Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 555/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 

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9C_555/2017            

 
 
 
Urteil vom 22. November 2017  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiberin Dormann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Fürsprecher Gerhard Lanz, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Freiburg, 
Route du Mont-Carmel 5, 1762 Givisiez, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid 
des Kantonsgerichts Freiburg 
vom 26. Juni 2017 (605 2015 187). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Nachdem ein erstes Leistungsgesuch abgewiesen worden war (Verfügung vom 4.
September 2007), meldete sich der 1976 geborene A.________ im November 2010
erneut bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Im Rahmen der
Sachverhaltsabklärung ordnete die IV-Stelle des Kantons Freiburg eine
neurochirurgische Begutachtung des Versicherten durch Frau Dr. med. B.________
an (Verfügung vom 14. August 2012). Die dagegen erhobene Beschwerde wies das
Kantonsgericht Freiburg mit Entscheid vom 6. Juni 2013 ab; auf ein
entsprechendes Rechtsmittel trat das Bundesgericht mit Urteil 9C_560/2013 vom
6. September 2013 nicht ein. Nach Eingang des Gutachtens der Frau Dr. med.
B.________ vom 21. Januar 2014 (samt Ergänzung vom 10. Mai 2014) und
Durchführung des Vorbescheidverfahrens sprach die IV-Stelle A.________ mit
Verfügung vom 4. August 2015 eine vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2013
befristete halbe Invalidenrente zu. 
 
B.   
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Kantonsgericht Freiburg mit Entscheid
vom 26. Juni 2017 insoweit (teilweise) gut, als es A.________ zusätzlich vom 1.
Januar bis zum 30. April 2014 eine halbe Invalidenrente zusprach
(Dispositiv-Ziff. I). Ausserdem sprach es ihm eine reduzierte
Parteientschädigung zu (Dispositiv-Ziff. III). 
 
C.   
A.________ lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
beantragen, unter Aufhebung des Entscheids vom 26. Juni 2017 sei das kantonale
Gericht anzuweisen, einlässlich zu prüfen, ob das Alter der Frau Dr. med.
B.________ einen (materiellen) Ausstandsgrund darstelle; eventualiter sei die
Verwaltung anzuweisen, ein neues neurochirurgisches und psychiatrisches
Gutachten einzuholen. Ausserdem ersucht er um eine "volle" Parteientschädigung
für das kantonale Beschwerdeverfahren. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (
Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Die Vorinstanz hat dem Gutachten der Frau Dr. med. B.________ vom 21.
Januar 2014 (samt Ergänzung vom 10. Mai 2014) Beweiskraft beigemessen und
gestützt darauf festgestellt, dass dem Versicherten die bisherige Arbeit nicht
mehr, indessen eine leidensangepasste Tätigkeit zu 75 % resp. - vom Oktober
2012 bis zum Januar 2014 - zu 50 % zumutbar sei, wobei "zu Beginn
möglicherweise" mit einer zusätzlichen Leistungseinbusse von 10 % gerechnet
werden müsse. Dabei hat das kantonale Gericht in Abweichung vom Gutachten und
zu Gunsten des Versicherten angenommen, dass die gesundheitliche Verbesserung
nicht bereits im Herbst 2013, sondern erst anlässlich der im Januar 2014
durchgeführten Magnetresonanztomographie (MRI) ausgewiesen war. In der Folge
hat sie die Invaliditätsbemessung der IV-Stelle (Invaliditätsgrad von
[gerundet] 55 und 39 resp. 32 %) bestätigt und den Anspruch auf eine halbe
Invalidenrente vom 1. Januar 2013 bis zum 30. April 2014 (vgl. Art. 88a Abs. 1
IVV [SR 831.201]) bejaht.  
 
2.2. Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, Frau Dr. med.
B.________ habe "ca. Jahrgang 1931". Angesichts ihres Alters sei von veraltetem
Wissensstand und nachlassender intellektueller Leistungsfähigkeit auszugehen,
weshalb nicht auf ihr Gutachten abgestellt werden könne. Die Vorinstanz habe
sich mit dieser Argumentation nicht befasst, was eine Verletzung des Anspruchs
auf rechtliches Gehör und den Untersuchungsgrundsatz darstelle. Zudem fehle
eine psychiatrische Abklärung.  
 
3.  
 
3.1. Muss der Versicherungsträger zur Abklärung des Sachverhaltes ein Gutachten
einer (oder eines) unabhängigen Sachverständigen einholen, so gibt er der
Partei deren Namen bekannt. Diese kann den Gutachter aus triftigen Gründen
ablehnen und kann Gegenvorschläge machen (Art. 44 ATSG).  
Ärztliche Aufgabe ist es, den Gesundheitszustand zu beurteilen und dazu
Stellung zu nehmen, in welchem Umfang und bezüglich welcher Tätigkeiten die
versicherte Person arbeitsunfähig ist. Hinsichtlich des Beweiswertes eines
Arztberichtes ist entscheidend, ob dieser für die streitigen Belange umfassend
ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden
berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in
der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge sowie der medizinischen
Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen der Experten begründet sind
(BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis). Eine
begutachtende medizinische Fachperson muss über die notwendigen fachlichen
Qualifikationen verfügen (SVR 2013 BVG Nr. 40 S. 174, 9C_592/2012 E. 1.2.2;
Urteile 8C_309/2016 vom 14. Dezember 2016 E. 4.4; 8C_451/2016 vom 17. Oktober
2016 E. 4.3). 
 
3.2. Bei den vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit der versicherten Person handelt es sich grundsätzlich um
Entscheidungen über eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.), welche das
Bundesgericht seiner Urteilsfindung zugrunde zu legen hat (E. 1.2). Die
konkrete Beweiswürdigung stellt ebenfalls eine Tatfrage dar. Dagegen ist die
Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln
Rechtsfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.; Urteil I 865/06 vom 12.
Oktober 2007 E. 4 mit Hinweisen), die das Bundesgericht im Rahmen der den
Parteien obliegenden Begründungs- bzw. Rügepflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG und Art.
106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.1 und 1.4.2 S. 254) frei überprüfen kann
(Art. 106 Abs. 1 BGG).  
 
3.3. Die Vorinstanz hat u.a. erwogen, die Einwände betreffend das Alter der
Gutachterin seien verspätet; sie hätten bereits anlässlich der gegen diese
gerichteten Ablehnung resp. des entsprechenden (mit Entscheid vom 6. Juni 2013
geregelten) Beschwerdeverfahrens vorgebracht werden können und müssen. Zudem
stelle das Alter der Expertin keinen triftigen Grund im Sinne von Art. 44 Satz
2 ATSG dar, und ihre fachliche Kompetenz könne nicht schon allein deswegen
angezweifelt werden. Massgebend sei vielmehr, ob sie nach bestem
sachverständigem Wissen vorgegangen sei, was in concreto nicht bezweifelt
werden könne.  
 
3.4. Obwohl der Beschwerdeführer spätestens seit der Untersuchung durch die
Expertin am 20. Januar 2014 um deren hohes Alter wusste, brachte er die
entsprechende Rüge erst im Vorbescheidverfahren mit der Eingabe vom 17.
September 2014 vor. Damit machte resp. macht er indessen keinen formellen
Ausstandsgrund analog Art. 36 ATSG, der unverzüglich zu rügen wäre (Urteil
2C_674/2017 vom 14. August 2017 E. 2.3), geltend (vgl. Urteil 9C_810/2014 vom
1. Dezember 2014 E. 2.2). Wie es sich mit der Rechtzeitigkeit der Rüge verhält,
kann aber letztlich offenbleiben: Auch wenn sie im Sinne des Versicherten
bejaht wird, lässt sich nichts zu seinen Gunsten ableiten, wie sich aus dem
Folgenden ergibt.  
 
3.5. Das kantonale Gericht hat die als wesentlich und erstellt erachteten
Tatsachen und die daraus gezogenen rechtlichen Schlüsse nachvollziehbar
dargelegt, und eine sachgerechte Anfechtung des vorinstanzlichen Erkenntnisses
war möglich (vgl. BGE 134 I 83 E. 4.1 S. 88; 133 III 439 E. 3.3 S. 445; 124 V
180 E. 1a S. 181). Daher kann - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers -
nicht von einer Verletzung der aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art.
29 Abs. 2 BV sowie Art. 61 lit. h ATSG (SR 830.1) und Art. 112 Abs. 1 lit. b
BGG abgeleiteten Prüfungs- und Begründungspflicht (Urteil 5A_368/2007 vom 18.
September 2007 E. 2; vgl. auch BGE 135 V 353 E. 5.3 S. 357 ff.) gesprochen
werden.  
 
3.6. Wie die Vorinstanz zutreffend erkannt hat, ist für die Beweiskraft eines
Gutachtens nicht entscheidend, wie alt die Expertin ist, sondern ob es lege
artis erstellt wurde (E. 3.1). Insbesondere lässt sich aufgrund des Umstandes,
dass manche Rechtsordnungen für behandelnde Ärzte, Notare oder Piloten ein
Höchstalter vorsehen, aus Art. 44 ATSG keine allgemeine und klare Altersgrenze
für die hier interessierende Expertentätigkeit ableiten. Soweit der
Beschwerdeführer in zwei geltend gemachten "Widersprüchen" konkrete Hinweise
für eine ungenügende intellektuelle Leistungsfähigkeit der Frau Dr. med.
B.________ erblickt, kann ihm nicht gefolgt werden. Einerseits lässt sich die
Aussage der Ärztin (Ergänzung vom 10. Mai 2014), wonach sich die
gesundheitliche "Situation seit Oktober 12 nicht wesentlich verändert zu haben"
scheine, ohne Weiteres so verstehen, dass sie den aktuellen Zustand mit jenem
verglich, wie er vor dem am 19. Oktober 2012 (vorübergehend) eingetretenen
Diskushernienrezidiv mit Wurzelkompression bestand. Anderseits ist nicht
ersichtlich, dass die Gutachterin mit der Annahme, dass die (im Januar 2014
radiologisch ausgewiesene) Remission der Wurzelkompression rund ein Jahr (bis
"Herbst" 2013) beanspruchte, den ärztlichen Ermessensspielraum (vgl. BGE 137 V
210 E. 3.4.2.3 S. 253; Urteil 9C_397/2015 vom 6. August 2015 E. 5.3) verletzt
haben soll. Eine Korrektur des angefochtenen Entscheids in dieser Hinsicht ist
aber von vornherein ausgeschlossen (Art. 107 Abs. 1 BGG). Die übrigen Einwände
gegen Frau Dr. med. B.________ erschöpfen sich in pauschaler Kritik bzw.
beruhen auf "der allgemeinen Lebenserfahrung", ohne dass Substanziiertes gegen
die Expertin vorgebracht wird. Darauf ist nicht weiter einzugehen.  
 
3.7. Auch wenn aus psychiatrischer Perspektive eine Schmerzstörung in Betracht
fällt, fehlt es an konkreten Anhaltspunkten, dass eine solche
invalidenversicherungsrechtlich relevant sein könnte: Im Gutachten der MEDAS
Bern vom 7. November 2006 konnte keine psychiatrische Diagnose (mit Auswirkung
auf die berufliche Leistungsfähigkeit) gestellt werden. Der Beschwerdeführer
machte resp. macht weder eine seitherige psychische Verschlechterung noch eine
regelmässige psychiatrische Behandlung geltend. Einzig gegenüber Frau Dr. med.
B.________ erwähnte er, "gelegentlich" einen Psychiater aufzusuchen, und
Cipralex benötige er "selten bei Depression". Diese Umstände schliessen einen
erheblichen Leidensdruck ebenso wie eine Behandlungsresistenz aus (vgl. BGE 141
V 281 E. 4.3.1 S. 289 ff., E. 4.4.2 S. 304). Der Verzicht auf weitere Abklärung
psychiatrischer Aspekte verletzt daher nicht den Untersuchungsgrundsatz (Art.
43 resp. Art. 61 lit. c ATSG).  
 
4.   
Nach dem Gesagten rechtfertigt weder die vorinstanzliche Beweiswürdigung noch
die behauptete Unschlüssigkeit des Gutachtens der Frau Dr. med. B.________
(vgl. E. 3.6) eine auf Art. 61 lit. g ATSG gestützte Erhöhung der
Parteientschädigung für das vorinstanzliche Verfahren. Die Beschwerde ist auch
in diesem Punkt unbegründet. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die Kosten zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Freiburg,
Sozialversicherungsgerichtshof, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 22. November 2017 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Die Gerichtsschreiberin: Dormann 

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