Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 676/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
9C_676/2017  
 
 
Urteil vom 17. September 2018  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann, 
Gerichtsschreiberin Keel Baumann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Advokat Nikolaus Tamm, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, 
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegnerin, 
 
Pensionskasse B.________. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau 
vom 17. August 2017 (VBE.2017.107). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1961 geborene A.________ meldete sich im März 2012 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an unter Hinweis auf körperliche und
psychische Beschwerden. Die IV-Stelle des Kantons Aargau prüfte die
medizinischen und die erwerblichen Verhältnisse. Sie sprach A.________
berufliche Massnahmen zu. Mit Verfügung vom 13. Mai 2013 schloss sie diese ab,
weil der Versicherte inzwischen eine angepasste Tätigkeit mit einer
Leistungsfähigkeit von 60 % bei seiner ursprünglichen Arbeitgeberin angetreten
hatte. 
Im Rahmen der Prüfung des Rentenanspruches liess die IV-Stelle den Versicherten
durch Dr. med. C.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, sowie durch lic.
phil. D.________, Fachpsychologe für Neuropsychologie FSP, begutachten
(psychiatrisches Gutachten vom 5. Februar 2015 und neuropsychologisches
Gutachten vom 7. Januar 2015). Auf Empfehlung des Regionalen Ärztlichen
Dienstes (RAD), der insbesondere eine gutachterliche Konsensfindung vermisste,
holte die IV-Stelle bei der medexperts ag, St. Gallen, ein weiteres
psychiatrisch-neuropsychologisches Gutachten ein, welches von Dr. med.
E.________, Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, und Dipl. Psych.
F.________, Fachpsychologin für Neuropsychologie FSP, am 25. September 2015
erstattet wurde. Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte die
Verwaltung einen Rentenanspruch mit der Begründung, eine Invalidität im Sinne
des Gesetzes liege nicht vor (Verfügung vom 19. Dezember 2016). 
 
B.   
Beschwerdeweise liess A.________ beantragen, es sei die angefochtene Verfügung
aufzuheben und ihm mindestens eine Dreiviertelsrente zuzusprechen. Mit
Entscheid vom 17. August 2017 wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau
die Beschwerde ab. 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und das Rechtsbegehren stellen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und
es sei ihm, eventualiter nach Einholung eines Obergutachtens, mindestens eine
Dreiviertelsrente zuzusprechen. 
 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde, wobei sie sich in ihrer
Vernehmlassung auch zur Indikatorenprüfung nach der neusten, zwischenzeitlich
ergangenen Rechtsprechung äusserte. Der Beschwerdeführer nahm dazu in einer
weiteren Eingabe Stellung. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtete
auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG
). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Im angefochtenen Entscheid werden die gesetzlichen Bestimmungen zu
Invalidität und Erwerbsunfähigkeit (Art. 4 Abs. 1 IVG und Art. 7 f. ATSG) sowie
zum Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 IVG) sowie zu dessen Entstehung (Art.
29 Abs. 1 IVG) zutreffend dargelegt. Richtig wiedergegeben wurden auch die
Grundsätze zum Beweiswert und zur Beweiswürdigung medizinischer Berichte und
Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis).
Darauf wird verwiesen.  
 
2.2. Bei den gerichtlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit handelt es sich grundsätzlich um Entscheidungen über
Tatfragen. Gleiches gilt für die konkrete Beweiswürdigung. Dagegen sind die
Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln
Rechtsfragen, die das Bundesgericht im Rahmen der den Parteien obliegenden
Begründungs- bzw. Rügepflicht frei prüft (statt vieler: Urteil 9C_457/2014 vom
16. Juni 2015 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 141 V 405, aber in: SVR 2016 BVG Nr.
11 S. 47).  
 
3.  
 
3.1. Es steht fest und ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer im August
2011 an einer schweren Depression erkrankte (schwere depressive Episode ohne
psychotische Symptome [ICD-10 F32.2] mit vorsätzlicher Selbstschädigung bzw.
seriellen Suizidversuchen mit harten Methoden [ICD-10 X84]) und dass er
spätestens seit März 2012 an einer maximal mittelgradigen depressiven Störung
leidet (rezidivierende depressive Störung, leichte bis mittelgradige Episode
mit somatischem Syndrom [ICD-10 F33.12]). Gemäss dem medexperts-Gutachten vom
15. September 2015 kann dem Beschwerdeführer seit ca. März 2012 - nach einer
Phase vollständiger Arbeitsunfähigkeit (ab August 2011) - eine angepasste
Tätigkeit (worunter insbesondere die von ihm seither ausgeübte Tätigkeit im
Management Accounting fällt) zu 70 % zugemutet werden.  
 
3.2. Die Vorinstanz erwog, der Beschwerdeführer habe sich keiner konsequenten
Depressionstherapie unterzogen, indem er sich lediglich 2011 während eines
Monates stationär und seit Februar 2012 alle zwei Wochen sowie ab Dezember 2012
überwiegend wahrscheinlich nur noch einmal pro Monat ambulant habe behandeln
lassen. Mit Blick auf das Gutachten vom 5. Februar 2015 sei fraglich, ob eine
adäquate Therapie stattgefunden habe. Da die maximal mittelgradige depressive
Störung bei dieser Sachlage nicht überwiegend wahrscheinlich therapieresistent
sei, stelle sie keinen invalidisierenden Gesundheitsschaden dar. Es bestehe
deshalb kein Anspruch auf eine Invalidenrente. Allerdings vertrete die
Gerichtsminderheit den Standpunkt, es sei unzulässig, sich alleine auf das
Argument der Therapiefrequenz zu stützen, dies insbesondere mit Blick darauf,
dass im medexperts-Gutachten vom 25. September 2015 die medizinische Frage, ob
die Depressionstherapie adäquat sei, bejaht werde.  
 
3.3. Der Beschwerdeführer bringt vor, die Vorinstanz habe (in ihrer
Mehrheitsauffassung) Bundesrecht verletzt, weil sie das isolierte Kriterium der
Therapiefrequenz als massgebend für die Abweisung des Leistungsanspruches
betrachtet habe, dies "in allzu schematischer Anwendung einer möglicherweise
missverstandenen Bundesgerichtspraxis, die in dieser Lesart das
Gleichheitsgebot verletzen würde". Des Weitern sei die Therapieresistenz durch
das medexperts-Gutachten vom 25. September 2015 rechtsgenügend ausgewiesen. Mit
den Gutachtern sei davon auszugehen, dass die heute tatsächlich ausgeübte,
zeitlich und leistungsmässig eingeschränkte Tätigkeit dem entspreche, was dem
Versicherten invalidenversicherungsrechtlich abverlangt werden dürfe. Daran hat
sich nach der vom Beschwerdeführer vertretenen Auffassung auch unter dem
Geltungsbereich der neuen Rechtsprechung (vgl. dazu E. 4) nichts geändert.  
 
3.4. Davon abweichend gelangt die IV-Stelle in ihrer Vernehmlassung zum
Ergebnis, dass auch unter der geänderten Praxis eine
medizinisch-gesundheitliche Anspruchsgrundlage, welche zur Anerkennung einer
Invalidität führen könnte, nicht ausgewiesen sei.  
 
4.  
 
4.1. Die Rechtsprechung, welche dem kantonalen Entscheid zugrunde liegt und
gemäss welcher leichte bis mittelgradige depressive Störungen als
invalidisierende Krankheiten nur in Betracht fielen, wenn sie erwiesenermassen
therapieresistent waren (BGE 140 V 193 E. 3.3 S. 197 mit Hinweis auf Urteil
9C_667/2013 vom 29. April 2013 E. 4.3.2), wurde vom Bundesgericht
zwischenzeitlich mit BGE 143 V 409 (vgl. auch BGE 143 V 418) dahingehend
geändert, dass auch leichte bis mittelschwere Depressionen für die Beurteilung
der Arbeitsfähigkeit grundsätzlich einem strukturierten Beweisverfahren nach
Massgabe von BGE 141 V 281 zu unterziehen sind (unter Vorbehalt der Fälle, in
welchen davon aus Gründen der Verhältnismässigkeit abgesehen werden kann; vgl.
BGE 143 V 409 E. 4.5.3 S. 417). Dieses für somatoforme Leiden entwickelte
Vorgehen definiert systematisierte Indikatoren, die - unter Berücksichtigung
von leistungshindernden äusseren Belastungsfaktoren einerseits und von
Kompensationspotentialen (Ressourcen) anderseits - erlauben, das tatsächlich
erreichbare Leistungsvermögen einzuschätzen (BGE 141 V 281 E. 2 S. 285 ff., E.
3.4 bis 3.6 und 4.1 S. 291 ff.). Entscheidend ist dabei, unabhängig von der
diagnostischen Einordnung des Leidens, ob es gelingt, auf objektivierter
Beurteilungsgrundlage den Beweis einer rechtlich relevanten Arbeits- und
Erwerbsunfähigkeit zu erbringen, wobei die versicherte Person die materielle
Beweislast zu tragen hat (BGE 143 V 409 E. 4.5.2 S. 416 mit Hinweis auf BGE 141
V 281 E. 3.7.2 S. 295 f.).  
 
4.2. Zu prüfen bleibt damit, wie es sich mit der invalidisierenden Wirkung der
(maximal) mittelgradigen depressiven Störung unter dem Geltungsbereich dieser
neuen, nach dem angefochtenen Entscheid ergangenen, auf alle hängigen Fälle
anwendbaren Rechtsprechung verhält. Eine Auseinandersetzung mit den
vorinstanzlichen Erwägungen, welche sich auf die inzwischen überholte Praxis
stützen, und mit der vom Beschwerdeführer daran geübten Kritik erübrigt sich
damit, soweit es nicht um die Frage der Therapieresistenz geht, welche sich
auch im Rahmen der neu vorzunehmenden Indikatorenprüfung stellt (vgl. dazu E.
4.2.1.2).  
 
4.2.1. Zur Kategorie "funktioneller Schweregrad", der sich nach den konkreten
funktionellen Auswirkungen beurteilt und insbesondere danach, wie stark die
versicherte Person in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionen
leidensbedingt beeinträchtigt ist (BGE 143 V 418 E. 5.2.3 S. 426), ergeben die
Akten das folgende Bild:  
 
4.2.1.1. Was den Komplex der Gesundheitsschädigung anbelangt, insbesondere die
Ausprägung der diagnoserelevanten Befunde, geht aus dem medexperts-Gutachten
vom 25. September 2015 eine deutliche Einschränkung der kognitiven
Leistungsfähigkeit hervor, welche den Versicherten im Alltag und am
Arbeitsplatz - insbesondere durch eine erhöhte Erschöpfbarkeit mit vermehrtem
Pausenbedarf sowie durch Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen - massgeblich
beeinträchtige. Der Beschwerdeführer sei in der Flexibilität und
Umstellungsfähigkeit, in der Anwendung fachlicher Kompetenzen, der
Durchhaltefähigkeit, der Selbstbehauptungsfähigkeit und bei Spontanaktivitäten
mittelgradig bis schwer und in der Anpassung an Regeln und Routinen, in der
Planung und Strukturierung von Aufgaben sowie arbeitsbezogen in der
Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit leicht bis mittelgradig beeinträchtigt.
Diese Einschränkungen führten denn auch dazu, dass der Beschwerdeführer mit
Eintritt des Gesundheitsschadens (d.h. mit der im August 2011 erlittenen
schweren Depression) der Leitungsposition bei seiner Arbeitgeberin (Leiter
Management Accounting [mittleres Kader]) nicht mehr gewachsen war und fortan
nur noch als Sachbearbeiter (Management Accountant [unteres Kader]) tätig sein
konnte. Die IV-Stelle wendet in ihrer Vernehmlassung ein, aus der "geregelten
und einigermassen aktiven Tagesgestaltung" des Beschwerdeführers - sie verweist
unter anderem darauf, dass er um 6 Uhr aufstehe, Montag bis Mittwoch ganztags
arbeite, mit der Ehefrau Einkäufe mache und in der Freizeit etwas unternehme -
lasse sich kein besonderer Schweregrad der psychischen Erkrankung ableiten.
Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Es ist ihr
entgegenzuhalten, dass die erwähnten Angaben zum Tagesverlauf in die
Beurteilung der medexperts-Gutachter einflossen und damit bereits
Berücksichtigung fanden. Zudem lässt sie ausser Acht, dass das "geregelte
Leben" im Wesentlichen auf dem Bemühen des Versicherten beruht, seine
Restarbeitsfähigkeit optimal zu verwerten, wodurch seine Tagesgestaltung
weitgehend vorgegeben ist.  
 
4.2.1.2. In Bezug auf Behandlungserfolg oder -resistenz, also Verlauf und
Ausgang von Therapien, welche wichtige Schweregradindikatoren darstellen, hat
die Vorinstanz verbindlich festgestellt, dass sich der Versicherte (nach einem
Aufenthalt in der Klinik G.________ vom 25. August bis 20. September 2011
[Austrittsbericht vom 6. Oktober 2011]) ab Februar 2012 in zweiwöchentlichen
Abständen in ambulante psychiatrische Behandlung begab, spätestens ab Dezember
2012 nur noch einmal pro Monat. Trotz dieser relativ geringen Therapiefrequenz
ist - entgegen dem angefochtenen Entscheid - davon auszugehen, dass der
Versicherte auf diese Weise psychiatrisch-psychotherapeutisch adäquat behandelt
wird. Dies ergibt sich nicht nur daraus, dass die medexperts-Gutachter dies
ausdrücklich festhielten, sondern auch aus dem Umstand, dass sie auf
entsprechende Frage hin nicht in der Lage waren, alternative
Behandlungsmethoden zu nennen. Sodann ist weder ersichtlich noch im
angefochtenen Entscheid näher dargelegt, inwiefern sich aus dem Gutachten vom
5. Februar 2015 etwas anderes ergeben sollte, denn auch Dr. med. C.________
bezeichnete die ambulante Behandlung als dem Störungsbild angemessen und
empfahl lediglich eine Evaluation bzw. allenfalls Anpassung der aktuellen
Medikation sowie das Erkennen, Benennen und Fördern der Ressourcen und
Kompetenzen des Versicherten. Dass die depressive Störung, an welcher der
Beschwerdeführer leidet, schwer behandelbar ist, zeigt sich schliesslich auch
darin, dass sie nach dem medexperts-Gutachten vom 15. September 2015 trotz
adäquater Behandlung (auch medikamentös) andauernd vorhanden ist und
entsprechend dem Wesen der Erkrankung die Gefahr von erneuten depressiven
Episoden schweren Ausmasses besteht. Eine Behandlungsresistenz ist bei dieser
Sachlage (in Übereinstimmung mit der vorinstanzlichen Minderheitsauffassung) zu
bejahen.  
 
4.2.1.3. Was allfällige weitere krankheitswertige Störungen anbelangt, nennt
das medexperts-Gutachten vom 25. September 2015 zwar akzentuierte,
leistungsorientierte Persönlichkeitszüge vom Typ A-Verhalten (ICD-10 Z73.1).
Eine erhebliche Komorbidität ergibt sich daraus aber nicht, weil die Gutachter
die Störung als "Nebendiagnose ohne wesentliche Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit" bezeichneten (vgl. aber nachstehende E. 4.2.1.4 zur
ressourcenhemmenden Wirkung der akzentuierten Persönlichkeitszüge).  
 
4.2.1.4. Im Rahmen des Komplexes "Persönlichkeit" (Persönlichkeitsdiagnostik,
persönliche Ressourcen) ist zu berücksichtigen, dass der Versicherte im
medexperts-Gutachten vom 25. September 2015 von seiner Persönlichkeitsstruktur
her (und wie auch seine Lebensgeschichte belegt) als fleissig, strebsam,
ehrgeizig und leistungsorientiert beschrieben wird, was zur
Persönlichkeitsstruktur mit Typ   A-Verhalten passe. Mit dem Auftreten der
schweren Depression bzw. dem Nachlassen seiner Leistungsfähigkeit sei er
ängstlich geworden; er habe sich zurückgezogen und auf die Einschränkungen
eingestellt, was mit einer gedämpften Freude am Leben einhergehe. Die
festgestellten akzentuierten Persönlichkeitszüge könnten bewirken, dass ein
Nachlassen der Leistungsfähigkeit zusätzlich zu depressiven Symptomen führe.
Aufgrund dieser gutachterlichen Angaben ist davon auszugehen, dass sich die
Persönlichkeitsstruktur des Beschwerdeführers eher ressourcenhemmend auswirkt.
 
 
4.2.1.5. Was den sozialen Kontext anbelangt, weist die IV-Stelle zutreffend
darauf hin, dass der Beschwerdeführer in einer intakten Ehe lebt und
regelmässig Kontakt mit seinem Sohn hat, womit sein Lebensumfeld einige
mobilisierbare Ressourcen bereithält. Diese Faktoren dürften den Versicherten
darin unterstützen, trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu 70 %
und damit nach dem medexperts-Gutachten vom 25. September 2015 "im Bereich
seiner oberen Leistungsgrenze" erwerbstätig zu sein.  
 
4.2.2. Zur Kategorie der "Konsistenz" wird bereits im medexperts-Gutachten vom
25. September 2015 ausdrücklich festgehalten, dass die Angaben des Versicherten
kohärent seien. Aus den Akten ergibt sich, dass das Aktivitätsniveau des
Versicherten mit Eintritt des Gesundheitsschadens gesamthaft deutlich
zurückgegangen ist und sowohl an Dynamik als auch an Autonomie verloren hat:
Neben seiner Teilerwerbstätigkeit hilft der Beschwerdeführer im Haushalt mit
oder unternimmt etwas mit der Ehefrau. Er schöpft seine Restarbeitsfähigkeit
bis an die Grenze aus und hat sich daneben auf ein limitiertes soziales Leben
eingestellt, das im Wesentlichen in der Pflege von innerfamiliären Beziehungen
besteht. Seine Aktivitäten sind damit in allen vergleichbaren Lebensbereichen
reduziert. Auch ein behandlungs- und eingliederungsanamnestisch ausgewiesener
Leidensdruck liegt vor, nachdem der Beschwerdeführer seit Jahren
psychotherapeutische und medikamentöse Behandlung in Anspruch nimmt (vgl. E.
4.2.1.2). Anhaltspunkte für inkonsistentes Verhalten sind bei dieser Sachlage
nicht ersichtlich.  
 
4.3. Zusammenfassend ergibt sich, dass das medexperts-Gutachten vom 25.
September 2015 eine schlüssige Beurteilung der Arbeitsfähigkeit im Lichte der
massgebenden Indikatoren erlaubt. Aus deren Gesamtbetrachtung ergibt sich, dass
sowohl eine gesundheitliche Beeinträchtigung von erheblichem Schweregrad als
auch deren funktionellen Auswirkungen objektiv (vgl. Art. 7 Abs. 2 ATSG),
kohärent und widerspruchsfrei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen
sind. Mithin kann abschliessend auf die Zumutbarkeitsbeurteilung gemäss
medexperts-Gutachten vom 25. September 2015 (Arbeitsfähigkeit von 70 % in einer
leidensangepassten Tätigkeit) abgestellt werden.  
 
4.4. Die Sache ist an die IV-Stelle zurückzuweisen, damit sie auf dieser
Grundlage über den Anspruch des Versicherten auf eine Invalidenrente erneut
befinde.  
 
5.   
Hinsichtlich der Prozesskosten gilt die Rückweisung der Sache zu neuem
Entscheid praxisgemäss als volles Obsiegen (BGE 137 V 210 E. 7.1 S. 271 mit
Hinweisen). Die Beschwerdegegnerin hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66
Abs. 1 BGG) und dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung auszurichten (
Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 17. August 2017 und die Verfügung
der IV-Stelle des Kantons Aargau vom 19. Dezember 2016 werden aufgehoben. Die
Sache wird zu neuer Verfügung an die IV-Stelle des Kantons Aargau
zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4.   
Die Sache wird zur Neuverlegung der Gerichtskosten und der Parteientschädigung
des vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau
zurückgewiesen. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, der Pensionskasse B.________, dem
Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 17. September 2018 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Die Gerichtsschreiberin: Keel Baumann 

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