Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.782/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

2C_782/2019

Urteil vom 10. Februar 2020

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Seiler, Präsident,

Bundesrichter Zünd,

Bundesrichterin Aubry Girardin,

Gerichtsschreiber Businger.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

Beschwerdeführer,

vertreten durch Rechtsanwalt Marc Spescha,

dieser substituiert durch MLaw Lisa Rudin, Advokaturbüro Bolzli Gretler Gwerder
Herzog

Mona Priuli Spescha,

gegen

Migrationsamt des Kantons Thurgau,

Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau.

Gegenstand

Widerruf der Niederlassungsbewilligung und Wegweisung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom
22. Mai 2019 (VG.2018.160/E).

Sachverhalt:

A.

A.________ (geboren 1983) ist Staatsangehöriger von Nordmazedonien. Er reiste
am 7. November 1992 im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz ein und
erhielt die Niederlassungsbewilligung. Gemäss eigenen Angaben ist er mit einer
Landsfrau verheiratet, die mit der gemeinsamen Tochter in Nordmazedonien lebt.
Er ist überschuldet (Betreibungen über Fr. 55'000.-- sowie offene
Verlustscheine über Fr. 95'000.--) und erwirkte während seines Aufenthalts in
der Schweiz folgende Straferkenntnisse:

- Busse von Fr. 300.-- wegen Hausfriedensbruchs gemäss Strafbefehl der
Bezirksanwaltschaft Winterthur vom 28. August 2003;

- Busse von Fr. 100.-- wegen Ungehorsams im Betreibungsverfahren gemäss
Strafverfügung des Bezirksamts Frauenfeld vom 2. Juli 2008;

- Busse von Fr. 500.-- wegen Tätlichkeit gemäss Strafverfügung des Bezirksamts
Frauenfeld vom 10. September 2009;

- Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je Fr. 60.-- sowie eine Busse von Fr.
1'000.-- wegen Angriffs gemäss Strafbefehl der Staatsanwaltschaft I des Kantons
Zürich vom 14. Januar 2010;

- Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je Fr. 30.-- wegen versuchter einfacher
Körperverletzung gemäss Urteil des Bezirksgerichts Winterthur vom 25. Oktober
2013;

- Busse von Fr. 150.-- wegen Ungehorsams im Betreibungs- und Konkursverfahren
gemäss Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Frauenfeld vom 20. Juni 2016;

- Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je Fr. 100.-- wegen einfacher
Körperverletzung gemäss Urteil des Bezirksgerichts Frauenfeld vom 8. Juni 2017.

B.

Nachdem A.________ am 23. April 2010 und am 12. September 2014 zwei Mal
verwarnt worden war, widerrief das Migrationsamt des Kantons Thurgau am 31.
Januar 2018 seine Niederlassungsbewilligung und wies ihn aus der Schweiz weg.
Die dagegen erhobenen Rechtsmittel wiesen das Departement für Justiz und
Sicherheit des Kantons Thurgau am 8. November 2018 und das Verwaltungsgericht
des Kantons Thurgau am 22. Mai 2019 ab.

C.

Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 13. September 2019
beantragt A.________ dem Bundesgericht, vom Widerruf der
Niederlassungsbewilligung sei abzusehen. Zudem sei der Beschwerde die
aufschiebende Wirkung zu erteilen. Das Migrationsamt, das Departement für
Justiz und Sicherheit sowie das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau
schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Am 19. September 2019 erteilte der
Abteilungspräsident der Beschwerde antragsgemäss die aufschiebende Wirkung.

Erwägungen:

1.

Die gegen den Widerruf der Niederlassungsbewilligung gerichtete Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist zulässig (Art. 82 lit. a, Art. 83
lit. c Ziff. 2 e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. d, Abs. 2 und Art. 90 BGG; vgl.
BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4).

2.

Die Niederlassungsbewilligung kann widerrufen werden, wenn die Ausländerin oder
der Ausländer in schwerwiegender Weise gegen die öffentliche Sicherheit und
Ordnung in der Schweiz oder im Ausland verstossen hat oder diese gefährdet oder
die innere oder die äussere Sicherheit gefährdet (Art. 63 Abs. 1 lit. b AIG [SR
142.20]). Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede, dass er mit seinen
zahlreichen strafrechtlichen Verurteilungen diesen Widerrufsgrund erfüllt (vgl.
S. 6 Ziff. 1 der Beschwerde). Deshalb ist nicht ersichtlich, was er daraus
ableiten will, dass seiner Ansicht nach der Widerrufsgrund, "was die Schulden
betrifft", nicht erfüllt sei (vgl. S. 10 f. Ziff. 12 der Beschwerde).

3.

Der Beschwerdeführer bringt vor, der Widerruf sei nicht verhältnismässig.

3.1. Der Widerruf der Niederlassungsbewilligung muss verhältnismässig sein
(Art. 5 Abs. 2 BV und Art. 96 AIG). Abzuwägen ist das öffentliche Interesse an
der Wegweisung gegen das private Interesse des Betroffenen am Verbleib in der
Schweiz (BGE 135 I 143 E. 2.1 S. 147). Massgebliche Kriterien sind dabei unter
anderem die Schwere der Delikte, das Verschulden, die Dauer der Anwesenheit und
der Grad der Integration, die familiären Verhältnisse sowie die
Wiedereingliederungschancen im Herkunftsstaat (BGE 139 I 16 E. 2.2 S. 19 ff.;
139 I 31 E. 2.3 S. 33 ff.). Die Niederlassungsbewilligung eines Ausländers, der
sich seit langer Zeit in der Schweiz aufhält, soll nur mit besonderer
Zurückhaltung widerrufen werden. Der Widerruf ist indessen bei wiederholter
bzw. schwerer Straffälligkeit selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn der
Betroffene in der Schweiz geboren ist und sein ganzes Leben hier verbracht hat
(BGE 144 IV 332 E. 3.3.3 S. 341 f.; 139 I 16 E. 2.2.1 S. 19; Urteil 2C_452/2019
vom 30. September 2019 E. 6.1).

3.2. Das Verwaltungsgericht hat zusammengefasst erwogen, dass das öffentliche
Interesse an der Wegweisung als hoch einzuschätzen sei. Der Beschwerdeführer
habe durch seine Straftaten die körperliche Integrität von Menschen mehrfach
verletzt. Durch seine fortgesetzte Delinquenz trotz zweimaliger Verwarnung habe
er gezeigt, dass er nicht gewillt oder fähig sei, sich an die hier geltende
Ordnung zu halten. Zudem habe er mutwillig Schulden angehäuft. Das private
Interesse am Verbleib in der Schweiz bestehe vor allem in der langen
Anwesenheit. Allerdings habe der Beschwerdeführer die ersten acht Lebensjahre
im Herkunftsstaat verbracht. Dass ihm die dortigen Verhältnisse nicht fremd
seien, ergebe sich insbesondere daraus, dass er eine Landsfrau geheiratet habe,
die mit dem gemeinsamen Kind im Herkunftsstaat lebe. Dies lasse auf eine
relativ starke Bindung zu seinem Heimatland mit regelmässigen Kontakten
schliessen. Es sei davon auszugehen, dass er in der Lage sei, im Herkunftsstaat
wirtschaftlich Fuss zu fassen. In Bezug auf seine in der Schweiz lebenden
Familienangehörigen (Eltern und Brüder) könne er sich mangels
Abhängigkeitsverhältnis nicht auf den Schutz des Familienlebens berufen.
Entgegen seiner Auffassung sei der Beschwerdeführer nicht gut in die hiesigen
Verhältnisse integriert. Angesichts der Schulden könne nicht von einer
wirtschaftlichen Integration gesprochen werden, ungeachtet der
Erwerbstätigkeit. Seine soziale Integration beschränke sich auf seine
Familienangehörigen. Zudem spreche seine fortgesetzte Delinquenz gegen eine
vertiefte Integration. Sein Wohlverhalten seit der letzten Verurteilung sei auf
den Druck des ausländerrechtlichen Verfahrens zurückzuführen. Dem
Beschwerdeführer sei die Rückkehr in sein Heimatland zumutbar. Eine weitere
Verwarnung komme nicht infrage. Der Widerruf der Niederlassungsbewilligung und
die Wegweisung seien deshalb verhältnismässig (vgl. E. 4.5 des angefochtenen
Entscheids).

3.3. Was der Beschwerdeführer gegen diese Interessenabwägung vorbringt,
verfängt nicht.

3.3.1. Der Beschwerdeführer ist einem Zeitraum von rund dreizehn Jahren
wiederholt straffällig geworden und hat sich weder von Verurteilungen noch zwei
ausländerrechtlichen Verwarnungen beeindrucken lassen. Die Intensität der
Straftaten hat im Laufe der Zeit zugenommen und nach dem vorletzten Strafbefehl
vom 20. Juni 2016 ist der Beschwerdeführer bereits sechs Wochen später - am 31.
Juli 2016 - erneut straffällig geworden; er versetzte seinem Opfer einen
heftigen Faustschlag ins Gesicht, was zu einer Hospitalisation, einmonatiger
Arbeitsunfähigkeit und bleibenden Narben führte. Vor diesem Hintergrund ist die
Vorinstanz zu Recht von einem grossen öffentlichen Interesse am Widerruf
ausgegangen, auch wenn der Beschwerdeführer nie zu einer Freiheitsstrafe
verurteilt worden ist. Der Verweis des Beschwerdeführers auf das Urteil 2C_745/
2008 vom 24. Februar 2009 geht fehl, weil der dort Betroffene im Gegensatz zum
vorliegenden Fall über eine Kernfamilie in der Schweiz verfügte und die Schwere
seiner Straftaten abnahm.

3.3.2. Auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer seine schwereren Straftaten
im Ausgang und unter Alkoholeinfluss begangen und die Opfer oft gekannt hat,
führt zu keiner Relativierung seines Verhaltens. Dass er sich seit der letzten
Verurteilung von seinem ehemaligen Umfeld gelöst, seinen Alkoholkonsum in den
Griff bekommen und seit der Geburt seiner Tochter am 27. April 2018 eine
"biographische Kehrtwende" vollzogen haben will, fällt ebenfalls nicht
massgeblich ins Gewicht. Denn wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat,
kommt dem Wohlverhalten unter dem Druck des ausländerrechtlichen Verfahrens
eingeschränkte Bedeutung zu (vgl. Urteil 2C_961/2018 vom 24. Januar 2019 E.
4.3.2). Was sodann die Rückfallgefahr betrifft, so muss beim Beschwerdeführer
mangels Anwendbarkeit des Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der
Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten (FZA; SR 0.142.112.681)
keine Rückfallgefahr vorliegen, damit die Wegweisung zulässig ist, sondern es
dürfen auch generalpräventive Gesichtspunkte berücksichtigt werden (Urteil
2C_290/2017 vom 28. Februar 2018 E. 4.2). Bereits aus diesem Grund kann der
Vorinstanz keine Gehörsverletzung vorgeworfen werden, wenn sie in antizipierter
Beweiswürdigung auf eine persönliche Befragung des Beschwerdeführers zur
Abklärung der Rückfallgefahr verzichtet hat.

3.3.3. Der Beschwerdeführer hält sich seit rund 27 Jahren im Land auf und
besitzt alleine deshalb ein erhebliches privates Interesse am Verbleib in der
Schweiz. Er hat praktisch die gesamte Schul- und Ausbildungszeit in der Schweiz
verbracht und seine Eltern und Geschwister leben hier. Allerdings kann von
einer vertieften Integration keine Rede sein. Der Beschwerdefüher bestreitet
die vorinstanzlichen Ausführungen nicht, wonach sich sein Beziehungsnetz in der
Schweiz grundsätzlich auf seine Familienangehörigen beschränke. Eine
wirtschaftliche Integration ist angesichts der erheblichen Schuldenlast nicht
ersichtlich. Der Beschwerdeführer stellt die Mutwilligkeit seiner Überschuldung
pauschal infrage, ohne darzulegen, weshalb er seiner Ansicht nach kein
Verschulden an seiner finanziellen Situation trägt. Zudem rügt er, seine
Überschuldung basiere auf veralteten Zahlen (von 2017), ohne sich mit der
Vernehmlassung des Departements für Justiz und Sicherheit vom 24. September
2019 auseinanderzusetzen, wonach die Schuldenlast gemäss aktuellem
Betreibungsregisterauszug um weitere Fr. 30'000.-- angestiegen sei. Was sodann
die Bindung zu seinem Herkunftsstaat betrifft, kann aufgrund des Umstands, dass
seine Ehefrau und die gemeinsame Tochter dort leben, ohne Weiteres auf eine
enge Verbundenheit geschlossen werden. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit der
Wiedereingliederung des heute 36-jährigen Beschwerdeführers unüberwindbare
Hindernisse entgegenstehen könnten.

3.3.4. Schliesslich hat die Vorinstanz zu Recht erwogen, dass eine weitere
Verwarnung nicht infrage kommt, nachdem mehrere strafrechtliche Verurteilungen
und zwei ausländerrechtliche Verwarnungen den Beschwerdeführer nicht vor
weiterer und schwererer Delinquenz abgehalten haben. Die vom Beschwerdeführer
vorgeschlagene Rückstufung auf eine Aufenthaltsbewilligung nach Art. 63 Abs. 2
AIG kommt nach dem klaren Gesetzeswortlaut lediglich infrage, wenn die
Integrationskriterien nach Art. 58a AIG nicht erfüllt sind, und nicht, wenn der
Betroffene mit seiner Delinquenz einen (anderen) Widerrufsgrund erfüllt.

3.3.5. Zusammenfassend überwiegt das öffentliche Interesse am Widerruf das
private Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib in der Schweiz. Der
Widerruf der Niederlassungsbewilligung und die Wegweisung erweisen sich als
verhältnismässig. Dies führt zur Abweisung der Beschwerde.

4.

Die Gerichtskosten sind ausgangsgemäss dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art.
66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.

Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.

Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Thurgau und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. Februar 2020

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Der Gerichtsschreiber: Businger