Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.580/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

2C_580/2019

Urteil vom 9. März 2020

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Seiler, Präsident,

Bundesrichter Zünd,

Bundesrichterin Aubry Girardin,

Gerichtsschreiber Errass.

Verfahrensbeteiligte

A._________,

Beschwerdeführer,

vertreten durch Rechtsanwalt Gregor Münch,

gegen

1. Migrationsamt des Kantons Zürich,

2. Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich,

Beschwerdegegner.

Gegenstand

Aufenthaltsbewilligung,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 4.
Abteilung, vom 8. Mai 2019 (VB.2019.00034).

Sachverhalt:

A.

A._________ (1972, Kosovare) arbeitete in den Jahren 1991 bis 1994 als
Saisonnier im Kanton Glarus. Ende 1996 reiste er wiederum in die Schweiz ein
und heiratete eine Schweizerbürgerin, weshalb er in der Folge eine
Aufenthaltsbewilligung des Kantons Glarus erhielt, welche jeweils verlängert
wurde. Im Jahre 2000 trennten sich die Ehegatten gerichtlich, im Jahre 2005
erfolgte die Scheidung. Nach dem Kantonswechsel in den Kanton Zürich erhielt
A._________ von diesem die Aufenthaltsbewilligung. Ende 2009 gebar seine
Lebensgefährtin, belgische Staatsangehörige (1979), das gemeinsame Kind. Beide
besitzen die Niederlassungsbewilligung EU/EFTA. Am 26. Juli 2011 heiratete
A._________ seine Lebensgefährtin und erhielt in der Folge eine
Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA. Am 10. Juli 2014 hielt das Bezirksgericht
Zürich fest, dass die Ehegatten seit 17. März 2014 getrennt leben würden; die
Obhut über das Kind teilte es der Mutter zu. Die Ehegatten nahmen im August
2016 die eheliche Gemeinschaft wieder auf und waren anschliessend während einer
gewissen Zeit wieder getrennt. Vom 11. August bis 11. September 2017 war
A._________ inhaftiert und seit dem 4. September 2018 befindet er sich im
Strafvollzug.

A._________ ist strafrechtlich in Erscheinung getreten:

- Urteil des Kantonsgerichts Glarus vom 26. Mai 2004: 18 Monate Gefängnis
(bedingt, Probezeit drei Jahre) und Busse von Fr. 1'000.-- wegen mehrfacher
Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, Sachbeschädigung, Brandstiftung
und Widerhandlung gegen das Waffengesetz;

- Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat vom 2. Februar 2007: 360
Stunden gemeinnütziger Arbeit wegen Diebstahls, betrügerischen Missbrauchs
einer Datenverarbeitungsanlage, Drohung, mehrfachen Vergehens gegen das
Betäubungsmittelgesetz und Übertretung desselben;

- Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat vom 20. Mai 2008: Busse von
Fr. 200.-- wegen mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes;

- Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 5. Februar 2009: 12 Monate
Freiheitsstrafe (unbedingt), Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 30.-- und
Busse von Fr. 300.-- wegen einfacher Körperverletzung (mit gefährlichem
Gegenstand), Fahrens ohne Haftpflichtversicherung, Fälschung von
Kontrollschildern, Fahrens ohne Führerausweis, Fahrens ohne Fahrzeugausweis und
ohne Kontrollschild, Übertretung der Strassenverkehrsregelnverordnung und
Verletzung der Verkehrsregeln (vgl. Urteil 6B_275/2010 vom 20. August 2010);

- Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat vom 5. Juli 2013: Geldstrafe
von 15 Tagessätzen zu Fr. 40.-- wegen Fahrens ohne Berechtigung;

- Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl vom 18. Februar 2014:
Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu Fr. 30.-- wegen Förderung des rechtswidrigen
Aufenthalts;

- Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 17. November 2015: 10 Monate
Freiheitsstrafe (unbedingt) wegen versuchter sexueller Nötigung und mehrfachen
Vergehens gegen das Waffengesetz;

- Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern vom 22. Januar 2016:
Busse von Fr. 60.-- wegen Überschreitens der signalisierten
Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen;

- Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl vom 20. September 2016:
Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 20.-- wegen Nichtabgabe von Ausweisen und/
oder Kontrollschildern;

- Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 1. Februar 2018: 12 Monate
Freiheitsstrafe (unbedingt) und Busse von Fr. 300.-- wegen Gehilfenschaft zu
einem Verbrechen im Sinn des Betäubungsmittelgesetzes, Missbrauchs von
Ausweisen und Schildern und mehrfacher Übertretung des
Betäubungsmittelgesetzes;

- Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat vom 6. April 2018:
Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 30.-- wegen Förderung der rechtswidrigen
Ein-, Ausreise oder des rechtswidrigen Aufenthalts.

Zudem musste A._________ von Dezember 2002 bis Juli 2009 mit insgesamt Fr.
145'983.35 von der Sozialhilfe unterstützt werden. Er weist Betreibungen im
Umfang von Fr. 9'802.05 auf und schuldet der Zentralen Inkassostelle der
Gerichte am Zürcher Obergericht Fr. 78'813.40. Am 29. Juni 2007 wurde er
ausländerrechtlich verwarnt.

B.

Mit Verfügung vom 11. Januar 2018 widerrief das Migrationsamt die
Aufenthaltsbewilligung A._________s und setzte diesem zum Verlassen der Schweiz
eine Frist bis 10. März 2018. Die Rechtsmittel dagegen waren erfolglos
(Sicherheitsdirektion: 3. Dezember 2018; Verwaltungsgericht des Kantons Zürich:
8. Mai 2019).

C.

Vor Bundesgericht beantragt A._________, das Urteil des Verwaltungsgerichtes
des Kantons Zürich vom 8. Mai 2019 aufzuheben und ihm die
Aufenthaltsbewilligung zu verlängern, eventuell die Sache zur neuerlichen
Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Daneben beantragt er
unentgeltliche Rechtspflege.

D.

Sowohl das Verwaltungsgericht als auch die Sicherheitsdirektion des Kantons
Zürich verzichten auf einen Antrag und eine Vernehmlassung.

Antragsgemäss hat der Präsident der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung der
Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Erwägungen:

1.

Der Beschwerdeführer beruft sich in der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten in einer nicht zum Vornherein aussichtslosen Weise (Art. 83
lit. c e contrario BGG) als Angehöriger einer EU-Bürgerin auf Rechtsansprüche
aus dem Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen
Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren
Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA; SR 0.142.112.681).
Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen (Art. 42 Abs. 1 und 2, Art. 82 lit. a,
Art. 86 Abs. 1 lit. d, Art. 89 Abs. 1, Art. 90, Art. 100 Abs. 1 BGG) sind
erfüllt, weshalb auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
einzutreten ist.

2.

2.1. Die Vorinstanz vertritt die Auffassung, dass nicht mehr von einer gelebten
und intakten Ehe zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau auszugehen
sei und die Berufung auf die nur noch formell bestehende Ehe einzig der
weiteren Aufenthaltssicherung diene und somit rechtsmissbräuchlich sei; einen
Anspruch gestützt auf Art. 50 Abs. 1 lit. a AIG verneinte sie zudem. Trotzdem
prüft sie in der Folge nicht den Widerruf nach Art. 23 Abs. 1 VEP (SR 142.203)
i.V.m. Art. 62 Abs. 1 lit. d AIG (bis 31. Dezember 2018 AuG [AS 2007 5437]; SR
142.20; Nichteinhalten einer mit der Verfügung verbundenen Bedingung), sondern
im Rahmen einer Bewilligungsverlängerung den Widerrufsgrund nach Art. 63 Abs. 1
lit. b AIG.

2.2.

2.2.1. Besteht das gestützt auf Art. 3 Abs. 1 Anhang I FZA abgeleitete
Aufenthaltsrecht des Familienangehörigen nur noch formal und fehlt der Wille
zur Gemeinschaft und dient das formelle Eheband ausschliesslich (noch) dazu,
die ausländerrechtlichen Zulassungsvorschriften zu umgehen, fällt der Anspruch
auf abgeleiteten Aufenthalt dahin (BGE 144 II 1 E. 3.1 S. 4). Die vom originär
anwesenheitsberechtigten EU-Bürger abgeleitete Bewilligung des
Drittstaatsangehörigen kann in diesem Fall mangels Fortdauerns der
Bewilligungsvoraussetzungen gestützt auf Art. 23 Abs. 1 VEP i.V.m. Art. 62 Abs.
1 lit. d AIG widerrufen werden (BGE 139 II 393 E. 2.1 S. 395 mit Hinweisen).
Allenfalls besteht ein Anspruch gestützt auf Art. 50 Abs. 1 lit. a bzw. b AIG
(zu dessen Anwendung im Rahmen des FZA BGE 144 II 1 E. 4 insbes. 4.7 S. 7 ff.
bzw. 10 f.), welcher aber nach Art. 51 Abs. 2 AIG erlöscht, wenn die dort
aufgeführten Voraussetzungen (Rechtsmissbrauch, Vorliegen von Widerrufsgründen)
gegeben sind. Wird das abgeleitete Aufenthaltsrecht widerrufen, so besteht
keine Aufenthaltsberechtigung mehr. Soll das Aufenthaltsrecht gestützt auf den
Widerrufsgrund nach Art. 63 Abs. 1 lit. b AIG widerrufen werden, so ist dies
nur dann möglich, wenn ein Aufenthaltsrecht, im vorliegenden Fall gestützt auf
Art. 3 Abs. 1 Anh. I FZA oder allenfalls Art. 50 Abs. 1 AIG, noch gegeben ist.
Dies hat aber die Vorinstanz gerade verneint.

2.2.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass nach wie vor der Wille zur
Ehegemeinschaft gegeben sei. Nach seiner Haftentlassung werde er wieder zu
seiner Ehefrau zurückkehren. Die Vorinstanz hat im Wesentlichen, allerdings
ohne Berücksichtigung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Dauer der
Trennung (vgl. BGE 130 II 113 E. 10.3 und 10.4 S. 135 ff.), ausgeführt, dass
die Ehe nur noch formell bestehe und einzig der weiteren Aufenthaltssicherung
diene. Die Ehegatten nahmen im August 2016 die eheliche Gemeinschaft wieder
auf, waren in der Folge aber wieder während einer gewissen Zeit getrennt. Vom
11. August bis 11. September 2017 war der Beschwerdeführer in der
Untersuchungshaft und seit dem 4. September 2018 befindet er sich für mehrere
Monate im Strafvollzug. Während der Untersuchungshaft und danach sei - wie die
Vorinstanz unter Bezugnahme auf die Ausführungen der Ehegattin des
Beschwerdeführers ausführte - der Kontakt zwischen den Eheleuten nur
unregelmässig erfolgt. Am 3. März 2018 erfolgte eine Wohnungskontrolle am
Wohnsitz der Ehegatten, wobei der Beschwerdeführer dort nicht angetroffen
wurde.

Im Rahmen des Art. 3 Anh. I FZA kommt die einfache Tatsache des Getrenntlebens
keinem Rechtsmissbrauch gleich (BGE 130 II 113 E. 9.5 und 10.3 S. 134 bzw.
136). Dass sich die Ehegatten während einer gewissen Zeit getrennt hatten, ist
angesichts des zwischen den Ehegatten Vorgefallenen nachvollziehbar. Sie sind
aber immer wieder zusammen gekommen und die Ehefrau hat ihrem Ehemann auch
verziehen (Art. 105 Abs. 2 BGG). Unbehelflich ist ferner das Argument, dass der
Beschwerdeführer bei einer Wohnungskontrolle nicht anwesend gewesen sei, denn
dadurch lässt sich nicht behaupten, dass die Beziehung nur noch formell
bestehe. Die Vorinstanz wäre gehalten gewesen, weitere Abklärungen
durchzuführen, damit ihre Behauptung, dass rechtsmissbräuchlich formell an der
Ehe festgehalten werde, stichhaltig wäre; nachzuweisen ist der fehlende
Ehewille (Urteil 2C_1049/2018 vom 21. März 2019 E. 4.3). Offenbar war die
Vorinstanz diesbezüglich unsicher, weshalb sie ihren Entscheid durchwegs auf
Art. 63 Abs. 1 lit. b AIG gestützt hat. Insofern verfügt der Beschwerdeführer
über ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht gestützt auf Art. 3 Abs. 1 Anh. I FZA,
welches allerdings unter dem Vorbehalt von Art. 5 Anh. I FZA steht.

2.2.3. Art. 5 Anhang I FZA kann nicht zu Massnahmen gegen in der Schweiz
befindliche Personen ermächtigen, die über diejenigen hinausgehen, welche im
schweizerischen Recht vorgesehen sind. Eine andere Auffassung widerspräche
unter anderem dem in Art. 2 FZA normierten Diskriminierungsverbot sowie der in
Art. 2 Abs. 2 AIG enthaltenen Begünstigungsklausel. Daher sind zunächst
ausserhalb des Freizügigkeitsabkommens vorhandene Rechtsgrundlagen anzuwenden,
auf welcher die Verweigerung eines weiteren Verbleibs des Beschwerdeführers in
der Schweiz gestützt werden kann (BGE 130 II 176 E. 3.2 S. 181). Die
Widerrufsbestimmungen nach Art. 62 f. AIG sind solche.

2.3.

2.3.1. Nach dem vorinstanzlichen Entscheid habe der Beschwerdeführer den
Tatbestand von Art. 63 Abs. 1 lit. b AIG durch seine verschiedenen Straftaten
erfüllt. Mit Urteil vom 1. Februar 2018 hat das Bezirksgericht Zürich vom 1.
Februar 2018 auf eine unbedingte Freiheitsstrafe von 12 Monaten (unbedingt) und
auf eine Busse von Fr. 300.-- wegen Gehilfenschaft zu einem Verbrechen im Sinn
des Betäubungsmittelgesetzes, Missbrauchs von Ausweisen und Schildern und
mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes erkannt. In Ziffer 5 des
Dispositivs dieses Urteils wird "von der Anordnung einer Landesverweisung
gemäss Art. 66a Abs. 2 StGB und Art. 66a bis StGB [...] abgesehen". Der
Beschwerdeführer macht geltend, dass ein Widerruf der Aufenthaltsbewilligung
angesichts des strafrechtlichen Urteils nach Art. 62 Abs. 2 bzw. Art. 63 Abs. 3
AIG unzulässig sei. Die Vorinstanz führt demgegenüber aus, dass das
migrationsrechtliche Widerrufsverfahren, das bereits am 23. September 2016
eingeleitet und am 11. Januar 2018 erstinstanzlich mit der Verfügung des
Migrationsamtes abgeschlossen worden sei, vor dem Urteil des Strafrichters vom
1. Februar 2018 ergangen sei, in welchem von der Landesverweisung abgesehen
wurde. Insofern würde kein Verstoss gegen Art. 62 Abs. 2 AIG vorliegen.

2.3.2. Bundesgerichtliche Vorinstanzen sind entsprechend Art. 110 BGG gehalten,
den Sachverhalt so festzustellen, wie er sich zum Zeitpunkt ihres Urteils
tatsächlich präsentiert (Urteile 2C_1034/2016 vom 13. November 2017 E. 4.2;
2C_728/2014 vom 3. Juni 2015 E. 2.2.3). Dazu gehört auch das Urteil des
Strafrichters vom 1. Februar 2018 (vgl. Urteil 2C_1154/2018 vom 18. November
2019 E. 2.2). Hinzuweisen ist diesbezüglich, dass bereits die Verfügung vom 11.
Januar 2018 das Vergehen, welches schliesslich zum Urteil vom 1. Februar 2018
geführt hatte, erwähnt. Im Folgenden ist zu prüfen, wie sich die
ausländerrechtliche Massnahme zum strafrechtlichen Urteil verhält.

2.3.3. Nach Art. 62 Abs. 2 bzw. Art. 63 Abs. 3 AIG ist ein Widerruf, der nur
damit begründet wird, dass ein Delikt begangen wurde, für das ein Strafgericht
bereits eine Strafe oder Massnahme verhängt, jedoch von einer Landesverweisung
abgesehen hat, unzulässig. Das Bundesgericht hat kürzlich in mehreren, am 18.
November 2019 gefällten Entscheiden die Bestimmung des Art. 62 Abs. 2 bzw. Art.
63 Abs. 3 AIG ausgelegt (2C_358/2019 vom 18. November 2019; 2C_1154/2018 vom
18. November 2019; 2C_468/2019 vom 18. November 2019; 2C_305/2018 vom 18.
November 2019; 2C_628/2019 vom 18. November 2019). Art. 62 Abs. 2 bzw. Art. 63
Abs. 3 AIG ist eine Kollisionsbestimmung mit einer übergangsrechtlichen
Komponente. So sind die Art. 66a und 66a bis StGB nur dann anwendbar, wenn das
auslösende Delikt nach dem Datum des Inkraftretens dieser
Strafrechtrechtsbestimmungen (1. Oktober 2016) begangen wurde. Das Strafgericht
darf jedoch bei der Prüfung eines Härtefalls (Art. 66a Abs. 2 StGB) auch vor
dem Inkrafttreten von Art. 66a StGB begangene Straftaten berücksichtigen;
gestützt darauf darf zwar nicht eine Landesverweisung ausgesprochen, aber die
Integration und Rückfallgefahr bzw. die Verhältnismässigkeit der
Landesverweisung generell beurteilt werden (zum Ganzen BGE 2C_468/2019 vom 18.
November 2019 E. 5.2).

2.4.

2.4.1. Das Bundesgericht hat in BGE 2C_1154/2018 (vom 18. November 2019) Art.
63 Abs. 3 AIG angewendet in einer Konstellation, in welcher einerseits eine
Verurteilung wegen vor dem 1. Oktober 2016 begangenen Delikten erfolgte und
andererseits eine Verurteilung (unter Absehen von der Landesverweisung gestützt
auf Art. 66a Abs. 2 StGB) unter anderem für Delikte, die nach diesem Datum
begangen worden waren. Da das Strafgericht bei seiner Annahme eines Härtefalls
das gesamte deliktische Verhalten mit Einschluss der vor dem 1. Oktober 2016
begangenen Delikte in Betracht gezogen hatte, erachtete das Bundesgericht es
als un zulässig, dass das Migrationsamt die Bewilligung gestützt auf diejenigen
Tatsachen, welche das Strafgericht seinem Entscheid zugrundegelegt und
gewürdigt hat, widerrufen würde. Andernfalls würde damit der Dualismus wieder
eingeführt, den der Gesetzgeber gerade vermeiden wollte.

2.4.2. Gleich verhält es sich hier: In Ziff. 5 des Dispositivs des Urteils des
Bezirksgerichts vom 1. Februar 2018 hat das Gericht festgehalten, dass von der
Anordnung einer Landesverweisung gemäss Art. 66a Abs. 2 StBG und Art. 66a bis
StGB abgesehen werde. Das Verfahren ist im abgekürzten Verfahren nach Art. 358
ff. StPO erfolgt (dazu NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3.
Aufl. 2012, S. 525 ff.), was dann zulässig ist, wenn die beschuldigte Person
den Sachverhalt, der für die rechtliche Würdigung wesentlich ist, anerkennt und
die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als fünf Jahren
verlangt (Art. 358 Abs. 1 und 2 StPO). Kommt das Gericht nach der
Hauptverhandlung zum Schluss, dass die Voraussetzungen für ein abgekürztes
Verfahren erfüllt sind, so erhebt es die Vorgaben der Anklageschrift, die im
abgekürzten Verfahren gegenüber dem ordentlichen Verfahren einen wesentlich
erweiterten Inhalt aufweist (Art. 360 StPO; vgl. SCHMID/JOSITSCH, Schweiz.
Strafprozessordnung. Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, Art. 360 N. 1), zum Urteil
(Art. 362 StPO). Im Urteil befindet es u.a. darüber, ob die beantragten
Sanktionen angemessen sind (Art. 362 Abs. 1 lit. c StPO). Insofern bedarf es in
der oder neben (SCHMID/JOSITSCH, a.a.O., Art. 358 N. 3) der Anklageschrift
einer Begründung, damit das Gericht die Angemessenheit beurteilen kann. Diese
hat der Beschwerdeführer eingereicht, wurde den Vorinstanzen zur Vernehmlassung
zugestellt, liegt somit nun den Akten bei und ist deshalb zu berücksichtigen
(Art. 105 Abs. 2 BGG).

Die Aktennotiz der Staatsanwaltschaft ist auf zwei A4-Seiten abgefasst und
betrifft das Strafmass und den Verzicht auf die Landesverweisung. Die
Aktennotiz ist zweigeteilt: Einen ersten kurzen Abschnitt zum Strafmass,
anschliessend rund eineinhalb Seiten zur Landesverweisung. Ausgangspunkt der
Landesverweisung bildet die Katalogtat, welche auch bei Gehilfenschaft zur
Anwendung kommt. Danach werden die privaten Interessen (Integration,
Anwesenheitsdauer, familiäre und finanzielle Situation, Arbeit,
Gesundheitszustand, Wiedereingliederung im Ursprungsland) ausführlich
dargestellt und gewichtet. Der letzte Punkt betrifft die Interessenabwägung
zwischen den privaten und öffentlichen Interessen und stellt eine Begründung
dar, weshalb das öffentliche Interesse nicht so gross ist, aber keine
Begründung für das Strafmass, da es hierzu keiner Interessenabwägung bedarf und
dies Gegenstand des ersten Abschnitts wäre.

In der Interessenabwägung werden die Vorstrafen erwähnt. Zwar ist die
Formulierung des Staatsanwalts bei der Interessenabwägung nicht glücklich
gewählt. Trotzdem ergibt sich daraus, dass der Staatsanwalt auch die Vorstrafen
berücksichtigt hat: Würde die Interessenabwägung nur die Landesverweisung in
Bezug auf die Katalogtat betreffen, hätte der Staatsanwalt die Vorstrafen gar
nicht erwähnen müssen. Er hätte ohne Weiteres ausführen können, dass das
Gewicht des öffentlichen Interesses angesichts der untergeordneten Rolle des
Beschwerdeführers gering sei, weshalb das öffentliche Interesse das private
nicht überwiege. Da der Staatsanwalt die Vorstrafen dennoch erwähnt hat, muss
davon ausgegangen werden, dass er diese in der Interessenabwägung
berücksichtigt wissen will. Damit erhöht sich das Gewicht des öffentlichen
Interesses, allerdings nicht so sehr, dass dieses damit das private Interesse
überwiegen würde. Jedenfalls müsste der Staatsanwalt die Vorstrafen gar nicht
erwähnen, wenn es seiner Meinung nach auf diese zum Vornherein nicht ankäme.

2.4.3. Dementsprechend hat das Strafgericht bei seiner Beurteilung der
Härtefallsituation das gesamte deliktische Verhalten mit Einschluss der vor dem
1. Oktober 2016 begangenen Delikte in Betracht gezogen. Die Migrationsbehörde
kann infolgedessen denselben Sachverhalt entsprechend Art. 62 Abs. 2 bzw. Art.
63 Abs. 3 AIG nicht noch einmal beurteilen.

2.5. Es bleibt somit nur noch das Verhalten des Beschwerdeführers, welches mit
Strafbefehl vom 6. April 2018 beurteilt wurde. Allerdings stellt auch dieses
keine Möglichkeit der Migrationsbehörden dar, die Aufenthaltsbewilligung FZA zu
widerrufen: Das strafrechtliche Verhalten ist nach Inkrafttreten von Art. 66a
und Art. 66a bis StGB erfolgt. Die Verurteilung erfolgte gestützt auf Art. 116
AIG, welches ein Vergehen darstellt und Art. 66a bis StGB unterliegt. Der
Strafrichter hat keine Landesverweisung ausgesprochen, weshalb entsprechend
Art. 62 Abs. 2 bzw. Art. 63 Abs. 3 AIG ein Widerruf unzulässig ist.

3.

Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde begründet und gutzuheissen
ist. Das vorinstanzliche Urteil ist aufzuheben. Bei diesem Verfahrensausgang
sind keine Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 3 BGG). Der Kanton Zürich
hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine
Parteientschädigung zu entrichten. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege
wird somit gegenstandslos. Die Sache wird zur Neuverlegung der vorinstanzlichen
Kosten- und Entschädigungsfolgen an die Vorinstanz zurückgewiesen (Art. 67,
Art. 68 Abs. 5 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.

Die Beschwerde wird gutgeheissen und das angefochtene Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 8. Mai 2019 wird aufgehoben. Das
Migrationsamt wird angewiesen, die Aufenthaltsbewilligung zu verlängern.

2.

Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.

Der Kanton Zürich hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.

4.

Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten- und Entschädigungsfolgen an die
Vorinstanz zurückgewiesen.

5.

Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Zürich, 4. Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 9. März 2020

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Der Gerichtsschreiber: Errass