Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 597/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 

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9C_597/2017            

 
 
 
Urteil vom 4. Dezember 2017  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichterinnen Glanzmann, Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiber Grünenfelder. 
 
Verfahrensbeteiligte 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, 
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Procap für Menschen mit Handicap, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St.
Gallen 
vom 9. August 2017 (IV 2016/172). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ (geb. 1955) arbeitete während langer Jahre als selbstständiger
Autospengler. Im März 2014 meldete er sich unter Hinweis auf Müdigkeit,
Rückenschmerzen und Bewegungseinschränkungen (Einschlafen der Füsse) bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Eine erste abweisende Verfügung
der IV-Stelle des Kantons St. Gallen vom 2. Oktober 2014 hob das kantonale
Gericht am 19. Mai 2015 auf und wies die Sache zur weiteren Abklärung an die
Verwaltung zurück. Diese holte bei der Aerztlichen Begutachtungsinstitut GmbH,
Basel (ABI), eine polydisziplinäre Expertise ein (Gutachten vom 29. Februar
2016). Gestützt darauf verneinte die IV-Stelle einen Leistungsanspruch nach
Durchführung des Vorbescheidverfahrens mit Verfügung vom 20. April 2016erneut
(Invaliditätsgrad: 39 %). 
 
B.   
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen gut, hob die angefochtene Verfügung auf und sprach dem Versicherten ab
1. September 2014 eine halbe Invalidenrente zu (Invaliditätsgrad: 51 %). Zur
Festsetzung des Rentenbetrages wies das kantonale Gericht die Sache an die
Verwaltung zurück. 
 
C.   
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit
dem Rechtsbegehren, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Verfügung
vom 20. April 2016 zu bestätigen. Ferner ersucht sie um aufschiebende Wirkung
der Beschwerde. 
A.________ und da s kantonale Gerich t schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Das kantonale Gericht hat die Verfügung vom 20. April 2016aufgehoben und die
Sache in masslicher Hinsicht an die IV- Stelle zurückgewiesen. Formell handelt
es sich demnach um einen Rückweisungsentscheid. Die Rückweisung dient hier
jedoch lediglich der rechnerischen Umsetzung des oberinstanzlich Angeordneten,
sodass der Verwaltung kein Entscheidungsspielraum mehr verbleibt. Damit ist der
angefochtene Entscheid praxisgemäss nicht als Zwischenentscheid, der bloss
unter den Voraussetzungen der Art. 92 f. BGG beim Bundesgericht anfechtbar
wäre, sondern als ein das Verfahren prozessual abschliessender Endentscheid (
Art. 90 BGG) zu qualifizieren (vgl. SVR 2008 IV Nr. 39 S. 131, 9C_684/2007 E.
1.1). Auf die Beschwerde ist daher einzutreten. 
 
2.   
Das Valideneinkommen von selbstständig Erwerbenden kann grundsätzlich auf der
Basis der Einträge im individuellen Konto (nachfolgend: IK) bestimmt werden.
Weist das bis Eintritt der Invalidität erzielte Einkommen starke und
verhältnismässig kurzfristig in Erscheinung getretene Schwankungen auf, ist auf
den während einer längeren Zeitspanne erzielten Durchschnittsverdienst
abzustellen. Dass auch bei Erwerbstätigen unter Umständen nicht auf das zuletzt
erzielte Einkommen abgestellt wird, ist indessen nicht ausgeschlossen. Dies
trifft namentlich bei selbstständig Erwerbenden zu, wenn aufgrund der Umstände
mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die versicherte
Person im Gesundheitsfall ihre nicht einträgliche selbstständige Tätigkeit
aufgegeben und eine besser entlöhnte andere Tätigkeit angenommen hätte (statt
vieler: Urteile 8C_450/2016 vom 6. Oktober 2016 E. 3.2.2 und 8C_567/2013 vom
30. Dezember 2013 E. 2.2.2). 
 
3.  
 
3.1. Das kantonale Gericht hat das Valideneinkommen anhand des Lohnrechners des
Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) (www.lohnrechner.ch) auf Fr. 86'880.-
(12 x Fr. 7'240.-) festgelegt. Es hat erwogen, auf den (Durchschnitts-)
Verdienst des Versicherten aus seiner selbstständigen Erwerbstätigkeit als
Autospengler könne nicht abgestellt werden, weil diesfalls - aufgrund des
tiefen Valideneinkommens - ein negativer Invaliditätsgrad resultiere, was eine
Absurdität darstelle. Dies gelte umso mehr, als die ausgewiesenen IK-Einträge
stark schwankten. Überdies werde damit nicht ausgesagt, welchen Lohn der
Versicherte als Gesunder im Zeitpunkt eines allfälligen Rentenbeginns als
selbstständiger Autospengler effektiv hätte verdienen können.  
 
3.2. Die IV-Stelle macht einzig geltend, das Valideneinkommen sei gestützt auf
das in den letzten zehn Jahren vor Eintritt des Gesundheitsschadens (im April
2013) durchschnittlich erzielte Einkommen des Versicherten zu bestimmen.  
 
4.  
 
4.1. Dem ist beizupflichten: Es steht fest, dass die vom Versicherten als
selbstständiger Autospengler zwischen 2003 und 2012 erwirtschafteten Einkommen
erheblich schwankten (2003: Fr. 20'600.-; 2004: Fr. 33'200.-; 2005: Fr.
29'500.-; 2006: Fr. 26'800.-; 2007: Fr. 72'500.-; 2008: Fr. 31'400.-; 2009: Fr.
38'600.-; 2010: Fr. 54'400.-; 2011: Fr. 12'900.-; 2012: Fr. 26'300.-). Die
Vorinstanz übersieht, dass für die Bemessung des Valideneinkommens massgebend
ist, was die versicherte Person im Gesundheitsfall konkret verdienen würde, und
nicht, was sie bestenfalls verdienen könnte (statt vieler: BGE 142 V 290 E. 5
S. 294; Urteil 9C_644/2015 vom 3. Mai 2016 E. 4.6.1). Der Versicherte erklärte
im Rahmen der erwerblichen Abklärungen explizit, er habe bis vor kurzem noch
gehofft, seine Arbeit als Autospengler wieder aufnehmen zu können. Mittlerweile
habe er aber einsehen müssen, dass dies (aus gesundheitlichen Gründen) nicht
mehr gehe (vgl. Assessmentprotokoll vom 14. April 2014, S. 3). Daraus kann ohne
weiteres geschlossen werden, dass der Versicherte seine selbstständige
Erwerbstätigkeit ohne Eintritt des Gesundheitsschadens mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit weiterführen würde, was die Auffassung der IV-Stelle stützt
(vgl. E. 2 e contrario). Dass ein Abstellen auf den im Durchschnitt erzielten
Verdienst als Autospengler in concreto zu einer "negativen Invalidität" führt
(vgl. vorinstanzliche Erwägung 3.2), ändert nichts: Dies rührt vielmehr daher,
dass sich der Versicherte als Gesunder aus freien Stücken jahrelang mit
bescheidenen Erwerbseinkommen begnügte. Indessen ist dieser freiwillig nicht
verwertete Teil der Erwerbsfähigkeit - entgegen der Ansicht des kantonalen
Gerichts - klarerweise nicht versichert, was im Übrigen auch eine
Einkommensparallelisierung ausschliesst (statt vieler: BGE 135 V 58 mit Hinweis
auf BGE 134 V 322 E. 4.1 S. 325). Für eine Praxisänderung besteht keine
Veranlassung (zu den Voraussetzungen: BGE 141 II 297 E. 5.5.1 S. 303; 137 V 417
E. 2.2.2 S. 422).  
 
4.2. Nach dem Gesagten ergibt sich aus der Gegenüberstellung des
(durchschnittlichen) Valideneinkommens von Fr. 34'620.- (Summe der IK-Einträge
von 2003 bis 2012 = Fr. 346'200.- : 10) mit dem (unbestritten gebliebenen)
Invalideneinkommen von Fr. 42'167.- eindeutig kein Rentenanspruch. Nähere
Ausführungen zur Invaliditätsbemessung erübrigen sich. Der vorinstanzliche
Entscheid verletzt Bundesrecht (Art. 95 lit. a BGG).  
 
5.   
Da die Beschwerde offensichtlich begründet ist, wird sie im Verfahren nach Art.
109 Abs. 2 lit. b BGG mit summarischer Begründung (Art. 109 Abs. 3 Satz 1 BGG)
erledigt. 
 
6.   
Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung der
Beschwerde gegenstandslos. 
 
7.   
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden
Beschwerdegegner aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des
Kantons St. Gallen vom 9. August 2017 wird aufgehoben und die Verfügung der
IV-Stelle des Kantons St. Gallen vom 20. April 2016 bestätigt. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt. 
 
3.   
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen
zurückgewiesen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 4. Dezember 2017 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder 

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