Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 443/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
9C_443/2017  
 
 
Urteil vom 11. Januar 2018  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichterin Glanzmann, Bundesrichter Parrino, 
Gerichtsschreiber Fessler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ GmbH, 
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Silvia Bucher, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Alters- und Hinterlassenenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 8. Mai 2017 (AB.2016.00001). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die u.a. im Bereich Informatik und Unternehmensberatung tätige A.________ GmbH
ist der Ausgleichskasse des Kantons Zürich angeschlossen. Gesellschafter und
Geschäftsführer der Firma sind seit... B.________ und C.________. Diese sind
als Inhaber der Einzelfirma D.________ bzw. E.________ ebenfalls bei der
Ausgleichskasse des Kantons Zürich (vorher bei der Ausgleichskasse Zug) als
Selbständigerwerbende registriert. Eine Arbeitgeberkontrolle im Mai 2015 ergab,
dass die A.________ GmbH 2013 verschiedene Zahlungen an die beiden Firmen bzw.
deren Inhaber erbracht hatte. Darauf erhob die Ausgleichskasse mit
Nachzahlungsverfügung vom 3. Juli 2015 u.a. paritätische und FAK-Beiträge
(einschliesslich Verwaltungskosten) in der Höhe von insgesamt Fr. 46'390.-.
Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 20. November 2015 fest. 
 
B.   
Die Beschwerde der A.________ GmbH wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 8. Mai 2017 ab. 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die
A.________ GmbH, der Gerichtsentscheid vom 8. Mai 2017 und der
Einspracheentscheid vom 20. November 2015 seien aufzuheben; es sei
festzustellen, dass ihre Zahlungen an B.________ und C.________ keinen
massgebenden Lohn im Sinne der AHV-Gesetzgebung darstellen; eventualiter sei
die Sache an die Ausgleichskasse zurückzuweisen, damit diese nach ergänzenden
Abklärungen über die allfällige Nachzahlung neu verfüge. 
 
Die Ausgleichskasse ersucht um Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Das Feststellungsbegehren in der Beschwerde geht nicht über den Hauptantrag auf
Aufhebung von Gerichts- und Einspracheentscheid hinaus und ist daher zulässig. 
 
2.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts (durch die Vorinstanz; Art. 105 Abs. 1 BGG) kann nur gerügt
werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den
Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch 
Art. 105 Abs. 2 BGG). Unter den zweiten Tatbestand fallen namentlich die
Missachtung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 43 Abs. 1 ATSG) sowie die
unvollständige (gerichtliche) Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen (
Art. 61 lit. c ATSG; BGE 135 V 23 E. 2 S. 25; Urteil 9C_650/2017 vom 31.
Oktober 2017 E. 1.1 mit Hinweis). In Bezug auf die vorinstanzliche
Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung, die willkürlich sein muss (BGE
139 II 404 E. 10.1 S. 445), gilt eine qualifizierte Rüge- und
Begründungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG). 
 
3.   
Streitgegenstand bildet die Frage, ob die Vorinstanz zu Recht die von der
Beschwerdeführerin 2013 unter dem Titel "Lizenzgebühren" bzw. "Lizenzkosten"
erbrachten Zahlungen von vier Mal je Fr. 41'666.67 (nach Abzug der
Mehrwertsteuer von 8 %) an die beiden Gesellschafter und Geschäftsführer als
Inhaber der Einzelfirma D.________ bzw. E.________ als Einkommen aus
unselbständiger Erwerbstätigkeit (massgebender Lohn) im Sinne von Art. 5 Abs. 2
AHVG qualifiziert hat. 
 
4.   
Die Vorinstanz hat nach Darlegung der massgeblichen Rechtsgrundlagen (zur
Abgrenzung unselbständiger von selbständiger Erwerbstätigkeit statt vieler
Urteil 9C_250/2017 vom 30. Oktober 2017 E. 2.3 mit Hinweisen) im Wesentlichen
erwogen, die Verbuchung der Zahlungen sei in regelmässigen Abständen und in
stets identischem Umfang von zwei Mal Fr. 41'666.67 in den Monaten Januar,
April, Juni und Oktober 2013 im Konto "Materialaufwand" vorgenommen worden.
Dabei habe es sich um die einzige Einnahmequelle der beiden Einzelfirmen
gehandelt. Deren Gewinn- und Verlustrechnung wiesen einen Gesamterlös von
(lediglich) Fr. 166'666.68 bzw. Fr. 149'504.10 aus. Somit habe ein
tatsächliches wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis bestanden. Aufgrund der
Akten sei nicht ausgewiesen, dass die beiden Gesellschafter und gleichzeitigen
Inhaber je einer Einzelfirma für ihre ausschliessliche Tätigkeit im Dienste der
Beschwerdeführerin ein massgebliches Unternehmerrisiko übernommen hätten.
Umgekehrt spiele aufgrund dieser personellen Identität das Kriterium der
Weisungs (un) gebundenheit nur eine untergeordnete Rolle. Sodann sei aufgrund
der Akten eine Unterscheidung zwischen den Tätigkeiten als Organ und
Geschäftsführer der Beschwerdeführerin, wofür insgesamt lediglich 20 Stunden im
Monat angefallen sein sollen, was nicht glaubhaft sei, und anderen allenfalls
selbständigen Informatik- und Beratungstätigkeiten nicht möglich, worauf
bereits bei der letzten Arbeitgeberkontrolle im November 2010 hingewiesen
worden sei. Ebenso fehle eine Aufgliederung der an sie ausbezahlten
Entschädigungen. Das Vorbringen, wonach die Gesellschafter ihre
Geschäftsführertätigkeit gratis verrichtet hätten, sei nicht glaubhaft. Die
buchungsmässige Bezeichnung der Zahlungen als Lizenzgebühren- oder -kosten
deute zwar darauf hin, dass es sich um Einkommen aus der wirtschaftlichen
Nutzung einer "Erfindung" bzw. von selbstentwickelten Softwareprogrammen
handle. Soweit die Inhaber der Einzelfirmen die Auswertung der Programme jedoch
über die Rechtsform der von ihnen beherrschten juristischen Person ausübten,
arbeiteten sie als Geschäftsführer in unselbständiger Stellung an der
wirtschaftlichen Verwertung ihrer Erfindung mit, ohne dass sie ein
massgebliches Unternehmerrisiko trügen. Die ihnen ausbezahlten Lizenzgebühren
träten an die Stelle eines ordentlichen Lohnes. 
 
5.   
Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe den rechtserheblichen
Sachverhalt unvollständig festgestellt, die Beweise in unhaltbarer Weise
gewürdigt und die Abgrenzung unselbständiger von selbständiger Erwerbstätigkeit
bundesrechtswidrig vorgenommen. Ihre Vorbringen sind im Hauptstreitpunkt
(Rechtsnatur der 2013 erbrachten Zahlungen an die Einzelfirmen der beiden
Gesellschafter und Geschäftsführer) nicht stichhaltig: 
 
5.1. Der Umstand, dass die "Vergütungen (...) je nach Geschäftsgang von Jahr zu
Jahr massiv schwanken" können, wie geltend gemacht wird, spricht nicht gegen
die Regelmässigkeit der Zahlungen. Auch tiefere oder höhere Entschädigungen
können (mehr oder weniger) regelmässig fliessen. Abgesehen davon kommt diesem
Gesichtspunkt im vorliegenden Fall keine entscheidende Bedeutung zu. Ebenso
wenig kann aus schwankenden Zahlungen der Beschwerdeführerin an die
Einzelunternehmen bzw. deren Inhaber allein auf ein beträchtliches
Unternehmerrisiko geschlossen werden.  
 
5.2. Weiter zeigen die von der Vorinstanz eingeholten Akten der
Beschwerdegegnerin, welche die Einzelfirmen der beiden Gesellschafter und
Geschäftsführer der Beschwerdeführerin betreffen, dass deren von den
Steuerbehörden gemeldeten Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit für die
Jahre 2008 bis 2013 (vgl. Art. 23 AHVV) durchwegs deutlich tiefer waren als die
Entgelte gemäss der in diesem Verfahren - zulässigerweise (Art. 99 Abs. 1 BGG)
- eingereichten, nicht datierten Tabelle betreffend "Erfolgswirksame
Auszahlungen an D.________ und E.________" von 2003 bis 2014. Daraus ist
mangels gegenteiliger Anhaltspunkte, insbesondere einschlägiger Belege, zu
folgern, dass sie für keine anderen Kunden in nennenswerter Weise tätig waren.
Der Umstand, dass die beiden Gesellschafter und Geschäftsführer im Rahmen ihrer
Einzelfirmen im Wesentlichen einzig für die Beschwerdeführerin tätig waren, ist
ein gewichtiges Indiz für unselbständige Erwerbstätigkeit, und zwar umso mehr,
als sie unbestrittenermassen kein eigenes Personal beschäftigten. Ihr
Unternehmerrisiko ist vergleichbar mit dem Risiko eines Stellenverlusts oder
einer Pensenreduktion aus (betriebs-) wirtschaftlichen Gründen bei einem
Arbeitnehmer.   
 
5.3. Sodann ist für die Frage der Rechtsnatur der Zahlungen der
Beschwerdeführerin an ihre Gesellschafter als Inhaber der beiden Einzelfirmen,
welche die Beschwerdegegnerin der paritätischen Beitragspflicht unterwarf,
nicht von Bedeutung, in welchem zeitlichen Umfang diese als Geschäftsführer
tätig waren und ob sie sich dafür entschädigen liessen. In diesem Zusammenhang
kann offenbleiben, ob in den Äusserungen des Revisors im Rahmen der
Arbeitgeberkontrolle im November 2010 betreffend die Jahre 2005 bis 2009 die
Zusicherung zu erblicken war, dass die "bisherige Verbuchungs- und
Abrechnungsweise", d.h. keine "Aufgliederung der an ihre Organe ausbezahlten
Entschädigungen", rechtskonform war. Massgebend ist, dass die
Rechtsbeständigkeit früherer Beitragsverfügungen grundsätzlich längstens bis
zum Ende des jeweiligen Beitragsjahres reichte (BGE 124 V 150 E. 7a S. 152).
Damit verbleibt kein Raum für den von der Beschwerdeführerin angerufenen
öffentlichen-rechtlichen Vertrauensschutz (BGE 121 V 65 E. 2a-b S. 66 f.). Im
Übrigen liegt kein Grenzfall vor, sondern die dargelegten Umstände sprechen
klar dafür, dass es sich bei ihren Zahlungen für die nicht zur eigentlichen
Geschäftsführung gehörenden Tätigkeiten der beiden Gesellschafter um Einkommen
aus unselbständiger Erwerbstätigkeit handelt. Unter diesen Umständen
rechtfertigen namentlich Praktikabilitätsüberlegungen nicht, diese erst für die
Zeit nach der Arbeitgeberkontrolle vom 27. Mai 2015 als solche zu erfassen.  
 
Die Beschwerde ist somit im Hauptpunkt unbegründet. 
 
6.   
Die Beschwerdeführerin beantragt im Eventualstandpunkt, dass die Zahlungen an
ihre Gesellschafter und Geschäftsführer um eine angemessene
Unkostenentschädigung reduziert werden. 
 
6.1. Nach Art. 9 AHVV sind Unkosten Auslagen, die dem Arbeitnehmer bei der
Ausführung seiner Arbeiten entstehen. Unkostenentschädigungen gehören nicht zum
massgebenden Lohn (Abs. 1). Keine Unkostenentschädigungen sind regelmässige
Entschädigungen für die Fahrt des Arbeitnehmers vom Wohnort zum gewöhnlichen
Arbeitsort sowie für die übliche Verpflegung am Wohnort oder am gewöhnlichen
Arbeitsort; sie gehören grundsätzlich zum massgebenden Lohn (Abs. 2).  
 
6.1.1. Die Vorinstanz hat die beantragte Berücksichtigung von Unkosten bei der
Ermittlung des massgebenden Lohnes mit der Begründung abgelehnt, bei der
Arbeitgeberkontrolle vom 3. November 2010 sei festgestellt worden, dass die
Gesellschafter kein Gehalt aus der Tätigkeit als Geschäftsführer bezogen
hätten, und auf die Rechtsnatur von Zahlungen an die Organe hingewiesen worden.
Die Beschwerdeführerin habe jedoch auch in den Folgejahren von einer
"Aufgliederung der an ihre Organe ausbezahlten Entschädigungen" abgesehen, was
sie sich anzurechnen habe.  
 
6.2. Die vorinstanzliche Argumentation verletzt Bundesrecht, wie die
Beschwerdeführerin sinngemäss rügt. Kann sie sich nicht auf die anlässlich der
Arbeitgeberkontrolle im November 2010 als richtig erachtete Nichtdeklaration
der Zahlungen an die Einzelfirmen ihrer Gesellschafter als beitragspflichtiger
massgebender Lohn berufen (E. 5.3), kann ihr umgekehrt nicht das Recht
abgeschnitten werden, geltend zu machen, dass darin auch eine
Unkostenentschädigung enthalten war, welche in Abzug zu bringen ist. Die
Unklarheit betreffend den Umfang der Tätigkeit, die der Geschäftsführung
zuzurechnen ist, kann nicht dazu führen, Art. 9 AHVV von vornherein die
Anwendung zu versagen. Die Beschwerdegegnerin wird entsprechende Abklärungen
vorzunehmen haben und danach die Beiträge für 2013 neu festsetzen. Die
Beschwerdeführerin ist an ihre Mitwirkungspflichten zu erinnern (Art. 43 Abs. 1
ATSG; Urteil 9C_238/2015 vom 6. Juli 2015 E. 3.2.1).  
 
Die Beschwerde ist im Eventualstandpunkt begründet. 
 
7.   
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend haben die Parteien die Gerichtskosten
nach Massgabe ihres Unterliegens zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die
Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu
bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 8. Mai 2017 und der
Einspracheentscheid der Ausgleichskasse des Kantons Zürich vom 20. November
2015 werden aufgehoben und die Sache wird zu neuer Verfügung im Sinne der
Erwägungen an diese zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.   
Von den Gerichtskosten von Fr. 3'500.- werden der Beschwerdeführerin Fr.
2'300.- und der Beschwerdegegnerin Fr. 1'200.- auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'000.- zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 11. Januar 2018 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Der Gerichtsschreiber: Fessler 

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