Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 399/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
9C_399/2017        

Urteil vom 10. August 2017

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt David Husmann,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 30. März 2017.

Sachverhalt:

A. 
Die 1970 geborene A.________ meldete sich im Juni 2013 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 23. Januar 2014
wies die IV-Stelle des Kantons Zürich das Begehren ab. Im Juni 2014 ersuchte
die Versicherte erneut um Leistungen. Nach weiteren Abklärungen - insbesondere
Einholung des polydisziplinären Gutachtens des Begutachtungszentrums (BEGAZ)
vom 3. März 2015 (samt Stellungnahme vom 16. September 2015) - und Durchführung
des Vorbescheidverfahrens verneinte die IV-Stelle mit Verfügung vom 7. März
2016 wiederum einen Anspruch.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich mit Entscheid vom 30. März 2017 ab.

C. 
A.________ lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
beantragen, unter Aufhebung der Verfügung vom 7. März 2016 und des Entscheids
vom 30. März 2017 sei die IV-Stelle zu verpflichten, ihr die gesetzlichen
Leistungen, namentlich eine Invalidenrente, zu gewähren. Eventualiter sei ein
Gerichtsgutachten zur abschliessenden Klärung des medizinischen Sachverhalts
anzuordnen. Nachdem das Bundesgericht das gleichzeitig gestellte Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege abgewiesen hat, lässt A.________ eine Stellungnahme
und weitere Unterlagen einreichen.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerdeführerin ersucht mit ihrer nachträglichen Eingabe um
Überprüfung der Verfügung vom 13. Juli 2017, mit welcher ihr Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit abgewiesen wurde. Dabei
beschränkt sie sich im Wesentlichen darauf, ihre eigene Beurteilung der
Prozessaussichten darzulegen. Nachdem sich die Verhältnisse seit der Verfügung
vom 13. Juli 2017 nicht geändert haben, besteht kein Anspruch, das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege nochmals zu überprüfen (Urteil 5A_430/2010 vom 13.
August 2010 E. 2.4 mit Hinweisen). Neue tatsächliche Vorbringen betreffend den
vorangegangenen Zeitraum bleiben unbeachtlich (Art. 99 Abs. 1 BGG).

1.2. Soweit mit der nachträglichen Eingabe die Beschwerdebegehren begründet
werden sollen, ist sie verspätet (Art. 100 Abs. 1 i.V.m. Art. 42 Abs. 1 und 2
BGG). Ob die neu eingereichten Unterlagen überhaupt den hier massgeblichen
gerichtlichen Prüfungszeitraum bis zum Erlass der angefochtenen Verfügung vom
7. März 2016 (vgl. BGE 132 V 215 E. 3.1.1 S. 220; Urteil 9C_704/2012 vom 8.
November 2012 E. 2.1) betreffen, kann offenbleiben: Als echte Noven sind sie
von vornherein unzulässig (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 140 V 543 E. 3.2.2.2 S. 548;
MEYER/DORMANN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 43
zu Art. 99 BGG).

1.3. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig,
wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig
unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Eine offensichtlich unrichtige
Sachverhaltsfeststellung weist damit die Tragweite von Willkür auf (BGE 135 II
145 E. 8.1 S. 153). Es liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur
weil eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die
plausiblere erschiene (vgl. BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9; Urteil 9C_101/2015 vom 30.
November 2015 E. 1.1). Diese Grundsätze gelten auch in Bezug auf die konkrete
Beweiswürdigung (Urteil 9C_753/2015 vom 20. April 2016 E. 1).

2. 
Das kantonale Gericht hat nach eingehender Beweiswürdigung dem BEGAZ-Gutachten
vom 3. März 2015 (samt Stellungnahme vom 16. September 2015) Beweiskraft
beigemessen und gestützt darauf eine um (höchstens) 30 % eingeschränkte
Arbeitsfähigkeit in leidensangepassten Tätigkeiten festgestellt. Weiter hat es
offengelassen, ob für die Invaliditätsbemessung die gemischte Methode (Art. 28a
Abs. 3 IVG) anwendbar ist, weil auch mit der reinen Einkommensvergleichsmethode
(Art. 28a Abs. 1 i.V.m. Art. 16 ATSG) - bei einem Valideneinkommen von Fr.
53'152 und einem Invalideneinkommen von (mindestens) Fr. 36'573.60 - ein
rentenausschliessender Invaliditätsgrad (Art. 28 Abs. 2 IVG) von höchstens 31 %
resultiere.

3.

3.1. Bei der Beurteilung der Arbeits (un) fähigkeit stützt sich die Verwaltung
und im Beschwerdefall das Gericht auf Unterlagen, die von ärztlichen und
gegebenenfalls auch anderen Fachleuten zur Verfügung zu stellen sind. Ärztliche
Aufgabe ist es, den Gesundheitszustand zu beurteilen und dazu Stellung zu
nehmen, in welchem Umfang und bezüglich welcher Tätigkeiten die versicherte
Person arbeitsunfähig ist. Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes
ist entscheidend, ob dieser für die streitigen Belange umfassend ist, auf
allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden
berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in
der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge sowie der medizinischen
Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen der Experten begründet sind
(BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis).
Geht es um eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung oder ein damit
vergleichbares psychosomatisches Leiden (vgl. BGE 140 V 8 E. 2.2.1.3 S. 13 f.),
sind für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit systematisierte Indikatoren
beachtlich, die - unter Berücksichtigung leistungshindernder äusserer
Belastungsfaktoren einerseits und Kompensationspotentialen (Ressourcen)
anderseits - erlauben, das tatsächlich erreichbare Leistungsvermögen
einzuschätzen (BGE 141 V 281 E. 2 S. 285 ff., E. 3.4-3.6 und 4.1 S. 291 ff.).
Gemäss altem Verfahrensstandard (BGE 130 V 352) eingeholte Gutachten verlieren
nicht per se ihren Beweiswert. Vielmehr ist im Rahmen einer gesamthaften
Prüfung des Einzelfalls mit seinen spezifischen Gegebenheiten und den erhobenen
Rügen entscheidend, ob ein abschliessendes Abstellen auf die vorhandenen
Beweisgrundlagen vor Bundesrecht standhält (BGE 141 V 281 E. 8 S. 309).

3.2. Im BEGAZ-Gutachten wurden insbesondere die bisherige Behandlung, eine
rezidivierende depressive Störung (gegenwärtig leichtgradige Episode; ICD-10:
F33.0) sowie (grundsätzlich nicht invalidisierende; SVR 2008 IV Nr. 15 S. 43, I
514/06 E. 2.2.2.2) akzentuierte Persönlichkeitszüge (ICD-10: Z73.1)
berücksichtigt. Weiter wurde das Anforderungsprofil einer angepassten Tätigkeit
umschrieben, weshalb nicht von einer unrichtigen Anwendung des Begriffs
"Arbeitsunfähigkeit" gesprochen werden kann. Die Experten, insbesondere die
Fachärzte für Neurologie resp. für Psychiatrie und Psychotherapie, erkannten
keine massgeblichen kognitiven Einschränkungen; eine neuropsychologische
Abklärung war daher entbehrlich. Im Bericht der Klinik B.________ vom 24. Juli
2015 wurden die diagnostizierte akute schizophreniforme psychotische Störung
(ICD-10: F23.2) als remittiert und das Zustandsbild der Versicherten als euthym
bezeichnet und die vorübergehende gesundheitliche Verschlechterung
nachvollziehbar mit der Reaktion auf den Vorbescheid der IV-Stelle resp. das
BEGAZ-Gutachten erklärt. Sodann durfte die Vorinstanz in Bezug auf die
Einschätzungen der behandelnden Ärzte (vgl. auch Bericht der Klinik B.________
vom 11. November 2016) dem ärztlichen Ermessensspielraum (vgl. BGE 137 V 210 E.
3.4.2.3 S. 253; Urteil 9C_397/2015 vom 6. August 2015 E. 5.3) und dem
Unterschied zwischen Behandlungs- und Begutachtungsauftrag Rechnung tragen (BGE
125 V 351 E. 3b/cc S. 353; Urteile 8C_740/2010 vom 29. September 2011 E. 6 und
9C_842/2009 vom 17. November 2009 E. 2.2).

3.3. Nach dem Gesagten genügt das BEGAZ-Gutachten - auch im Lichte von BGE 141
V 281 - den Anforderungen an die Beweiskraft (E. 3.1). Ohnehin beschränkt sich
die Beschwerdeführerin auf weiten Strecken lediglich auf eine von der
Vorinstanz abweichende Beweiswürdigung (vgl. Urteile 9C_714/2015 vom 29. April
2016 E. 4.3; 9C_65/2012 vom 28. Februar 2012 E. 4.3 mit Hinweisen) resp.
appellatorische Kritik (vgl. Urteil 9C_151/2017 vom 12. Juli 2017 E. 1.2 mit
Hinweisen), was nicht genügt. Es besteht kein Anlass zur eventualiter
beantragten Anordnung eines Gerichtsgutachtens.
Demnach beruhen die vorinstanzliche Beweiswürdigung und
Sachverhaltsfeststellung betreffend die Arbeitsfähigkeit (E. 2) nicht auf einer
Rechtsverletzung. Es ist nicht ersichtlich und wird auch nicht (substanziiert)
geltend gemacht, dass sie offensichtlich unrichtig sein sollen, weshalb sie für
das Bundesgericht verbindlich bleiben (E. 1.3).

3.4. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Verwertung der festgestellten
Restarbeitsfähigkeit sozialpraktisch nicht zumutbar sein soll, lassen sich
nicht (direkt) aus den dokumentierten psychiatrischen Diagnosen ableiten und
sind auch sonst nicht ersichtlich.

3.5. Die Vorinstanz hat für die Festsetzung des Invalideneinkommens einen
Tabellenlohn der Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik
herangezogen (LSE 2012, Tabelle TA1, Total, Frauen, einfache Tätigkeiten) und
die betriebsübliche Wochenarbeitszeit sowie die Nominallohnentwicklung
berücksichtigt. Einen Abzug vom Tabellenlohn (vgl. BGE 135 V 297 E. 5.2 S. 301;
126 V 75 E. 5b/aa-cc S. 80) hat sie verweigert mit der Begründung, die
leistungsmässige Einschränkung sei mit 30 % bereits grosszügig bemessen.
Dass die gesundheitlichen Einschränkungen mit der festgestellten
Arbeitsfähigkeit nur ungenügend berücksichtigt worden sein sollen, ist nicht
ersichtlich. Sie rechtfertigen keinen leidensbedingten Abzug, würde dies doch
zu einer doppelten Anrechnung desselben Gesichtspunkts führen (Urteile 8C_805/
2016 vom 22. März 2017 E. 3.1; 9C_846/2014 vom 22. Januar 2015 E. 4.1.1 mit
Hinweisen). Sodann leuchtet nicht ein, weshalb ein allfälliger Vorbehalt einer
Pensionskasse zwingend eine Lohneinbusse zur Folge haben soll. Andere Gründe
für einen Abzug werden nicht substanziiert geltend gemacht. In der
vorinstanzlichen Auffassung kann denn auch keine Verletzung der
Rechtsgleichheit (Art. 8 Abs. 2 BV) oder des Diskriminierungsverbotes (Art. 8
i.V.m. Art. 14 EMRK) erblickt werden. Zudem lassen sich aus den angerufenen
Grundrechten grundsätzlich keine unmittelbaren Leistungsansprüche (SVR 2015 IV
Nr. 2 S. 3, 8C_803/2013 E. 4.3.1 mit Hinweisen) und somit auch keinen Anspruch
auf einen "grosszügigen Leidensabzug" ableiten.

3.6. Nach dem Gesagten hat das kantonale Gericht zu Recht einen
Leistungsanspruch verneint; die Beschwerde ist unbegründet. Eine allfällige,
nach dem 7. März 2016 eingetretene Verschlechterung des Gesundheitszustandes
ist im Rahmen einer Neuanmeldung geltend zu machen (Art. 87 Abs. 3 i.V.m. Abs.
2 IVV [SR 831.201]).

4. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Kosten
zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 10. August 2017
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Pfiffner

Die Gerichtsschreiberin: Dormann

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