Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 572/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
9C_572/2017  
 
 
Urteil vom 24. Mai 2018  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Meyer, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin Glanzmann, Bundesrichter Parrino, 
Gerichtsschreiber Williner. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Zimmermann, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, 
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegnerin, 
 
BVG X.________ GmbH. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau 
vom 21. Juni 2017 (VBE.2017.97). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1960 geborene A.________ meldete sich im Oktober 1998 unter Hinweis auf
eine Bandscheibenoperation bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an.
Die IV-Stelle des Kantons Aargau veranlasste verschiedene Abklärungen in
medizinischer und erwerblicher Hinsicht. Mit Verfügung vom 25. August 2000
sprach sie dem Versicherten rückwirkend ab dem 1. Juli 1999 eine ganze Rente
der Invalidenversicherung zu (Invaliditätsgrad 100 %). Dieser Rentenanspruch
wurde im Rahmen mehrerer Revisionsverfahren bestätigt (Mitteilungen vom 24.
November 2000, 7. Dezember 2001, 28. April 2006 und 3. September 2009). 
Anlässlich einer im September 2014 eingeleiteten erneuten Rentenüberprüfung
ordnete die IV-Stelle eine polydisziplinäre
(internistisch-neurochirurgisch-orthopädisch-psychiatrische) Begutachtung bei
der PMEDA Polydisziplinäre Medizinische Abklärungen (nachfolgend: PMEDA) an.
Gestützt auf deren Expertise vom 15. August 2016 sowie nach Rückfrage beim
Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD; Stellungnahme vom 3. September 2016) stellte
die Verwaltung mit Vorbescheid vom 16. September 2016 in Aussicht, die bisher
ausgerichtete Rente auf das Ende des der Zustellung der Verfügung folgenden
Monats wiedererwägungsweise aufzuheben (Invaliditätsgrad 13 %). Nachdem
A.________ hiegegen verschiedene Einwände vorgebracht hatte, verfügte die
IV-Stelle am 13. Dezember 2016 wie vorbeschieden. 
 
B.   
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau ab (Entscheid vom 21. Juni 2017). 
 
C.   
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt, es seien ihm unter Aufhebung des angefochtenen Entscheids weiterhin
die gesetzlichen Leistungen, insbesondere eine ganze Rente der
Invalidenversicherung, zuzusprechen. In verfahrensmässiger Hinsicht ersucht er
um unentgeltliche Rechtspflege. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (
Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
1.2. Bei den vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit der versicherten Person handelt es sich grundsätzlich um
Entscheidungen über Tatfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.), welche das
Bundesgericht seiner Urteilsfindung zugrunde zu legen hat. Die konkrete
Beweiswürdigung stellt ebenfalls eine Tatfrage dar. Dagegen ist die Beachtung
des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln eine frei
überprüfbare Rechtsfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.; SVR 2014 IV
Nr. 1 S. 1, 9C_228/2013 E. 1.2; 2014 IV Nr. 20 S. 72, 9C_460/2013 E. 1.3).  
 
2.  
 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz die wiedererwägungsweise
Aufhebung des Rentenanspruchs des Beschwerdeführers per Ende Januar 2017 zu
Recht geschützt hat.  
 
2.2. Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze zur
Wiedererwägung gemäss Art. 53 Abs. 2 ATSG zutreffend dargelegt. Darauf wird
verwiesen.  
Zu ergänzen ist, dass die Feststellungen, welche der Beurteilung der
zweifellosen Unrichtigkeit zugrunde liegen, tatsächlicher Natur und folglich
nur eingeschränkt überprüfbar sind. Dagegen ist die Auslegung und
Konkretisierung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs als
Wiedererwägungsvoraussetzung eine Rechtsfrage, die das Bundesgericht
grundsätzlich frei prüft (Art. 95 lit. a BGG; Urteil 9C_309/2017 vom 13. Juli
2017 E. 2.2.2 mit Hinweisen). 
 
3.   
Die Vorinstanz stellte gestützt auf die hausärztlichen Berichte des Dr. med.
B.________, FMH Innere Medizin, vom 17. Dezember 1998 und vom 8. März 1999
fest, ab März 1999 bis mindestens September 1999 habe eine Arbeitsfähigkeit von
100 % für den Leiden angepasste Tätigkeiten bestanden. Die danach von Dr. med.
C.________, FMH Neurochirurgie, im Bericht vom 25. Januar 2000 attestierte
Arbeitsunfähigkeit von 50-100 % beziehe sich einzig auf die angestammte
Tätigkeit als Glockengiesser. Zu der Arbeitsfähigkeit in angepasster Tätigkeit
habe er sich bewusst nicht geäussert. Er habe explizit festgehalten, zur
Beantwortung weiterer Fragen hinsichtlich einer zumutbaren Tätigkeit müsse die
Myelographie sowie die Operation (vom 28. März 2000; Operationsbericht des
Spitals D.________ vom 29. März 2000) abgewartet werden. Trotz dieses
unmissverständlichen Bedarfs für ein Zuwarten habe die IV-Stelle gemäss
Mitteilung vom 3. März 2000 einen Invaliditätsgrad von 100 % festgestellt und
eine Überprüfung drei Monate postoperativ in Aussicht gestellt. Entsprechende
Abklärungen habe die Verwaltung aber nie vorgenommen, obwohl die Verfügung vom
25. August 2000 erst fünf Monate nach erfolgter Operation erlassen worden sei. 
Gestützt auf diese Feststellungen kam das kantonale Gericht zum Schluss, die
von der Verwaltung angenommene Invalidität von 100 % entbehre jeglicher
Grundlage in den medizinischen Akten. Aufgrund der Ausführungen des Dr. med.
C.________ im Bericht vom 25. Januar 2000 liege auch eine klare Verletzung des
Untersuchungsgrundsatzes vor, womit die Rentenverfügung vom 25. August 2000 als
zweifellos unrichtig zu qualifizieren und ein wiedererwägungsweises
Zurückkommen darauf nicht zu beanstanden sei. 
 
4.  
 
4.1. Die Vorbringen des Beschwerdeführers sind nicht geeignet, die
Rechtmässigkeit der vorinstanzlichen Betrachtungsweise ernsthaft in Zweifel zu
ziehen. Insbesondere legt er nicht substanziiert dar und ist nicht ersichtlich,
inwiefern die vorinstanzliche Feststellung, für den Zeitraum ab dem 27.
September 1999 habe es an einer Einschätzung der Arbeitsfähigkeit in
leidensangepasster Tätigkeit gefehlt, offensichtlich unrichtig sein oder
sonstwie Bundesrecht verletzen soll. Nicht stichhaltig ist die vom
Beschwerdeführer stattdessen vorgebrachte Darlegung seiner eigenen Sicht der
Dinge, wonach die Annahme einer vollständigen Erwerbsunfähigkeit wegen zwei
Rückenoperationen sowie gestützt auf die "medizinischen Akten" korrekt sei. Auf
solche appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid geht das Bundesgericht
nicht ein (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1 S. 253; 140 III 264 E. 2.3 S. 266 mit
Hinweisen; Urteil 8C_709/2017 vom 27. April 2018 E. 4.2).  
 
4.2. Nichts zu seinen Gunsten abzuleiten vermag der Beschwerdeführer aus dem
Einwand, es hätte sich in Anbetracht seiner gesundheitlichen Situation trotz
der kurzzeitigen Arbeitsfähigkeit von 100 % für angepasste Tätigkeiten auf dem
ausgeglichenen Arbeitsmarkt ohnehin kein Arbeitgeber gefunden, der ihn
angestellt hätte. Diese Behauptung gründet in der nicht erstellten Annahme, im
Anschluss an die Phase der vollständigen Arbeitsfähigkeit für adaptierte
Tätigkeiten (unbestritten mindestens von März bis September 1999; vgl. E. 4.1
hievor) hätte diesbezüglich eine wesentliche Einschränkung bestanden. Mit
dieser Argumentation lässt er ausser Acht, dass es gemäss den verbindlichen
vorinstanzlichen Feststellungen gerade an den für eine solche Einschätzung
notwendigen fachärztlichen Abklärungen fehlte (vgl. E. 4.1 hievor). Solche sind
für die Prüfung eines Leistungsanspruchs indessen unerlässlich und lassen sich
entgegen der Beschwerde nicht durch zeitnah in Aussicht gestellte Revisionen
ersetzen. Im Übrigen lagen auch der (bereits in der Verfügung vom 25. August
2000 angekündigten) im September 2000 eingeleiteten ersten Rentenüberprüfung
keine ärztlichen Berichte zugrunde, welche sich zur Arbeitsfähigkeit in
angepasster Tätigkeit äusserten. Namentlich wies der Hausarzt Dr. med.
B.________ im Bericht vom 14. November 2000 u.a. darauf hin, es sei für ihn
schwierig einzuschätzen, inwiefern beim Beschwerdeführer eine Eingliederung
wieder möglich sei. Eine konkrete Einschätzung der Arbeitsfähigkeit in
angepasster Tätigkeit nahm er somit nicht vor.  
 
5.   
Unbestritten geblieben ist die vorinstanzliche Anspruchsprüfung ex nunc et pro
futuro. Weiterungen dazu erübrigen sich. 
 
6.   
Ausgangsgemäss wird der Beschwerdeführer grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 66
Abs. 1 Satz 1 BGG). Seinem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege kann
entsprochen werden (Art. 64 Abs. 1 BGG), da seine Bedürftigkeit anhand der
Akten ausgewiesen ist und das Verfahren nicht zum Vornherein aussichtslos
erschien. Er wird indessen 
ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG hingewiesen, wonach er der
Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn er später dazu in der Lage
ist. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und
Rechtsanwalt Markus Zimmermann wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen. 
 
4.   
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse eine
Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, der BVG X.________ GmbH, dem
Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 24. Mai 2018 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Meyer 
 
Der Gerichtsschreiber: Williner 

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