Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 609/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
9C_609/2017  
 
 
Urteil vom 2. Mai 2018  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichter Parrino, 
nebenamtlicher Bundesrichter Weber, 
Gerichtsschreiber R. Widmer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Rolf W. Rüegg, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Ausgleichskasse des Kantons Uri, 
Dätwylerstrasse 11, 6460 Altdorf, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Alters- und Hinterlassenenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid 
des Obergerichts des Kantons Uri 
vom 7. Juli 2017 (OG V 16 29). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ ist seit 18. Juni 2009 als kollektivzeichnungsberechtigt und seit 2.
November 2009 als Vorsitzender der Geschäftsleitung der B.________ GmbH im
Handelsregister eingetragen. Am 11. Oktober 2012 stellte das Betreibungsamt der
B.________ GmbH in der Betreibung Nr. xxx einen am 10. Oktober 2012
ausgestellten Zahlungsbefehl zu. Nachdem die Betriebene am 12. Oktober 2012
Rechtsvorschlag erhoben hatte, erliess die Ausgleichskasse des Kantons Uri am
17. Oktober 2012 eine Veranlagungsverfügung über Fr. 184'650.25 für Beiträge
für das Jahr 2009, einschliesslich Verwaltungskosten, ALV-Beiträge,
FAK-Beiträge, Mahngebühren und Verzugszinsen sowie Betreibungskosten, unter
Abzug von Zahlungen/Gutschriften in der Höhe von Fr. 69'580.85, total somit
über Beitragsausstände von Fr. 115'069.40. Am 12. März 2014 stellte das
Betreibungsamt in der Betreibung Nr. xxx einen Verlustschein infolge Pfändung
über Fr. 95'386.25 aus. Aus der aufgrund dieses Verlustscheins erneut
eingeleiteten Betreibung Nr. yyy resultierte ein vom Betreibungsamt am 16.
April 2015 ausgestellter Verlustschein über Fr. 83'988.40. Mit Verfügung vom 7.
Dezember 2015 verpflichtete die Ausgleichskasse A.________, ihr einen Schaden
in der Höhe von Fr. 72'228.55 zu ersetzen, woran sie auf Einsprache hin mit
Entscheid vom 6. Juli 2016 festhielt. 
 
B.   
A.________ reichte Beschwerde ein mit dem Antrag, unter Aufhebung des
Einspracheentscheids sei festzustellen, dass er der Ausgleichskasse keinen
Schadenersatz schuldet. Mit Entscheid vom 7. Juli 2017 wies das Obergericht des
Kantons Uri die Beschwerde ab. 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________
beantragen, der vorinstanzliche Entscheid und der Einspracheentscheid seien
aufzuheben mit der Feststellung, dass er nicht schadenersatzpflichtig ist. 
Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das
Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es legt seinem
Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105
Abs. 1 BGG) und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen
oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
1.2. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen vor Bundesgericht nur so weit
vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (
Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 135 V 194), was in der Beschwerde näher darzulegen ist
(BGE 133 III 393 E. 3 S. 395). Der vorinstanzliche Verfahrensausgang allein
bildet noch keinen hinreichenden Anlass im Sinne von Art. 99 Abs. 1 BGG für die
Zulässigkeit von unechten Noven, die bereits im kantonalen Verfahren ohne
weiteres hätten vorgebracht werden können. Das Vorbringen von Tatsachen, die
sich erst nach dem angefochtenen Entscheid ereigneten oder entstanden (echte
Noven), ist vor Bundesgericht unzulässig (BGE 143 V 19 E. 1.2 S. 22 f. mit
Hinweisen).  
 
2.   
Der letztinstanzlich neu aufgelegte, erst nach Erlass des angefochtenen
Entscheids verfasste Kontoauszug der Ausgleichskasse vom 8. September 2017 hat
somit als echtes Novum unbeachtlich zu bleiben. Dies gilt im Übrigen auch
deshalb, weil das Gericht praxisgemäss den Sachverhalt beurteilt, wie er sich
bis zum Zeitpunkt des Verfügungserlasses oder des Einspracheentscheids
entwickelt hat (BGE 121 V 362 E. 1b S. 366 mit Hinweisen; Urteil 8C_158/2017
vom 22. August 2017 E. 2). 
 
3.  
 
3.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat,
indem sie die Schadenersatzforderung der Ausgleichskasse in der Höhe von Fr.
72'228.55 bestätigt hat.  
3.2 Im angefochtenen Entscheid wurden die Grundlagen der Arbeitgeberhaftung (
Art. 52 AHVG; Art. 14 Abs. 1 und Art. 51 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34
ff. AHVV) und die hierzu ergangene Rechtsprechung zutreffend dargelegt. Es
betrifft dies insbesondere die subsidiäre Haftung der Organe eines Arbeitgebers
(BGE 129 V 11; 126 V 237; 123 V 12 E. 5b S. 15; je mit Hinweisen) sowie deren
Voraussetzungen der Widerrechtlichkeit (Missachtung von Vorschriften zur
Pflicht zur Abrechnung und Bezahlung der Beiträge), des qualifizierten
Verschuldens (und den dabei zu berücksichtigenden - differenzierten -
Sorgfaltsmassstab [vgl. auch BGE 108 V 199 E. 3a S. 202 f; siehe auch THOMAS
NUSSBAUMER, Die Haftung des Verwaltungsrates nach Art. 52 AHVG, in: AJP 9/96 S.
1071 ff., insbesondere 1077; MARCO REICHMUTH, Die Haftung des Arbeitgebers und
seiner Organe nach Art. 52 AHVG, 2008, Rz. 534 ff., insbesondere 548 ff.]) und
des adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen der schuldhaften Verletzung von
Vorschriften und dem Eintritt des Schadens (BGE 119 V 401). Richtig
wiedergegeben hat das kantonale Gericht auch die Grundsätze zu den
haftungsausschliessenden Rechtfertigungs- und Exkulpationsgründen (BGE 108 V
183). Darauf wird verwiesen. 
 
4.  
 
4.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Ausgleichskasse habe bei der
Berücksichtigung der von der B.________ GmbH geleisteten Zahlungen Art. 87 Abs.
1 OR verletzt, indem sie die eingehenden Zahlungen willkürlich den einzelnen
offenen Positionen zugeordnet habe. Dieses Argument und die dazugehörige
tatsächliche Behauptung, es hätten noch zusätzliche Zahlungen der B.________
GmbH bei Festlegung der Beitragsausstände für das Jahr 2009 berücksichtigt
werden müssen, werden erstmals im letztinstanzlichen Verfahren vorgebracht.
Dieses Vorbringen tatsächlicher Natur kann schon aufgrund von Art. 97 Abs. 1
und Art. 99 Abs. 1 BGG nicht gehört werden, da die Höhe der
Schadenersatzforderung bereits im kantonalen Prozess Verfahrensgegenstand
bildete und der Beschwerdeführer diese Rüge, falls im Rahmen des
Schadenersatzverfahrens zulässig, dort hätte vorbringen müssen, was er indessen
unterlassen hat. Ein entsprechender Einwand kann auch nicht in Ziff. 14 der
Beschwerde an das Obergericht erblickt werden. Dort wurde einzig geltend
gemacht, die Ausgleichskasse habe selbst entscheiden können, für welche
Forderungen sie mit den eingehenden Zahlungen befriedigt werden wollte. Dies
genügt nicht, da der Hinweis lediglich allgemein gehalten war und nicht die
Deckung der Beitragsausstände für 2009 zum Gegenstand hatte. Der
Beschwerdeführer reichte zwar am 13. September 2016 den Auszug der
Ausgleichskasse vom 18. August 2011 ein, die dort auf Seite 6 aufgeführte
"Gutschrift" für das Jahr 2010 über Fr. 38'507.75, die er nun unter Hinweis auf
Art. 87 OR beim Beitragsjahr 2009 angerechnet haben will, hat er indessen nicht
beanstandet.  
 
4.2. Die Ausgleichskasse erliess gegenüber der B.________GmbH, nachdem diese am
11. Oktober 2012 gegen den Zahlungsbefehl Nr. xxx Rechtsvorschlag erhoben
hatte, am 17. Oktober 2012 für die ausstehenden Beiträge 2009 eine
Veranlagungsverfügung. Dabei berücksichtigte sie Zahlungen/Gutschriften von Fr.
69'580.85, sodass eine ausstehende Summe von Fr. 115'069.40 (einschliesslich
Verwaltungskosten, ALV-Beiträge, FAK-Beiträge, Mahngebühren, Verzugszinsen und
Betreibungskosten) resultierte. Die B.________ GmbH hätte damals im Rahmen
einer Einsprache allenfalls zusätzliche Gutschriften/Zahlungen, die nach ihrer
Auffassung auch auf die ausstehenden Beiträge 2009 anzurechnen gewesen wären,
geltend machen müssen. Dies betrifft insbesondere auch die erwähnte Position
von Fr. 38'507.75 vom 30. August 2010, die nach Auffassung des
Beschwerdeführers dem Jahr 2009 und nicht dem Jahr 2010 hätte zugeordnet werden
sollen. Indessen erwuchs die Veranlagungsverfügung vom 17. Oktober 2012 über
Fr. 115'069.40 an ausstehenden Beiträgen für das Jahr 2009 in formelle
Rechtskraft; denn andernfalls hätte die Betreibung Nr. xxx gar nicht bis zur
Ausstellung eines Verlustscheines infolge Pfändung (am 12. März 2014)
fortgesetzt werden können.  
 
4.3. Der Beschwerdeführer war im Zeitpunkt des Erlasses der
Veranlagungsverfügung vom 17. Oktober 2012, mit welcher Lohnbeiträge in der
Höhe von Fr. 115'069.40 für das Jahr 2009 festgelegt wurden, schon seit
mehreren Jahren (seit 6. November 2009) Vorsitzender und Geschäftsführer der
B.________ GmbH gewesen. Er kann somit auch unter Berufung auf die
Rechtsweggarantie die rechtskräftigen Beitragsverfügungen im
Schadenersatzverfahren nicht mehr in Frage stellen (BGE 134 V 401 E. 5.2 S.
403).  
 
4.4. Der Beschwerdeführer wendet ein, dass die B.________ GmbH wegen des
Pfändungsvollzugs aufgrund der Betreibung Nr. xxx keinen Einfluss mehr auf die
Zahlungen habe nehmen können, da über die Zuweisung der Zahlungen an die
einzelnen Gläubiger das Betreibungsamt entschieden habe. Dem ist
entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer als massgebendes Organ der
B.________ GmbH es unterlassen hatte, schon vor dem Pfändungsvollzug für eine
Begleichung der Beiträge für das Jahr 2009 zu sorgen, obwohl er bereits seit 6.
November 2009 Organstellung hatte. Die Beitragsausstände für das Jahr 2009
waren offensichtlich auch nicht die einzigen Schulden der B.________ GmbH.
Unter Berücksichtigung der vom Beschwerdeführer geltend gemachten monatlichen
Zahlungen von Fr. 5'000.- an das Betreibungsamt hätten sonst am 12. März 2014
bzw. am 16. April 2015 nicht entsprechende Verlustscheine ausgestellt werden
müssen. Vielmehr wären dann die Beträge erheblich tiefer ausgefallen. Es kann
nicht angehen, aufgrund dieser Umstände der Ausgleichskasse ein
Selbstverschulden anzulasten oder eine Exkulpation des Beschwerdeführers
anzunehmen. Vielmehr ist dieser für die zumindest teilweise eingetretene
Illiquidität der B.________ GmbH verantwortlich. Dementsprechend ist er für den
durch den im Verlustschein vom 16. April 2015 ausgewiesenen Betrag von Fr.
83'998.40 bzw. die dann letztlich noch resultierende Forderung von Fr.
72'228.55 schadenersatzpflichtig.  
 
4.5. Mit der am 7. Dezember 2015 erlassenen Schadenersatzverfügung hielt die
Beschwerdegegnerin die zweijährige Verwirkungsfrist gemäss Art. 52 Abs. 3 AHVG
ein, nachdem der massgebende Schaden durch den definitiven Verlustschein vom
12. März 2014 in der Betreibung Nr. xxx bezifferbar war (SVR 2017 AHV Nr. 21 E.
4.2.2, 9C_166/2017).  
5. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem unterliegenden
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Uri,
Verwaltungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 2. Mai 2018 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Der Gerichtsschreiber: Widmer 

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