Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 373/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 

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9C_373/2017            

 
 
 
Urteil vom 6. September 2017  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiberin Keel Baumann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
 A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Werner Bodenmann, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Appenzell Ausserrhoden, 
Neue Steig 15, 9100 Herisau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid 
des Obergerichts Appenzell Ausserrhoden 
vom 20. Dezember 2016. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die 1967 geborene, verheiratete A.________, Mutter von sechs zwischen 1990 und
2000 geborenen Kindern, meldete sich im Februar 2015 wegen nicht näher
bezeichneten Beschwerden, deretwegen sie seit Dezember 2013 in medizinischer
Behandlung stehe, bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. 
Die IV-Stelle Appenzell Ausserrhoden holte verschiedene Arztberichte ein und
liess eine Haushaltsabklärung vornehmen (Bericht vom 6. Oktober 2015). Nach
Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte sie mit Verfügung vom 31. Mai
2016 einen Leistungsanspruch. 
 
B.   
Beschwerdeweise liess A.________ die Aufhebung der Verfügung beantragen. Es sei
ihr aufgrund eines Invaliditätsgrades von mindestens 40 % eine Rente
zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Vornahme einer rechtsgenüglichen
Haushaltsabklärung in Bezug auf die Gewichtung und die konkrete Einschränkung,
dies unter Wahrung des rechtlichen Gehörs, sowie zu neuer Verfügung an die
IV-Stelle zurückzuweisen. Mit Entscheid vom 20. Dezember 2016 wies das
Obergericht Appenzell Ausserrhoden die Beschwerde ab. 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erheben
und das Rechtsbegehren stellen, der kantonale Entscheid sei aufzuheben. Es sei
ihr eine Invalidenrente basierend auf einem Invaliditätsgrad von mindestens 40
% auszurichten. Eventualiter sei das Verfahren zur Durchführung weiterer
Abklärungen und zur Entscheidung über die Leistungsansprüche an die Vorinstanz
zurückzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG
). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
 
2.1. In Übereinstimmung mit der IV-Stelle ging die Vorinstanz davon aus, dass
die Versicherte ohne gesundheitliche Beeinträchtigung weiterhin zu 100 % im
Aufgabenbereich Haushalt tätig wäre und die Invaliditätsbemessung nach der
spezifischen Methode gemäss Art. 28a Abs. 2 IVG vorzunehmen ist. Gestützt auf
den eine gesundheitliche Einschränkung von 13.5 % festhaltenden
Haushaltsbericht vom 6. Oktober 2015, welchen sie als beweiskräftig erachtete,
bestätigte sie die rentenablehnende Verfügung der IV-Stelle.  
 
2.2. Wie bereits im kantonalen Verfahren macht die Versicherte geltend, der
Abklärungsbericht vom 6. Oktober 2015 genüge den von der Rechtsprechung
gestellten Anforderungen nicht. Es fehlten darin jegliche Zeitangaben sowie
konkrete und nachvollziehbare Vergleiche zwischen der Situation vor und
derjenigen nach Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung. Des Weitern
habe sich die Vorinstanz überhaupt nicht mit der Frage auseinandergesetzt,
inwiefern den Familienmitgliedern Unterstützungspflichten, unter
Berücksichtigung des Zumutbarkeitsprinzips, überhaupt bzw. aufgrund der
familieninternen Aufgaben- und Rollenverteilung zugewiesen werden könnten.  
 
3.  
 
3.1. Im Zusammenhang mit den Einschränkungen im Haushalt ist nicht die
medizinisch-theoretische Arbeitsunfähigkeit ausschlaggebend, sondern wie sich
der Gesundheitsschaden in der nichterwerblichen Betätigung konkret auswirkt,
was durch die Abklärung an Ort und Stelle (vgl. Art. 69 Abs. 2 Satz 2 IVV) zu
erheben ist (Urteil 9C_121/2011 vom 31. März 2011 E. 3.1.1 mit Hinweisen). Die
Abklärung erstreckt sich im Haushalt auch auf den zumutbaren Umfang der
Mithilfe von Familienangehörigen, welche im Rahmen der Schadenminderungspflicht
zu berücksichtigen ist und weiter geht als die ohne Gesundheitsschädigung
üblicherweise zu erwartende Unterstützung (BGE 133 V 504 E. 4.2 S. 509 f. mit
Hinweisen; Urteil 9C_150/2012 vom 30. August 2012 E. 5.3.1; 9C_39/2010 vom 25.
März 2010 E. 4.3.2).  
 
3.2. Für den Beweiswert eines derartigen Abklärungsberichts ist wesentlich,
dass er von einer qualifizierten Person verfasst wird, die Kenntnis der
örtlichen und räumlichen Verhältnisse sowie der aus den medizinischen Diagnosen
sich ergebenden Beeinträchtigungen und Behinderungen hat. Weiter sind die
Angaben der versicherten Person zu berücksichtigen, wobei divergierende
Meinungen der Beteiligten im Bericht aufzuzeigen sind. Der Berichtstext muss
plausibel, begründet und angemessen detailliert bezüglich der einzelnen
Einschränkungen sein und in Übereinstimmung mit den an Ort und Stelle erhobenen
Angaben stehen (Urteile 9C_701/2016 vom 1. März 2017 E. 4.2; 8C_334/2014 vom
21. Juli 2014 E. 5.2; 9C_150/2012 vom 30. August 2012 E. 5.3.2; Urteil des
Eidg. Versicherungsgerichts I 90/02 vom 30. Dezember 2002 E. 3.2.3, nicht
publiziert in: BGE 129 V 67, aber in: AHI 2003 S. 215).  
 
4.  
 
4.1. Die Beschwerdeführerin anerkennt, dass die ärztliche Einschätzung der
Arbeitsfähigkeit nur eine (notwendige) Grundlage für den von der
Abklärungsperson durchzuführenden Betätigungsvergleich bildet, aber - ausser
unter besonderen, hier (wie unbestritten ist) nicht gegebenen Voraussetzungen -
nicht direkt darauf abgestellt werden kann (Urteil 9C_90/2010 vom 22. April
2010 E. 4.1.1.2). Dies kommt denn auch im Bericht des Dr. med. B.________,
Innere Medizin und Rheumatologie FMH, vom 24. April 2015 zum Ausdruck, in
welchem der Versicherten zwar eine Arbeitsunfähigkeit von 50 % attestiert,
gleichzeitig aber festgehalten wird, der genaue Grad sei bei Hausfrauen
schwierig zu eruieren und im Rahmen einer Haushaltsabklärung zu beurteilen.
Weiter steht fest, dass die Abklärungsperson in ihrem Bericht vom 6. Oktober
2015 Bezug auf die gesundheitlichen Probleme (chronisches zerviko-thorakales
Syndrom) nahm und dabei auch die Angaben der Versicherten berücksichtigte, die
Wohnverhältnisse aufzeigte und sich bei der Gewichtung der einzelnen Aufgaben
an die Bandbreite gemäss Rz. 3086 des Kreisschreibens über Invalidität und
Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung (KSIH) hielt.  
 
4.2. Zu Unrecht macht die Versicherte geltend, bei den einzelnen Positionen im
Bericht vom 6. Oktober 2015 fehle ein Vergleich des Zeitaufwandes vor und nach
Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung. Denn im Unterschied zu anderen
Abklärungsberichten, beispielsweise wenn ein Intensivpflegezuschlag zur
Diskussion steht und deshalb - wegen der auf einer zeitlichen Betrachtungsweise
beruhenden Anspruchsgrundlage (Art. 42ter Abs. 3 IVG und Art. 39 IVV) - gefragt
wird, wie viel Zeit infolge der gesundheitlichen Beeinträchtigung für die
zusätzliche Betreuung notwendig ist (vgl. dazu SVR 2014 IV Nr. 14 S. 55, 9C_666
/2013 E. 8.2), reicht es in einem Haushaltsbericht aus, wenn die
Abklärungsperson die Einschränkung in den einzelnen Bereichen umschreibt und in
Prozenten schätzt. Dass im Bericht vom 6. Oktober 2015 in diesem Sinne kein
invaliditätsbedingter Mehraufwand in Stunden ausgewiesen wurde, ist somit nicht
zu beanstanden.  
 
4.3. Nicht beigepflichtet werden kann der Versicherten auch, soweit sie
sinngemäss geltend macht, die Feststellungen im Haushaltsbericht seien
unrichtig im Sinne einer zu optimistischen Schätzung der gesundheitlich
bedingten Einschränkungen in den einzelnen Bereichen, dies insbesondere als
Folge einer zu weit gefassten bzw. unzutreffenderweise nicht genauer
definierten Schadenminderungspflicht der Familienmitglieder:  
 
4.3.1. Die von der Abklärungsperson ermittelten Einschränkungen scheinen mit
Blick auf die medizinisch feststehenden Beeinträchtigungen plausibel und stehen
auch mit den von der Versicherten am 6. Oktober 2015 gemachten Angaben
(insbesondere auch betreffend die gelebte Aufgabenverteilung; vgl. dazu E.
4.3.2) im Einklang. Klar feststellbare Fehleinschätzungen, welche ein Abweichen
vom Abklärungsbericht rechtfertigen könnten, sind weder ersichtlich noch
dargetan.  
 
4.3.2. Anhaltspunkte dafür, dass die Abklärungsperson die Mithilfe der
Familienangehörigen, welche die Versicherte (im Rahmen der sie treffenden
Schadenminderungspflicht) in Anspruch nehmen muss (vgl. auch BGE 141 V 642 E.
4.3.2 S. 648 mit Hinweisen), in unzumutbarem Mass berücksichtigt hätte, sind
nicht ersichtlich. Es gibt keine Hinweise, dass es dem gesundheitlich ebenfalls
beeinträchtigten und nur in einem Erwerbspensum von 50 bis 70 % tätigen Ehemann
oder den vier noch im Haushalt lebenden Kindern - davon zum Abklärungszeitpunkt
zwei bereits volljährig (geb. 1993 und 1995), die anderen 15 und 16 Jahre alt
(geb. 1999 und 2000) - nicht möglich sein soll, der Versicherten verschiedene,
ihr selber nicht mehr zumutbare Haushaltsarbeiten abzunehmen oder ihr dabei,
soweit nötig, zu helfen. Die Abklärungsperson hat denn auch nicht einzelne
Funktionen oder die Haushaltführung insgesamt auf die übrigen
Familienmitglieder überwälzt, was unzulässig wäre (BGE 141 V 642 E. 4.3.2 S.
648; 133 V 504 E. 4.2 S. 510). Vielmehr hat sie die von ihnen erwartete
Mithilfe richtigerweise in einzelnen, entgegen der Behauptung in der Beschwerde
genau bezeichneten Tätigkeiten und unter Berücksichtigung der von der
Versicherten selber gemachten Angaben berücksichtigt. So hielt die
Abklärungsperson gestützt auf die Darstellung der Versicherten insbesondere
fest, die Familienmitglieder unterstützten die Beschwerdeführerin bei mehr als
ein Abwischen erfordernden Reinigungsarbeiten in der Küche, die Kinder putzten
ihre Zimmer selber, die Tochter kaufe häufig auf dem Nachhauseweg das Nötigste
ein und der Ehemann begleite die Beschwerdeführerin bei den gelegentlichen
Einkäufen am Wochenende. Dass derartige Hilfestellungen unter den gegebenen
Umständen ohne weiteres zumutbar sind, bedurfte bzw. bedarf keiner weiteren
Begründung.  
 
4.4. Nach dem Gesagten ist nicht ersichtlich, inwiefern dem Abklärungsbericht
vom 6. Oktober 2015 nicht voller Beweiswert beizumessen wäre. Er ist plausibel,
begründet und angemessen detailliert bezüglich der einzelnen
Beeinträchtigungen. Dass sich die Vorinstanz darauf beschränkt hat, seinen
Beweiswert zu bejahen, die Notwendigkeit weiterer Abkärungen damit sinngemäss
zu verneinen und auf die im Bericht festgehaltene gesundheitliche Einschränkung
im Aufgabenbereich von insgesamt 13.5 % abzustellen, verletzt kein Bundesrecht.
 
 
4.5. Die im Haushalt bestehende Einschränkung von (gerundet) 14 % verleiht
keinen Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 2 IVG). Die Beschwerde
ist abzuweisen.  
 
5.   
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht Appenzell Ausserrhoden, 3.
Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 6. September 2017 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Die Gerichtsschreiberin: Keel Baumann 

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