Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.315/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

2C_315/2019

Urteil vom 2. Oktober 2019

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Seiler, Präsident,

Bundesrichter Zünd, Stadelmann,

Gerichtsschreiber Errass.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

Beschwerdeführer,

vertreten durch Rechtsanwalt Simon Bigler,

gegen

1. Amt für Migration und Personenstand des Kantons Bern,

2. Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern,

Beschwerdegegner.

Gegenstand

Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung und Wegweisung, Feststellung der
Nichtigkeit einer Niederlassungsbewilligung,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern,
Verwaltungsrechtliche Abteilung, Einzelrichter, vom 21. Februar 2019
(100.2018.269U).

Sachverhalt:

A. 

A.________ (Marokkaner, 1988) reiste am 3. April 2008 zur Vorbereitung der
Eintragung einer Partnerschaft mit dem Schweizer Bürger B.________ in die
Schweiz ein. Am 24. April 2008 trug das Zivilstandsamt U.________ die
Partnerschaft ein, worauf A.________ eine Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib
bei seinem Partner erhielt. Er war anschliessend in V.________, dem Wohnort
seines Partners, angemeldet. Das Paar lebte jedoch immer wieder über längere
Zeit räumlich getrennt, was die Ausländerbehörde zu weiteren Abklärungen
veranlasste. Am 16. Februar 2017 verweigerte das Amt für Migration und
Personenstand des Kantons Bern (MIP), Migrationsdienst (MIDI), die Verlängerung
der Aufenthaltsbewilligung von A.________, da dieser das Erfordernis des
gemeinsamen Haushalts mit seinem Partner nicht erfülle und keine wichtigen
Gründe für das Getrenntleben bestünden.

B. 

Gegen diese Verfügung erhob A.________ am 20. März 2017 Beschwerde bei der
Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern (POM). Während des hängigen
Beschwerdeverfahrens zogen A.________ und B.________ von V.________ nach
U.________. Im Rahmen des Anmeldeverfahrens bei den Einwohnerdiensten der
Einwohnergemeinde U.________ händigte eine Mitarbeiterin am 7. Februar 2018
A.________ einen sog. Ausweis C (Niederlassungsbewilligung) aus. Am 13. März
2018 forderten die Einwohnerdienste A.________ auf, den Ausweis zurückzugeben,
da dieser fälschlicherweise abgegeben worden sei; A.________ leistete dieser
Aufforderung jedoch keine Folge. Die Einwohnerdienste U.________ verzichteten
in der Folge auf den Widerruf der Niederlassungsbewilligung. Die POM schrieb
daraufhin das Beschwerdeverfahren betreffend Nichtverlängerung der
Aufenthaltsbewilligung und Wegweisung aus der Schweiz als gegenstandslos
geworden ab (Verfügung vom 20.7.2018). Dagegen hat A.________
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit
folgenden Anträgen erhoben:

"1. Die angefochtene Verfügung der Polizei- und Militärdirektion des Kantons
Bern vom 20. Juli 2018 sei aufzuheben und die Sache sei zur Neubeurteilung im
Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Vorinstanz sei
überdies anzuweisen, das Beschwerdeverfahren zu sistieren, bis rechtskräftig
über einen Widerruf der Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers
entschieden wurde oder die zuständige Migrationsbehörde die
Niederlassungsbewilligung verlängert. Eventualiter sei die angefochtene
Verfügung der Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern vom 20. Juli 2018
aufzuheben und es sei das gesamte Verfahren betreffend die Nichtverlängerung
der Aufenthaltsbewilligung und Wegweisung aus der Schweiz (inkl. Verfahren vor
dem Migrationsdienst MIDI) abzuschreiben.

2. Das vorliegende Verfahren sei per sofort zu sistieren."

Das Gesuch um Sistierung wurde abgewiesen und am 21. Februar 2019 entscheid das
Verwaltungsgericht wie folgt:

"1. Es wird festgestellt, dass die von der EG U.________ am 7. Februar 2018 auf
den Namen des Beschwerdeführers ausgestellte Niederlassungsbewilligung nichtig
ist. Der Beschwerdeführer hat den entsprechenden ausländerrechtlichen Ausweis
den Behörden unverzüglich zurückzugeben.

"2. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Die Abschreibungsverfügung der
Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern vom 20. Juli 2018 wird
aufgehoben und die Sache wird an die Polizei- und Militärdirektion zur
Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens zurückgewiesen. Im Übrigen wird die
Beschwerde abgewiesen.

3. [...]."

C. 

Vor Bundesgericht beantragt A.________, Ziff. 1 des Urteilsdispositivs des
Entscheids des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 21. Februar 2019
(100.2018.269U) aufzuheben und festzustellen, dass die
Niederlassungsbewilligung vom 7. Februar 2018 rechtsbeständig ist, eventuell
obgenannte Ziff. 1 aufzuheben und die Angelegenheit in diesem Punkt zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Während das Amt für Migration und Personenstand auf eine Vernehmlassung und
einen Antrag verzichtet, beantragt das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
vernehmlassungsweise die Abweisung der Beschwerde, wozu sich der
Beschwerdeführer geäussert hat. Die POM beantragt unter Verweis auf das
vorinstanzliche Urteil die Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen:

1. 

Gegen den angefochtenen kantonal letztinstanzlichen Endentscheid über die
Feststellung der Nichtigkeit der Niederlassungsbewilligung ist die Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht grundsätzlich
zulässig (Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 BGG), da der Beschwerdeführer
grundsätzlich einen Anspruch auf das Fortbestehen der Bewilligung geltend
machen kann (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG e contrario). Auf die im Übrigen form-
und fristgerecht eingereichte Beschwerde (vgl. Art. 42 und 100 Abs. 1 BGG) des
hierzu legitimierten Beschwerdeführers (Art. 89 Abs. 1 BGG) ist einzutreten.

2. 

2.1. Ausgangspunkt des Verfahrens bildet die Verfügung vom 16. Februar 2017,
mit welcher das Amt für Migration und Personenstand des Kantons Bern die
Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung des Beschwerdeführers verweigerte. Das
vor Vorinstanz allenfalls noch streitige Rechtsverhältnis wird vor
Bundesgericht nun durch die von dieser behandelten Vorfrage, ob der
Beschwerdeführer im Besitz einer Niederlassungsbewilligung ist, bestimmt. Die
Vorinstanz prüft die Nichtigkeit der Niederlassungsbewilligung nicht in einem
eigenen Verfahren, sondern im Beschwerdeverfahren, dessen Ausgangspunkt die
erwähnte Verfügung bildet.

2.2. Vorfrageweise hat die Vorinstanz die Nichtigkeit der
Niederlassungsbewilligung festgestellt. Eine rechtswidrige Verfügung ist im
Allgemeinen anfechtbar. Von der Anfechtbarkeit zu unterscheiden ist die
Nichtigkeit einer Verfügung. Nichtigen Verfügungen geht jede Verbindlichkeit
und Rechtswirksamkeit ab. Die Nichtigkeit ist jederzeit und von sämtlichen
staatlichen Instanzen von Amtes wegen zu beachten. Nach der Rechtsprechung ist
eine Verfügung nur ausnahmsweise nichtig, wenn der ihr anhaftende Mangel
besonders schwer und offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist und die
Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet
wird. Als Nichtigkeitsgrund fallen hauptsächlich funktionelle und sachliche
Unzuständigkeiten einer Behörde sowie schwerwiegende Verfahrensfehler in
Betracht (BGE 139 II 243 E. 11.2 S. 260 mit Hinweisen; 137 I 273 E. 3.1 S.
275). Inhaltliche Mängel haben nur in seltenen Ausnahmefällen die Nichtigkeit
einer Verfügung zur Folge; erforderlich ist hierzu ein ausserordentlich
schwerwiegender Mangel (BGE 137 I 273 E. 3.1 S. 275). Die Anordnung muss
geradezu sinnlos, sittenwidrig oder willkürlich sein oder den Kerngehalt der
Grundrechte betreffen (vgl. Urteil 8C_1065/2009 vom 31. August 2010 E. 4.2.3,
nicht publ. in BGE 136 I 332). Auch eine kantonale bundesrechtswidrige
Verfügung führt nicht zur Nichtigkeit (vgl. BGE 132 II 21 E. 3.2 und 3.3 S. 27
ff.). Inhaltliche Mängel, die aufgrund eines Fehlverhaltens der Behörden
resultieren, müssen in aller Regel über den Widerruf einer Verfügung reguliert
werden.

2.3. Die Vorinstanz hat die Nichtigkeit der Verfügung damit begründet, dass die
Behörde gänzlich auf ein für die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung
korrektes Verwaltungsverfahren verzichtet habe, weshalb die Verfügung an einen
besonders gravierenden und wesensbestimmenden Merkmal leide. Zudem sei dieser
Mangel für den Beschwerdeführer ohne Weiteres erkennbar gewesen, habe er doch
seit längerer Zeit mit Ausländerbehörden zu tun. Im Übrigen gefährde die
Feststellung der Nichtigkeit die Rechtssicherheit nicht.

2.4. Wie sich aus den Akten ergibt (Art. 105 Abs. 2 BGG), handelt es sich bei
der Behörde, welche die Niederlassungsbewilligung erteilt hat, um den Bereich
Migration der Einwohner- und Spezialdienste U.________. Diese ist zuständige
Behörde, wie der Migrationsdienst des Kantons Bern in seiner Stellungnahmen an
die POM ausführt. Diese hat zudem die genannte Behörde der Stadt U.________
aufgefordert, die Niederlassungsbewilligung zu widerrufen. Eine Verfügung kann
indes nur von einer zuständigen Behörde widerrufen werden. Form- bzw.
Verfahrensfehler gegenüber dem Beschwerdeführer sind auch nicht erkennbar: Die
Abgabe eines Ausweises am Schalter entspricht einem normalen Vorgehen, denn das
vorgelagerte Verfahren auf Erlass einer Niederlassungsbewilligung findet vor
allem im Hintergrund statt, wie sich auch aus der Stellungnahme des
Migrationsdienstes des Kantons Bern an die POM ergibt (Eintrag im ZEMIS mit
Hinweisen, Aktenstudium, Rücksprache mit dem Migrationsdienst des Kantons
Bern). Richtig ist, dass inhaltliche Mängel vorliegen. Diese sind entsprechend
der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (siehe oben E. 2.2 i.f.) allerdings
nicht derart, dass von einer Nichtigkeit auszugehen ist.

2.5. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es bei der fehlerhaften Erteilung
der Niederlassungsbewilligung am besonders schweren Mangel fehlt. Die anderen
Voraussetzungen müssen demnach nicht geprüft werden. Angesichts dieses Umstands
kann auch offengelassen werden, ob mit der Rückweisung eine reformatio in peius
erfolgte.

3. 

Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen und der vorinstanzliche
Entscheid vollständig aufzuheben. Der Beschwerdeführer bleibt im Besitz der
Niederlassungsbewilligung. Bei diesem Verfahrensausgang sind keine
Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 3 BGG). Der Kanton Bern hat dem
Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung
zu entrichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 

Die Beschwerde wird gutgeheissen und das angefochtene Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 21. Februar 2019 aufgehoben. Die
Verfügung der Polizei- und Militärdirektion vom 20. Juli 2018 wird bestätigt.

2. 

Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 

Der Kanton Bern hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.

4. 

Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Bern und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 2. Oktober 2019

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Der Gerichtsschreiber: Errass