Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 791/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
9C_791/2017  
 
 
Urteil vom 1. März 2018  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Meyer, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterinnen Glanzmann, Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiberin Keel Baumann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ueli Kieser, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Freizügigkeitsstiftung B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Georg Zondler, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Berufliche Vorsorge, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich 
vom 25. August 2017 (BV.2015.00082). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1943 geborene A.________ war über seine Arbeitgeberin bei der
BVG-Sammelstiftung C.________ berufsvorsorgeversichert. Wie von A.________
beantragt, überwies die Vorsorgeeinrichtung am 22. November 2005 sein Guthaben
in der Höhe von Fr. 199'291.35 auf ein auf seinen Namen lautendes
Freizügigkeitskonto bei der Freizügigkeitsstiftung B.________. Diese zeigte
A.________ den Eingang der Vorsorgegelder am 24. November 2005 an. 
Mit Schreiben vom 2. Dezember 2005 ersuchte D.________, Mitarbeiter des
Patronato E.________, die Freizügigkeitsstiftung B.________ im Namen von
A.________ und mit dem Hinweis darauf, dass dieser am 1. März 2006 das 63.
Altersjahr erreiche, um Auflösung des Freizügigkeitskontos und Überweisung des
Guthabens auf ein auf das Patronato E.________ lautendes Konto bei der Bank
F.________. Dem Gesuch beigelegt waren unter anderem eine Vollmacht des
A.________ vom 2. Dezember 2005, ein Zahlungsauftrag vom selben Datum, eine
Wohnsitzbescheinigung sowie Kopien der Niederlassungsbewilligungen von
A.________ und seiner Ehefrau. Am 8. Dezember 2005 überwies die
Freizügigkeitsstiftung B.________ das gesamte Freizügigkeitskapital von
A.________ in der Höhe von Fr. 199'379.95 weisungsgemäss auf das angegebene
Konto. Dabei handelte es sich allerdings nicht um ein Konto des Patronato
E.________, sondern um ein privates Konto von D.________. Dieser leitete
A.________ das Kapital nicht weiter. 
A.________ bezog (mindestens) ab Dezember 2005 Taggelder der öffentlichen
Arbeitslosenkasse. Von Januar bis April 2008 wurden ihm von "Patronato
E.________ Inhaber D.________" unter dem Titel "indennizzo disoccupazione"
insgesamt Fr. 12'025.- (25. Januar: Fr. 5'275.-, 26. Februar: Fr. 3'375.-, 1.
April: Fr. 3'375.-) überwiesen. Von April 2008 bis April 2009 erhielt
A.________ von D.________ sodann weitere Zahlungen im Gesamtbetrag von Fr.
11'414.- (13 Raten von je Fr. 878.-) unter dem Titel "rendita mensile di 2.
pilastro previdenza C.________". 
Nachdem A.________ sich am 27. August 2009 bei der Freizügigkeitsstiftung
B.________ nach seinem Guthaben erkundigt hatte, ersuchte er sie am 5. Oktober
2010 um Überweisung des Betrages von Fr. 199'379.95 zuzüglich Zins. Dabei wies
er darauf hin, dass sein Kapital auf das Konto einer unberechtigten Person
ausbezahlt worden sei. Die Freizügigkeitsstiftung gab seinem Begehren keine
Folge. 
 
B.   
Am 2. Dezember 2015 liess A.________ Klage erheben und beantragen, die
Freizügigkeitsstiftung B.________ sei zu verpflichten, ihm seinen
Leistungsanspruch in der Höhe von Fr. 199'379.95 auszurichten, zuzüglich
Verzugszins von 5 % ab 8. Dezember 2005. Mit Entscheid vom 25. August 2017 wies
das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Klage ab. 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und das Rechtsbegehren stellen, der kantonale Entscheid sei aufzuheben und die
Freizügigkeitsstiftung zu verpflichten, ihm seinen Leistungsanspruch in der
Höhe von Fr. 199'379.95 auszurichten, zuzüglich Verzugszins von 5 % ab 8.
Dezember 2005. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG
). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin gestützt auf das
Begehren des Patronato E.________ vom 2. Dezember 2005, in welchem D.________
sich bzw. das Patronato E.________ als zur Entgegennahme der Gelder
berechtigten Stellvertreter bezeichnet hatte, die Altersleistungen des
Beschwerdeführers mit befreiender Wirkung ausbezahlt hat oder ob sie A.________
gegenüber leistungspflichtig geblieben ist.  
 
2.2. Altersleistungen aus einem Freizügigkeitskonto, wie sie hier zur
Diskussion stehen, dürfen gemäss Art. 16 Abs. 1 FZV frühestens fünf Jahre vor
und spätestens fünf Jahre nach Erreichen des Rentenalters gemäss Art. 13 Abs. 1
BVG ausbezahlt werden (vgl. auch Ziff. 7 des in den Akten liegenden Reglements
der Beschwerdegegnerin in der Fassung von Dezember 2000). Das Gesetz (Art. 13
Abs. 1 BVG; Art. 16 Abs. 1 FZV) sieht für den Kapitalbezug der Altersleistungen
keine besondere Formvorschriften vor.  
Gemäss Ziffer 10 Satz 3 des Reglements haben die Anspruchsberechtigten den
Nachweis des Eintritts des Auflösungsgrundes zu erbringen. Sodann sieht Ziffer
14 des Reglements vor, dass der Vorsorgenehmer bzw. jeder sonstige Begünstigte
den aus dem Nichterkennen von Legitimationsmängeln und Fälschungen entstandenen
Schaden trägt, sofern die Stiftung die geschäftliche Sorgfalt walten liess. 
 
3.  
 
3.1. Die Vorinstanz stellte verbindlich fest, der Beschwerdeführer habe von
D.________ von Januar 2008 bis April 2009 stillschweigend und damit
widerspruchslos Zahlungen (zuerst als "Arbeitslosenentschädigung" und dann als
"Rentenzahlungen aus der beruflichen Vorsorge") entgegengenommen. Des Weitern
habe der Beschwerdeführer auch seine Steuerschulden der Jahre 2006 bis 2008
durch D.________ begleichen lassen. Aus diesen Vorgängen schloss die
Vorinstanz, der Beschwerdeführer habe die Stellvertretung durch D.________ und
damit auch die Drittauszahlung des Altersguthabens durch konkludentes Verhalten
genehmigt. Die vom Beschwerdeführer erhobenen Einwände vermöchten daran nichts
zu ändern; es könne diesbezüglich auf das Urteil 9C_853/2015 vom 31. August
2016 verwiesen werden. Der Genehmigung stehe insbesondere nicht entgegen, dass
die Unterschriften auf der Vollmacht und auf dem Zahlungsauftrag vom 2.
Dezember 2005 allenfalls gefälscht gewesen seien. Angesichts der nachträglichen
Genehmigung der Drittauszahlung durch konkludentes Verhalten erübrige sich auch
eine Prüfung der Frage, ob die Freizügigkeitsstiftung bei der Auszahlung
Sorgfaltspflichten verletzt habe. Aus diesen Gründen wies das kantonale Gericht
die Klage ab.  
 
3.2. Der Beschwerdeführer lässt einwenden, die vorinstanzliche Sichtweise lasse
ausser Acht, dass die Freizügigkeitsstiftung das Alterskapital einem Betrüger
überwiesen und ihren Vertrag ihm gegenüber damit nicht erfüllt habe. Bereits im
kantonalen Verfahren habe er vorgebracht, dass die Beschwerdegegnerin
verschiedene Sorgfaltspflichten verletzt und die Vollmacht zudem als gefälscht
zu gelten habe. Auf dem Zahlungsauftrag der Beschwerdegegnerin sei vorderseitig
ausdrücklich vermerkt gewesen, dass die Vergütung des Guthabens (ausser in hier
nicht gegebenen Ausnahmefällen) auf ein Konto lautend auf den Vorsorgenehmer
erfolgen müsse, und rückseitig, dass bei Auszahlung auf ein anderes Konto die
Unterschrift des Vorsorgenehmers entweder amtlich beglaubigt oder mittels
Identitätsprüfung durch eine Bank schriftlich bestätigt werden müsse. Bei der
Beglaubigung der Unterschrift seien hier die grundlegendsten Regeln nicht
eingehalten worden, weshalb weitere Abklärungen erforderlich gewesen wären. Wie
das Bundesgericht im Urteil 9C_464/2014 vom 24. Februar 2015 entschieden habe,
könne der Drittüberweisung bei einer nicht rechtsgültig zustande gekommenen
Unterschriftsbeglaubigung keine befreiende Wirkung zukommen. Die Vorinstanz
habe die Akten voreingenommen gewürdigt. Dass sie ihm keine Chance zum Beweis
der Nichtgenehmigung der Auszahlung gegeben und überdies jegliche
Auseinandersetzung mit den Sorgfaltspflichtverletzungen der Beschwerdegegnerin
unterlassen habe, stelle eine einseitige Beweiswürdigung dar. Sein Anspruch auf
ein faires Verfahren im Sinne von Art. 6 EMRK sei damit verletzt. Die
Vorinstanz konstruiere aus seinem Verhalten unzulässigerweise eine Art
Genehmigung aus Nachlässigkeit. Sie unterstelle ihm zu Recht nicht, von der
Überweisung des Kapitals an D.________ gewusst zu haben, denn aus der
Ausrichtung von "Renten" durch D.________ habe er nicht auf die
Kapitalauszahlung schliessen müssen. Auch aus den Gutschriftsanzeigen sei diese
nicht ersichtlich gewesen. Ebenso wenig habe er auf steuerlichem Weg Kenntnis
davon erlangt, weil die Rechnung betreffend die Kapitalauszahlung direkt dem
Patronato E.________ zugestellt worden sei.  
 
4.  
 
4.1. Soweit der Beschwerdeführer kritisiert, die Vorinstanz habe ihm keine
Gelegenheit eingeräumt, "die fehlende Genehmigung zu beweisen", und sein
Schweigen zu Unrecht als stillschweigende Genehmigung betrachtet, kann ihm
nicht gefolgt werden. Denn die tatsächlichen Grundlagen, aus welchen die
Vorinstanz auf die Rechtsfolge der Genehmigung schliessen durfte, stehen
verbindlich und im Übrigen unumstritten fest. Es ist weder dargetan noch
ersichtlich, welche Beweise der Beschwerdeführer hätte beibringen können, um
diese zu erschüttern: Obwohl er vom Agieren des D.________ Kenntnis hatte
(wobei schon genügen würde, wenn er hätte Kenntnis haben müssen), nahm er von
ihm während mehr als eines Jahres (Januar 2008 bis April 2009) Leistungen
entgegen und liess er durch ihn während mehrerer Jahre (2006 bis 2008) seine
Steuerschulden begleichen. Dabei musste dem Beschwerdeführer bewusst sein, dass
D.________ seine Überweisungen aus dem ausbezahlten Kapital tätigte: Dass es
sich nicht um von D.________ lediglich weitergeleitete Rentenbetreffnisse der
Beschwerdegegnerin handeln konnte, ergab sich schon daraus, dass das anwendbare
Reglement diese Leistungsart nicht vorsah (vgl. Ziff. 8 und 10 des Reglements).
Das Verhalten des Beschwerdeführers, die Zahlungen entgegenzunehmen und die
Schulden begleichen zu lassen, kann nur als (nachträgliches) Einverständnis mit
dem Handeln des Vertreters verstanden werden. Andernfalls hätte der
Beschwerdeführer die monatlichen Überweisungen und die Schuldentilgung nicht
(widerspruchslos) annehmen dürfen. Es verhält sich nicht anders als in den vom
Bundesgericht bereits entschiedenen Fällen, welche ähnlich gelagerte
Sachverhalte betrafen (SVR 2017 BVG Nr. 4 S. 14, 9C_853/2015 E. 7.4; Urteile
9C_495/2015 vom 17. Juni 2016 E. 5.2.5 und 9C_376/2014 vom 13. März 2015 E.
7.3).  
 
4.2. Auch hinsichtlich der weiteren Einwände des Beschwerdeführers, welche die
Rechtsgültigkeit der Vollmacht und der Beglaubigung sowie allfällige
Sorgfaltspflichtverletzungen der Beschwerdegegnerin betreffen, kann auf die
bisherige Rechtsprechung verwiesen werden. Angesichts der nachträglichen
Genehmigung durch konkludentes Verhalten vermag der Beschwerdeführer weder aus
allfälligen Sorgfaltspflichtverletzungen der Freizügigkeitseinrichtung etwas zu
seinen Gunsten abzuleiten (Urteil 9C_376/2014 vom 13. März 2015 E. 6.2) noch
ist von Belang, ob die Vollmacht rechtsgültig unterzeichnet war und ob die
Beglaubigung ordnungsgemäss zustande gekommen ist (Urteil 9C_376/2014 vom 13.
März 2015 E. 7.4). Im Übrigen wäre es rechtsmissbräuchlich, gegen die erfolgte
Auszahlung des Alterskapitals an einen Dritten nicht zu intervenieren und von
diesem während längerer Zeit Leistungen zu beziehen (hier in der Form von
Überweisungen und Schuldentilgung), und die Drittauszahlung Jahre später, unter
Berufung auf Formmängel wie namentlich die mutmasslich nicht rechtmässig
zustande gekommene Unterschriftsbeglaubigung rückgängig machen zu wollen
(Urteil 9C_495/2015 vom 17. Juni 2016 E. 6.3). Dass das Bundesgericht in dem
vom Beschwerdeführer angerufenen Urteil 9C_464/2014 vom 24. Februar 2015
(insbesondere E. 3.4.4 und 3.4.5) anders entschied und der Drittauszahlung
wegen des offensichtlichen Mangels der fehlenden amtlichen Beglaubigung keine
befreiende Wirkung zuerkannte, liegt allein darin begründet, dass eine
nachträgliche Genehmigung der Drittauszahlung damals, anders als im hier zu
beurteilenden Fall, nicht zur Diskussion stand.  
 
4.3. Zusammenfassend ergibt sich, dass die vom Beschwerdeführer gegen den
angefochtenen Entscheid erhobenen Einwände, insbesondere auch seine Vorwürfe,
das kantonale Gericht habe die Beweise einseitig gewürdigt und gegen das Gebot
der Verfahrensfairness verstossen, unbegründet sind. Die Klage wurde zu Recht
abgewiesen.  
 
5.   
Entsprechend dem Prozessausgang hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 1. März 2018 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Meyer 
 
Die Gerichtsschreiberin: Keel Baumann 

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