Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 752/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
9C_752/2017  
 
 
Urteil vom 31. Juli 2018  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichter Meyer, Parrino, 
Gerichtsschreiberin Huber. 
 
Verfahrensbeteiligte 
 A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Volker Pribnow, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
12. September 2017 (VBE.2017.329). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1968 geborene A.________, gelernter Landwirt, als Chauffeur tätig, meldete
sich am 16. September 2014 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an.
Die IV-Stelle des Kantons Aargau gewährte berufliche Massnahmen, welche sie mit
Verfügung vom 1. Juni 2015 abschloss. 
Am 3. Mai 2016 meldete sich A.________ erneut bei der Invalidenversicherung an.
Die IV-Stelle holte beim Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD) eine Stellungnahme
ein (Bericht vom 16. September 2016) und verfügte nach durchgeführtem
Vorbescheidverfahren am 2. März 2017, der Versicherte habe ab 1. November 2016
Anspruch auf eine Viertelsrente. 
 
B.   
Die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht
des Kantons Aargau mit Entscheid vom 12. September 2017 ab. 
 
C.   
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides eine halbe Rente der
Invalidenversicherung ab 1. November 2016. 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen (BSV) verzichtet auf eine Stellungnahme. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (
Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.   
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht zu Recht die von der
Verwaltung mit Verfügung vom 2. März 2017 ab 1. November 2016 dem Versicherten
zugesprochene Viertelsrente bestätigte. 
 
2.1. Die Vorinstanz erkannte, in Anlehnung an die Stellungnahme des RAD-Arztes
Dr. med. B.________, Facharzt Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des
Bewegungsapparates FMH, vom 16. September 2016 sei dem Beschwerdeführer seine
zuletzt ausgeübte Arbeit als Chauffeur noch im Umfang von 50 % zumutbar. Eine
dem Leiden angepasste Tätigkeit hingegen könne er in einem Pensum von 100 %
ausüben, wobei infolge funktioneller Einarmigkeit auf der dominanten Seite eine
Leistungseinschränkung von 40 % vorliege. Das kantonale Gericht stellte
ausserdem fest, der Versicherte arbeite weiterhin in seiner angestammten
Tätigkeit als Chauffeur in einem 50 %-Pensum, wobei er das von Dr. med.
B.________ attestierte Leistungspotenzial nicht ausschöpfe. Für die Ermittlung
des Invalideneinkommens könne daher das tatsächliche Einkommen nicht
angerechnet werden. Die IV-Stelle habe zu Recht die Tabellenlöhne gemäss den
vom Bundesamt für Statistik periodisch herausgegebenen Lohnstrukturerhebungen
(LSE) herangezogen.  
 
2.2. Der Beschwerdeführer bringt dagegen vor, bei der Bestimmung des
Invalideneinkommens sei von seinem tatsächlich erzielten Lohn in der
angestammten Tätigkeit als Chauffeur in einem Pensum von 50 % auszugehen.  
 
3.  
 
3.1. Für die Festsetzung des Invalideneinkommens ist nach der Rechtsprechung
primär von der beruflich-erwerblichen Situation auszugehen, in welcher die
versicherte Person konkret steht. Übt sie nach Eintritt der Invalidität eine
Erwerbstätigkeit aus, bei der - kumulativ - besonders stabile
Arbeitsverhältnisse gegeben sind und anzunehmen ist, dass sie die ihr
verbleibende Arbeitsfähigkeit in zumutbarer Weise voll ausschöpft, und
erscheint zudem das Einkommen aus der Arbeitsleistung als angemessen und nicht
als Soziallohn, gilt grundsätzlich der tatsächlich erzielte Verdienst als
Invalidenlohn (BGE 135 V 297 E. 5.2 S. 301; 129 V 472 E. 4.2.1 S. 475). Dabei
ist vom Grundsatz auszugehen, dass der ausgerichtete Lohn normalerweise der
geleisteten Arbeit entspricht. Abweichungen unterliegen strengen
Beweisanforderungen (BGE 117 V 8 E. 2c/aa S. 18 mit Hinweisen). Ist kein
tatsächlich erzieltes Erwerbseinkommen gegeben, namentlich weil die versicherte
Person nach Eintritt des Gesundheitsschadens keine oder jedenfalls keine ihr an
sich zumutbare neue Erwerbstätigkeit aufgenommen hat, so können insbesondere
die LSE-Tabellenlöhne herangezogen werden (BGE 129 V 472 E. 4.2.1 S. 475 mit
Hinweisen; Urteil 9C_648/2016 vom 12. Juli 2017 E. 6.5.1).  
 
3.2. Die Frage, ob Tabellenlöhne anwendbar sind, ist eine frei überprüfbare
Rechtsfrage (Urteil 9C_189/2008 vom 19. August 2008 E. 4.1 in Verbindung mit E.
1 mit Hinweisen, in: SVR 2009 IV Nr. 6 S. 11).  
 
4.  
 
4.1. Die Vorinstanz wich von der Rechtsprechung, wonach primär von der
beruflich-erwerblichen Situation auszugehen ist, in welcher die versicherte
Person konkret steht (vgl. E. 3.1 hiervor), mit der Begründung ab, der
Beschwerdeführer schöpfe die ihm verbleibende Arbeitsfähigkeit nicht voll aus.
Dementsprechend traf sie keine weiteren Sachverhaltsfeststellungen zu den
übrigen Voraussetzungen, die im Rahmen der Frage, ob auf den tatsächlich
erzielten Lohn abzustellen ist oder ob die LSE-Tabellenlöhne heranzuziehen
sind, geprüft werden müssen (vgl. E. 3.1 hiervor). Die diesbezüglichen Akten
sind jedoch liquid, weshalb das Bundesgericht Sachverhaltsfeststellungen
ergänzen kann (vgl. E. 1 hiervor; BGE 136 V 362 E. 4.1 S. 366).  
 
4.2. Der Versicherte arbeitete seit dem 1. Juli 2011 bei der C.________ AG als
Chauffeur in einem 100 %-Pensum (vgl. Fragebogen für Arbeitgebende vom 11. Mai
2016). Im Rahmen einer Mutation des Arbeitsvertrages vom 6. September 2016
reduzierte der Beschwerdeführer sein Pensum bei der C.________ AG als Chauffeur
um 50 %. Dieses seit Jahren andauernde Arbeitsverhältnis gilt als stabil im
Sinne der Rechtsprechung (vgl. E. 3.1). Ferner erscheint auch das
Arbeitsentgelt (monatlich Fr. 2'685.- bei einem 50 %-Pensum; inkl. 13.
Monatslohn) als angemessener Lohn. Es fehlen denn auch rechtsgenügliche
Hinweise, dass dem nicht so sein sollte.  
 
4.3. Zu prüfen bleibt, ob der Beschwerdeführer die ihm verbleibende
Arbeitsfähigkeit durch die Tätigkeit als Chauffeur in einem Pensum von 50 % in
zumutbarer Weise voll ausschöpft oder ob ihm allenfalls eine bessere Verwertung
der Restarbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von 100 %
mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit von 40 % durch die Aufnahme einer
Verweistätigkeit zumutbar ist (vgl. BGE 114 V 119 E. 2b S. 122). Dies ist
angesichts seiner starken Einschränkung (funktionelle Einarmigkeit auf der
dominanten Seite) zu verneinen. In der vom Versicherten bereits seit mehreren
Jahren ausgeübten Tätigkeit als Chauffeur scheint er mit Blick darauf, dass der
Erhalt dieses Arbeitsplatzes als eines der zu erreichenden Ziele im Rahmen der
beruflichen Massnahmen definiert wurde, optimal eingegliedert zu sein.
Ausserdem entspricht das Pensum von 50 % in der von ihm ausgeübten Tätigkeit
als Chauffeur der von Dr. med. B.________ im massgeblichen Bericht vom 16.
September 2016 attestierten Arbeitsfähigkeit (vgl. E. 2.1 hiervor). Nach dem
Gesagten ist die vorinstanzliche Schlussfolgerung, der Versicherte schöpfe
seine Restarbeitsfähigkeit nicht aus, weshalb beim Invalideneinkommen im Rahmen
des Einkommensvergleichs auf die LSE-Tabellenlöhne abzustellen sei,
bundesrechtswidrig (vgl. E. 1 hiervor).  
Es ist dasjenige Arbeitsentgelt heranzuziehen, welches der Versicherte als
Chauffeur verdient. Entsprechend dem Arbeitspensum von 50 % bzw. einer
Arbeitsunfähigkeit von 50 % beträgt das Invalideneinkommen die Hälfte des
Valideneinkommens und der Invaliditätsgrad 50 % (Prozentvergleich; BGE 114 V
310 E. 3a S. 313; Urteil 9C_532/2016 vom 25. November 2016 E. 3.1). Der
Versicherte hat somit Anspruch auf eine halbe Rente (Art. 28 Abs. 2 IVG) ab 1.
November 2016. Die Beschwerde ist begründet. 
 
5.   
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten
zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG) und dem Beschwerdeführer eine
Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des
Kantons Aargau vom 12. September 2017 und die Verfügung der IV-Stelle des
Kantons Aargau vom 2. März 2017 werden aufgehoben. Der Beschwerdeführer hat ab
1. November 2016 Anspruch auf eine halbe Invalidenrente. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4.   
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau
zurückgewiesen. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau,
der Vorsorgestiftung D.________ und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 31. Juli 2018 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Die Gerichtsschreiberin: Huber 

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