Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.783/2019
Zurück zum Index II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2019
Retour à l'indice II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2019


TypeError: undefined is not a function (evaluating '_paq.toString().includes
("trackSiteSearch")') https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/
index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2Faza://27-02-2020-2C_783-2019&lang=de&zoom
=&type=show_document:1844 in global code 
 

Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

2C_783/2019

Urteil vom 27. Februar 2020

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Seiler, Präsident,

Bundesrichterin Aubry Girardin,

Bundesrichter Donzallaz,

Gerichtsschreiber Nabold.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

Beschwerdeführer,

vertreten durch Rechtsanwältin Veronica Kuonen-Martin,

gegen

Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau.

Gegenstand

Widerruf der Niederlassungsbewilligung und Wegweisung,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 2.
Kammer, vom 10. Juli 2019 (WBE.2018.371).

Sachverhalt:

A. 

Der 1989 in der Schweiz geborene A.________ ist kosovarischer Staatsangehöriger
und Vater eines im Jahre 2012 geborenen Sohnes. Die Kontrollfrist seiner
Niederlassungsbewilligung wurde letztmals am 13. März 2015 bis zum 30. April
2020 verlängert. Nach seiner Volljährigkeit wurde A.________ wiederholt
straffällig; das Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau sprach am
7. November 2011 eine Verwarnung aus und forderte A.________ auf, sich
inskünftig wohl zu verhalten. In der Folge delinquierte er weiter. So
verurteilte ihn das Kantonsgericht Basel-Landschaft am 12. August 2015 wegen
Raubes, Diebstahls, Freiheitsberaubung und weiterer Delikte zu einer
Freiheitsstrafe von drei Jahren (wovon ein Jahr unbedingt vollziehbar) und das
Obergericht des Kantons Solothurn am 17. März 2017 wegen mehrfachen Diebstahls
und weiterer Delikte unter anderem zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten
als Zusatzstrafe zum erstgenannten kantonalen Urteil. Nach Gewährung des
rechtlichen Gehörs widerrief das Amt für Migration und Integration mit
Verfügung vom 8. Februar 2018 und Einspracheentscheid vom 7. September 2018 die
Niederlassungsbewilligung und wies A.________ auf den Zeitpunkt des Endes des
Strafvollzuges oder, falls die Verfügung zu diesem Zeitpunkt noch nicht
rechtskräftig sein sollte, innert 90 Tagen nach Rechtskraft aus der Schweiz
weg. Während des laufenden Verfahrens verurteilte ihn das Bezirksgericht
Zofingen wegen Diebstahls und weiterer Delikte zu einer Freiheitsstrafe von 18
Monaten (wovon neun Monate unbedingt vollziehbar).

B. 

Die von A.________ gegen den Einspracheentscheid vom 7. September 2018 erhobene
Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 10.
Juli 2019 ab.

C. 

Mit Beschwerde beantragt A.________ die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils.

Während das Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau und das
Verwaltungsgericht des Kantons Aargau auf Abweisung der Beschwerde schliessen,
verzichtet das Staatssekretariat für Migration auf eine Vernehmlassung.

Auf das von A.________ gestellte Gesuch um aufschiebende Wirkung trat das
Bundesgericht mit Verfügung vom 18. September 2019 nicht ein.

Mit Eingabe vom 29. November 2019 beantragt A.________ die unentgeltliche
Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren.

Erwägungen:

1. 

1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid in einer
Angelegenheit des öffentlichen Rechts, der grundsätzlich der Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unterliegt (vgl. Art. 82 lit. a, Art. 86
Abs. 1 lit. d und Abs. 2 sowie Art. 90 BGG). Auf dem Gebiet des Ausländerrechts
ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide
ausgeschlossen, welche Bewilligungen betreffen, auf die weder das Bundesrecht
noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumt (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG). Da
grundsätzlich ein Anspruch auf das Fortbestehen der Niederlassungsbewilligung
besteht (BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4), ist gegen den angefochtenen Entscheid
über den Widerruf der Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers die
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig (Art. 83 lit. c
Ziff. 2 BGG e contrario). Auf die frist- (Art. 100 Abs. 1 BGG) und formgerecht
(Art. 42 BGG) eingereichte Beschwerde ist einzutreten.

1.2. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine
Rechtsverletzung nach Art. 95 und Art. 96 BGG gerügt werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden (BGE 139 II 404 E. 3 S. 415). In Bezug auf
die Verletzung von Grundrechten gilt eine qualifizierte Rüge- und
Substanziierungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 I 229 E. 2.2 S. 232; 136
II 304 E. 2.5 S. 314).

1.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten
Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinn von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich
unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 140 III 115 E. 2 S. 117). Die
beschwerdeführende Partei kann die Feststellung des Sachverhalts unter den
gleichen Voraussetzungen beanstanden, wenn die Behebung des Mangels für den
Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Eine
entsprechende Rüge ist rechtsgenüglich substanziiert vorzubringen (Art. 42 Abs.
2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266 mit Hinweisen).

2. 

Durch die Verurteilungen zu Freiheitsstrafen von drei Jahren (gemäss Urteil des
Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 12. August 2015), zwölf Monaten (gemäss
Urteil des Obergericht des Kantons Solothurn vom 17. März 2017) und 18 Monaten
(gemäss Urteil des Bezirksgerichts Zofingen vom 3. Mai 2018) ist der
Widerrufsgrund nach Art. 63 Abs. 1 lit. b AuG (SR 142.20) i.V.m. Art. 62 lit. b
AuG erfüllt, was der Beschwerdeführer nicht in Abrede stellt. Der
Beschwerdeführer beruft sich im Übrigen zu Recht nicht auf Art. 63 Abs. 3 AuG,
sind doch alle Delikte, derentwegen er bestraft wurde, vor dem 1. Oktober 2016
begangen worden (mit Ausnahme eines mit Strafbefehl geahndeten Bagatelldelikts
- vgl. dazu Urteil 2C_468/2019 vom 18. November 2019 E. 5, zur Publikation
vorgesehen).

3. 

Zu prüfen bleibt die Verhältnismässigkeit der Massnahme im Sinn von Art. 96
Abs. 1 AuG bzw. Art. 8 Ziff. 2 EMRK, wobei insbesondere die Art und Schwere der
vom Betroffenen begangenen Straftaten und des Verschuldens, der Grad der
Integration bzw. die Dauer der bisherigen Anwesenheit in der Schweiz sowie die
dem Betroffenen und seiner Familie drohenden Nachteile zu berücksichtigen sind.
Die Vorinstanz hat die rechtlichen Grundlagen sowie die Rechtsprechung zur
Interessenabwägung (insbesondere BGE 139 I 16 E. 2.4 und 2.5 S. 149 ff.; 139 I
31 E. 2 S. 32 ff.) zutreffend wiedergegeben; darauf wird verwiesen.

Zu ergänzen ist, dass die Niederlassungsbewilligung eines Ausländers, der sich
seit langer Zeit in der Schweiz aufhält, nur mit besonderer Zurückhaltung
widerrufen werden soll. Der Widerruf ist indessen bei wiederholter bzw.
schwerer Straffälligkeit selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn der Betroffene
in der Schweiz geboren ist und sein ganzes Leben hier verbracht hat (BGE 144 IV
332 E. 3.3.3 S. 341 f.; 139 I 16 E. 2.2.1 S. 19; Urteil 2C_945/2019 vom 15.
Januar 2020 E. 3.1).

4. 

4.1. Das kantonale Gericht hat in sorgfältiger Abwägung der massgeblichen
öffentlichen und privaten Interessen festgehalten, es bestehe aufgrund der
erheblichen Delinquenz des Beschwerdeführers ein äusserst grosses öffentliches
Interesse an der Beendigung seines Aufenthalts. Dieses sei im konkreten Fall
stärker zu gewichten als das private Interesse des normal integrierten
Beschwerdeführers am Verbleib in der Schweiz. Ihm persönlich sei eine Rückkehr
in sein Heimat- und Geburtsland zumutbar; auch seinem Sohn sei es grundsätzlich
möglich, ihm in sein Heimatland zu folgen. Sollte die Kindsmutter zusammen mit
seinem Sohn in der Schweiz bleiben, so könne die Beziehung zum Beschwerdeführer
mittels moderner Kommunikationsmittel und Besuchsaufenthalten weitergeführt
werden. Der Widerruf der Niederlassungsbewilligung sei daher auch unter
Berücksichtigung des Anspruchs auf Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 13
Abs. 1 BV verhältnismässig.

4.2. Was der Beschwerdeführer gegen diese Erwägungen vorbringt, vermag - soweit
es sich nicht ohnehin um unzulässige appellatorische Kritik an der
vorinstanzlichen Beweiswürdigung handelt - keine Bundesrechtswidrigkeit
darzutun: Entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers hat die Vorinstanz
den Umstand, dass er seit Geburt in der Schweiz lebt, korrekterweise in die
Abwägung der sich entgegenstehenden öffentlichen und privaten Interessen
miteinbezogen. Aus der Gewährung des teilbedingten Strafvollzuges kann der
Beschwerdeführer im Weiteren für das Ausländerrecht nichts schliessen, wird
doch anders als im Strafrecht im Ausländerrecht eine günstige Prognose nicht
vermutet (vgl. Urteil 2C_468/2019 vom 18. November 2019 E. 4.2). Ein nur
geringes öffentliches Interesse an der Beendigung seines Aufenthalts kann
demnach entgegen seinen Vorbringen aus der Gewährung des teilbedingten
Strafvollzuges nicht abgeleitet werden. Sodann ist zu berücksichtigen, dass der
Beschwerdeführer trotz einer im Jahre 2011 ausgesprochenen Verwarnung weiter
delinquierte. Weiter legt der Beschwerdeführer nicht dar, weshalb - sollte sein
Sohn mit der Kindsmutter in der Schweiz bleiben - ein Kontakt zwischen Vater
und Sohn de facto unmöglich sein soll. Praxisgemäss ist es für einen
angemessenen Kontakt in der Regel nicht erforderlich, dass der ausländische
Elternteil dauerhaft im selben Land wie das Kind lebt und dort über ein
Anwesenheitsrecht verfügt. Unter dem Gesichtspunkt des Anspruchs auf
Familienleben (Art. 8 Ziff. 1 EMRK sowie Art. 13 Abs. 1 BV) ist es
grundsätzlich ausreichend, wenn das Besuchsrecht im Rahmen von Kurzaufenthalten
vom Ausland her ausgeübt werden kann, wobei allenfalls die Modalitäten des
Besuchsrechts entsprechend auszugestalten sind. Gemäss der Rechtsprechung des
Bundesgerichts kann ein weitergehender Anspruch nur dann in Betracht fallen,
wenn in wirtschaftlicher und affektiver Hinsicht eine besonders enge Beziehung
zum Kind besteht, diese Beziehung wegen der Distanz zum Heimatland des
Ausländers praktisch nicht aufrechterhalten werden könnte und dessen bisheriges
Verhalten in der Schweiz zu keinerlei Klagen Anlass gegeben hat (sog.
"tadelloses Verhalten"; BGE 139 I 315 E. 2.2 S. 319 mit Hinweisen). Auch wenn
das Bundesgericht diese Bedingungen in Bezug auf die Frage der Verlängerung
einer Aufenthaltsbewilligung formuliert hat und sie nicht gleichermassen auf
den Widerruf einer langjährigen Niederlassungsbewilligung eines in der Schweiz
geborenen Ausländers anwendbar sind, so ist doch bei der
Verhältnismässigkeitsprüfung zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer
diese offensichtlich nicht erfüllt. Es ist daher trotz seines langen
Aufenthalts in der Schweiz festzuhalten, dass er im Rahmen von
Besuchsaufenthalten einen angemessenen Kontakt zu seinem Sohn aufrechterhalten
kann, so dass die Frage, ob aufgrund der Gesamtsituation auch dem Sohn eine
Übersiedlung in den Kosovo zumutbar wäre, nicht näher geprüft zu werden
braucht.

4.3. Der Widerruf der Niederlassungsbewilligung erweist sich somit - jedenfalls
unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beschwerdeführer trotz der
Verwarnung im Jahre 2011 weiter delinquierte - unter allen Gesichtspunkten als
verhältnismässig. Die Beschwerde ist demnach abzuweisen.

5. 

Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren ist
wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Dem Beschwerdeführer
sind demnach die Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Kanton
Aargau, der in seinem amtlichen Wirkungskreis obsiegt, steht keine
Entschädigung zu (Art. 68 Abs. 3 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 

Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 

Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens von Fr. 1'000.-- werden dem
Beschwerdeführer auferlegt.

4. 

Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Amt für Migration und Integration
des Kantons Aargau, dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 2. Kammer, und
dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 27. Februar 2020

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Der Gerichtsschreiber: Nabold