Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 56/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
9C_56/2017         

Urteil vom 23. Mai 2017

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann, Bundesrichter Parrino,
Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiberin Fleischanderl.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
handelnd durch seine Eltern und diese vertreten durch Rechtsanwalt Philip
Schneiter,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau, Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (medizinische Massnahmen),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
12. Dezember 2016.

Sachverhalt:

A. 
Der am 7. Mai 2015 im Libanon geborene A.________ reiste am 6. August 2015
zusammen mit seiner Mutter, seit Dezember 2013 in der Schweiz wohnhafte
libanesische Staatsangehörige, zurück in die Schweiz. Am 9. Oktober 2015
meldeten ihn seine Eltern infolge des festgestellten Geburtsgebrechens Ziff.
387 (angeborene Epilepsie) des Anhangs zur Verordnung vom 9. Dezember 1985 über
Geburtsgebrechen (GgV-Anhang; SR 831.232.21) bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Aargau klärte in der Folge die
medizinischen und persönlichen Verhältnisse ab. Gestützt darauf beschied sie
das Leistungsbegehren wegen Fehlens der ausländerspezifischen
versicherungsmässigen Voraussetzungen abschlägig (Vorbescheid vom 24. März
2016, Verfügung vom 8. Juli 2016).

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau mit Entscheid vom 12. Dezember 2016 ab.

C. 
A.________, handelnd durch seine Eltern, lässt Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des
angefochtenen Entscheids sei die IV-Stelle zu verpflichten, medizinische
Massnahmen zu seinen Gunsten zu erbringen.

Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es legt seinem
Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105
Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels für den Ausgang
des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer, der an einer angeborenen
Epilepsie (Geburtsgebrechen Ziff. 387 GgV-Anhang) leidet, die
versicherungsmässigen Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen der
Invalidenversicherung, namentlich in Form von medizinischen Massnahmen nach
Art. 13 IVG, erfüllt.

2.1. Gemäss Art. 9 Abs. 3 IVG haben ausländische Staatsangehörige mit Wohnsitz
und gewöhnlichem Aufenthalt (Art. 13 ATSG) in der Schweiz, die das 20.
Altersjahr noch nicht vollendet haben, Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen,
wenn sie selbst die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 2 IVG erfüllen oder (lit.
a) wenn ihr Vater oder ihre Mutter, falls sie ausländische Staatsangehörige
sind, bei Eintritt der Invalidität während mindestens eines vollen Jahres
Beiträge geleistet oder sich ununterbrochen während zehn Jahren in der Schweiz
aufgehalten haben und (lit. b) sie selbst in der Schweiz invalid geboren sind
oder sich bei Eintritt der Invalidität seit mindestens einem Jahr oder seit der
Geburt ununterbrochen in der Schweiz aufgehalten haben. Den in der Schweiz
invalid geborenen Kindern gleichgestellt sind Kinder mit Wohnsitz und
gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz, die im Ausland invalid geboren sind und
deren Mutter sich dort unmittelbar vor der Geburt während höchstens zwei
Monaten aufgehalten hat.

2.2. Unbestrittenermassen nicht gegeben sind die versicherungsmässigen
Voraussetzungen von Art. 9 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 3 lit. b Satz 1 IVG. Erfüllt
ist demgegenüber das Erfordernis gemäss Art. 9 Abs. 3 lit. a IVG. Uneinig sind
sich die Verfahrensbeteiligten in Bezug auf die Voraussetzung von Art. 9 Abs. 3
lit. b Satz 2 IVG und dabei insbesondere hinsichtlich des Elements "[...] und
deren Mutter sich dort unmittelbar vor der Geburt während höchstens zwei
Monaten aufgehalten hat".

3. 

3.1. In sachverhaltsmässiger Hinsicht ist erstellt, dass der Beschwerdeführer
am 7. Mai 2015 im Libanon zur Welt gekommen ist. Seine Mutter, libanesische
Staatsangehörige und seit 2013 in Schweiz wohnhaft, hat die Schweiz am 5. März
2015 um 14.10 Uhr per Flugzeug verlassen und ist einen Tag später, am 6. März
2015, um 02.35 Uhr in Beirut, Libanon, eingetroffen.

3.2. Gestützt darauf vertritt die Beschwerdegegnerin, bestätigt durch die
Vorinstanz, die Auffassung, die in Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG festgelegte
Zweimonatsfrist habe mit der Ankunft der Mutter des Beschwerdeführers im
Libanon am 6. März 2015 zu laufen begonnen und am 6. Mai 2015 - einen Tag vor
der Geburt des Beschwerdeführers - geendet. Damit habe sich die Mutter mehr als
zwei Monate vor der Geburt im Ausland aufgehalten, weshalb die entsprechenden
versicherungsmässigen Voraussetzungen zum Leistungsbezug des Beschwerdeführers
nicht erfüllt seien.

Der Beschwerdeführer lässt dagegen im Wesentlichen einwenden, das kantonale
Gericht habe mit der von ihm vorgenommenen Fristberechnung Art. 9 Abs. 3 lit. b
Satz 2 IVG verletzt. Ferner sei der in der Bestimmung erwähnte Begriff des
"sich Aufhaltens" nach grammatikalischer, systematischer, historischer und
teleologischer Auslegung im Sinne des "gewöhnlichen Aufenthalts" nach Art. 13
Abs. 2 ATSG zu verstehen. Da seine Mutter vor der Geburt lediglich im Libanon
"anwesend" gewesen sei, sich dort aber nicht im Sinne des Art. 13 Abs. 2 ATSG
"gewöhnlich aufgehalten" habe, seien die Anspruchserfordernisse für
medizinische Massnahmen gemäss Art. 12 ff. IVG zu bejahen.

4. 
Zu beurteilen ist demnach in einem ersten Schritt, ob die in Art. 9 Abs. 3 lit.
b Satz 2 IVG stipulierte Zweimonatsfrist eingehalten worden ist.

4.1. Im angefochtenen Entscheid wurde erwogen, für das Ende der in Art. 9 Abs.
3 lit. b Satz 2 IVG festgehaltenen Aufenthaltsdauer im Ausland sei die
tatsächliche Niederkunft massgebend. Die Kindsmutter dürfe sich somit im
Zeitpunkt der Geburt höchstens zwei Monate im Ausland aufgehalten haben, damit
die entsprechende Voraussetzung zu bejahen sei. Für die Berechnung der
Aufenthaltsdauer sei von der tatsächlichen Niederkunft - hier am 7. Mai 2015 -
zwei Monate zurückzurechnen, wobei derjenige Tag, zwei Monate früher,
entscheidwesentlich sei, der dieselbe Zahl trage wie der fristauslösende Tag.
Dies bedeute im vorliegenden Fall, dass die Kindsmutter sich frühestens ab 7.
März 2015 hätte im Ausland aufhalten dürfen, um die Voraussetzung nach Art. 9
Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG zu erfüllen. Da sie jedoch bereits am 5. März 2015 aus
der Schweiz abgeflogen und am 6. März 2015 im Libanon eingetroffen sei, habe
sie sich im Zeitpunkt der Geburt am 7. Mai 2015 länger als zwei Monate im
Ausland befunden. Mit der in Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG verankerten
zweimonatigen Frist bestehe eine gesetzlich vorgesehene maximale
Aufenthaltsdauer im Ausland, welche bei - auch nur kurzzeitiger -
Überschreitung dazu führe, dass das betroffene Kind nicht in den Genuss von
Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung komme.

4.2. Was in der Beschwerde dagegen vorgebracht wird, vermag keine
bundesrechtswidrige Anwendung von Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG darzutun.

4.2.1. Fehl geht der Beschwerdeführer zunächst mit seiner Rüge, es sei nicht
der tatsächliche, sondern der errechnete Geburtstermin - nach eigenen Angaben
der 4. Mai 2015 - relevant. Die Vorinstanz hat diesbezüglich überzeugend
ausgeführt, dass ein Abstellen auf den errechneten Geburtstermin zum einen
keine Stütze im Gesetz findet und sich zum andern auf Grund von Unschärfen bei
der Berechnung als wenig praktikabel erwiese. Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG
spricht klar von "Geburt", worunter nur die tatsächliche Niederkunft und nicht
ein theoretisch errechneter Geburtstermin verstanden werden kann. Würde mit dem
Beschwerdeführer auf den letztgenannten Zeitpunkt abgestellt, hätte dies
vorliegend die abwegige Konsequenz, dass die Frist beendet gewesen wäre, bevor
das eigentlich fristbeendende Ereignis, die effektive Geburt, überhaupt
stattgefunden hätte. Die vom kantonalen Gericht erwähnten "Unschärfen" zeigen
sich gerade anhand des hier zu beurteilenden Falles. Weiterungen dazu erübrigen
sich.

4.2.2. Wirkt sich nach dem Gesagten der Tag der effektiven Geburt (7. Mai 2015)
als fristauslösend im Sinne von Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG aus, ist der
Beginn der Zweimonatsfrist auf den 7. März 2015 zurück zu datieren.
Anhaltspunkte dafür, dass, wie vom Beschwerdeführer als zweites Argument
eingebracht, das durch Rückrechnung zu ermittelnde Ende der zweimonatigen Frist
nicht vom fristauslösenden Moment der Niederkunft selber, sondern vom Tag vor
dem fristauslösenden Moment an zu berechnen wäre, sind keine erkennbar.
Vielmehr spricht der Gesetzestext ausdrücklich von "[...] und deren Mutter sich
dort unmittelbar vor der Geburt während höchstens zwei Monaten aufgehalten
hat". Daraus ergibt sich ohne Weiteres, dass die Zweimonatsfrist ab dem
effektiven Zeitpunkt der Niederkunft zurückzurechnen ist. Raum für
Interpretationen dergestalt, den Tag des fristauslösenden Moments (Geburt)
ausser Acht zu lassen und die Frist ab dem Vortag zu berechnen, besteht
angesichts des klaren Wortlauts der Bestimmung keiner.

4.2.3. Soweit der Beschwerdeführer schliesslich geltend machen lässt, für die
Beurteilung, ob sich seine Mutter unmittelbar vor der Geburt während höchstens
zwei Monaten im Ausland aufgehalten habe, sei nicht das Datum ihrer Abreise aus
der Schweiz (5. März 2015), sondern die Ankunft im Ausland (6. März 2015)
ausschlaggebend, kann er auch daraus nichts zu seinen Gunsten ableiten. Wie
hiervor dargelegt, hätte sich die Kindsmutter frühestens ab 7. März 2015 im
Ausland aufhalten dürfen, um die Voraussetzung nach Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2
IVG zu erfüllen. Ob somit der Zeitpunkt der Abreise aus der Schweiz oder aber
derjenige der Ankunft im Ausland als entscheidend angesehen wird, ändert
jedenfalls im hier zu beurteilenden Fall nichts daran, dass die Frist
"lebenszeitlich" überschritten worden ist.

5. 
In der Beschwerde wird im Weiteren die unrichtige Auslegung des
Tatbestandsmerkmals des "sich Aufhaltens" nach Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG
beanstandet.

5.1. Das kantonale Gericht hat eine Auslegung der Norm vorgenommen und ist
gestützt darauf zum Schluss gelangt, dass der in Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2
IVG verwendete Ausdruck des "sich Aufhaltens" nur im Sinne einer blossen
(physischen) Anwesenheit, nicht aber als qualifizierter (er) "gewöhnlicher
Aufenthalt" gemäss Art. 13 Abs. 2 ATSG verstanden werden könne.

5.2. Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der massgeblichen Norm.
Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, so
muss nach der wahren Tragweite der Bestimmung gesucht werden, wobei alle
Auslegungselemente zu berücksichtigen sind (Methodenpluralismus). Dabei kommt
es namentlich auf den Zweck der Regelung, die dem Text zugrunde liegenden
Wertungen sowie auf den Sinnzusammenhang an, in dem die Norm steht. Die
Entstehungsgeschichte ist zwar nicht unmittelbar entscheidend, dient aber als
Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu erkennen. Namentlich zur Auslegung neuerer
Texte, die noch auf wenig veränderte Umstände und ein kaum gewandeltes
Rechtsverständnis treffen, kommt den Materialien eine besondere Bedeutung zu.
Vom Wortlaut darf abgewichen werden, wenn triftige Gründe dafür bestehen, dass
er nicht den wahren Sinn der Regelung wiedergibt. Sind mehrere Auslegungen
möglich, ist jene zu wählen, die der Verfassung am besten entspricht.
Allerdings findet auch eine verfassungskonforme Auslegung ihre Grenzen im
klaren Wortlaut und Sinn einer Gesetzesbestimmung (BGE 141 V 221 E. 5.2.1 S.
225; 140 V 449 E. 4.2 S. 455; je mit Hinweisen).

5.2.1. Die deutschsprachige Fassung des Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG spricht
von "sich aufgehalten hat". Die französische und die italienische Version
lauten "a résidé" bzw. "ha risieduto" und stimmen damit in ihrem Aussagegehalt
mit dem deutschen Wortlaut überein. Der Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts"
(bzw. "résidence habituelle" und "dimora abituale") gemäss Art. 13 Abs. 2 ATSG,
wonach eine Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt an dem Ort hat, an dem sie
während längerer Zeit lebt, selbst wenn diese Zeit zum Vornherein befristet
ist, unterscheidet sich davon, insbesondere in seiner italienischen Fassung,
sprachlich klar vom blossen "sich Aufhalten". Dieser Umstand lässt mit der
Vorinstanz den Schluss zu, dass im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG
ein schlichtes "sich Aufhalten" im Sinne eines blossen "anwesend sein" für die
massgebliche Zweimonatsdauer genügen soll und nicht, wie vom Beschwerdeführer
angeführt, ein "gewöhnlicher Aufenthalt" nach Art. 13 Abs. 2 ATSG gegeben sein
muss.

5.2.2. Dieses Ergebnis wird auch durch die systematische Einbettung des "sich
Aufhaltens" innerhalb der betreffenden Bestimmung selber untermauert. So ist
sowohl in Art. 9 Abs. 3 Satz 1 als auch in Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG
ausdrücklich vom "gewöhnlichen Aufenthalt" der Leistungsansprecher nach Art. 13
ATSG in der Schweiz die Rede. Demgegenüber spricht Abs. 3 lit. b Satz 2 der
Norm hinsichtlich der maximalen Verweildauer der Mutter im Ausland lediglich
von "sich aufgehalten hat".

5.2.3. Was das historische/geltungszeitliche aber auch teleologische
Auslegungselement anbelangt, enthält die bundesrätliche Botschaft über die 10.
AHVG-Revision vom 5. März 1990 (BBl 1990 II 1 ff., 108 f.) zu Art. 9 Abs. 2 und
3 (Eingliederungsmassnahmen für im Ausland geborene Kinder) u.a. die folgenden
Hinweise:

"[...] wird in Absatz 3 eine unter sozialpolitischen Gesichtspunkten störende
Lücke geschlossen.

Das geltende Recht setzt für die Übernahme von Eingliederungsmassnahmen von
ausländischen Kindern u.a. voraus, dass 'die Kinder in der Schweiz invalid
geboren sind'. Wird nun ein mit einem Geburtsgebrechen behaftetes Kind im
Ausland geboren, so kann dieses - vorbehältlich bestimmter staatsvertraglicher
Bestimmungen - der durch sein Geburtsgebrechen ausgelösten medizinischen
Massnahmen verlustig gehen, obwohl dessen Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt
in der Schweiz ausgewiesen sind.

Wir schlagen daher vor, dass auch im Ausland geborene ausländische Kinder mit
Geburtsgebrechen in den Genuss von Eingliederungsmassnahmen der IV gelangen
können, sofern die Mutter sich vor der Niederkunft nicht länger als zwei Monate
im Ausland aufgehalten und das Kind seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt
in der Schweiz hat. Diese Bedingung entspricht jenen
Sozialversicherungsabkommen, die jetzt schon eine ähnliche Bestimmung kennen.
Mit dieser neuen Gesetzesbestimmung ermöglicht nun schon die innerstaatliche
Gesetzgebung in den skizzierten Fällen die Erfüllung der Versicherungsklausel
im Falle einer Auslandgeburt." 

Wie bereits im vorinstanzlichen Entscheid einlässlich erkannt wurde, wollte der
Gesetzgeber mit der Anpassung des Art. 9 Abs. 3 lit. b IVG folglich verhindern,
dass ein Kind, das während eines kurzfristigen Auslandaufenthalts seiner Mutter
im Ausland geboren wurde, unter Umständen keine Eingliederungsmassnahmen
beanspruchen kann (vgl. auch: Erwin Murer, Invalidenversicherungsgesetz, 2014,
Rz. 86 zu Art. 9 IVG). Diese gesetzlich festgelegte zeitliche Limitierung von
zwei Monaten wurde, so die klare Aussage der Botschaft, bewusst in Anlehnung an
andere Sozialversicherungsabkommen verfasst (weitergehend dazu: Edgar Imhof,
Behinderte Kinder aus der EU haben ein gleiches Recht auf
IV-Eingliederungsmassnahmen wie Schweizer Kinder, in: Jusletter vom 17.
September 2007, Rz. 2), damit "[...] schon die innerstaatliche Gesetzgebung in
den skizzierten Fällen die Erfüllung der Versicherungsklausel im Falle einer
Auslandgeburt" zu gewährleisten in der Lage ist. Für die Auffassung des
Beschwerdeführers, von der fraglichen Bestimmung sollten nur Konstellationen
erfasst werden, in denen der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt der
Mutter (und des Kindes) nach der Geburt einzig mit dem Ziel in die Schweiz
verlegt wird, für das invalid geborene Kind Leistungen der schweizerischen
Invalidenversicherung erhältlich zu machen, obwohl ein entsprechender Umzug vor
der Geburt noch gar nicht geplant gewesen war, sind weder in den Materialien
noch in der Literatur Anhaltspunkte ersichtlich.

5.3. Zusammenfassend genügt für die Zweimonatsfrist nach Art. 9 Abs. 3 lit. b
Satz 2 IVG somit ein blosses "Verweilen" der Kindsmutter im Ausland.

5.3.1. Die Gründe für den betreffenden Aufenthalt sind dabei unerheblich.
Relevant ist lediglich der Umstand des sich im Ausland Aufhaltens, nicht aber
das Motiv, welches die Kindsmutter veranlasst hat, sich dorthin zu begeben. Die
Ausführungen in der Beschwerde zur subjektiv erlebten "Notlage" der Familie
sowie die Hinweise auf das islamische Ehe- und Familienrecht erweisen sich
daher als nicht massgeblich. Ebenso wenig vermögen die Beteuerungen des
Beschwerdeführers, dass seine Mutter während ihres Aufenthalts im Libanon keine
persönlichen Beziehungen zur Bevölkerung gepflegt und sie ihre Zeit fast
ausschliesslich liegend verbracht habe, sie dort demnach "in lebenspraktischer
Hinsicht" nicht anwesend gewesen sei, ein anderes Ergebnis herbeizuführen.

5.3.2. Entgegen der Betrachtungsweise des Beschwerdeführers bewirkt ein
derartiges Verständnis von Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 2 IVG auch keine "kaum zu
rechtfertigende Ungleichbehandlung von Kindern mit schweizerischer
Staatsbürgerschaft und Kindern mit ausländischer Staatsbürgerschaft".

5.3.2.1. Zum einen schliesst Art. 8 Abs. 2 BV eine an das Merkmal der
Staatsangehörigkeit anknüpfende Ungleichbehandlung von Schweizern gegenüber
anderen Staatsangehörigen nicht grundsätzlich aus. Gemäss Völkerrecht sind
rechtliche Unterscheidungen, welche ein Staat zwischen eigenen
Staatsangehörigen und Ausländern trifft, erlaubt, solange sie sachlich und
vernünftig gerechtfertigt bzw. einem öffentlichen Interesse entsprechen und
verhältnismässig sind. Sachlich begründete Differenzierungen zwischen
Schweizerinnen bzw. Schweizern und Ausländerinnen bzw. Ausländern wie auch
zwischen fremden Staatsangehörigen mit verschiedenem Aufenthaltsstatus sind
nach der BV ebenfalls erlaubt (Urteil 8C_295/2008 vom 22. November 2008 E. 6
mit Hinweis, in: SZS 2010 S. 357). Wenn jede Ungleichbehandlung von Ausländern
gegenüber Schweizern oder innerhalb von verschiedenen Aufenthaltskategorien von
Ausländern verboten würde, könnte letztlich auch keinem Ausländer mehr verwehrt
werden, beispielsweise trotz illegaler Einreise in der Schweiz zu verbleiben,
um hier ab dem ersten Aufenthaltstag sämtliche sozialversicherungsrechtlichen
Leistungen zu beanspruchen. Das Verbot der indirekten Diskriminierung von Art.
8 Abs. 2 BV verbürgt jedoch gerade keinen individualrechtlichen, gerichtlich
durchsetzbaren Anspruch auf Herstellung faktischer Gleichheit (BGE 134 I 105 E.
5 S. 108 f. mit Hinweisen; Urteil 8C_295/2008 vom 22. November 2008 E. 6, in:
SZS 2010 S. 357). Im Übrigen ist auch darauf hinzuweisen, dass sich die auf die
Staatsangehörigkeit abstellende Unterscheidung zwischen Schweizern und
Ausländern primär nach Art. 8 Abs. 1 BV richtet (vgl. Giovanni Biaggini,
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2007, N. 24 zu Art. 8
BV). Eine Verletzung der Rechtsgleichheit ist jedoch gegenüber dem
Beschwerdeführer durch die Beschwerdegegnerin nicht auszumachen. Auch kann er
sich als libanesischer Staatsangehöriger weder auf die Anwendbarkeit des
Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft
einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten
andererseits über die Freizügigkeit (SR 0.142.112.681) berufen, noch vermag er
gestützt auf ein bilaterales Sozialversicherungsabkommen zwischen der Schweiz
und dem Libanon einen Anspruch auf die strittigen Leistungen der
Invalidenversicherung zu begründen (demgegenüber: BGE 132 V 184; Näheres:
Imhof, a.a.O., Rz. 2-4).

5.3.2.2. Ferner enthält auch Art. 14 EMRK kein allgemeines
Gleichbehandlungsgebot. Vielmehr ist gemäss dem Wortlaut der Bestimmung das
Diskriminierungsverbot stets bei Ungleichbehandlungen auf Grund eines verpönten
Merkmals und in Zusammenhang mit einem anderen Konventionsrecht anzuwenden
(Edgar Imhof, Die Bedeutung menschenrechtlicher Diskriminierungsverbote für die
Soziale Sicherheit, in: Jusletter vom 7. Februar 2005, Rz. 8). Dies ergibt sich
auch aus BGE 133 V 367 E. 11.3 S. 388 f., wo ein genügender Zusammenhang mit
dem Recht auf die Achtung des Privat- und Familienlebens gemäss Art. 8 EMRK
oder der Eigentumsgarantie gemäss Art. 1 des Protokolls 1 zur EMRK verlangt
wird. Ein solcher Zusammenhang ist vorliegend nicht gegeben. Die dem
Beschwerdeführer von der IV-Stelle verweigerten medizinischen Massnahmen
bewirken weder eine Beeinträchtigung im Privat- und Familienleben noch stellen
sie einen Eingriff in die Eigentumsgarantie noch sonstwie eine Verletzung
anderer Konventionsrechte dar. Somit kann sich der Beschwerdeführer zur
Geltendmachung seiner Ansprüche auch nicht auf die EMRK berufen (vgl. Urteil
8C_295/2008 vom 22. November 2008 E. 7, in: SZS 2010 S. 357).

5.4. Da sich die Mutter des Beschwerdeführers unmittelbar vor der Geburt länger
als zwei Monate im Sinne von Art. 9 Abs. 3 lit. b Satz 1 IVG im Libanon
aufgehalten hat, erfüllt der Beschwerdeführer die versicherungsmässigen
Voraussetzungen nach dem Dargelegten nicht. Er hat keinen Anspruch auf
Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung.

6. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten
zu tragen (Art. 65 Abs. 4 lit. a in Verbindung mit Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 23. Mai 2017

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Pfiffner

Die Gerichtsschreiberin: Fleischanderl

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