Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.431/2019
Zurück zum Index II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2019
Retour à l'indice II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2019


 

Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

2C_431/2019

Urteil vom 19. August 2019

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Seiler, Präsident,

Bundesrichter Zünd, Donzallaz,

Gerichtsschreiber Errass.

Verfahrensbeteiligte

1. A.A.________,

2. B.A.________, handelnd durch A.A.________,

3. C.A.________, handelnd durch A.A.________,

4. D.A.________, handelnd durch A.A.________,

Beschwerdeführerinnen,

alle vier vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Valerio Priuli,

gegen

Migrationsamt des Kantons Zürich,

Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich.

Gegenstand

Aufenthaltsbewilligung,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 2.
Abteilung, vom 20. März 2019 (VB.2018.00463).

Sachverhalt:

A.

A.A.________ (1981; mazedonische Staatsangehörige) heiratete am 28. Dezember
2000 den in der Schweiz niederlassungsberechtigten E.________ (1982), reiste am
15. September 2001 in die Schweiz ein und erhielt in der Folge eine
AufenthaltsbewiIIigung zum Verbleib beim Ehemann im Kanton St. Gallen, welche
zuletzt bis 14. September 2007 verlängert wurde. Das Ehepaar
A.________-E.________ hat zwei gemeinsame Kinder (2003, 2005). A.A.________
reiste im Februar 2007 aus der Schweiz aus. Am 20. April 2007 wurde die Ehe in
Mazedonien geschieden und die elterliche Sorge und Obhut dem Vater zugeteilt.
Seither leben die beiden Kinder beim Vater im Kanton St. Gallen. In der Folge
ging bei der Wohngemeinde im Kanton St. Gallen ein undatiertes, mit der
Unterschrift von A.A.________ versehenes Schreiben ein, worin festgehalten
wurde, dass diese nicht mehr in die Schweiz zurückkehren werde und die
Aufenthaltsbewilligung zu annullieren sei. Die Wohngemeinde teilte dem
Ausländeramt des Kantons St. Gallen mit, dass A.A.________ geschieden und per
30. Juni 2007 nach Mazedonien gezogen sei. Mit Faxschreiben vom 9. August 2007
an ihre ehemalige Wohngemeinde im Kanton St. Gallen hielt A.A.________ indes
fest, dass ihr ehemaliger Ehemann ihr Gewalt angetan habe, weshalb sie im
Februar 2007 vor ihm und seinem Vater geflüchtet sei. Ihr Ausländerausweis sei
ihr am 20. April 2007 (Scheidung in Mazedonien) gewaltsam abgenommen worden.
Sie beantrage nun die Bewilligung zur Einreise und zum Aufenthalt in der
Schweiz zwecks Zusammenleben mit ihren beiden Kindern.

B.

2008 reiste A.A.________ mit einem Touristenvisum in die Schweiz ein und
verblieb nach dessen Ablauf in der Schweiz. Aus einer Beziehung mit einem nicht
aufenthaltsberechtigten Kosovaren gingen drei Töchter hervor (2012, 2014,
2017), welche ebenfalls über keine Aufenthaltsbewilligung verfügen. Am 21.
April 2017 beantragte A.A.________ die Erteilung einer Härtefallbewilligung
nach Art. 30 Abs. 1 lit. b AIG (SR 142.20; bis zum 1. Januar 2019: AuG [AS 2007
5437]). Dieses Gesuch wies das Migrationsamt mit Verfügung vom 6. Februar 2018
ab, wies A.A.________ aus der Schweiz weg und setzte ihr Frist zum Verlassen
der Schweiz bis am 6. April 2018. Die dagegen gerichteten Rechtsmittel waren
erfolglos (Sicherheitsdirektion: 3. Juli 2018; Verwaltungsgericht: 20. März
2019).

C.

Vor Bundesgericht beantragen A.A.________ und ihre drei Töchter, den Entscheid
des Verwaltungsgerichts vom 20. März 2019 aufzuheben und die Vorinstanz bzw.
das Migrationsamt des Kantons Zürich anzuweisen, ihnen je eine
Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. Sie beantragen zudem unentgeltliche
Rechtspflege.

D.

Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich beantragt ohne Vernehmlassung die
Abweisung der Beschwerde. Die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich
verzichtet auf eine Vernehmlassung und einen Antrag.

Antragsgemäss erteilte der Präsident der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
der Beschwerde am 13. Mai 2019 aufschiebende Wirkung.

Erwägungen:

1.

Nach Art. 83 lit. c Ziff. 2 und Ziff. 5 BGG ist die Beschwerde unzulässig gegen
Entscheide auf dem Gebiet des Ausländerrechts betreffend Bewilligungen, auf die
weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumen, bzw.
betreffend Abweichungen von den Zulassungsvoraussetzungen. Vor Vorinstanz haben
die Beschwerdeführerinnen eine Härtefallbewilligung nach Art. 30 Abs. 1 lit. b
AIG beantragt. Diese Bewilligung stellt eine Ermessensbewilligung dar. Die
Beschwerdeführerinnen haben sich zu Recht nicht auf diese berufen. Sie machen
vor Bundesgericht nun geltend, dass die Aufenthaltsbewilligung der
Beschwerdeführerin 1 nicht erloschen sei, weshalb sie gestützt darauf in
Verbindung mit Art. 8 EMRK in seinem Aspekt des Privatlebens Anspruch auf eine
Aufenthaltsbewilligung haben. In prozessualer Hinsicht genügt es, wenn ein
Anspruch mit vertretbaren Gründen behauptet wird (BGE 139 I 330 E. 1.1). Dies
ist hier der Fall. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist
zulässig (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d, Art. 90 BGG).

Die Beschwerdeführerinnen sind zur Beschwerdeerhebung legitimiert (Art. 89 Abs.
1 BGG). Auf die form- (Art. 42 BGG) und fristgerecht (Art. 100 Abs. 1 BGG)
eingereichte Beschwerde ist einzutreten.

2. 

2.1. Die Beschwerdeführerinnen monieren, dass die Vorinstanzen
fälschlicherweise davon ausgegangen seien, dass die Aufenthaltsbewilligung der
Beschwerdeführerin 1 durch Abmeldung erloschen sei. Sie hätte am 1. August 2007
einen Anspruch auf Aufenthalt in der Schweiz gehabt. Gestützt darauf und in
Verbindung mit dem Urteil des EGMR Rodrigues da Silva et Hoogkamer gegen die
Niederlande vom 31. Januar 2006 (50435/99) machen sie einen
Anwesenheitsanspruch geltend.

2.2.

2.2.1. Ist nach Art. 17 Abs. 2 ANAG (Bundesgesetz vom 26. März 1931 über
Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer; AS 49 279) der Ausländer im Besitz
der Niederlassungsbewilligung, so hat sein Ehegatte Anspruch auf Erteilung und
Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, solange die Ehegatten zusammen wohnen.
Nach einem ordnungsgemässen und ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren hat
der Ehegatte Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung.

Wenn die Beschwerdeführerin 1 Ende 2006 die drei obgenannten Voraussetzungen
(im Rahmen des ehelichen Zusammenlebens ordnungsgemässer und ununterbrochener
Aufenthalt sowie mindestens fünf Jahre) erfüllt hatte, hatte sie zum damaligen
Zeitpunkt einen Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung. Waren diese
Voraussetzungen nicht erfüllt, stand die Aufenthaltsverlängerung nach Art. 4
ANAG im Ermessen der Behörde.

2.2.2. Ob die Voraussetzungen für eine Niederlassungsbewilligung erfüllt waren
und ob der Ex-Mann der Beschwerdeführerin 1 diese böswillig abgemeldet hatte
(dazu ANDREAS ZÜND, Beendigung der Anwesenheit, Entfernung und Fernhaltung, in:
Uebersax/Münch/Geiser/Arnold [Hrsg.], Ausländerrecht, Handbücher für die
Anwaltspraxis, VIII, 2002, S. 207 ff., Rz. 6.9) kann offenbleiben. Denn die
Beschwerdeführerin hat - wie sich aus dem für das Bundesgericht verbindlichen
Sachverhalt ergibt (Art. 105 Abs. 1 BGG) - die Schweiz länger als sechs Monate
verlassen, weshalb selbst eine allfällige Niederlassungsbewilligung erloschen
wäre (vgl. Art. 9 Abs. 3 lit. c ANAG; ZÜND, a.a.O., Rz. 6.10). Aus dem ANAG
lässt sich deshalb kein Anspruch ableiten und die Beschwerdeführerinnen sind
illegal in der Schweiz.

2.3.

2.3.1. Einen Anspruch gestützt auf Art. 8 EMRK in seinem Aspekt des
Familienlebens machen die Beschwerdeführerinnen nicht geltend, ein solcher in
seinem Aspekt des Privatlebens besteht hingegen nicht. Denn nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist der "gegenwärtige, eigenmächtig unter
Missachtung der Pflicht zur Ausreise nach Ablauf des Besuchervisums
herbeigeführte Zustand [...] unbeachtlich " (BGE 129 II 249 E. 2.3 S. 255),
weshalb daraus kein Aufenthaltsanspruch abgeleitet werden kann, ansonsten die
Behörden vor vollendete Tatsachen gestellt werden könnten und der sich
rechtskonform verhaltende Ausländer benachteiligt würde (BGE 133 II 6 E. 6.3.2
S. 29; siehe dazu auch SPESCHA, in: Spescha/Thür/Zünd/Bolzli/Hruschka,
Migrationsrecht, 4. Aufl. 2015, N. 16 zu BV/EMRK/UNO-KRK; siehe auch Urteil des
EGMR Rodrigues da Silva et Hoogkamer gegen die Niederlande vom 31. Januar 2006
[50435/99], § 43).

2.3.2. Die Beschwerdeführerinnen machen allerdings geltend, dass nach dem
Urteil des EGMR Rodrigues da Silva et Hoogkamer gegen die Niederlande vom 31.
Januar 2006 (50435/99) die Möglichkeit, den illegalen Status zu legalisieren,
genüge, um in den Geltungsbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK zu gelangen. Während
dort eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund des Konkubinats mit einem Niederländer
möglich gewesen wäre, käme hier eine solche aufgrund des damaligen Anspruchs,
sich in der Schweiz aufzuhalten, in Betracht. Der EGMR halte diesbezüglich
fest, dass die Berufung auf Art. 8 EMRK nicht einfach mit Verweis auf die
Illegalität der Anwesenheit einer Person abgelehnt werden dürfe, sondern dass
vielmehr auch hier die Umstände des Einzelfalls relevant seien. Hierbei sei
wesentlich, ob eine Person je die Möglichkeit der Legalisierung gehabt habe
oder nicht.

2.3.3. Die im erwähnten Urteil des EGMR genannte Ausnahmesituation, welche
entsprechende positive Verpflichtungen des Staates auslösen könnten, trifft auf
den vorliegenden Sachverhalt nicht zu: Hintergrund des erwähnten Falles bildet
der Umstand, dass Frau Rodrigues, brasilianische Staatsangehörige, mit ihrem
ehemaligen niederländischen Konkubinatspartner ein Kind, welches die
niederländische Staatsangehörigkeit erhielt, gezeugt hatte und die Betreuung
des Kindes durch die Grosseltern des ehemalige Partners während der Woche und
durch Frau Rodrigues während des Wochenendes erfolgte. Insgesamt kommt die
Situation einem umgekehrten Familiennachzug gleich. Im vorliegenden Fall trifft
dies nicht zu: Der Vater der drei Kinder der Beschwerdeführerin 1 aus der
zweiten Beziehung befand sich selbst illegal in der Schweiz, was auch auf die
drei Kinder zutrifft, welche ebenfalls eine mazedonische Staatsangehörigkeit
innehaben. Die Beschwerdeführerinnen fallen deshalb auch nicht unter
Berücksichtigung des von ihnen genannten Entscheids des EGMR in den
Geltungsbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK.

3.

Die Beschwerde ist somit unbegründet und abzuweisen. Entsprechend diesem
Verfahrensausgang sind die Beschwerdeführerinnen für das bundesgerichtliche
Verfahren kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG), da dem Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde nicht entsprochen werden
kann (Art. 64 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind keine geschuldet (Art. 68
Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.

Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.

Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens von Fr. 1'000.-- werden der
Beschwerdeführerin 1 auferlegt.

4.

Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Zürich und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. August 2019

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Der Gerichtsschreiber: Errass