo ausbezahlt. Dadurch dürfte seine
Wiedereingliederung erheblich erleichtert sein und die Ausreise sei zumutbar
(vgl. E. 6.5 des angefochtenen Urteils). Die Rückkehr sei auch aus
medizinischen Gründen zumutbar. Die vom Beschwerdeführer benötigte
medikamentöse Behandlung sei im Kosovo ausreichend gewährleistet; die meisten
Medikamente würden sogar gratis abgegeben (vgl. E. 6.6 des angefochtenen
Urteils). Ausser der langen Aufenthaltsdauer spreche nichts gegen den Widerruf
der Niederlassungsbewilligung; das öffentliche Interesse überwiege deshalb
(vgl. E. 7 des angefochtenen Urteils).

3.4. Was der Beschwerdeführer gegen diese ausführliche Interessenabwägung
vorbringt, überzeugt nicht.

3.4.1. Der Beschwerdeführer stellt die vorinstanzlichen Erwägungen zum
öffentlichen Interesse ausdrücklich nicht infrage. Unklar ist, was er daraus
ableiten will, dass die Vorinstanz in sprachlicher Hinsicht "bloss" von einem
erheblichen öffentlichen Interesse ausgegangen sei und nicht von einem
"grossen" oder gar "sehr grossen". Nachdem der Duden (Band 8,
Synonymwörterbuch, 6. A. 2014) für "erheblich" Synonyme wie "ausserordentlich",
"enorm", "gross" oder "exorbitant" anführt, kann ausgeschlossen werden, dass
das Kantonsgericht durch seine Wortwahl eine Abschwächung des öffentlichen
Interesses beabsichtigt hat. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hat
es das öffentliche Interesse auch nicht wegen der seit der Tatbegehung
verstrichenen Zeit relativiert (vgl. E. 5.2.3 des angefochtenen Urteils, 2.
Absatz). Angesichts der besonders verwerflichen Natur der Straftaten und des
hohen Strafmasses ist von einem aussergewöhnlich grossen öffentlichen Interesse
am Widerruf und der Wegweisung auszugehen.

3.4.2. Das Kantonsgericht hat die sehr lange Anwesenheitsdauer des
Beschwerdeführers berücksichtigt. Er hält sich seit 1993 und damit seit 26
Jahren in der Schweiz auf. Ob der Aufenthalt als Saisonnier von 1982 bis 1993
zusätzlich voll oder teilweise anzurechnen ist, spielt vor dem Hintergrund des
öffentlichen Interesses und der nicht sehr tiefgreifenden Integration (vgl.
dazu nachfolgend E. 3.4.3) keine entscheidende Rolle. Dasselbe gilt für die
Übertretungen des Beschwerdeführers, die angesichts der Sexualdelikte
vernachlässigbar sind und von der Vorinstanz lediglich der Vollständigkeit
halber aufgeführt wurden. Darauf ist nicht weiter einzugehen.

3.4.3. Was die Integration in beruflicher und finanzieller Hinsicht betrifft,
so liegt die Schuldenwirtschaft und der Sozialhilfebezug des Beschwerdeführers
über fünfzehn Jahre zurück und hat die Vorinstanz ausdrücklich anerkannt, dass
der Beschwerdeführer einen Arbeitsunfall hatte und unverschuldet nicht mehr
erwerbstätig ist. Gleichwohl ist der Beschwerdeführer wegen des
Sozialhilfebezugs ausländerrechtlich verwarnt worden und er konnte sich nur
deshalb von der Sozialhilfe lösen, weil er Ergänzungsleistungen zu seiner
Invalidenrente erhalten hatte. Eine erfolgreiche berufliche Integration kann
deshalb nicht bejaht werden. Der Beschwerdeführer übersieht mit seinen
Ausführungen zudem, dass er nicht wegen seiner nicht tiefgreifenden sozialen
oder beruflichen Integration weggewiesen wird, sondern aufgrund seiner massiven
Straffälligkeit. Selbst eine durchschnittliche Integration würde die
Interessenabwägung nicht entscheidend beeinflussen.

3.4.4. In Bezug auf das durch die Wegweisung tangierte Familienleben lässt sich
der Beschwerde nichts Substanzielles entnehmen. Dass sich die Ehefrau im Kosovo
zuerst einleben müsste und sie mit der Ausreise ihre Lebensumstände in der
Schweiz aufgeben würde, widerspricht nicht den vorinstanzlichen Erwägungen zur
Zumutbarkeit der Ausreise. Und selbst wenn ihr die Ausreise unzumutbar wäre,
würde dies Angesichts des erheblichen öffentlichen Interesses nicht massgeblich
ins Gewicht fallen. Wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat, ist es letztlich
ihre Entscheidung, ob sie zusammen mit dem Beschwerdeführer in ihr Heimatland
zurückkehren oder die Beziehung durch Besuche und Kommunikationsmittel
aufrechterhalten will.

3.5. Zusammenfassend überwiegt das öffentliche Interesse am Widerruf der
Niederlassungsbewilligung das private Interesse des Beschwerdeführers am
Verbleib in der Schweiz deutlich. Die Beschwerde erweist sich als
offensichtlich unbegründet und ist im vereinfachten Verfahren nach Art. 109
Abs. 2 lit. a und Abs. 3 BGG abzuweisen.

4. 

Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 

Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 

Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Kantonsgericht Luzern, 4.
Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. Dezember 2019

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Der Gerichtsschreiber: Businger