Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2C.134/2019
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Bundesgericht

Tribunal fédéral

Tribunale federale

Tribunal federal

               

2C_134/2019

Urteil vom 12. November 2019

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Seiler, Präsident,

Bundesrichter Zünd,

Bundesrichterin Aubry Girardin,

Bundesrichter Donzallaz,

Bundesrichterin Hänni,

Gerichtsschreiberin De Sépibus.

Verfahrensbeteiligte

A.________,

Beschwerdeführer,

vertreten durch Rechtsanwalt Sven Gretler,

gegen

Amt für Migration des Kantons Luzern, Fruttstrasse 15, 6002 Luzern,

Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern, Bahnhofstrasse 15, 6003
Luzern.

Gegenstand

Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 4. Abteilung, vom 13.
Dezember 2018

(7H 18 196).

Sachverhalt:

A.

A.________ (1960, Portugiese) arbeitete in den Jahren 1995 bis 2004 als
Saisonnier in der Schweiz. Am 28. September 2004 wurde ihm eine fünfjährige
Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA erteilt, welche in der Folge zweimal verlängert
wurde. Am 21. November 2014 ersuchte A.________ erfolglos um Erteilung einer
Niederlassungsbewilligung EU/EFTA. Es wurde ihm hingegen seine
Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA bis zum 13. Februar 2017 verlängert.

Seit dem 23. Februar 2015 erhält A.________ finanzielle Unterstützung durch das
Sozialamt. Seit dem Juni 2015 arbeitet er zu 50 % bei der B.________ AG, einer
sozialen Einrichtung für langfristig Arbeitslose. Am 26. Juli 2016 wurde sein
Gesuch um eine IV-Rente abgelehnt, mit der Begründung, dass er in einer
angepassten Tätigkeit voll arbeitsfähig sei.

B.

Am 24. Juli 2017 lehnte das Amt für Migration des Kantons Luzern ab, A.________
die Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA zu verlängern. Gegen diese Verfügung erhob
er am 24. August 2017 Verwaltungsbeschwerde beim Justiz- und
Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern, welches diese am 19. Juli 2018
abwies und A.________ aufforderte, die Schweiz bis zum 28. Februar 2018 zu
verlassen.

Gegen den Entscheid des Justiz- und Sicherheitsdepartements des Kantons Luzern
vom 19. Juli 2018 erhob A.________ am 20. August 2018
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Kantonsgericht Luzern, welches diese am 13.
Dezember 2018 abwies.

C.

Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht
beantragt A.________, das Urteil der kantonalen Vorinstanz vom 13. Dezember
2018 sei aufzuheben und in Gutheissung der Beschwerde seine
Aufenthaltsbewilligung zu verlängern. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege
und Verbeiständung.

Die Vorinstanz schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Justiz- und
Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern und das Staatssekretariat für
Migration (SEM) haben sich innert angesetzter Frist nicht vernehmen lassen.

Mit Verfügung vom 6. Februar 2019 hat das präsidierende Abteilungsmitglied der
Beschwerde antragsgemäss aufschiebende Wirkung beigelegt.

Erwägungen:

1. 

Der Beschwerdeführer beruft sich in vertretbarer Weise auf einen
freizügigkeitsrechtlichen Bewilligungs- bzw. Verbleiberechtsanspruch (vgl. Art.
6 in V. mit Art. 4 Anhang I des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der
Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft
und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit
[Freizügigkeitsabkommen; FZA; SR 0.142.112.681]). Die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist somit zulässig (Art. 82 lit. a, Art.
83 lit. c Ziff. 2 e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 sowie Art. 89
und 90 BGG). Ob und in welchem Umfang der behauptete Anspruch tatsächlich
besteht, bildet praxisgemäss Gegenstand der materiellen Beurteilung und ist
keine Eintretensfrage (vgl. BGE 137 I 305 E. 2.5 S. 315; Urteil 2C_195/2014 vom
12. Januar 2015, in BGE 141 II 1 nicht publizierte E. 1.1). Auf die Beschwerde
ist einzutreten.

2.

Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG),
prüft jedoch unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und
Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) nur die geltend gemachten
Vorbringen, sofern rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE
142 I 135 E. 1.5 S. 144). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den
die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG) und kann deren
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn
sie offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich, ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG); zudem
muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein
(Art. 97 Abs. 1 BGG).

3.

Der Beschwerdeführer rügt, das angefochtene Urteil verletze Art. 4 Anhang I des
Freizügigkeitsabkommens (Verbleiberecht).

3.1. Gemäss Art. 6 Abs. 1 Anhang I FZA erhält ein Arbeitnehmer, der
Staatsangehöriger einer Vertragspartei ist und mit einem Arbeitgeber des
Aufnahmestaates ein Arbeitsverhältnis mit einer Dauer von mindestens einem Jahr
eingeht, eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Gültigkeitsdauer von fünf Jahren,
gerechnet ab dem Zeitpunkt der Erteilung der Erlaubnis (EU/EFTA-B-Bewilligung).
Diese wird automatisch um mindestens fünf Jahre verlängert. Bei der ersten
Verlängerung kann die Gültigkeitsdauer beschränkt werden, wenn der Inhaber seit
mehr als zwölf aufeinanderfolgenden Monaten unfreiwillig arbeitslos ist; die
Dauer der Bewilligungsverlängerung darf ein Jahr nicht unterschreiten. Nach
Art. 6 Abs. 6 Anhang I FZA darf einer arbeitnehmenden Person eine gültige
Aufenthaltsbewilligung nicht allein deshalb entzogen werden, weil sie keine
Beschäftigung mehr hat, entweder weil sie infolge von Krankheit oder Unfall
vorübergehend arbeitsunfähig oder unfreiwillig arbeitslos geworden ist, falls
das zuständige Arbeitsamt dies ordnungsgemäss bestätigt. Dabei gelten die von
der zuständigen Behörde ordnungsgemäss bestätigten Zeiten unfreiwilliger
Arbeitslosigkeit und die Abwesenheiten infolge Krankheit oder Unfall als
Beschäftigungszeiten (vgl. Art. 4 Abs. 2 Anhang I FZA i.V.m. Art. 2 Abs. 1 und
Art. 4 Abs. 2 der Verordnung [EWG] Nr. 1251/70 der Kommission vom 29. Juni 1970
über das Recht der Arbeitnehmer, nach Beendigung einer Beschäftigung im
Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates zu verbleiben [ABl 1970, L 142 vom 30. Juni
1970 S. 24 ff.; hiernach: Verordnung Nr. 1251/70]).

3.2. Darüber hinaus sieht Art. 4 Anhang I FZA vor, dass die Staatsangehörigen
einer Vertragspartei und ihre Familienangehörigen nach Beendigung ihrer
Erwerbstätigkeit ein Recht auf Verbleib im Hoheitsgebiet der anderen
Vertragspartei haben. Gemäss Art. 2 Abs. 1 lit. b Satz 1 der Verordnung Nr.
1251/70, auf welche Art. 4 Abs. 2 Anhang I FZA verweist, besteht ein
Verbleiberecht für den "Arbeitnehmer, der infolge dauernder Arbeitsunfähigkeit
eine Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis aufgibt, wenn er sich seit
mindestens zwei Jahren im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats ständig
aufgehalten hat". Die Voraussetzung einer minimalen Dauer entfällt, wenn die
dauernde Arbeitsunfähigkeit die Folge eines Arbeitsunfalls oder einer
Berufskrankheit ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Rente entstanden ist
(Satz 2).

3.3. Ein Verbleiberecht infolge Arbeitsunfähigkeit setzt somit eine vorgängige
Arbeitnehmereigenschaft voraus (vgl. Urteil 2C_1034/2016 vom 13. November 2017
E. 2.2 mit Hinweisen; Urteil des EuGH vom 26. Mai 1993 C-171/91 Tsiotras, Slg.
1993, I-2925, Rnr. 18). Zudem ist erforderlich, dass der Arbeitnehmer die
Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis aufgrund der Arbeitsunfähigkeit
aufgegeben hat; nur dann rechtfertigt es sich, seine Rechte als
Wanderarbeitnehmer über das Dahinfallen des Arbeitnehmerstatus hinaus
fortbestehen zu lassen (BGE 141 II 1 E. 4.3.2 S. 13).

4.

Die Feststellung der Vorinstanz, der Beschwerdeführer habe seine
Arbeitnehmereigenschaft verloren und auf Grundlage von Art. 6 Abs. 1 Anhang I
FZA kein Aufenthaltsrecht mehr in der Schweiz, wird durch den Beschwerdeführer
zu Recht nicht bestritten. Streitig ist hingegen, ob er ein Verbleiberecht
gestützt auf Art. 4 Anhang I FZA besitzt, wobei im Zentrum der rechtlichen
Auseinandersetzung die Auslegung des Begriffs der dauernden Arbeitsunfähigkeit
 im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. b Satz 1 der Verordnung Nr. 1251/70 steht, auf
welchen Art. 4 Abs. 2 Anhang I FZA verweist.

4.1. Die Vorinstanz hat gestützt auf die Feststellung der IV-Stelle Luzern, der
Beschwerdeführer sei zu 100 % in einer angepassten Tätigkeit arbeitsfähig, ein
Verbleiberecht verneint. Sie ging dabei davon aus, dass bei der Abklärung, ob
eine dauernde Arbeitsunfähigkeit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. b der
Verordnung Nr. 1251/70 vorliege, auch zumutbare Tätigkeiten in einem anderen
Beruf oder Aufgabenbereich berücksichtigt werden dürfen (nachfolgend
"Verweistätigkeiten").

4.2. Der Beschwerdeführer rügt, dass eine solche Auslegung Art. 4 Anhang I FZA
verletze. Die genannte Bestimmung müsse eng ausgelegt werden, d.h. die
Arbeitsunfähigkeit dürfe ausschliesslich bezogen auf den angestammten Beruf des
Beschwerdeführers beurteilt werden. Unter Arbeitsunfähigkeit werde generell die
medizinisch begründete Unfähigkeit, eine bestimmte Tätigkeit in einem
bestimmten zeitlichen und funktionellen Umfang auszuüben, bezeichnet. Der
Begriff dürfe insofern nicht dem Begriff der «Erwerbsunfähigkeit» gleichgesetzt
werden, der eine allgemeine Beeinträchtigung der Erwerbsmöglichkeiten
ausdrücke, welche sich auf die bisherigen Tätigkeit als auch auf andere
zumutbare Tätigkeiten beziehe. Hätte der Gesetzgeber (recte Vertragsparteien)
auch Verweistätigkeiten einschliessen wollen, so hätte er dies explizit getan.
Auch eine teleologische Interpretation führe zu keinem anderen Resultat, da
eine echte Freizügigkeit voraussetze, dass ein Verbleiberecht auch bei
unfreiwilliger Arbeitsunfähigkeit im angestammten Beruf weiterbestehe.

4.3. Das Freizügigkeitsabkommen ist gestützt auf die völkerrechtliche Methodik
nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen
Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines
Zieles und Zweckes auszulegen (vgl. Art. 31 ff. des Wiener Übereinkommens vom
23. Mai 1969 über das Recht der Verträge [VRK; SR 0.111]; vgl. BGE 139 II 393
E. 4.1.1. S. 397 [mit Hinweisen]). Gemäss Art. 16 Abs. 2 FZA ist für die
Anwendung des Freizügigkeitsabkommens - soweit für die Anwendung des Abkommens
Begriffe des Unionsrechts herangezogen werden - die einschlägige Rechtsprechung
des EuGH vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung (21. Juni 1999) massgebend. Da es
Ziel des Abkommens ist, die Freizügigkeit auf der Grundlage der in der
Europäischen Union geltenden Bestimmungen zu verwirklichen (Präambel), und die
Vertragsstaaten übereingekommen sind, in den vom Abkommen erfassten Bereichen
alle erforderlichen Massnahmen zu treffen, damit in ihren Beziehungen eine
möglichst parallele Rechtslage besteht (Art. 16 Abs. 1 FZA), hat das
Bundesgericht in inzwischen ständiger Rechtsprechung entschieden, von der
Auslegung abkommensrelevanter unionsrechtlicher Bestimmungen durch den EuGH
nach dem Unterzeichnungsdatum nur bei Vorliegen "triftiger" Gründe abzuweichen
(BGE 142 II 35 E. 3.1 S. 38; 140 II 112 E. 3.2 S. 117; 136 II 364 E. 5.3 S.
372).

4.4. Bislang besteht keine Rechtsprechung des EuGH zum streitbetroffenen
Begriff. Seine Interpretation erfolgt insofern in Übereinstimmung mit den
völkerrechtlichen Auslegungsmethoden. Insoweit der Beschwerdeführer folgert,
der Wortlaut sei klar und nicht interpretationsbedürftig, kann ihm nicht
gefolgt werden. Wenn der Begriff der Arbeitsunfähigkeit zwar in vielen
Bereichen arbeitsplatzbezogen ausgelegt wird, so ist dies nicht immer der Fall.
So bestimmt beispielsweise Art. 6 Abs. 2 des Bundesgesetzes über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG, SR 830.1), dass bei
Arbeitsunfähigkeit von langer Dauer auch zumutbare Tätigkeiten in einem anderen
Beruf oder Aufgabenbereich zu berücksichtigen sind. Von langer Dauer wird in
der Regel dann gesprochen, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als sechs Monate
dauert (vgl. dazu Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, N. 74 zu Art. 6
ATSG). Damit kommt zum Ausdruck, dass die bisherige Tätigkeit nur solange der
Massstab für die Arbeitsunfähigkeit sein kann, als von der versicherten Person
"vernünftigerweise nicht verlangt werden" kann, ihre restliche Arbeitsfähigkeit
in einem anderen Berufszweig zu verwerten (BGE 114 V 281 E. 1d). Dies ist
Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes der den Versicherten obliegenden
Schadenminderungspflicht im Sozialversicherungsrecht (Hans-Jakob Mosimann, in:
Frey/Mosimann/Bollinger [Hrsg.], AHVG/IVG Kommentar, 2018, N. 6 zu Art. 6
ATSG). Über den Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 lit. b der Verordnung Nr. 1251/70
hinaus ist insofern die wahre Tragweite des Begriffs der "dauernden
Arbeitsunfähigkeit" zu eruieren.

4.5. Aus systematischer Warte ist festzuhalten, dass der Verbleibeanspruch je
nachdem, welches der Grund für die dauernde Arbeitsunfähigkeit ist, eine
Karenzfrist von zwei Jahren oder keine solche vorsieht. Besteht dieser in einem
Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit, auf Grund derer ein Anspruch auf
Rente entsteht, so entfällt die Voraussetzung eines vorgängigen zweijährigen
Aufenthaltes (Art. 2 Abs. 1 lit. b Satz 2 der Verordnung Nr. 1251/70). In
Auslegung dieser Bestimmung hat das Bundesgericht festgehalten, dass bei der
Beurteilung der dauernden Arbeitsunfähigkeit in der Regel auf die Abklärungen
und die Beurteilung der zuständigen IV-Stelle abzustellen sei. Nur wenn die
IV-rechtliche Ausgangslage als Vorfrage zum Bewilligungsentscheid klar und
eindeutig erscheint, könne die Migrationsbehörde über die Frage befinden, ohne
den Entscheid der IV-Behörde abzuwarten (BGE 141 II 1 E. 4.2.1). Im Urteil 2C_
1034/2016 hat das Bundesgericht zudem klargestellt, dass eine von der IV-Stelle
attestierte Fähigkeit zur Ausübung einer angepassten Tätigkeit der Annahme
einer dauernden Arbeitsunfähigkeit entgegenstehe (Urteile 2C_1034/2016 vom 13.
November 2017 E. 4.1 und 4.3; 2C_545/2015 vom 14. Dezember 2015 E. 4.2).

4.6. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Zwar wird in der Literatur ein
enger Begriff der Arbeitsunfähigkeit vertreten, insbesondere weil Art. 2 Abs. 1
lit. b der Verordnung Nr. 1251/70 auf die Arbeitsunfähigkeit und nicht auf den
Invaliditätsgrad Bezug nimmt (vgl. Marc Spescha in: Migrationsrecht, Spescha/
Zünd/Bolzli/Hruschka, de Weck [Hrsg.], 5. Aufl. 2019, N. 5 zu Art. 4 Anhang I
FZA; Klaus Dienelt, in: Kommentar Ausländerrecht, 10. Auflage, 2013, N. 43 ff.
zu Art. 4a FreizügG/EU). Dies ist jedoch abzulehnen. In Analogie zum
Sozialversicherungsrecht, das bei der Beurteilung lang andauernder
Arbeitsunfähigkeit auch zumutbare Tätigkeiten in einem anderen Beruf oder
Aufgabenbereich berücksichtigt, ist ein Verbleibeanspruch gestützt auf Art. 2
Abs. 1 lit. b der Verordnung Nr. 1251/70 zu verneinen, wenn keine
gesundheitlichen Gründe den Wanderarbeitnehmer hindern, einer angepassten
Arbeit nachzugehen.

4.7. Gegen eine enge Auslegung des Begriffs der "dauernden Arbeitsunfähigkeit"
sprechen insbesondere auch teleologische Gründe. Zu Recht hält die Vorinstanz
fest, dass das Freizügigkeitsabkommen den Wanderarbeitnehmern, die in ihrem
angestammten Berufsfeld nicht mehr arbeiten können, nicht ein allgemeines
Verbleiberecht einräumt. Ein Ausländer, welcher gestützt auf sein
Freizügigkeitsrecht als Arbeitnehmer in die Schweiz kommt, kann nicht davon
ausgehen, in der Schweiz immer die gleiche Arbeit verrichten zu können.

4.8. Ein auf eine enge Auslegung des Begriffs der dauernden Arbeitsunfähigkeit
beruhendes Verbleiberecht kann auch nicht dem in Art. 2 FZA verankerten
Grundsatz der Nichtdiskriminierung entnommen werden. Gemäss der Rechtsprechung
des Bundesgerichts verbietet Art. 2 FZA nicht generell und absolut jede
Ungleichbehandlung von Staatsangehörigen einer der Vertragsparteien, die sich
im Hoheitsgebiet der anderen Partei aufhalten (Urteil 2C_150/2016 vom 22. Mai
2017 E. 4.2.3). Wenn auch das Verbleiberecht ein wichtiger Bestandteil der
Ausübung der Personenfreizügigkeit darstellt, insofern es dem sozialen
Bedürfnis der Wanderarbeitnehmer entspricht, nach dem Ausscheiden aus dem
Erwerbsleben im gewohnten Lebensumfeld verbleiben zu können, so gilt dieses
nicht schrankenlos (vgl. Christina Schnell, Arbeitnehmerfreizügigkeit in der
Schweiz, 2010, S. 160 f.).

4.9. Zu berücksichtigen gilt es unter anderem auch, dass wer sich auf ein
Verbleiberecht berufen kann, seine als Arbeitnehmer erworbenen Rechte behält
und insbesondere auch Anspruch auf Sozialhilfe hat (Urteil 2C_262/2017 vom 16.
Februar 2018 E. 3.2; BGE 141 II 1 E. 4.1 S. 11). Wenn der Begriff der dauernden
Arbeitsunfähigkeit arbeitsplatzbezogen ausgelegt würde, hätte dies zur Folge,
dass Wanderarbeitnehmer, die unfähig sind, im angestammten Beruf
weiterzuarbeiten, grundsätzlich nach spätestens zwei Jahren einen zeitlich
unbegrenzten Anspruch auf Sozialhilfe in der Schweiz erwerben, wenn sie die
Voraussetzungen hierfür erfüllen. Das ist aber nicht der Sinn der
Arbeitnehmerfreizügigkeit. Dieser besteht in der Integration in den hiesigen
Arbeitsmarkt, begründet jedoch keinen Anspruch auf Ausübung einer bestimmten
Tätigkeit. Der Vorinstanz ist insofern zuzustimmen, dass dem Wanderarbeiter
zugemutet werden kann, dass er sich um eine angepasste Arbeit bemüht, wenn es
ihm aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich ist, seine bisherige
Tätigkeit auszuüben.

4.10. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Vorinstanz Art. 4 Anhang I FZA
nicht verletzt hat, indem sie ein Verbleiberecht des Beschwerdeführers gestützt
darauf verneinte, dass die IV-Stelle seine hundertprozentige Arbeitsfähigkeit
in einer angepassten Tätigkeit bestätigt hatte.

5.

Die Beschwerde ist unbegründet und deshalb abzuweisen. Dem Verfahrensausgang
entsprechend würde der unterliegende Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66
Abs. 1 BGG). Für diesen Fall ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung. Die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Rechtsfrage war bislang
vom Bundesgericht nur beiläufig behandelt worden. Die Beschwerde war deshalb
nicht aussichtslos und die Voraussetzungen für die Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege sind erfüllt. Demnach sind keine Gerichtskosten zu
erheben und der Vertreter des Beschwerdeführers ist aus der Bundesgerichtskasse
zu entschädigen.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.

Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.

3.

Es werden keine Kosten erhoben.

4.

Rechtsanwalt Sven Gretler wird als unentgeltlicher Rechtsbeistand bestimmt. Er
wird aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 2'500.-- entschädigt.

5.

Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Amt für Migration des Kantons
Luzern, dem Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern, dem
Kantonsgericht Luzern, 4. Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. November 2019

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung

des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Seiler

Die Gerichtsschreiberin: De Sépibus