Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 843/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
9C_843/2017  
 
 
Urteil vom 15. Februar 2018  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichterin Glanzmann, Bundesrichter Parrino, 
Gerichtsschreiber Fessler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Alters- und Hinterlassenenversicherung 
(Haftung des Arbeitgebers), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich 
vom 31. August 2017 (AK.2016.00046). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ war vom 27. Februar 2008 bis zum 14. April 2015 Mitglied des
Verwaltungsrates der B.________ AG mit Kollektivzeichnungsberechtigung zu
zweien. Die Firma war der Ausgleichskasse des Kantons Zürich angeschlossen.
Am... wurde über die B.________ AG der Konkurs eröffnet, das Verfahren am...
als geschlossen erklärt und die Gesellschaft in der Folge von Amtes wegen
gelöscht. Mit Verfügung vom 25. November 2014 forderte die Ausgleichskasse von
A.________ Schadenersatz in der Höhe von Fr. 167'379.30 u.a. für unbezahlt
gebliebene Sozialversicherungsbeiträge für die Jahre 2010 bis 2012. Daran hielt
sie mit Einspracheentscheid vom 30. Juni 2016 fest. 
 
B.   
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde des A.________ setzte das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 31. August 2017
die Schadenersatzforderung auf Fr. 165'292.50 herab. 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________
zur Hauptsache, der Entscheid vom 31. August 2017 sei aufzuheben und die Sache
an die Vorinstanz zur pflichtgemässen Sachverhaltsabklärung zurückzuweisen,
unter Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. 
Die Ausgleichskasse ersucht um Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Der angefochtene Entscheid verpflichtet den Beschwerdeführer zur Bezahlung von
Schadenersatz nach Art. 52 Abs. 1 (und Abs. 2 erster Satz [in Kraft seit 1.
Januar 2012]) AHVG in der Höhe von Fr. 165'292.50 betreffend die Beitragsjahre
2010 bis 2012. Die dagegen gerichtete Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten, womit im Hauptstandpunkt die Rückweisung der Sache an die
Vorinstanz zur pflichtgemässen Sachverhaltsabklärung (und zu neuer
Entscheidung) beantragt wird, ist somit zulässig, da der Streitwert mehr als
Fr. 30'000.- beträgt (Art. 85 Abs. 1 lit. a BGG; BGE 137 V 51) und das
Bundesgericht ohnehin nicht reformatorisch entscheiden könnte (vgl. E. 4.4; BGE
136 V 131 E. 1.2 S. 135). 
 
2.   
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
u.a. wegen Verletzung von Bundesrecht erhoben werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts [durch die Vorinstanz; Art. 105 Abs. 1 BGG] kann
nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Eine die tatsächlichen Grundlagen des vorinstanzlichen Entscheids
betreffende Verletzung von Bundesrecht liegt namentlich vor, wenn das kantonale
Versicherungsgericht den rechtserheblichen Sachverhalt unvollständig
festgestellt (Art. 61 lit. c ATSG; BGE 135 V 23 E. 2 S. 25) oder auf den vom
Versicherungsträger in Missachtung des Untersuchungsgrundsatzes nach Art. 43
Abs. 1 ATSG unvollständig abgeklärten Sachverhalt abgestellt hat (Urteil 9C_247
/2016 vom 10. August 2016 E. 2 mit Hinweis). 
 
3.   
Die einzelnen Haftungsvoraussetzungen nach Art. 52 Abs. 1 (und Abs. 2 erster
Satz) AHVG (Organschaft, Schaden, Widerrechtlichkeit [Missachtung von
Vorschriften betreffend die Pflicht zur Abrechnung und Bezahlung der Beiträge],
Verschulden und adäquater Kausalzusammenhang zwischen vorwerfbarem Verhalten
und eingetretenem Schaden) und deren Konkretisierung durch die Rechtsprechung
werden im angefochtenen Entscheid richtig wiedergegeben. Darauf wird
verwiesen. 
 
4.   
Der Beschwerdeführer bestreitet in erster Linie die Schadenshöhe. Er bringt
vor, es sei unklar, ob die 2013 während seiner Untersuchungshaft (nach-)
gemeldeten Lohnsummen von Fr. 75'000.- (2010) und Fr. 150'000.- (2011) für
C.________ sowie Fr. 886'120.- (2012) Angestellte der B.________ AG oder der
Vorsorgestiftung D.________ betroffen hätten. Sinngemäss soweit Letzteres
zutreffe, habe keine Beitragspflicht bestanden und von vornherein keine
Schadenersatzpflicht entstehen können. In der vorinstanzlichen Beschwerde hatte
er geltend gemacht, C.________ habe die "zu Grunde liegenden Deklarationen
(...) ohne unser Wissen und ohne Befugnis (...) im Nachhinein eingereicht".
Diese seien "ganz offensichtlich falsch". Der Genannte sei
Selbständigerwerbender gewesen und nicht Angestellter der ehemaligen B.________
AG. Diese Einwände sind stichhaltig: 
 
4.1. Vom Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit (massgebender Lohn)
werden paritätisch Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge erhoben (Art. 5 und 
Art. 12-14 AHVG). Mit Bezug auf das in Art. 5 Abs. 2 erster Satz AHVG
umschriebene Beitragssubstrat ist von einer objektbezogenen Definition
auszugehen in dem Sinne, dass es grundsätzlich nicht darauf ankommt, wer das
Entgelt bezahlt, sondern ob die geldwerte Leistung im Arbeitsverhältnis
wirtschaftlich hinreichend begründet ist (Urteil 9C_459/2011 vom 26. Januar
2012 E. 2.1.2 mit Hinweisen). Erfolgt die Lohnzahlung an die Arbeitnehmer durch
einen Dritten, so ist grundsätzlich deren Arbeitgeber dafür beitragspflichtig (
BGE 137 V 321 E. 2.2.3 S. 327).  
 
4.2. Nach für das Bundesgericht verbindlicher Feststellung der Vorinstanz hatte
der kommissarische Sachwalter der Vorsorgestiftung D.________ am 3. April 2013
der Beschwerdegegnerin mitgeteilt, die Angestellten der B.________ AG seien
entgegen den bisher bekannten Unterlagen und dem bisherigen Mittelfluss in Tat
und Wahrheit bei der Vorsorgestiftung D.________ angestellt gewesen. Er legte
drei Arbeitsverträge vor, darunter den mit E.________ und jenen mit C.________
vom 12. Mai 2010. Darin war ein Arbeitsantritt am 1. Juni 2010 sowie ein
jährlicher Fixlohn von Fr. 150'000.- vereinbart worden. Dieser Betrag hatte in
der Jahresrechnung 2011 der B.________ AG gefehlt. Er wurde von C.________
selber am 20. Juni 2013 zusammen mit einer Lohnsumme von Fr. 75'000.- für 2010
nachgemeldet. Weiter stellte die Vorinstanz fest, dass "bekanntlich" die Löhne
der Angestellten der Vorsorgestiftung D.________ von der B.________ AG bezahlt
worden waren. F.________ hatte am 10. Dezember 2013 gegenüber der
Beschwerdegegnerin angegeben, sie sei im Zeitraum von Dezember 2011 bis
September 2013 aufgrund eines mündlichen Arbeitsvertrages als Sachbearbeiterin
bei der Vorsorgestiftung angestellt gewesen. "Mein Lohn wurde mir immer über
die Firma B.________ AG überwiesen".  
 
4.3. Es bestehen somit gewichtig (st) e Anhaltspunkte, dass die während der
Untersuchungshaft des Beschwerdeführers von März bis November 2013 der
Beschwerdegegnerin gemeldeten Lohnsummen für 2010 bis 2012 durch Dritte, welche
nicht dem Verwaltungsrat der B.________ AG oder der Geschäftsleitung angehört
hatten, an Angestellte der Vorsorgestiftung D.________ ausbezahlte Löhne
enthielten, wofür jene nicht beitragspflichtig war. Das betrifft im Besonderen
E.________, F.________ und namentlich C.________. Unter diesen Umständen hätten
diejenigen Personen, welche die Lohndeklarationen ausgefüllt hatten, befragt
und bei der Vorsorgestiftung D.________ bzw. deren kommisarischen Sachwalter
eine Stellungnahme und allenfalls weitere Beweisauskünfte eingeholt werden
müssen. Das wird die Beschwerdegegnerin nachzuholen haben. Der Beschwerdeführer
ist an seine Mitwirkungspflichten zu erinnern (Art. 43 Abs. 1 ATSG; Urteil
9C_238/2015 vom 6. Juli 2015 E. 3.2.1).  
 
4.4. Bei diesem Ergebnis ist auf die Erwägungen der Vorinstanz zu den weiteren
Haftungsvoraussetzungen nicht weiter einzugehen, zumal nicht ausgeschlossen
werden kann, dass die Abklärungen für deren Beurteilung von Bedeutung sein
können, wie der Beschwerdeführer sinngemäss geltend macht.  
 
5.   
Ausgangsgemäss hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66
Abs. 1 BGG). Insoweit ist das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche
Rechtspflege gegenstandslos. Im Übrigen zeigen die vorstehenden Erwägungen,
dass er in der Lage war, seine Interessen selber wahrzunehmen. Es besteht daher
keine Notwendigkeit einer (unentgeltlichen) Rechtsverbeiständung. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts
des Kantons Zürich vom 31. August 2017 und der Einspracheentscheid der
Ausgleichskasse des Kantons Zürich vom 30. Juni 2016 werden aufgehoben und die
Sache wird zur neuen Verfügung im Sinne der Erwägungen an diese
zurückgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 6'000.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 15. Februar 2018 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Der Gerichtsschreiber: Fessler 

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