Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 784/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
9C_784/2017  
 
 
Urteil vom 12. Januar 2018  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichterinnen Glanzmann, Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiberin Oswald. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kurt Pfau, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Lagerhausstrasse 19, 8400
Winterthur, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung 
(unentgeltliche Rechtspflege; kantonales Verfahren), 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich 
vom 4. Oktober 2017 (IV.2017.00703). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die 1968 geborene A.________ bezog mit Wirkung ab 1. September 2009 eine
Dreiviertelsrente der Invalidenversicherung. Mit Verfügung vom 15. Mai 2017 hob
die IV-Stelle des Kantons Zürich (fortan: IV-Stelle) diese Rente auf. 
 
B.   
A.________ erhob hiergegen Beschwerde beim Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich. Gleichzeitig stellte sie ein Gesuch um Gewährung der
unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung. Dieses wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Verfügung vom 4. Oktober 2017
mangels Nachweis der Bedürftigkeit ab. 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________,
in Aufhebung der vorinstanzlichen Verfügung vom 4. Oktober 2017 sei ihr für das
kantonale Verfahren die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung zu
bewilligen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Für das Verfahren vor Bundesgericht ersucht sie ebenfalls um
unentgeltliche Rechtspflege. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich sowie das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Eine selbstständig eröffnete Verfügung, mit welcher im vorinstanzlichen
Verfahren ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung
abgewiesen wird, stellt praxisgemäss einen Zwischenentscheid dar, der geeignet
ist, einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil zu bewirken. Er kann daher
selbstständig mit Beschwerde beim Bundesgericht angefochten werden (Art. 93
Abs. 1 lit. a BGG; Urteil 9C_695/2017 vom 31. Oktober 2017 mit Hinweisen).  
 
1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von
Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist weder an die in der Beschwerde
geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es
kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und
es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden
Begründung abweisen. Immerhin prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen
Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich
nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).  
 
2.   
Die Vorinstanz hat die allgemeinen Voraussetzungen des Anspruchs auf
unentgeltliche Rechtspflege gemäss Art. 29 Abs. 3 BV zutreffend dargelegt.
Darauf wird verwiesen. 
Zu ergänzen ist, dass es grundsätzlich Sache der Gesuchstellerin ist, ihre
Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend darzustellen und soweit möglich
auch zu belegen. Diesbezüglich trifft sie eine umfassende Mitwirkungspflicht.
Aus den eingereichten Belegen muss auf jeden Fall auch der aktuelle Grundbedarf
der das Gesuch stellenden Partei hervorgehen. Zudem müssen die Belege über
sämtliche ihrer finanziellen Verpflichtungen sowie über ihre Einkommens- und
Vermögensverhältnisse Aufschluss geben. Verweigert die gesuchstellende Person
die zur Beurteilung ihrer aktuellen wirtschaftlichen Gesamtsituation
erforderlichen Angaben oder Belege, kann die Bedürftigkeit ohne
Verfassungsverletzung verneint werden. Gelingt es ihr - in grundsätzlicher
Erfüllung ihrer Obliegenheiten - in ihrer ersten Eingabe nicht, die
Bedürftigkeit zur Zufriedenheit des Gerichts nachzuweisen, ist sie zur Klärung
aufzufordern. Art. 29 Abs. 3 BV schreibt jedoch der Behörde, die mit einem
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege befasst ist, den Untersuchungsgrundsatz
nicht vor. Insbesondere ist sie weder verpflichtet, den Sachverhalt von sich
aus nach jeder Richtung hin abzuklären, noch muss sie unbesehen alles, was
behauptet wird, von Amtes wegen überprüfen. Sie muss indessen den Sachverhalt
dort (weiter) abklären, wo noch Unsicherheiten und Unklarheiten bestehen, sei
es, dass sie von einer Partei auf solche - wirkliche oder vermeintliche -
Fehler hingewiesen wird, sei es, dass sie solche selbst feststellt (zum Ganzen:
Urteil 8C_777/2012 vom 7. Januar 2013 E. 3.2 mit weiteren Hinweisen). 
 
3.   
Die Vorinstanz erwog, die (anwaltlich vertretene) Beschwerdeführerin sei mit
gerichtlicher Verfügung vom 1. September 2017 zur Darlegung und Substanziierung
ihrer finanziellen Verhältnisse sowie der Einkommensverhältnisse ihres
Ehemannes unter Beilage sämtlicher Belege zur finanziellen Situation
verpflichtet und auf die im Unterlassungsfalle zu gewärtigenden Konsequenzen
hingewiesen worden. Mit Eingabe vom 29. September 2017 habe sie das ausgefüllte
Formular zur Abklärung der prozessualen Bedürftigkeit, Unterlagen zur
selbstständigen Tätigkeit ihres Ehemannes als Taxifahrer sowie diesen
betreffende Arbeitsunfähigkeitszeugnisse eingereicht. Dabei habe sie es
unterlassen, die Vollständigkeit und Richtigkeit ihrer Angaben unterschriftlich
zu bestätigen. Überdies belege sie weder die Angaben zu ihren eigenen
Vermögensverhältnissen noch zu denjenigen ihres Ehemannes mit Unterlagen.
Schliesslich seien die Angaben zum Einkommen des Ehemannes nicht
nachvollziehbar. Damit habe die Beschwerdeführerin es - trotz ausdrücklicher
Aufforderung - unterlassen, ihre finanzielle Situation substanziiert darzulegen
und zu belegen. Androhungsgemäss sei deshalb das Gesuch um Gewährung der
unentgeltlichen Prozessführung und Rechtsvertretung abzuweisen. 
 
4.   
Die Versicherte wendet hiergegen ein, sie habe zur Substanziierung ihrer
Bedürftigkeit zunächst einen Leistungsentscheid der Sozialen Dienste vom 7.
Februar 2017 eingereicht. In Nachachtung der vorinstanzlichen Verfügung vom 1.
September 2017 habe sie sodann einen neuen Leistungsentscheid der Sozialen
Dienste vom 14. September 2017 beigebracht, dem die Höhe des Einkommens des
Ehemannes habe entnommen werden können. Nachdem auch dies die Vorinstanz nicht
von ihrer Bedürftigkeit zu überzeugen vermochte, habe sie mit Hilfe der
Sozialen Dienste das Formular zur Abklärung der prozessualen Bedürftigkeit
ausgefüllt und zusammen mit sämtlichen vorhandenen Unterlagen in Bezug auf das
Erwerbseinkommen des Ehemannes vorgelegt. Die dabei gemachten Angaben und die
dazugehörigen Belege seien, entgegen der Ansicht des kantonalen Gerichts,
schlüssig. Seine diesbezügliche Plausiblitätsprüfung sei willkürlich. Da die
Vorinstanz lediglich das Einkommen des Ehemannes als nicht erstellt
betrachtete, habe sie ausserdem nicht davon ausgehen müssen, dass sämtliche
Unterlagen zur Beurteilung der Bedürftigkeit eingereicht werden sollten, zumal
die finanziellen Verhältnisse in den übrigen Aspekten erstellt gewesen seien. 
 
5.  
 
5.1. Aus dem von der Beschwerdeführerin am 14. September 2017 ins Recht
gelegten Leistungsentscheid der Sozialen Dienste vom selben Datum ging hervor,
dass sie selber, ihr Ehemann sowie der 2002 geborener Sohn, durch die Sozialen
Dienste unterstützt wurden, wobei der Grundbedarf Fr. 4'424.05 betrug
(Grundbetrag, Miete inkl. Nebenkosten, Krankenkassenprämien sowie
Integrationszulage für den Ehemann). Diesem stand als einzige Einnahme ein
Erwerbseinkommen des Ehemannes von Fr. 706.10 (Durchschnitt März bis August
2017) gegenüber. Im gleichentags eingereichten Budget für den September 2017
(erstellt am 13. September 2017) wurde das soziale Existenzminimum der
Beschwerdeführerin und ihrer Familie mit Fr. 3'371.- beziffert (Grundbetrag,
Miete inkl. Nebenkosten sowie Integrationszulage für den Ehemann). Das
Erwerbseinkommen des Ehemannes wurde darin mit Fr. 508.55 angegeben. Anhand
dieser Unterlagen war die Bedürftigkeit der Beschwerdeführerin grundsätzlich
erstellt (vgl. Urteil 5A_761/2014 vom 26. Februar 2015 E. 3.4.2 mit Hinweisen),
gingen daraus doch sowohl der aktuelle Grundbedarf (E. 2 Abs. 2 oben) als auch
die Einkommens- und Vermögensverhältnisse beider Ehegatten hervor. Weshalb die
Vorinstanz im vorliegenden Fall - auch nach Vorlage des Leistungsentscheids vom
14. September 2017 und entgegen ihrer sonstigen Praxis (vgl. hierzu den Hinweis
im Formular zur Abklärung der prozessualen Bedürftigkeit, Ziff. 6) - auf dem
vollständigen Ausfüllen des Formulars zur Abklärung der prozessualen
Bedürftigkeit sowie dem Beibringen aller einschlägiger Belege beharrte, ist
nicht nachvollziehbar. Dieses Vorgehen verstösst offensichtlich gegen das
Verbot des überspitzten Formalismus (zitiertes Urteil 5A_761/2014 E. 3.4.2;
Urteil 8C_920/2010 vom 25. Januar 2011 E. 3.4.1 und 3.4.2; je mit Hinweisen).
Dies gilt umso mehr, als keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die
Beschwerdeführerin oder ihr Ehemann über Vermögenswerte oder Einkommen
verfügen, die durch die Sozialen Dienste nicht berücksichtigt wurden.  
Anzufügen bleibt, dass fehlende Unterschriften regelmässig innert Nachfrist
verbesserungsfähig sind. Dazu kommt, dass in concreto bei Eingang des Formulars
am 2. Oktober 2017 die für den Nachweis der Bedürftigkeit gesetzte Frist noch
nicht abgelaufen war. 
 
5.2. Was die Mutmassungen der Vorinstanz zur durch den Ehemann verrechenbaren
Fahrttaxe sowie zum Verhältnis zwischen von diesem verrechneten Kilometern und
Benzinverbrauch betrifft, kann offen bleiben, ob sie bei Zweifeln an der
Schlüssigkeit der eingereichten Belege gehalten gewesen wäre, der
Beschwerdeführerin Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (vgl. E. 2 Abs. 2
oben). Diese legt jedenfalls überzeugend dar, dass die vorinstanzlichen
Annahmen zum Einkommen des Ehemannes (zu) absolut und in unhaltbarer Weise
erfolgten.  
 
5.3. Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz die Bedürftigkeit der
Beschwerdeführerin bundesrechtswidrig verneint.  
Die Vorinstanz wird die weiteren Voraussetzungen für die Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege (fehlende Aussichtslosigkeit der Beschwerde,
Gebotenheit anwaltlicher Vertretung) zu prüfen und hernach erneut über das
Gesuch zu befinden haben 
 
6.   
Die unterliegende Vorinstanz bzw. der Kanton Zürich hat keine Gerichtskosten zu
tragen (Art. 66 Abs. 4 BGG), jedoch der Beschwerdeführerin eine
Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und die Verfügung des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 4. Oktober 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im
Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Der Beschwerdegegner hat den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, der IV-Stelle des Kantons Zürich und dem
Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 12. Januar 2018 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Die Gerichtsschreiberin: Oswald 

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