Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 641/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
9C_641/2017  
 
 
Urteil vom 16. Oktober 2018  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiberin Huber. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
1.       Kanton Zürich, 
       vertreten durch Parlamentsdienste des 
       Kantons Zürich, Neumühlequai 10, 8090 Zürich,              vertreten
durch Rechtsanwalt Jürg Leimbacher, 
2.       A.________, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Alters- und Hinterlassenenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich 
vom 27. Juni 2017 (AB.2015.00062). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.________ war Kantonsrat im Kanton Zürich. Mit Schreiben vom 14.
September 2011 an die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich monierte
er, von seinen Entschädigungszahlungen würde jeweils "nur ein kleiner Anteil"
als AHV-pflichtiger Lohn abgerechnet. Der Rechtsdienst der
Sozialversicherungsanstalt entgegnete im Antwortschreiben vom 26. September
2011, es dürften keine weiteren Spesenabzüge vorgenommen werden, wenn mit der
separaten jährlichen Spesenentschädigung von Fr. 2'800.- seine Unkosten
abgegolten seien. Daraufhin verlangte A.________ eine einsprachefähige
Verfügung und machte für das Jahr 2013 Angaben über seine Bezüge "mit AHV" und
"ohne AHV" (Schreiben vom 23. September und 5. November 2014). Bezüglich
Parteiausgaben fügte A.________ an, diese betrügen für ihn 10 % des
Kantonsratshonorars. Bundessteuerrechtlich würden diese allerdings nicht als
Berufsausgaben, sondern als allgemeine Ausgaben (Parteispenden) betrachtet.
Allfällige Ausgaben für die Wahlen würden sich nur im Wahljahr, also alle vier
Jahre, ergeben.  
 
A.b. Die Ausgleichskasse des Kantons Zürich erliess am 18. Dezember 2014 und am
20. Januar 2015 vier Nachzahlungsverfügungen für die Jahre 2010 bis und mit
2013, mit denen sie bisherige als Unkostenentschädigung behandelte Entgelte
teilweise als massgebenden Lohn qualifizierte, Parteibeiträge als Unkosten
abzog und Beiträge nachforderte. Gegen diese Nachtragsverfügungen erhob der
Kanton Zürich, vertreten durch Parlamentsdienste des Kantons Zürich, mit
Eingaben vom 4. Februar und 24. April 2015 Einsprache, welche die
Ausgleichskasse mit Entscheid vom 3. August 2015 abwies.  
 
B.   
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hiess die Beschwerde des
Kantons Zürich gut und hob den Einspracheentscheid vom 3. August 2015 mit
Entscheid vom 27. Juni 2017 auf. 
 
C.   
Die Ausgleichskasse führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 27. Juni 2017 sei aufzuheben und der
Einspracheentscheid vom 3. August 2015 zu bestätigen. 
A.________ schliesst sich dem Antrag der Ausgleichskasse an. Der Kanton Zürich
beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen
(BSV) bezeichnet "die allgemeine Spesenpraxis" als "mehr als problematisch",
hält aber dafür, dass sich eine pauschale Regelung aufdrängen würde. Das BSV
verzichtet indes darauf, einen Antrag zu stellen. 
 
D.   
Mit Eingabe vom 17. September 2018 reicht der Kanton Zürich ein Merkblatt der
Ausgleichskasse vom 20. November 2017 ein. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Nach Art. 35 lit. a des Reglements für das Bundesgericht (BGerR; SR
173.110.131) ist die zweite sozialrechtliche Abteilung zuständig für die
Behandlung von Beschwerden im Bereich der Alters- und
Hinterlassenenversicherung. Vorliegend ist der Umfang der
sozialversicherungsrechtlichen Beitragspflicht eines kantonalen Parlamentariers
strittig. 
 
2.   
Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur soweit vorgebracht werden, als erst
der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG), was in der
Beschwerde näher darzulegen ist (BGE 133 III 393 E. 3 S. 395; Urteil 9C_221/
2016 vom 21. Juni 2016 E. 1.1). Echte Noven, d.h. Tatsachen und Beweismittel,
die erst nach dem vorinstanzlichen Entscheid entstanden sind, sind vor
Bundesgericht unzulässig (Urteile 8C_690/2011 vom 16. Juli 2012 E. 1.3 mit
Hinweis, nicht publ. in: BGE 138 V 286, aber in: SVR 2012 FZ Nr. 3 S. 7; 9C_185
/2016 vom 8. August 2016 E. 2). 
Der Beschwerdegegner 1 reicht neu ein Merkblatt der Ausgleichskasse vom 20.
November 2017 ein, welches als echtes Novum von vornherein unzulässig ist (BGE
140 V 543 E. 3.2.2.2 S. 548; MEYER/ DORMANN, in: Basler Kommentar,
Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 43 zu Art. 99 BGG). 
 
3.   
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
wegen Verletzung von Bundesrecht im Sinne von Art. 95 lit. a BGG erhoben
werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). 
 
4.  
 
4.1. Das kantonale Gericht legte die rechtlichen Grundlagen zur Beitragspflicht
von Behördenmitgliedern von Bund, Kantonen und der Gemeinden zutreffend dar,
worauf verwiesen wird (Art. 5 Abs. 1 und 2 sowie Art. 14 Abs. 1 AHVG i.V.m.
Art. 7 lit. i der Verordnung über die Alters- und Hinterlassenenversicherung
[AHVV; SR 831.101]). Richtig ist auch der Verweis auf die Definition der
Unkostenentschädigung in Art. 9 Abs. 1 und 2 AHVV sowie die Ausführungen des
Gerichts zu den Modalitäten der Abrechnungs- und Abgabepflichten (Art. 14 Abs.
1 AHVG i.V.m. Art. 35 f. AHVV). Die Vorinstanz zitierte zutreffend aus der
Wegleitung des BSV über den massgebenden Lohn (WML, gültig ab 1. Januar 2008,
Stand 1. Januar 2018, Rz 2046 i.V.m. Rz 4003 ff. betreffend Sitzungsgelder, Rz
3001 ff. und 3009 ff. betreffend Unkosten, Rz 3011 ff. betreffend die relative
Unverbindlichkeit der steuerrechtlichen Qualifikation). Hervorzuheben sind - in
Wiederholung der Ausführungen im angefochtenen Entscheid - die Randziffern 2047
und 2048 der Wegleitung. Sie lauten:  
 
"2047 Werden mit dem Sitzungsgeld auch Unkosten abgegolten, so können als
Unkostenersatz betrachtet werden höchstens bis zu 
- 120 Franken für halbtägige Sitzungen, 
- 200 Franken für ganztägige Sitzungen. 
 
2048 Der Unkostenersatz muss allerdings den tatsächlich entstandenen Spesen
gesamthaft gesehen entsprechen. Die oben erwähnten Ansätze sind also nicht
anwendbar, wenn den Sitzungsteilnehmenden keine oder tiefere Unkosten
entstehen." 
 
4.2. Die Entschädigungen sind im Beschluss des Kantonsrates über die
Festsetzung der Entschädigungen für die Mitglieder des Kantonsrates und für die
Fraktionen vom 26. April 1999 (LS 171.13; nachfolgend: Entschädigungsbeschluss)
festgelegt, aus welchem das kantonale Gericht ebenfalls zutreffend zitierte (E.
3.1 des vorinstanzlichen Entscheids); auch darauf kann verwiesen werden.
Wiederholenswert ist schliesslich, dass gemäss diesem Entschädigungsbeschluss
pro Amtsjahr neben einer Grundentschädigung von Fr. 4'000.- eine
Fahrtentschädigung sowie eine Spesenpauschale von Fr. 2'800.- vorgesehen sind.
 
 
4.3. Als weitere massgebliche Entscheidungsgrundlage führte die Vorinstanz in
ihrer Erwägung 3.3 die Korrespondenz zwischen der Beschwerdeführerin und dem
Beschwerdegegner 1 an. Sie zitierte aus drei Schreiben der Ausgleichskasse vom
2. Mai 1991 betreffend die "Beitragsmässige Behandlung der Sitzungsgelder/
Entschädigungen kantonaler Behördenmitglieder", vom 28. August 2002 mit dem
Titel "Sitzungsgelder von Mitgliedern des Kantonsrates: Die bisherige Regelung
ist weiterhin gültig" und schliesslich aus dem Schreiben vom 28. Mai 2013,
überschrieben mit "Sitzungsgelder: Mass der Unkosten- resp.
Spesenentschädigung".  
 
5.   
Streitig ist die Bundesrechtskonformität des angefochtenen kantonalen
Entscheids, der den Einspracheentscheid der Ausgleichskasse vom 3. August 2015
betreffend den Versicherten für die Jahre 2010 bis 2013 aufgehoben hat.
Unbestritten ist, dass das Entgelt aus Parlamentstätigkeit grundsätzlich
beitragspflichtiger Lohn nach Art. 5 Abs. 1 und 2 AHVG i.V.m. Art. 7 lit. i
AHVV darstellt, soweit dieses nicht Ersatz für Unkosten ist. Dies entspricht
denn auch der stetigen Rechtsprechung (Urteile [des Eidg.
Versicherungsgerichts] H 274/03 vom 2. August 2004 E. 3; EVGE 1966 S. 81; H 2/
54 vom 9. April 1954, publ. in: ZAK 1954 S. 266 f.; H 114/50 vom 4. September
1950, publ. in: ZAK 1950 S. 448 f.). 
 
5.1. Das kantonale Gericht erachtete ein Rückkommen auf die erfolgte
Beitragserhebung nach der bisherigen Praxis der pauschalen Unkostenregelung -
die für alle Mitglieder des Kantonsrates gleichermassen gelte - bereits deshalb
als "problematisch", weil sie die neue Bemessungsweise auf die Jahre 2010 bis
2013 und somit auf bereits abgerechnete Beitragsperioden zur Anwendung gebracht
habe, was dem Rückwirkungsverbot zuwiderlaufe. Überdies sei dies eine
Praxisänderung, die sich insoweit "als unstatthaft" erweise, als die
Ausgleichskasse nicht zu erkennen gebe, ob die neue Abrechnungsweise in Zukunft
für alle Ratsmitglieder wegleitend sein soll. Gegenteils komme sie faktisch nur
in denjenigen (Zu-) fällen zur Anwendung, in welchen die Ausgleichskasse im
Einzelfall Kenntnis von den tatsächlich entstandenen Spesen erhalte. Eine auf
Einzelfälle beschränkte Praxisänderung sei jedoch nicht nur rückwirkend,
sondern auch für die Zukunft mit dem Rechtsgleichheitsgebot unvereinbar, habe
doch die Behörde gleiche oder ähnliche Sachverhalte nach einheitlichen
Kriterien zu entscheiden. Die Ausgleichskasse habe mit den Schreiben vom 2. Mai
1991, vom 28. August 2002 und vom 28. Mai 2013 Festlegungen zur Beitragspflicht
der kantonalen Parlamentsmitglieder getroffen. Dies seien Zusicherungen für die
Rechtmässigkeit der bisherigen Praxis der pauschalen Beitragserhebung.
Ungeachtet von deren Rechtmässigkeit in materieller Hinsicht stehe diese
Praxisänderung von vornherein dem Prinzip von Treu und Glauben entgegen. Zu
materiellen Vorbringen - strittige Abzugsfähigkeit von Parteibeiträgen sowie
Umfang der Unkosten - nahm die Vorinstanz keine Stellung.  
 
5.2. Die Beschwerdeführerin bringt vor, bei der Vereinbarung mit dem Kanton
Zürich sei sie stets davon ausgegangen, dass die (Pauschal-) Regelung
betreffend die Sitzungsgelder zwar grosszügig bemessen sei. Gleichzeitig sei
sie jedoch von der Annahme ausgegangen, die gewährte Unkostenpauschale würde
ungefähr den effektiven Unkosten entsprechen. Auch bei pauschalisierten
Spesenregelungen müsse sie eine Aufrechnung vornehmen können, wenn sie Kenntnis
davon erhalte, dass die als Unkostenentschädigung bezeichneten Auszahlungen des
Arbeitgebers offensichtlich übersetzt seien. Die Unkosten müssten mit den im
Einzelfall tatsächlich gegebenen Verhältnissen in Einklang stehen.  
 
5.3. Gemäss Beschwerdegegner 1 sei die Behauptung der Beschwerdeführerin, sie
sei stets von der Angemessenheit der Unkostenpauschalen ausgegangen, neu und
daher unzulässig. Ebenso unzulässig sei deren Vorbringen, er, der
Beschwerdegegner 1, hätte schon in früheren Jahren Kenntnis davon haben müssen,
dass eine übersetzte Anrechnung von Unkosten erfolgt sei. Von einer
offensichtlich unrichtigen Sachverhaltsfeststellung des kantonalen Gerichts
könne nicht ausgegangen werden.  
 
6.   
Den verschiedenen in den Akten liegenden Schreiben zwischen der Ausgleichskasse
und dem Kanton ist Folgendes zu entnehmen: Vor 1991 wurden von den
Sitzungsgeldern der kantonalen Parlamentarier überhaupt keine Beiträge
abgerechnet (wie dies früher offenbar auch in anderen Kantonen der Fall war, so
im Kanton Graubünden; vgl. EVGE 1966 S. 81). Aus dem Schreiben der
Beschwerdeführerin vom 2. Mai 1991 geht denn auch hervor, dass in jenen Jahren
noch Uneinigkeit bestand über die grundsätzliche Beitragspflicht auf
Sitzungsgeldern der kantonalen Parlamentsmitglieder. Die Beschwerdeführerin
hielt dann aber immerhin fest: "Gegen die in unserer Stellungnahme vom 22.
Januar 1991 umschriebene Beitragspflicht haben Sie grundsätzlich nichts
einzuwenden." Vor diesem Hintergrund scheint es naheliegend, dass die
Beschwerdeführerin damals, um die grundsätzliche Beitragspflicht überhaupt
durchsetzen zu können, Hand bot für eine "grosszügige" Regelung, wie sie dies
selber in ihrem Schreiben vom 2. Mai 1991 taxiert hatte. 
 
7.   
 
7.1. Der Beschwerdegegner 1 stellt sich auf den Standpunkt, die Ausgleichskasse
sei mit neuen Vorbringen im bundesgerichtlichen Verfahren nicht zu hören (Art.
99 BGG). Dies betreffe die Behauptung der Kasse, sie sei stets davon
ausgegangen, dass die bisherige Unkostenregelung eine realistische Abbildung
der tatsächlichen Auslagen der Kantonsräte sei.  
Es ist höchst fraglich, kann aber offen bleiben, ob diese Behauptung neu und
damit unzulässig ist, oder ob sie lediglich als eine sachbezogene Präzisierung
eines Standpunktes, der schon im vorinstanzlichen Verfahren eingenommen worden
ist, zu qualifizieren ist (vgl. MEYER/DORMANN, in: Basler Kommentar,
Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 20 zu Art. 99 BGG). Die Ausgleichskasse
führte sowohl im Einspracheentscheid vom 3. August 2015 als auch in der
Vernehmlassung vom 1. Dezember 2015 zur Beschwerde vor dem kantonalen Gericht
aus, dass - auch bei Pauschallösungen - letztlich die tatsächlich aufgewendeten
Unkosten massgeblich seien. Selbst dem Schreiben der Beschwerdeführerin vom 26.
September 2011 ist ein deutlicher Hinweis auf Rz 2048 der WML zu entnehmen:
"Der Unkostenersatz muss allerdings den tatsächlich entstandenen Spesen
gesamthaft gesehen entsprechen. Die oben erwähnten Ansätze sind also nicht
anwendbar, wenn den Sitzungsteilnehmenden keine oder tiefere Unkosten entstehen
(WML Rz 2048)." 
 
7.2. Im Weiteren erblickt der Beschwerdegegner 1 im Vorgehen der
Ausgleichskasse einen Verstoss gegen Treu und Glauben. Dem kann aus folgenden
Gründen nicht beigepflichtet werden:  
 
7.2.1. Der in den Akten liegenden Korrespondenz zwischen der Ausgleichskasse
und dem Kanton Zürich (vgl. E. 6 hiervor) kann entnommen werden, dass die
sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht in der Vergangenheit immer wieder
zu Diskussionen Anlass gab. Trotz gesetzlicher Grundlage und Verordnungsvorgabe
und klarer Rechtsprechung (vgl. E. 4 und 5 hiervor) sind offenbar im Kanton
Zürich bis im Jahr 1991 die auf Sitzungsgelder der Kantonsräte geschuldeten
Beiträge überhaupt nicht entrichtet und noch 1990 grundsätzlich in Frage
gestellt worden (vgl. Schreiben der Ausgleichskasse vom 2. Mai 1991). Es wurden
bezüglich Abgabepflicht für die Sitzungsgelder praktikable Lösungen gesucht. Ob
dabei schon in jenem Zeitpunkt auch die zusätzlich zu den Sitzungsgeldern
entrichteten Pauschalspesen für die Räte mit im Fokus waren, lässt sich nicht
feststellen. Aus den weiteren Schreiben der Ausgleichskasse geht immerhin
hervor, dass nun wenigstens nicht mehr der Grundsatz der Beitragspflicht,
sondern die Höhe der Unkosten bei den Sitzungsgeldern kontrovers diskutiert
worden ist (Schreiben der Ausgleichskasse vom 28. August 2002 und vom 28. Mai
2013). Vor diesem Hintergrund - erst strittige Beitragspflicht im Grundsatz,
dann strittige Höhe der Unkosten - kann jedenfalls nicht von treuwidrigem
Verhalten der Ausgleichskasse gesprochen werden. Gegenteils hat sie aus
pragmatischen Gründen Hand geboten für einen praktikablen Vollzug; indes darauf
hingewiesen, dass die beitragsbefreiten Unkosten den tatsächlichen
Gegebenheiten der kantonalen Parlamentarier - wenn auch mehr oder weniger - zu
entsprechen haben.  
 
7.2.2. Adressat der strittigen Nachtragsverfügungen ist ausschliesslich der
Beschwerdegegner 2. Es ist offensichtlich, dass bei ihm die Höhe der
beitragslosen Spesen in keinem vernünftigen Verhältnis zu den Lohnbezügen
stehen. Im vorliegenden Verfahren ist nicht über die Beitragspflicht aller
Zürcher Kantonsräte zu befinden. Es wird Sache des Kantons bzw. der
Parlamentsdienste sein, eine Regelung für die Parlamentsmitglieder zu schaffen,
die einerseits praktikabel ist - wobei eine Pauschalregelung, wie auch das BSV
einräumt, nicht auszuschliessen ist - und andererseits Raum lässt für
individualisierte Lösungen wie der vorliegenden.  
 
8.  
 
8.1. Schliesslich laufen die strittigen Nachtragsverfügungen nicht dem
Rückwirkungsverbot zuwider, wie das kantonale Gericht dafür hält. Denn ein
Zurückkommen auf eine formell rechtskräftige Verfügung im Bereich des
Sozialversicherungsrechts ist unter anderem gemäss Art. 53 Abs. 2 ATSG möglich,
wenn die ursprüngliche rechtskräftige Verfügung zweifellos unrichtig ist und
deren Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist. Weder im kantonalen noch im
bundesgerichtlichen Verfahren ist dieser Rückkommenstitel von den Parteien in
Frage gestellt worden. Auch die Vorinstanz hat sich hierzu nicht geäussert.  
 
8.2. Dieser Rückkommenstitel liegt hier vor: Die früher offenbar verbreitete
Verwaltungspraxis, wonach Sitzungsgelder von Parlamentariern AHV-rechtlich
überhaupt nicht als Erwerbseinkommen behandelt wurden, beruhte nicht auf einer
besonderen, d.h. genügenden gesetzlichen Ermächtigung, wie das Eidgenössische
Versicherungsgericht in EVGE 1966 S. 81 erkannte, ohne die Frage indessen
abschliessend zu beurteilen. Im Urteil H 274/03 vom 2. August 2004 wurde die
grundsätzliche Beitragspflicht einer Stadt auf den Sitzungsgeldern der
Mitglieder des Stadtrates klar und unmissverständlich bejaht. Mit Bezug auf vom
massgebenden Lohn abziehbare Unkosten (Art. 9 AHVV) gilt seit jeher Folgendes
(vgl. statt vieler Urteil [des Eidg. Versicherungsgerichts] H 1/93 vom 2.
Dezember 1993 E. 3b mit Hinweisen) :  
 
"Nach ständiger Rechtsprechung und Verwaltungspraxis hat der Arbeitgeber bzw.
Arbeitnehmer nachzuweisen oder zumindest glaubhaft zu machen, dass die
behaupteten Unkosten tatsächlich entstanden sind. Wenn gewisse Unkosten mit
Sicherheit entstanden sind, ein genauer ziffernmässiger Nachweis aber wegen der
besonderen Verhältnisse des einzelnen Falles nicht möglich ist, so sind sie -
unter Berücksichtigung der glaubhaften Angaben von Arbeitgeber bzw.
Arbeitnehmer - zu schätzen (ZAK 1990 S. 38 E. 4; 1979 S. 78 E. 2b, je mit
Hinweisen; vgl. auch ZAK 1983 S. 321 E. 2; 1982 S. 370 E. 2d). Die Anerkennung
von Unkosten durch die Steuerbehörden ist für die Ausgleichskassen
grundsätzlich nicht verbindlich (ZAK 1990 S. 40; 1958 S. 366)." 
 
8.3. Im Lichte dieser Regelung ist die erste Beitragserhebung, die unter
Berücksichtigung der Vereinbarungen zwischen der Ausgleichskasse und dem Kanton
Zürich erfolgte und die im vorliegenden Fall der Rechtsprechung widerspricht,
weil sie nicht den effektiven Unkosten entspricht, als zweifellos unrichtig im
wiedererwägungsrechtlichen Sinne zu bezeichnen. Der vorinstanzliche Entscheid
kann folglich nicht bestätigt werden und ist aufzuheben.  
 
9.  
 
9.1. Die Beschwerdeführerin beantragt die Bestätigung des Einspracheentscheids
vom 3. August 2015. Im Nachfolgenden bleibt folglich dessen Rechtmässigkeit zu
prüfen. Dabei fällt auf, dass die Ausgleichskasse die Parteibeiträge im
Einspracheentscheid als Unkosten qualifizierte und diese vom
beitragspflichtigen Einkommen in Abzug brachte, wobei sich die Frage stellt, ob
dies unter Berücksichtigung der geltenden Rechtsprechung (vgl. E. 8 hiervor)
zulässig ist. Die Vorinstanz äusserte sich nicht dazu. Da die Sache jedoch
liquid ist, kann das Bundesgericht darüber befinden.  
Das Bundesgericht liess im Urteil vom 2. August 2004 (H 274/03 E. 4.3) offen,
ob Behördenbeiträge an Parteien und Fraktionsbeiträge, die je nach Partei oder
Fraktion nach sehr unterschiedlichen masslichen Kriterien festgesetzt und
lediglich freiwillig zu leisten sind, dennoch als notwendig für die
Lohnerzielung und damit als abzugsfähig zu betrachten sind. Steuerrechtlich
stellen Beiträge an politische Parteien keine Gewinnungskosten oder
Berufsauslagen dar (BGE 142 II 293 E. 4 S. 301 ff.; 124 II 29 E. 2-5 S. 30 ff.;
Urteil 2A.647/2005 vom 7. Juni 2007 E. 3.3, in: StR Nr. 62 2007 S. 648). 
Es ist kein Grund ersichtlich, diese Ausgaben beitragsrechtlich anders zu
behandeln. Wie schon im erwähnten Entscheid H 274/03 angedeutet, sind
Parteibeiträge letztlich freiwillig zu leisten und somit für die Lohnerzielung
nicht notwendig. Es kommt hinzu, dass diese Beiträge unterschiedlich hoch sind.
Im Urteil H 274/03 sind Ausgaben für Abstimmungs- und Wahlkämpfe als nicht
abzugsfähige Mittelverwendung qualifiziert worden, weil sie für die Tätigkeit
(dort: als Stadtrat) nicht zwingend notwendig sind. All diese Kriterien -
steuerrechtliche Qualifizierung, Freiwilligkeit bzw. nicht zwingend notwendig
für die Ausübung des Amtes, unterschiedliche Höhe - sprechen dafür, dass nicht
nur Ausgaben für Wahlkämpfe und Abstimmungen, sondern gleichermassen auch
Parteibeiträge als nicht abzugsfähige Unkosten zu qualifizieren sind. 
 
9.2. Zusammengefasst hat der Einspracheentscheid vom 3. August 2015 im
Grundsatz Bestand. Die Höhe der Beitragspflicht ist jedoch gemäss vorstehender
Erwägung 9.1 vom Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zu korrigieren.
Sie wird dabei den Kanton Zürich auf die im Verhältnis zum Einspracheentscheid
vom 3. August 2015 mögliche drohende Schlechterstellung (reformatio in peius)
und auf die Option des Beschwerderückzugs aufmerksam machen müssen (Art. 61
lit. d ATSG; BGE 131 V 414 E. 1 S. 416; 122 V 166).  
 
10.   
Die Beschwerdeführerin dringt mit ihrem Begehren zur Hauptsache durch. Sie
unterliegt in einem untergeordneten Punkt betreffend die beitragsrechtliche
Qualifikation der Parteibeiträge. Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens
werden entsprechend dem Anteil von Obsiegen und Unterliegen gemäss Art. 66 Abs.
1 BGG zu drei Vierteln dem Beschwerdegegner 1 und zu einem Viertel der
Beschwerdeführerin auferlegt. Die Beschwerdeführerin hat keinen Anspruch auf
Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, als der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 27. Juni 2017 und der
Einspracheentscheid der Ausgleichskasse des Kantons Zürich vom 3. August 2015
aufgehoben werden. Die Sache wird im Sinne der Erwägungen an das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 900.- werden zu einem Viertel (Fr. 225.-) der
Beschwerdeführerin und zu drei Vierteln (Fr. 675.-) dem Beschwerdegegner 1
auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 16. Oktober 2018 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Die Gerichtsschreiberin: Huber 

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