Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 72/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
9C_72/2017         

Urteil vom 19. Juli 2017

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Meyer, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterinnen Glanzmann, Moser-Szeless,
Gerichtsschreiberin Oswald.

Verfahrensbeteiligte
 A.________,
vertreten durch Advokat Dr. Thomas Wyler,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel,
Beschwerdegegnerin,

 Pensionskassen B.________.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Invalideneinkommen),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Basel-Stadt vom 21. November 2016.

Sachverhalt:

A. 
Die 1962 geborene A.________, promovierte Chemikerin, w ar von 1. Mai 2004 bis
30. November 2014 bei der C.________ AG angestellt, zuletzt im Bereich des
Qualitätsmanagements. Am 15. Mai 2013 meldete sie sich unter Hinweis auf eine
Erschöpfungsdepression bei der IV-Stelle Basel-Stadt zum Leistungsbezug an.
Diese sprach ihr gestützt auf ein polydisziplinäres Gutachten der Academy of
Swiss Insurance Medicine (asim), Basel, vom 19. November 2015 und nach
Durchführung des Vorbescheidverfahrens am 11. Mai 2016 eine halbe
Invalidenrente rückwirkend ab 1. November 2013 zu, basierend auf einem
Invaliditätsgrad von 50% ab 1. November 2013 und von 56% ab 1. Dezember 2013.

B. 
Eine hiegegen erhobene Beschwerde der A.________ wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom 21.
November 2016 ab.

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag, der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt
vom 21. November 2016 sei aufzuheben, und es sei ihr ab dem 1. November 2013
anstelle einer halben eine Dreiviertelsrente zuzusprechen.

Erwägungen:

1. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung
des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Das kantonale Gericht hat die für die Beurteilung der Streitsache massgeblichen
Rechtsgrundlagen zutreffend dargelegt, worauf verwiesen wird. Dies betrifft
namentlich den nach dem Grad der Invalidität abgestuften Anspruch auf eine
Invalidenrente (Art. 28 Abs. 2 IVG) sowie die Bestimmungen und Grundsätze zur
Prüfung der erwerblichen Auswirkungen eines Gesundheitsschadens aufgrund der
allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG).

3. 
Die Vorinstanz erwog, es sei unbestritten, dass die Beschwerdeführerin in der
Lage sei, eine adaptierte Verweistätigkeit im Umfang von 60% auszuüben. Dabei
müsse sie die Möglichkeit haben, regelmässig Pausen einzulegen; Teamarbeit oder
Kundenkontakt seien ungünstig. Diese Einschätzung gelte ab Dezember 2013. Zu
den Vergleichseinkommen führte das kantonale Gericht aus, das von der
Verwaltung ermittelte Valideneinkommen von CHF 142'800.- für das Jahr 2013 sei
weder bestritten noch zu beanstanden. Zur Ermittlung des Invalideneinkommens
zog es die Tabellenlöhne der vom Bundesamt für Statistik periodisch
durchgeführten Lohnstrukturerhebung (LSE) 2012 heran, wobei es in Anbetracht
der Ausbildung und des beruflichen Werdegangs der Beschwerdeführerin die
Position 21 ("Herst. v. pharmazeutischen Erzeugnissen") der Tabelle TA1,
Kompetenzniveau 3 (komplexe praktische Tätigkeiten welche ein grosses Wissen in
einem Spezialgebiet voraussetzen), Frauen, für massgebend erachtete.
Umgerechnet auf die betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit und unter
Berücksichtigung der Nominallohnentwicklung bis 2013 von 0.7% errechnete die
Vorinstanz bei einem Pensum von 60% ein Invalideneinkommen von CHF 58'147.85
und einen Invaliditätsgrad von 59%.

4.

4.1. Insoweit als die Beschwerdeführerin eine Dreiviertelsrente bereits für den
Monat November 2013 verlangt, ohne den von der IV-Stelle diesbezüglich
vorgenommenen und von der Vorinstanz implizit übernommenen Einkommensvergleich
(mit tatsächlich erzieltem höheren Invalideneinkommen) in einer Art. 42 Abs. 2
BGG genügenden Weise zu rügen, erübrigen sich weitere Ausführungen.

4.2. Was den Einkommensvergleich für die Zeit ab Dezember 2013 betrifft,
stellten Verwaltung und Vorinstanz, weil die Beschwerdeführerin ihre
Restarbeitsfähigkeit von 60% in einer Verweistätigkeit in der zuletzt bis
November 2014 ausgeübten Tätigkeit bei der C.________ AG - in welcher ihr eine
Arbeitsfähigkeit von lediglich 40% attestiert wurde - nicht optimal
ausschöpfte, zur Ermittlung des Invalideneinkommens auf Tabellenlöhne der LSE
2012 ab. Dieses Vorgehen wird von der Beschwerdeführerin nicht beanstandet.
Hingegen rügt sie, die Vorinstanz habe den Sachverhalt offensichtlich unrichtig
festgestellt, indem sie ausschliesslich auf die Zeile 21 "Herst. v.
pharmazeutischen Erzeugnissen" der Tabelle TA1 abgestellt habe. Richtigerweise
sei entweder auf den Mittelwert einer Reihe von (in der Beschwerdeschrift näher
bezeichneten) Zeilen oder alternativ auf das "TOTAL privater Sektor" gemäss
Tabelle TA1 abzustellen. Die korrekte Anwendung der LSE-Tabellen, namentlich
die Wahl der Tabelle wie auch der Beizug der massgeblichen Stufe
(Kompetenzniveau) ist eine Rechtsfrage, die vom Bundesgericht frei überprüft
wird (Urteil 9C_699/2015 vom 6. Juli 2016 E. 5.2).

4.2.1. Die Beschwerdeführerin ist Naturwissenschaftlerin und hat einen grossen
Teil ihres bisherigen Arbeitslebens in der Forschung und Entwicklung verbracht.
Der von der Vorinstanz herangezogene Wert aus Tabelle TA1 Zeile 21 "Herst. v.
pharmazeutischen Erzeugnissen" umfasst gemäss Allgemeiner Systematik der
Wirtschaftszweige (NOGA) die Forschung und Entwicklung für pharmazeutische und
biotechnische Erzeugnisse gerade nicht (NOGA 2008, Allgemeine Systematik der
Wirtschaftszweige, Erläuterungen S. 57, abrufbar unter https://
www.bfs.admin.ch). Weshalb ein Wert herangezogen werden soll, der den
langjährigen Tätigkeitsbereich der Beschwerdeführerin gerade nicht abbildet,
leuchtet nicht ein (vgl. auch Urteil 9C_237/2007 vom 24. August 2007, SVR 2008
IV 20 S. 63, in BGE 133 V 545 nicht publizierte E. 5.1 mit weiteren Hinweisen).
Als einschlägig wäre vorliegend vielmehr Zeile 72 ("Forschung und Entwicklung")
zu betrachten. Da aber die Beschwerdeführerin, wie sie zurecht ausführt, ihre
Restarbeitsfähigkeit nicht nur im Bereich von Forschung und Entwicklung
verwerten kann, erscheint auch ein Abstellen auf diese Zeile nicht opportun.

4.2.2. Nicht sinnvoll erscheint sodann der Heranzug des Mittelwerts einer Reihe
von Zeilen, wie dies die Beschwerdeführerin (u.a.) anbegehrt. Die so
resultierenden Daten wären bereits aus statistischen Gründen zu wenig
aussagekräftig, würde doch ein Mittelwert aus verschiedenen Medianwerten
gebildet, weshalb von diesem Vorgehen abzusehen ist (vgl. BGE 142 V 178 E.
2.5.7 S. 188 mit weiteren Hinweisen; Urteil 8C_192/2013 vom 16. August 2013 E.
7.2.2). Ein Abstellen auf das "TOTAL privater Sektor", Kompetenzniveau 3,
Frauen, gemäss Tabelle TA1, wie von der Beschwerdeführerin ebenfalls
vorgeschlagen, rechtfertigt sich vorliegend deshalb nicht, weil die
Beschwerdeführerin nicht darauf angewiesen ist, ein völlig neues
Betätigungsfeld zu suchen (Urteil 9C_811/2013 vom 6. Februar 2014 E. 5; 9C_237/
2007 vom 24. August 2007 E. 5.2). Vielmehr kann sie eine ihren gesundheitlichen
Einschränkungen angepasste Tätigkeit in ihrem angestammten Beruf als Chemikerin
aufnehmen. Hierbei stehen ihr verschiedene Möglichkeiten sowohl im privaten als
auch im öffentlichen Sektor offen.

4.2.3. Weil der Beschwerdeführerin nicht nur Stellen in der Forschung und
Entwicklung, sondern etwa auch in der öffentlichen Verwaltung, in
Consulting-Unternehmen oder im Bereich des Umweltschutzes offen stehen, ist
vielmehr der Heranzug von Tabelle T17 Zeile 21 (Medianlohn der Berufsgruppe
"Naturwissenschaftler/innen, Mathematiker/innen und Ingenieur/innen" abgestuft
nach Alter) sachgerecht. Dies gilt umso mehr, da sie über Berufserfahrung nicht
nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Sektor verfügt, der in Tabelle
T17 mit berücksichtigt ist, nicht dagegen in Tabelle TA1. Dass ihr damit
weiterhin eine Tätigkeit im Kompetenzniveau 4 ("Tätigkeiten mit komplexer
Problemlösung und Entscheidungsfindung, welche ein grosses Fakten- und
theoretisches Wissen in einem Spezialgebiet voraussetzen") zugemutet wird,
steht der Anwendung der Zeile 21 nicht entgegen, ist die Beschwerdeführerin
doch nicht in ihren intellektuellen Fähigkeiten an sich eingeschränkt, sondern
vielmehr in ihrer Belastbarkeit sowie in ihrer Fähigkeit, mit anderen Personen
zusammenzuarbeiten (vgl. bereits oben E. 3). Das Bestehen von Defiziten im
Bereich der Exekutivfunktionen hindert sie zwar daran, eine Führungsposition
einzunehmen, nicht aber, weiterhin als hochqualifizierte Spezialistin mit
grossem Fachwissen tätig zu sein. Ausgehend von einem Bruttolohn von CHF
8'318.- (Frauen, Lebensalter ab 50), umgerechnet auf 41.7 Wochenstunden, unter
Berücksichtigung der Nominallohnentwicklung bis 2013 von 0.7%, resultiert bei
einem 60%-Pensum ein Invalideneinkommen von CHF 62'872.-.

4.3. Schliesslich rügt die Beschwerdeführerin, auf dem Tabellenlohn sei ein
Leidensabzug von mindestens 15% zu gewähren. Dieser Abzug solle einerseits
ihren verminderten Ressourcen Rechnung tragen, anderseits aber auch ihrem
fortgeschrittenen Alter sowie der Tatsache, dass Teilzeitbeschäftigte
überproportional weniger als Vollzeitbeschäftigte verdienten. Indem die
Vorinstanz sich insbesondere mit dem von ihr verlangten Teilzeitabzug nicht
auseinandergesetzt habe, sei ihr das rechtliche Gehör verweigert worden. Die
Frage, ob ein Abzug vom Tabellenlohn vorzunehmen sei oder nicht, stellt eine
vom Bundesgericht frei zu prüfende Rechtsfrage dar (BGE 142 V 178 E. 2.5.9 S.
191 mit Hinweis).
Im angefochtenen Entscheid werden die wichtigsten Parteistandpunkte
wiedergegeben und es wird dargelegt, aus welchen Gründen die Vorinstanz den
Argumenten der Beschwerdeführerin nicht gefolgt ist. Wenn das kantonale Gericht
gewisse Elemente anders gewichtet hat als der Beschwerdeführerin vorschwebte,
liegt darin keine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Die Vorinstanz hat
deutlich gemacht, dass kein Anspruch auf einen Abzug wegen Teilzeitarbeit
bestehe (vgl. vorinstanzliche E. 4.4.4). Folglich war der Beschwerdeführerin
eine sachgerechte Anfechtung des Entscheids ohne Weiteres möglich. Entgegen den
Ausführungen der Beschwerdeführerin ist es mit Blick auf die konkrete Situation
nicht bundesrechtswidrig, bei einem Beschäftigungsgrad von 60% keinen
Teilzeitabzug zu gewähren. Gemäss der gestützt auf die LSE 2012 erstellten
Tabelle zu den nach Beschäftigungsgrad, Geschlecht und beruflicher Stellung
differenzierten monatlichen Durchschnittsbruttolöhnen, die im Anhang des vom
Bundesamt für Sozialversicherungen herausgegebenen IV-Rundschreibens Nr. 328
vom 22. Oktober 2014 veröffentlicht wurde, bestand bei Frauen ohne
Kaderfunktion zwischen dem Durchschnittslohn bei einem Teilzeitpensum von
50-74% proportional bezogen auf ein 100%-Pensum (CH 5'733.-) und dem
Durchschnittslohn bei einem Vollzeitpensum (CHF 5'214.-) eine Differenz von CHF
519.- zu Gunsten von Teilzeitmitarbeitenden.
Den leidensbedingten Einschränkungen der Beschwerdeführerin (verminderte
Frustrationstoleranz, reduzierte Belastbarkeit, erhöhte Ermüdbarkeit und
verlangsamtes Arbeitstempo) ist bereits - wie die Vorinstanz zutreffend
darlegte - durch ein Pensum von 60% Rechnung getragen worden. Ein nochmaliger
Einbezug beim Tabellenlohn würde eine unzulässige doppelte Berücksichtigung
darstellen (vgl. Urteil 8C_678/2015 vom 9. Juni 2016 E. 5.6 mit Hinweis).

4.4. Damit ergibt sich bei einem Valideneinkommen von CHF 142'800.- und einem
Invalideneinkommen von CHF 62'872.- ein Invaliditätsgrad von 56%. Im Ergebnis
hat es deshalb beim angefochtenen Entscheid sein Bewenden.

5. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Pensionskassen B.________, dem
Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 19. Juli 2017

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Meyer

Die Gerichtsschreiberin: Oswald

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