Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 543/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 

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9C_543/2017            

 
 
 
Urteil vom 7. November 2017  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichter Meyer, Parrino, 
Gerichtsschreiber Fessler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
 A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Ausfeld, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Schwyz, Rubiswilstrasse 8, 6438 Ibach, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung 
(Invalidenrente; Revision; Massnahmen beruflicher Art), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz vom
14. Juni 2017 (I 2016 84). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ bezog ab 1. Dezember 1999 eine halbe Rente, ab 1. März 2000 eine
ganze, ab 1. Juni 2001 eine halbe, ab 1. April 2005 eine Viertelsrente und ab
1. Dezember 2005 wiederum eine ganze Rente der Invalidenversicherung. Im Rahmen
des im Januar 2011 eingeleiteten Revisionsverfahrens wurde die Rente in der
Zeit vom 1. Juli bis 30. September 2013 und erneut ab 1. März 2016 sistiert.
Mit Verfügung vom 19. Juli 2016 hob die IV-Stelle Schwyz die Rente auf Ende
Oktober 2014 auf und forderte die zu Unrecht ausgerichteten Leistungen zurück.
Mit Verfügung vom 23. Februar 2017 setzte sie den Rückforderungsbetrag auf Fr.
93'780.- fest. 
 
B.   
A.________ erhob Beschwerde und beantragte, die Verfügung vom 19. Juli 2016 sei
aufzuheben; die Versicherungsleistungen seien auf Ende August 2016
einzustellen; die für die Zeit von Juli bis und mit September 2013 sistierte
Rente sei nachzuzahlen; die in Aussicht genommene Rückforderung angeblich zu
viel bezogener Leistungen sei für ungültig und nichtig zu erklären; die
IV-Stelle sei zu verpflichten, berufliche Massnahmen zu gewähren. In der Replik
stellte sie ergänzend den Antrag, vorgängig der Einstellung der Invalidenrente
sei die berufliche Situation abzuklären und die Gewährung von beruflichen
Massnahmen zu prüfen. Zu beiden Eingaben liess sich die IV-Stelle vernehmen. 
 
Mit Entscheid vom 14. Juni 2017 erkannte das Verwaltungsgericht des Kantons
Schwyz Folgendes: 
 
1. Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen insoweit teilweise gutgeheissen,
und die zugrunde liegende Verfügung der IV-Stelle vom 19. Juli 2016 dahingehend
abgeändert, als die Rente per 31. August 2016 aufgehoben wird. Der
Beschwerdeführerin ist zudem die vorsorglich sistierte Rente ab 1. März 2016
bis 31. August 2016 sowie für den Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis 30. September
2013 nachzuzahlen. Soweit die Verfügung vom 19. Juli 2016 zu Unrecht
ausgerichtete Rentenleistungen zurückfordert, wird sie aufgehoben. Ebenso wird
die Verfügung vom 23. Februar 2017 betreffend Rückforderung unrechtmässig
bezogener Leistungen der IV-Stelle aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde
abgewiesen. 
 
2.-5. (...). 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________,
in Abänderung von Dispositiv-Ziffer 1 des Entscheids vom 14. Juni 2017 sei die
IV-Stelle zu verpflichten, die Gewährung von beruflichen Massnahmen zu prüfen
und alsdann über die Einstellung der Rente neu zu entscheiden. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. wegen Verletzung
von Bundesrecht erhoben werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es
kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen
oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig [willkürlich; BGE 139 II 404
E. 10.1 S. 445] ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95
beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von
Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). 
 
2.   
Streitgegenstand ist die Aufhebung der ganzen Rente durch die Vorinstanz auf
Ende August 2016 bzw. die Verneinung eines Rentenanspruchs der
Beschwerdeführerin ab 1. September 2016. Dabei stellt sich einzig die Frage, ob
die Versicherte nach einer Rentenbezugsdauer von mehr als fünfzehn Jahren (1.
Dezember 1999 bis 31. August 2016; vgl. BGE 141 V 5) im Hinblick auf die
erwerbliche Verwertung der aus medizinisch-theoretischer Sicht bestehenden
Arbeitsfähigkeit auf den Weg der Selbsteingliederung verwiesen werden durfte
(vgl. E. 3.1 hiernach). 
 
Soweit die Beschwerdeführerin ihr Rechtsbegehren auf Art. 8a IVG stützt,
verkennt sie, dass diese Bestimmung einen anderen Tatbestand regelt als der
hier zu beurteilende Sachverhalt (vgl. Urteil 8C_667/2013 vom 6. März 2014 E.
2, in: SVR 2014 IV Nr. 18 S. 69). Nicht einzugehen ist sodann auf ihr
Vorbringen, eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit von zumindest 20 % liege
auf der Hand, was praxisgemäss Anspruch auf berufliche Massnahmen gebe. Mit
Bezug auf Massnahmen beruflicher Art losgelöst von der Rentenaufhebung fehlt es
an einem Anfechtungsgegenstand (BGE 125 V 413 E. 1a S. 414). Die in diesem
Zusammenhang vorgetragenen Rügen der Verletzung von Art. 8 Abs. 2 BV sowie Art.
14 i.V.m. Art. 8 EMRK sind somit unbeachtlich. 
 
3.   
 
3.1. Nach der Rechtsprechung sind bei Personen, deren Rente revisionsweise
herabgesetzt oder aufgehoben werden soll, nach mindestens fünfzehn Jahren
Bezugsdauer oder wenn sie das 55. Altersjahr zurückgelegt haben, in der Regel
vorgängig Massnahmen zur Eingliederung durchzuführen, bis sie in der Lage sind,
das medizinisch-theoretisch (wieder) ausgewiesene Leistungspotenzial mittels
Eigenanstrengung auszuschöpfen und erwerblich zu verwerten (Urteile 9C_508/2016
vom 21. November 2016 E. 6.1 und 9C_183/2015 vom 19. August 2015 E. 5, in: SVR
2015 IV Nr. 41 S. 139, je mit Hinweisen; vgl. auch BGE 141 V 5 E. 4.2.2 S. 8).
Die IV-Stelle trägt die Beweislast dafür, dass die Ausnahme gilt, die
versicherte Person also über ein genügend grosses Selbsteingliederungspotenzial
verfügt, sodass sich Eingliederungsmassnahmen erübrigen (Urteil 8C_394/2017 vom
8. August 2017 E. 4.2 mit Hinweis).  
 
3.2. Die Beschwerdeführerin rügt, die Beschwerdegegnerin habe ihre gesetzliche
Abklärungspflicht verletzt, indem sie untätig geblieben sei und keine irgendwie
gearteten beruflichen Massnahmen überhaupt in Erwägung gezogen habe.
Korrekterweise hätte daher die Vorinstanz die Sache zur Abklärung ihrer
Massnahmenbedürftigkeit an diese zurückweisen müssen mit der Verpflichtung,
über berufliche Massnahmen und danach über die Einstellung der Rente zu
entscheiden. Stattdessen habe sie selbst eine Art substituierte Begründung
vorgenommen, was bereits deshalb nicht als rechtmässig erscheine, weil die
angefochtene Verfügung bezüglich beruflicher Massnahmen keine Entscheidung
enthalte. Dadurch sei sie nicht nur in dem Sinne beschwert, dass sie sich nicht
vollumfänglich nach den vorgenommenen Abklärungen zur Sache äussern konnte,
sondern es sei ihr auch der Instanzenzug beschnitten worden. Das Verfahren
erweise sich somit als nicht rechtskonform und als bundesrechtswidrig.  
 
3.2.1. Der Beschwerdeführerin ist darin beizupflichten, dass die IV-Stellen bei
Personen, deren Rente revisionsweise herabgesetzt oder aufgehoben werden soll,
nach mindestens fünfzehn Jahren Bezugsdauer oder wenn sie das 55. Altersjahr
zurückgelegt haben, grundsätzlich abzuklären haben, ob Eingliederungsbedarf
besteht und inwiefern oder eine Selbsteingliederung zumutbar ist. Das Ergebnis
ist indessen einzig für den Zeitpunkt der Rentenherabsetzung oder -aufhebung
von Bedeutung, wogegen allenfalls durchzuführende berufliche Massnahmen keine
Rolle spielen. Im Kontext qualifiziert sich die Eingliederungsfrage im
streitgegenständlichen Sinne somit als Teilaspekt des Rechtsverhältnisses
"abgestufte Rente" bzw. "befristete Rente" (BGE 125 V 413 E. 2b und 2d S. 416
f.), bezüglich dessen das kantonale Gericht die Rentenaufhebung erst zum 31.
August 2016 angeordnet hat.  Dieser Zeitpunkt ist bezüglich der (Selbst-)
Eingliederungsfrage im bundesgerichtlichen Verfahren entscheidend, was die
Beschwerde verkennt.  
 
3.2.2. Eine unrichtige oder unvollständige oder sogar gänzlich unterbliebene
Abklärung des Eingliederungsbedarfs bzw. der (objektiven und subjektiven)
Selbsteingliederungsfähigkeit der versicherten Person kann lediglich durch
Anfechtung der rentenherabsetzenden oder -aufhebenden Verfügung beanstandet
werden. Es besteht kein eigenständiger Anspruch auf "Abklärung ihrer
Massnahmenbedürftigkeit" und Prüfung beruflicher Massnahmen, wie die
Beschwerdeführerin anzunehmen scheint. Nichts anderes ergibt sich aus BGE 141 V
5 E. 4.2.2 S. 8, wonach der versicherten Person zugestanden wird, dass ihre
Rente erst nach Prüfung und Durchführung von Eingliederungsmassnahmen [was
Unzumutbarkeit einer Selbsteingliederung voraussetzt] eingestellt wird.
Vielmehr stützt diese Aussage das in E. 3.2.1 hiervor Gesagte.  
 
3.2.3. Die Beschwerdegegnerin legte in der Verfügung vom 19. Juli 2016, mit
welcher sie die ganze Rente auf Ende Oktober 2014 aufhob, die Gründe dar,
weshalb sie die Voraussetzungen für berufliche Eingliederungsmassnahmen nach
langjährigem Leistungsbezug nicht als erfüllt erachtete. Die Vorinstanz ist bei
der Prüfung der Frage, ob Eingliederungsbedarf besteht oder ob der Versicherten
eine Selbsteingliederung zumutbar ist, zum selben Ergebnis gelangt. Es wird
nicht geltend gemacht, die Akten reichten nicht aus, um die Eingliederungsfrage
abschliessend beurteilen zu können, (weitere) Abklärungen seien erforderlich.
Unter diesen Umständen kann nicht davon gesprochen werden, die Vorinstanz habe
eine Art substituierte Begründung vorgenommen bzw. eine Gehörsverletzung
begangen, und der Instanzenzug sei beschnitten worden.  
 
3.3. Die Beanstandungen der Beschwerdeführerin in materieller Hinsicht sind
nicht stichhaltig: Die Feststellung der Vorinstanz, sie sei bis im Mai 2002,
somit rund vierzehn Jahre vor der Rentenaufhebung zu 50 % als Büromitarbeitern
tätig gewesen, verliert allein aufgrund der Tatsache, dass sie im... 2001 ihr
erstes Kind bekam, nicht an Aussagekraft. Sodann wird der Einwand, dass es sich
bei dieser Stelle um einen Nischen-Arbeitsplatz gehandelt habe, nicht genügend
substanziiert, ergibt sich jedenfalls nicht aus dem Umstand "Fremdsprache
(Computer Supporter) ". Mit ihrem Vorbringen, sie habe bloss eine zweijährige
Anlehre und nicht eine KV-Lehre absolviert, weshalb von einer niedrigeren
Qualifikation bzw. von einem erhöhten theoretischen und auch praktischen
Nachhol- und Schulungsbedarf bezüglich der EDV auszugehen sei, übt sie in
erster Linie unzulässige appellatorische Kritik an der Feststellung der
Vorinstanz (BGE 137 II 353 E. 5.1 S. 356), sie habe noch während des
Rentenbezugs eine Bürotätigkeit ausgeübt. Schliesslich hat die Vorinstanz,
entgegen ihren Vorbringen, nicht festgestellt, sie sei im Rahmen eines 50
%-Pensums voll einsetzbar. Vielmehr hat sie ausdrücklich festgehalten, dass
diese Einschätzung "unter Berücksichtigung der Funktionseinschränkungen
betreffend die linke Schulter" gelte.  
 
4.   
Die Beschwerde ist unbegründet. 
 
5.   
Ausgangsgemäss wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG
). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 7. November 2017 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Der Gerichtsschreiber: Fessler 

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