Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 533/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
9C_533/2017  
 
 
Urteil vom 28. Mai 2018  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichterin Glanzmann, Bundesrichter Parrino, 
Gerichtsschreiberin Dormann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Zuger Pensionskasse, 
Bahnhofstrasse 16, 6300 Zug, 
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Elisabeth Glättli, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Christian Haag, 
Beschwerdegegnerin, 
 
Schweizerische Sozialpartner-Stiftung für die Auffangeinrichtung gemäss Artikel
60 BVG 
(Stiftung Auffangeinrichtung BVG),  
Recht & Compliance, Weststrasse 50, 8003 Zürich. 
 
Gegenstand 
Berufliche Vorsorge, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug 
vom 30. Mai 2017 (S 2015 165). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Die 1978 geborene A.________, diplomierte Kauffrau mit kaufmännischer
Berufsmaturität, bezog vom 30. Mai bis zum 15. Oktober 2003 und vom 1. Oktober
2004 bis zum 22. Mai 2005 Taggelder der Arbeitslosenversicherung, wodurch sie
bei der Schweizerischen Sozialpartner-Stiftung für die Auffangeinrichtung
gemäss Artikel 60 BVG (Stiftung Auffangeinrichtung BVG; nachfolgend:
Auffangeinrichtung) versichert war. Vom 1. November 2005 bis zum 31. Dezember
2013 war sie - zunächst zu 60 %, ab 1. August 2007 zu 80 % - als Sekretärin
beim Kanton Zug angestellt und deswegen bei der Zuger Pensionskasse
(nachfolgend: Pensionskasse) für die berufliche Vorsorge versichert.  
 
A.b. A.________ meldete sich im Oktober 2006 unter Hinweis auf ein
Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADHS) bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 31. Januar 2008, die auch der
Pensionskasse zugestellt wurde, verneinte die IV-Stelle einen Rentenanspruch
(Invaliditätsgrad 0 %). Im Juli 2012 ersuchte A.________ erneut um
Invalidenleistungen. Im Vorbescheidverfahren stellte die Pensionskasse den
Antrag, die Verfügung vom 31. Januar 2008 sei wiedererwägungsweise aufzuheben
und der Eintritt der massgebenden Arbeitsunfähigkeit auf Februar 2005 zu legen.
Mit Verfügung vom 9. Januar 2014 sprach die IV-Stelle der Versicherten eine
halbe Rente ab 1. Januar 2013 zu (Invaliditätsgrad 50 %). Zudem lehnte sie es
ab, die Verfügung vom 31. Januar 2008 in Wiedererwägung zu ziehen, da sie die
"seit längerem bestehende Einschränkung von 20 %" anerkannt und "in die
Durchschnittsberechnung einbezogen" habe.  
 
A.c. Die Pensionskasse und die Auffangeinrichtung verneinten ihre
Leistungspflicht mit der Begründung, die Arbeitsunfähigkeit, die später zur
Invalidität geführt habe, sei nicht während des jeweiligen
Versicherungsverhältnisses eingetreten (Schreiben vom 26. Februar 2014 resp. 1.
September 2014).  
 
B.   
Mit Klage vom 15. Dezember 2015 beantragte A.________ eine Invalidenrente der
Pensionskasse ab dem 9. Oktober 2008, eventualiter der Auffangeinrichtung ab
dem 1. Februar 2005, nebst Zins. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug hiess
die Klage mit Entscheid vom 30. Mai 2017 insoweit gut, als es die Pensionskasse
verpflichtete, A.________ eine halbe Invalidenrente ab 1. Januar 2013
(zuzüglich 5 % Verzugszins seit Klageeinreichung) zu bezahlen. Im Übrigen wies
es die Klage ab. 
 
C.   
Die Pensionskasse beantragt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten, der Entscheid vom 30. Mai 2017 sei aufzuheben und die Klage
vom 15. Dezember 2015 abzuweisen. 
A.________ und die Auffangeinrichtung schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
A.________ lässt ferner um unentgeltliche Rechtspflege ersuchen. Das Bundesamt
für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (
Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
 
2.1.  
 
2.1.1. Nach den zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid werden
Invalidenleistungen der obligatorischen beruflichen Vorsorge von derjenigen
Vorsorgeeinrichtung geschuldet, bei welcher die ansprechende Person bei
Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat,
versichert war (Art. 23 lit. a BVG; BGE 135 V 13 E. 2.6 S. 17). Dieser
Grundsatz findet auch in der weitergehenden Vorsorge Anwendung, wenn - wie hier
- Reglement oder Statuten resp. gesetzliche Grundlagen nichts anderes vorsehen
(BGE 136 V 65 E. 3.2 S. 69). Für die Bestimmung der Leistungszuständigkeit ist
eine erhebliche und dauerhafte Einbusse an funktionellem Leistungsvermögen im
bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich massgebend. Diese muss mindestens 20
Prozent betragen (SVR 2017 BVG Nr. 25 S. 113, 9C_518/2016 E. 2.1; Urteil 9C_142
/2016 vom 9. November 2016 E. 3.1 mit Hinweis).  
 
2.1.2. Ebenfalls korrekt führte die Vorinstanz aus, dass der Anspruch auf
Invalidenleistungen einen engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen
der während andauerndem Vorsorgeverhältnis (einschliesslich Nachdeckungsfrist
nach Art. 10 Abs. 3 BVG) bestandenen Arbeitsunfähigkeit und der allenfalls erst
später eingetretenen Invalidität voraussetzt. Der sachliche Konnex ist gegeben,
wenn der Gesundheitsschaden, welcher zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat, im
Wesentlichen derselbe ist, wie er der Erwerbsunfähigkeit zugrunde liegt. Die
Annahme eines engen zeitlichen Zusammenhangs setzt voraus, dass die versicherte
Person nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität
geführt hat, nicht während längerer Zeit wieder arbeitsfähig war (BGE 134 V 20
E. 3.2 und 3.2.1 S. 22).  
Zu ergänzen ist, dass eine Unterbrechung des zeitlichen Konnexes dann
anzunehmen ist, wenn während mehr als dreier Monate eine Arbeitsfähigkeit von
über 80 % in einer angepassten Erwerbstätigkeit gegeben ist; eine
Arbeitsfähigkeit von 80 % genügt nicht (Urteil 9C_147/2017 vom 20. Februar 2018
E. 4.4 und 4.5, zur Publikation vorgesehen). Eine Reduktion des Arbeitspensums
aus gesundheitlichen Gründen ist ein bedeutender Anhaltspunkt für das Vorliegen
einer berufsvorsorgerechtlich relevanten Arbeitsunfähigkeit, auch wenn sie
allein in der Regel nicht für den Nachweis einer funktionellen
Leistungseinbusse genügt (SVR 2017 BVG Nr. 25 S. 113, 9C_518/2016 E. 2.2;
Urteil 9C_419/2013 vom 9. Januar 2014 E. 2.3). 
 
2.1.3. Den soeben dargelegten Grundsätzen (E. 2.1.1 und 2.1.2) kommt
insbesondere die Funktion zu, die Leistungspflicht einer oder mehrerer
Vorsorgeeinrichtungen sachgerecht abzugrenzen (BGE 130 V 270 E. 4.1 S. 275; SVR
2017 BVG Nr. 25 S. 113, 9C_518/2016 E. 3.4).  
 
2.2. Ein Entscheid der IV-Stelle ist für eine Einrichtung der beruflichen
Vorsorge verbindlich, sofern sie in das invalidenversicherungsrechtliche
Verfahren einbezogen wurde, die konkrete Fragestellung für die Beurteilung des
Rentenanspruchs gegenüber der Invalidenversicherung entscheidend war und die
invalidenversicherungsrechtliche Betrachtungsweise aufgrund einer gesamthaften
Prüfung der Akten nicht als offensichtlich unhaltbar erscheint (BGE 133 V 67 E.
4.3.2 S. 69; 130 V 270 E. 3.1 S. 273 f.; SVR 2017 BVG Nr. 25 S. 113, 9C_518/
2016 E. 2.3).  
 
3.   
Das kantonale Gericht hat ausdrücklich offengelassen, ob die Arbeitsfähigkeit
der Beschwerdegegnerin bereits vor ihrer Anstellung beim Kanton Zug am 1.
November 2005 wesentlich beeinträchtigt war. Es hat festgestellt, die
Beschwerdegegnerin habe vom 1. August 2007 bis zum Herbst 2008 in ihrem Pensum
von 80 % eine uneingeschränkte Arbeitsleistung erbracht und weder dem
Arbeitgeber noch den behandelnden Ärzten seien (echtzeitlich) Indizien für eine
Einschränkung der Arbeitsfähigkeit aufgefallen. Weiter hat es erwogen, die
mindestens 80 prozentige Arbeitsfähigkeit im genannten Zeitraum habe den
zeitlichen Konnex zu einer allfällig vorbestehenden Arbeitsunfähigkeit
unterbrochen. Am 9. Februar 2012 sei die mindestens 40 prozentige
Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt habe, eingetreten.
Der vorsorgerechtliche Leistungsbeginn sei aber mit dem
invalidenversicherungsrechtlichen zu koordinieren. Folglich hat es die
Pensionskasse verpflichtet, ab 1. Januar 2013 eine halbe Invalidenrente
auszurichten. 
Streitig und zu prüfen ist einzig, ob die erhebliche Arbeitsunfähigkeit bereits
vor Begründung des Versicherungsverhältnisses mit der Pensionskasse (1.
November 2005) eintrat und seither ohne wesentlichen Unterbruch andauerte. 
 
4.  
 
4.1. Dass die vorinstanzlichen Feststellungen (E. 3) offensichtlich unrichtig
sein oder auf einer Rechtsverletzung beruhen sollen, ist nicht ersichtlich und
wird auch nicht substanziiert geltend gemacht. Sie bleiben daher für das
Bundesgericht verbindlich (E. 1). Indessen reichen sie für eine abschliessende
Beurteilung des umstrittenen Anspruchs nicht aus.  
 
4.2. Anders als die Vorinstanz anzunehmen scheint, genügt für die Unterbrechung
des zeitlichen Zusammenhangs zwischen einer vorbestehenden Arbeitsunfähigkeit
von 20 % (oder mehr) und der später eingetretenen Invalidität nicht allein der
Umstand, dass die Arbeitsfähigkeit zwischenzeitlich - zwar vorübergehend, aber
während längerer Zeit - mindestens 80 % betrug. Notwendig ist eine
Arbeitsfähigkeit von über 80 %, wobei angepasste Tätigkeiten zu berücksichtigen
sind (E. 2.1.2 Abs. 2).  
 
4.3. Die entscheidenden Fragen nach dem Zeitpunkt des Eintritts und dem Verlauf
der Arbeitsunfähigkeit, insbesondere mit Blick auf den Grenzwert von 20 %,
waren für die Beurteilungen des Rentenanspruchs gegenüber der
Invalidenversicherung nicht entscheidend, weshalb die Verfügungen vom 31.
Januar 2008 und 9. Januar 2014 - soweit sie überhaupt entsprechende
Feststellungen enthalten - diesbezüglich keine Bindungswirkung entfalten (E.
2.2; vgl. auch Urteile 9C_464/2015 vom 31. Mai 2016 E. 2.4.2; 9C_896/2015 vom
16. Dezember 2016 E. 4.2).  
Der angefochtene Entscheid enthält für den Zeitraum bis zum 9. Februar 2012
keine Feststellungen zu den ausschlaggebenden Punkten. 
 
4.4. Das kantonale Gericht wird die notwendigen Feststellungen zu treffen und
anschliessend erneut über die Leistungspflicht der Pensionskasse, eventualiter
der Auffangeinrichtung, zu entscheiden haben.  
 
5.   
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdegegnerin
grundsätzlich die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Ihrem
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege kann jedoch entsprochen werden (Art. 64
BGG). Sie hat der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten, wenn sie später dazu
in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG). Die Beschwerdeführerin hat keinen
Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 30. Mai 2017 aufgehoben. Die Sache wird
zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die
Beschwerde abgewiesen. 
 
2.   
Der Beschwerdegegnerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und
Rechtsanwalt Christian Haag wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen. 
 
4.   
Der Beschwerdegegnerin wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von
Fr. 2'400.- ausgerichtet. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, der Schweizerischen Sozialpartner-Stiftung für
die Auffangeinrichtung gemäss Artikel 60 BVG, dem Verwaltungsgericht des
Kantons Zug und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 28. Mai 2018 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Die Gerichtsschreiberin: Dormann 

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