Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.320/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

2C_320/2019

Urteil vom 12. Juli 2019

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Seiler, Präsident,

Bundesrichter Zünd,

Bundesrichter Donzallaz,

Gerichtsschreiber Businger.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

Beschwerdeführerin,

vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Räber,

gegen

Veterinärdienst des Kantons Luzern.

Gegenstand

Tierhaltung (vorsorgliche Massnahmen),

Beschwerde gegen die Verfügung des Kantonsgerichts Luzern, 4. Abteilung, vom
22. Februar 2019 (7H 18 268).

Sachverhalt:

A.

Seit 2014 kontrollierte der Veterinärdienst des Kantons Luzern mehrmals die
Tierhaltung bei A.________, letztmals am 12. September 2018. Aufgrund der als
tierschutzwidrig beurteilten Halteverhältnisse beschlagnahmte er die zwei Hunde
"B.________" und "C.________" sowie ein Kaninchen, das umgehend euthanasiert
werden musste. Mit Verfügung vom 12. Oktober 2018 verbot der Veterinärdienst
des Kantons Luzern A.________ die Haltung und Betreuung von Tieren ab 1.
November 2018 auf unbestimmte Zeit. Zudem ordnete er an, dass ihr die Hunde
nicht zurückgegeben werden.

B.

Gegen die Verfügung des Veterinärdienstes erhob A.________ am 15. November 2018
Beschwerde beim Kantonsgericht Luzern. Am 24. Dezember 2018 beantragte der
Veterinärdienst die Sistierung des Verfahrens sowie einen Entscheid über die
beschlagnahmten Hunde. Mit Verfügung vom 22. Februar 2019 sistierte das
Kantonsgericht das Beschwerdeverfahren, gab die beschlagnahmten Hunde zum
Verkauf frei und untersagte die Euthanasierung der Hunde.

C.

C.a. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 1. April 2019
beantragt A.________ dem Bundesgericht hauptsächlich, die beschlagnahmten Hunde
seien bis zum Abschluss des Verfahrens in die Obhut einer von ihr bezeichneten
Drittperson zu übertragen. Zudem ersuchte sie um Erteilung der aufschiebenden
Wirkung und um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

C.b. Mit Verfügung vom 9. Mai 2019 erteilte der Präsident der II.
öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der Beschwerde hinsichtlich
der Freigabe zum Verkauf des Hundes "C.________" die aufschiebende Wirkung,
nachdem der andere Hund am 8. April 2019 gestorben war. Der Veterinärdienst des
Kantons Luzern und das Kantonsgericht Luzern schliessen auf Abweisung der
Beschwerde. Mit Eingabe vom 24. Juni 2019 hält A.________ an ihren Anträgen
fest.

Erwägungen:

1.

1.1. Gegen die angefochtene Verfügung steht die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zur Verfügung (Art. 82 lit. a, Art. 83 e
contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 BGG). Die Beschwerdeführerin ist
zur Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG) und die Beschwerde wurde form-
und fristgerecht eingereicht (Art. 42 und Art. 100 Abs. 1 BGG).

1.2. Angefochten ist ein Entscheid über vorsorgliche Massnahmen. Die Beschwerde
ist deshalb nur zulässig, wenn der vorinstanzliche Entscheid einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Da der
Verkauf des Hundes auch bei einem günstigen Entscheid in der Sache nicht
rückgängig gemacht werden kann, ist der nicht wieder gutzumachende Nachteil
offensichtlich.

1.3. Mit der Beschwerde gegen Entscheide über vorsorgliche Massnahmen kann nur
die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden (Art. 98 BGG), wobei
eine qualifizierte Rügepflicht gilt (Art. 106 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde
(Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig oder
beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG (Art. 105 Abs. 2
bzw. Art. 97 Abs. 1 BGG).

2.

Die Beschwerdeführerin bringt vor, der Verkauf ihres Hundes verletze die
Eigentumsgarantie (Art. 26 BV).

2.1. Der Entscheid über die Anordnung vorsorglicher Massnahmen setzt
Dringlichkeit voraus, d.h. es muss sich als notwendig erweisen, die fraglichen
Vorkehren sofort zu treffen. Sodann muss der Verzicht auf Massnahmen für den
Betroffenen einen Nachteil bewirken, der nicht leicht wieder gutzumachen ist,
wofür ein tatsächliches, insbesondere wirtschaftliches Interesse genügt.
Erforderlich ist schliesslich, dass die Abwägung der verschiedenen Interessen
den Ausschlag für den einstweiligen Rechtsschutz gibt und dieser
verhältnismässig erscheint. Der durch den Endentscheid zu regelnde Zustand soll
weder präjudiziert noch verunmöglicht werden. Vorsorgliche Massnahmen beruhen
auf einer bloss summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage. Die
Hauptsachenprognose kann dabei berücksichtigt werden, wenn sie eindeutig ist;
bei tatsächlichen oder rechtlichen Unklarheiten drängt sich hingegen
Zurückhaltung auf, weil in diesem Fall die erforderlichen Entscheidgrundlagen
im Hauptverfahren erst noch beschafft werden müssen (BGE 130 II 149 E. 2.2 S.
155; 127 II 132 E. 3 S. 137 f.).

2.2. Die Vorinstanz hat erwogen, aufgrund der Aktenlage bestünden Zweifel, dass
die Beschwerdeführerin ihre Hunde und Kaninchen über kurz oder lang
tierschutzkonform halten werde. Die finanzielle Lage der Beschwerdeführerin
lasse die Vermutung zu, dass sie nicht in der Lage sein werde, dem Gemeinwesen
die Kosten für Unterbringung und Pflege der Tiere zu ersetzen. Damit bestehe
für das Gemeinwesen für den Fall des Unterliegens der Beschwerdeführerin ein
erhebliches Ausfallrisiko, das ihm nicht zugemutet werden könne. Hinter diesem
öffentlichen Interesse habe die affektive Beziehung der Beschwerdeführerin zu
ihrem Hund zurückzutreten. Eine Unterbringung des Hundes an eine ihr nahe
stehende Person berge das Risiko, dass die Beschwerdeführerin so wieder an das
Tier gelangen könne. Deshalb sei der Veterinärdienst zu ermächtigen, den Hund
zu verkaufen.

2.3.

2.3.1. Die Vorinstanz begründet das öffentliche Interesse am Verkauf des
verbliebenen Hundes hauptsächlich mit den Kosten für die Unterbringung und
Pflege, die vom Gemeinwesen vorab getragen und von der Beschwerdeführerin
wahrscheinlich nicht ersetzt werden. Das Kantonsgericht hat indessen keine
Feststellungen dazu getroffen, wie hoch die Unterbringungskosten sind. Aus der
Stellungnahme des Veterinärdienstes vom 17. Mai 2019 geht hervor, dass die
Kosten ungefähr bei Fr. 750.--/Monat liegen. Die Kosten sind damit zwar nicht
vernachlässigbar gering, aber auch nicht derart hoch, dass sie ein erhebliches
öffentliches Interesse am Verkauf des Hundes begründen. Mit dem Tierwohl
dagegen argumentiert das Kantonsgericht kaum. Zwar nimmt es in allgemeiner
Weise auf das Tierwohl Bezug; in der Subsumtion ist davon allerdings keine Rede
mehr. Und selbst wenn es als notorisch gelten kann, dass längere
Übergangslösungen mit Blick auf das Tierwohl nicht ideal sind, kann daraus kein
erhebliches öffentliches Interesse an einem sofortigen Verkauf abgeleitet
werden, namentlich weil es auch bei vermeintlich definitiven Lösungen zu
erneuten Umplatzierungen kommen kann. Entscheidend ist vielmehr, dass der Hund
jederzeit angemessen betreut und gepflegt wird, unabhängig davon, ob die
Betreuungssituation vorübergehender oder dauerhafter Natur ist. Das öffentliche
Interesse am sofortigen Verkauf des Hundes ist deshalb nicht als besonders hoch
einzustufen.

2.3.2. Die Beschwerdeführerin dagegen besitzt ein erhebliches persönliches
Interesse daran, dass sie Eigentümerin ihres Hundes bleibt, bis über das
Tierhalteverbot und die Beschlagnahme ihres Hundes rechtskräftig entschieden
worden ist. In Bezug auf die Beschlagnahme des Hundes würde ein sofortiger
Verkauf das hängige Verfahren präjudizieren und den Rechtsschutz
verunmöglichen, was nur in absoluten Ausnahmefällen zulässig ist. Dabei ist
unbeachtlich, dass das Kantonsgericht die Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung der Beschwerde in Bezug auf das Hundehalteverbot (und die
Beschlagnahme) verweigert hat und die Beschwerdeführerin deshalb zumindest bis
zum Abschluss des Verfahrens vor Kantonsgericht keine Hunde halten darf. Weiter
geht das Kantonsgericht offenbar selbst nicht davon aus, dass der Sachverhalt
liquide ist und eine eindeutige Hauptsacheprognose zuungunsten der
Beschwerdeführerin besteht, weil in diesem Fall die Sistierung des Verfahrens
nicht notwendig wäre und das Beschwerdeverfahren zügig abgeschlossen werden
könnte, zumal weder das Tierhalteverbot noch die Beschlagnahme eine
strafrechtliche Verurteilung voraussetzen (Art. 23 f. TSchG).

2.3.3. Schliesslich kommt hinzu, dass die Beschwerdeführerin mehrere Personen
angeführt hat, die ihren Hund während des Verfahrens ohne Kosten für das
Gemeinwesen betreuen würden. Diese Alternative hat das Kantonsgericht nicht
vertieft geprüft. Der Einwand, die persönliche Nähe zur Beschwerdeführerin
berge das Risiko, dass sie so wieder an den Hund gelangen könnte, mag auf ihre
beiden Kinder zutreffen, die in derselben Gemeinde wie die Beschwerdeführerin
wohnen. Mit Bezug auf die im Kanton Graubünden lebende D.________, die
Präsidentin des Vereins E.________ ist, kann indessen bereits aufgrund der
räumlichen Distanz nicht ohne Weiteres gesagt werden, dass diese Massnahme
untauglich wäre, um das Tierwohl zu wahren. Ebensowenig kann D.________ die
Eignung zur Hundehaltung abgesprochen werden, nur weil sie sich für die
Beschwerdeführerin im laufenden Verfahren eingesetzt hat.

2.4. Zusammenfassend vermag das öffentliche Interesse am sofortigen Verkauf das
persönliche Interesse der Beschwerdeführerin, bis zum rechtskräftigen Entscheid
über die Beschlagnahme Eigentümerin des Hundes zu bleiben, nicht zu überwiegen.
Der Eingriff in das Eigentumsrecht der Beschwerdeführerin ist nicht
verhältnismässig und verstösst gegen die in Art. 26 Abs. 1 BV verankerte
Eigentumsgarantie (Art. 36 Abs. 3 BV). In Gutheissung der Beschwerde ist
Dispositivziffer 2.1 des angefochtenen Entscheids aufzuheben und die Sache zum
Neuentscheid zurückzuweisen. Das Kantonsgericht wird vertieft zu prüfen haben,
ob die Übertragung des Hundes in die Obhut einer Drittperson während des
hängigen Verfahrens mit Blick auf das Tierwohl infrage kommt. Andernfalls ist
der Hund wie bis anhin behördlich unterzubringen, wobei der mögliche
Kostenausfall des Gemeinwesens hinzunehmen ist.

3.

Gerichtskosten sind nicht zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der unterliegende
Kanton Luzern hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren
angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Damit wird das Gesuch der
Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
gegenstandslos.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.

Die Beschwerde wird gutgeheissen, Dispositivziffer 2.1 der Verfügung des
Kantonsgerichts Luzern vom 22. Februar 2019 aufgehoben und die Sache zu neuer
Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.

Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.

Der Kanton Luzern hat der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung von Fr.
2'000.-- zu bezahlen.

4.

Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Kantonsgericht Luzern, 4.
Abteilung, und dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. Juli 2019

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Der Gerichtsschreiber: Businger