Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 363/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
9C_363/2017  
 
 
Urteil vom 22. Juni 2018  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichter Meyer, Parrino, 
Gerichtsschreiberin Huber. 
 
Verfahrensbeteiligte 
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Luzern vom 5. April 2017 (5V
16 331). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1969 geborene A.________ meldete sich am 15. Februar 2010 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Luzern
wies den Anspruch auf eine Rente nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren mit
Verfügung vom 29. Juli 2016 ab (Invaliditätsgrad: 33 %). 
 
B.   
Die von A.________ dagegen erhobene Beschwerde hiess das Kantonsgericht Luzern
mit Entscheid vom 5. April 2017 teilweise gut. Es hob die Verfügung vom 29.
Juli 2016 auf und sprach dem Versicherten ab 1. August 2010 eine Viertelsrente
zu. 
 
C.   
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit
dem Rechtsbegehren, Dispositiv-Ziffern 1 und 2 des kantonalen Entscheids seien
aufzuheben und die Richtigkeit der Verfügung vom 29. Juli 2016 (kein Anspruch
auf eine Invalidenrente) sei festzustellen. 
A.________ schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen (BSV) verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG
). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.   
Streitig und zu prüfen ist allein die Höhe des Abzuges vom Tabellenlohn für die
Ermittlung des Invalideneinkommens. 
 
2.1. Die Frage nach der Höhe des Abzuges ist eine typische Ermessensfrage,
deren Beantwortung letztinstanzlicher Korrektur nur mehr dort zugänglich ist,
wo das Gericht das Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat, also
Ermessensüberschreitung, -missbrauch oder -unterschreitung vorliegt (BGE 137 V
71 E. 5.1 S. 72 f.; 132 V 393 E. 3.3 S. 39; Urteil 8C_439/2017 vom 6. Oktober
2017 E. 5.3).  
 
2.2. Im Gegensatz zur Kognition des Bundesgerichts ist diejenige der Vorinstanz
in diesem Zusammenhang nicht auf Rechtsverletzung (einschliesslich
Ermessensüberschreitung, -missbrauch oder -unterschreitung) beschränkt, sondern
erstreckt sich auch auf die Beurteilung der Angemessenheit der
Verwaltungsverfügung. Bei der Angemessenheit geht es um die Frage, ob der zu
überprüfende Entscheid, den die Behörde nach dem ihr zustehenden Ermessen im
Einklang mit den allgemeinen Rechtsprinzipien in einem konkreten Fall getroffen
hat, nicht zweckmässigerweise anders hätte ausfallen sollen. Allerdings darf
das kantonale Gericht sein Ermessen nicht ohne triftigen Grund an die Stelle
desjenigen der Verwaltung setzen; es muss sich somit auf Gegebenheiten
abstützen können, die seine abweichende Ermessensausübung als naheliegender
erscheinen lassen (BGE 137 V 71 E. 5.2 S. 73 mit Hinweis).  
 
3.  
 
3.1. Die Vorinstanz stellte fest, aus somatischer Sicht sei der Versicherte
ganztags arbeitsfähig, wobei er seine linke Hand als Hilfshand nur noch selten
einsetzen könne. Es müsse deshalb von einer Einhändigkeit rechts ausgegangen
werden. Aufgrund seiner psychischen Einschränkungen sei er auf ein
wohlwollendes Arbeitsklima ohne hohe Anforderungen an Flexibilität, emotionale
Stabilität und geteilte Aufmerksamkeit angewiesen. Dabei handle es sich um
Tätigkeiten mit wenig Verantwortung und Wechseln. Die IV-Stelle habe dem
Beschwerdegegner in der angefochtenen Verfügung einen Leidensabzug von 15 %
gewährt. Dabei sei nicht die volle Leistungseinschränkung der linken Hand
(faktische Einhändigkeit rechts) berücksichtigt worden. Diese allein würde
jedoch schon einen Abzug von 20 % begründen. Das kantonale Gericht erwog, diese
Einschränkung im Zusammenhang mit den erheblichen, auch aus psychiatrischer
Sicht formulierten, Anforderungen an einen wohlwollenden Arbeitgeber würden
einen Leidensabzug von 25 % rechtfertigen.  
 
3.2. Die IV-Stelle macht geltend, die abweichende Ermessensausübung durch das
kantonale Gericht sei nicht durch triftige Gründe gerechtfertigt und daher als
willkürlich zu bezeichnen.  
 
4.  
 
4.1. Das kantonale Gericht erkannte im Rahmen der medizinischen
Beweiswürdigung, die Versicherungsmedizinerin Dr. med. B._______, Fachärztin
für Chirurgie FMH, sei zwar am 17. Februar 2015 zum Schluss gekommen, die
geäusserten Dauerschmerzen in Ruhe und in der Nacht seien nicht erklärbar. Sie
habe jedoch das Zumutbarkeitsprofil dahingehend formuliert, als von einer
Einhändigkeit rechts ausgegangen werden müsse, wobei die linke Hand als
Hilfshand nur selten eingesetzt werden könne. Die Beschwerdeführerin habe den
Bericht von Dr. med. B.________ nicht eingeholt. Deshalb sei er dem Regionalen
Ärztlichen Dienst (RAD) nicht bekannt gewesen. Der RAD habe folglich nicht
realisieren können, weshalb der Unfallversicherer eine faktische Einarmigkeit
in dem Sinne angenommen habe, dass die linke Hand nur noch selten als Hilfshand
zu gebrauchen sei (Protokolleinträge vom 26. Mai 2015 und 2. Juni 2015). Die
Beschwerdeführerin bringt nichts vor, was diese Sachverhaltsfeststellungen -
und somit auch die vorinstanzliche Erkenntnis, die IV-Stelle habe beim Abzug
von 15 % nicht die volle Leistungseinschränkung der linken Hand (faktische
Einhändigkeit rechts) berücksichtigt - offensichtlich unrichtig oder sonstwie
bundesrechtswidrig (E. 1 hiervor) erscheinen lässt, weshalb diese für das
Bundesgericht verbindlich bleiben.  
 
4.2. Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Bundesgericht gehe in ständiger
Rechtsprechung davon aus, auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt seien durchaus
Stellen vorhanden, die einhändig ausgeführt werden könnten. Zu Recht
berücksichtigte die Vorinstanz diesen Punkt bei der Frage, ob der Versicherte
seine Restarbeitsfähigkeit verwerten kann und kam zum Schluss, der
ausgeglichene Arbeitsmarkt biete ihm durchaus Betätigungsmöglichkeiten (vgl.
Urteil 9C_939/2011 vom 13. Februar 2012 E. 4.3 mit Hinweisen). Für die
Beurteilung, ob die Vorinstanz bei einem Abzug von 25 % ihr Ermessen
rechtsfehlerhaft ausübte, kann die IV-Stelle damit nichts zu ihren Gunsten
ableiten.  
 
4.3. Bei der Bemessung der Höhe des Abzugs orientierte sich das kantonale
Gericht unter anderem an der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach eine
faktische Einhändigkeit oder Beschränkung der dominanten Hand als Zudienhand
einen Abzug von 20 bis 25 % zu rechtfertigen vermag (Urteil 9C_418/2008 vom 17.
September 2008 E. 3.3.2 und 3.3.3 mit Hinweisen; vgl. auch Urteil 8C_670/2015
vom 12. Februar 2016 E. 5.2). Angesichts dieser Praxis und unter
Berücksichtigung, dass die IV-Stelle die faktische Einhändigkeit beim
leidensbedingten Abzug zu wenig einbezog (E. 4.1 hiervor), ist auch mit Blick
auf die Anforderungen an einen Arbeitsplatz aus psychiatrischer Sicht (E. 3.1
hiervor) ein leidensbedingter Abzug von insgesamt 25 % nicht überhöht. Dem
kantonalen Gericht kann keine rechtsfehlerhafte Ermessensausübung vorgeworfen
werden. Die Beschwerde ist unbegründet.  
 
5.   
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Überdies hat sie dem
Beschwerdegegner eine Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 1 und 2
BGG). 
 Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'400.- zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 22. Juni 2018 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Die Gerichtsschreiberin: Huber 

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