Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 731/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 

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9C_731/2017            

 
 
 
Urteil vom 30. November 2017  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiber Fessler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch 
Rechtsanwalt und Notar Claude Wyssmann, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 12. September 2017 (VSBES.2017.139). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
 
A.a. Mit Verfügung vom 2. Dezember 2004 sprach die IV-Stelle des Kantons
Solothurn A.________ rückwirkend ab 1. Juni 2004 eine ganze Rente der
Invalidenversicherung (samt Kinderrenten) zu. Im Rahmen des im Januar 2011
eingeleiteten Revisionsvefahrens wurde die Versicherte nach einem im Hinblick
auf eine Fussoperation im Januar 2013 abgebrochenen Belastungstraining
polydisziplinär, u.a. orthopädisch-traumatologisch, begutachtet (Expertise SMAB
AG Swiss Medical Assessment and Business-Center vom 4. September 2015 und
Ergänzungsbericht vom 22. Januar 2016). Mit Vorbescheid vom 20. Mai 2016
stellte die IV-Stelle die Aufhebung der Rente in Aussicht, wogegen Einwände
erhoben wurden.  
 
A.b. Aufgrund der eingereichten Berichte des Spitals B.________, Klinik für
Orthopädische Chirurgie und Traumatologie, betreffend den am 1. März 2016
erfolgten operativen Eingriff am linken Vorfuss teilte die IV-Stelle A.________
mit, dass eine Nachbegutachtung bei der SMAB AG in der Fachdisziplin
"Orthopädische Chirurgie und Traumatologie" durch Dr. med. C.________
durchgeführt werde (Schreiben vom 6. und 17. Februar 2017). Die Versicherte
bestritt die Notwendigkeit dieser Massnahme und lehnte den als Experten
bestimmten Facharzt für Orthopädie und Traumatologie, welcher bereits bei der
früheren Begutachtung mitgewirkt hatte, als befangen ab (Schreiben vom 7. März
2017). Mit Verfügung vom 18. April 2017 hielt die IV-Stelle an der
"vorgesehenen Abklärung" mit einem im Sinne der Erwägungen angepassten
Fragenkatalog fest.  
 
B.   
Dagegen erhob A.________ Beschwerde, welche das Versicherungsgericht des
Kantons Solothurn mit Entscheid vom 12. September 2017 abwies. 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________,
der Entscheid vom 12. September 2017 und die Verfügung vom 18. April 2017 seien
aufzuheben; es sei festzustellen, dass Dr. med. C.________ im Hinblick auf die
von der IV-Stelle in Aussicht gestellte Begutachtung als befangen zu gelten
habe; die IV-Stelle bzw. die Vorinstanz sei anzuweisen, ein Einigungsverfahren
durchzuführen; dem Rechtsmittel sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich seiner Rechtsnatur nach um einen
Zwischenentscheid im Sinne von Art. 92 f. BGG (BGE 138 V 271 E. 2.1 S. 277). 
 
2.   
Die Beschwerdeführerin bestreitet wie schon im kantonalen Verfahren, dass eine
Nachbegutachtung in der Fachdisziplin "Orthopädische Chirurgie und
Traumatologie" notwendig sei und der als Experte vorgesehene Dr. med.
C.________, objektiv betrachtet, als unbefangen gelten könne. Im ersten Punkt
ist die Beschwerde unzulässig, da die Frage, ob der rechtserhebliche
medizinische Sachverhalt bereits hinreichend, d.h. richtig und vollständig,
abgeklärt sei (Art. 43 Abs. 1 ATSG; BGE 136 V 376 E. 4.1.1 S. 377; 133 V 196 E.
1.4 S. 200), die Beweiswürdigung betrifft und daher in der Regel, von welcher
abzuweichen kein Anlass besteht, mit dem (End-) Entscheid in der Sache zu
behandeln ist (BGE 132 V 93 E. 6.5 S. 108 f.; Urteile 8C_505/2017 vom 3. August
2017 und 9C_240/2017 vom 1. Mai 2017 mit Hinweisen). Die Befangenheitsrüge ist
zulässig, soweit damit formelle Ausstandsgründe nach Art. 36 Abs. 1 ATSG und 
Art. 10 VwVG (BGE 132 V 93 E. 7.1 S. 109; Urteil 9C_199/2009 vom 9. Juni 2009
E. 2.2) geltend gemacht werden (Art. 92 Abs. 1 BGG; BGE 138 V 271 E. 2.2.1 S.
277). 
 
3.  
 
3.1. Muss die IV-Stelle zur Abklärung des Sachverhaltes ein Gutachten eines
unabhängigen Sachverständigen einholen, gibt sie der Partei dessen Namen
bekannt. Diese kann den Gutachter aus triftigen Gründen ablehnen und
Gegenvorschläge machen (Art. 44 ATSG in Verbindung mit Art. 2 ATSG und Art. 1
Abs. 1 IVG). Mit Bezug auf medizinische Sachverständige gelten grundsätzlich
die gleichen Ausstands- und Ablehnungsgründe, wie sie für Gerichtspersonen
vorgesehen sind. Danach ist Befangenheit anzunehmen, wenn Umstände vorliegen,
die in objektiver Weise geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit und
Unvoreingenommenheit der sachverständigen Person zu erwecken (BGE 132 V 93 E.
7.1 S. 109 mit Hinweis). Dazu genügt nicht, sich schon einmal mit der zu
begutachtenden Person befasst zu haben und dabei zu für sie ungünstigen
Schlussfolgerungen gelangt zu sein (BGE 132 V 93 E. 7.2.2 S. 110 mit Hinweis).
Entscheidend ist, dass das Ergebnis der Abklärung (nach wie vor) als offen und
nicht vorbestimmt erscheint (Urteil 9C_893/2009 vom 22. Dezember 2009 E. 1.2.1
mit Hinweisen: in: SVR 2010 IV Nr. 36 S. 112). Das ist dann nicht der Fall,
wenn der Experte die Schlüssigkeit seiner früheren Beurteilung zu überprüfen
oder objektiv zu kontrollieren hat (Urteil 8C_89/2007 vom 20. August 2008 E.
6.2, in: SVR 2009 IV Nr. 16 S. 41).  
 
3.2. Die Vorinstanz hat eine Befangenheit des Nachbegutachters im Wesentlichen
mit der Begründung verneint, es gehe (lediglich) darum, die gesundheitliche
Entwicklung seit dem Gutachten vom 4. September 2015 abzuklären und zu
beurteilen. Der Einwand, es handle sich um eine Neubegutachtung, vermöge nicht
zu überzeugen. Aufgrund der Operation vom 1. März 2016 und der damit
verbundenen möglichen Veränderung des Gesundheitszustandes der Versicherten
habe sich der orthopädische Experte im Wesentlichen mit einem Vergleich der
aktuellen Gesundheitssituation zu derjenigen im Vorgutachten zu befassen, was
ebenfalls aus dem ihm vorzulegenden Fragenkatalog ersichtlich sei.  
 
3.3. Die Beschwerdeführerin bringt vor, Dr. med. C.________ habe sich in seinem
orthopädisch-traumatologischen Gutachten vom 7. Juli 2015 mit keinem Wort mit
den beiden fusschirurgischen Eingriffen vom 30. August 2012 und 14. Januar 2013
und dem Resultat des Belastbarkeitstrainings im November und Dezember 2012
auseinandergesetzt. Diese oberflächliche Arbeitsweise begründe den Vorwurf der
fehlenden Neutralität und Sachlichkeit. Sodann habe er vermutet, die bisherigen
fusschirurgischen Eingriffe seien nicht indiziert gewesen, was er nicht mit
objektiven Argumenten untermauert sondern damit begründet habe, es läge ein
syndromales Beschwerdebild (Fibromyalgiesyndrom) vor. Aus demselben Grund habe
er sich "äusserst kritisch" gegenüber einer erneuten Operation gezeigt, ja die
"Möglichkeit späterer Notwendigkeit" einer solchen nicht einmal zugelassen, was
nicht einer offenen Haltung gegenüber späteren Entwicklungen entspreche. Nur
einen Monat später hätten jedoch die Ärzte der Fussorthopädie des Spitals eine
Sanierungsoperation am linken Vorderfuss als "dringend indiziert" bezeichnet.
Aufgrund dieser (diskrepanten) Beurteilung, welche "nicht einfach durch eine
Verschlechterung seit der Begutachtung erklärt werden" könne, sei die "These
(...) widerlegt, wonach bezüglich Fussbeschwerden vorrangig ein syndromales
Beschwerdebild vorläge". Somit müsse sich der Nachgutachter "unweigerlich mit
seinen Einschätzungen im Erstgutachten und deren Schlüssigkeit
auseinandersetzen". Dies gelte umso mehr, "nachdem die Operation nun
stattfand". Zusätzlich seien die Äusserungen des Dr. med. C.________ in seiner
Stellungnahme vom 22. Januar 2016, wonach sie einzig als subjektiv leidend zu
betrachten sei, offensichtlich tendenziös und schlicht unbelegt. Damit habe er
selber eine mögliche weitere Begutachtung in Frage gestellt, und es sei
unwahrscheinlich, dass zwischen Gutachter und Explorandin noch ein für die
orthopädische Abklärung notwendiges Vertrauensverhältnis entstehen könne. Somit
müsse bei einer objektiven Betrachtungsweise die Gefahr eines nicht mehr
offenen Ausgangs der Begutachtung bejaht werden.  
 
3.4. Gemäss der vorinstanzlich angefochtenen Verfügung hat sich der
Nachgutachter im Wesentlichen zum aktuellen Gesundheitszustand (geklagte
Beschwerden, Befunde und Diagnosen) sowie zu allfälligen Veränderungen seit der
Untersuchung vom 7. Juli 2015 und inwiefern sie sich auf die Arbeitsfähigkeit
auswirken zu äussern. Diese Fragen lassen sich notwendigerweise nicht losgelöst
von seiner früheren Beurteilung beantworten. Das ist indessen nicht
gleichbedeutend mit einer Überprüfung oder objektiven Kontrolle, was den
Schluss auf fehlende Unvoreingenommenheit zuliesse (E. 3.1). Sodann legte Dr.
med. C.________ in seiner Stellungnahme vom 22. Januar 2016 zu den Berichten
des Spitals B.________, Klinik für Allgemeine Innere Medizin, vom 6. Oktober
2015, und Klinik für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie, vom 14. Oktober
2015 dar, aus welchen Gründen er fusschirurgischen Eingriffen skeptisch oder
sogar ablehnend gegenüberstand. Dabei wies er darauf hin, dass die
orthopädischen Lokalbefunde am linken Fuss nichts mit dem zusätzlich
diagnostizierten Fibromyalgiesyndrom zu tun hätten. Wenn im Übrigen der Experte
aus dem Wunsch der Versicherten, die im September 2015 als dringend indizierte
Fussoperation erst im Frühjahr 2016 vornehmen zu lassen, "nicht gerade auf
einen hohen Leidensdruck" schloss, kann darin nicht ein Indiz für
Voreingenommenheit erblickt werden. Nachdem der Eingriff am 1. März 2016
durchgeführt worden war, geht es darum, die Auswirkungen auf Gesundheitszustand
und Arbeitsfähigkeit zu beurteilen, wozu der Experte trotz Vorbefassung
objektiv in der Lage sein sollte.  
Die weiteren Vorbringen erschöpfen sich, mit Ausnahme des Vorwurfs der
oberflächlichen Arbeitsweise, in der Bestreitung des Beweiswerts des Gutachtens
vom 4. September 2015 in orthopädisch-traumatologischer Hinsicht, was in diesem
Verfahren indessen nicht stechen kann (E. 2). Offenbleiben kann, aus welchen
Gründen Dr. med. C.________ in seinem orthopädisch-traumatologischen Gutachten
vom 7. Juli 2015 weder die beiden fusschirurgischen Eingriffe vom 30. August
2012 und 14. Januar 2013 noch das Belastbarkeitstraining im November und
Dezember 2012 erwähnte. Soweit darin ein Mangel zu erblicken ist, reicht er
nicht aus für die Annahme von Befangenheit im Hinblick auf die vorgesehene
Nachbegutachtung. 
 
4.   
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde, soweit zulässig, unbegründet. 
 
5.   
Mit dem Entscheid in der Sache ist die Frage der aufschiebenden Wirkung der
Beschwerde gegenstandslos. 
 
6.   
Ausgangsgemäss wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG
). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 30. November 2017 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Der Gerichtsschreiber: Fessler 

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