Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 292/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 

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9C_292/2017            

 
 
 
Urteil vom 7. September 2017  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann, Bundesrichter Parrino,
Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiberin Huber. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, 
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegnerin, 
 
B.A.________. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau 
vom 30. März 2017. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Mit Verfügung vom 18. Februar 2004 sprach die IV-Stelle des Kantons Aargau dem
1964 geborenen A.A.________ ab dem 1. Mai 2000 eine ganze Invalidenrente, eine
Zusatzrente für die Ehegattin und Kinderrenten für die beiden Kinder
B.A.________ (geboren 1994) und C.A.________ (geboren 1997) zu. Ab 1. April
2002 richtete die IV-Stelle eine weitere Kinderrente für D.A.________ (geboren
2002) aus. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) verfügte am 5.
Februar 2004, A.A.________ habe Anspruch auf eine Komplementärrente ab 1. Juli
2003. Im August 2014 beendete B.A.________ ihre Ausbildung als Kauffrau,
weshalb der Kinderrentenanspruch von A.A.________ für seine Tochter am 31.
August 2014 endete. 
Am 26. August 2016 meldete sich B.A.________, welche im August 2016 eine
Zweitausbildung begonnen hatte, zum Bezug einer Kinderrente an, die ihr die
IV-Stelle mit Verfügung vom 29. August 2016 ab 1. August 2016 zusprach. Die
Suva kürzte daraufhin am 2. September 2016 die Komplementärrente von
A.A.________ und verrechnete den zu viel überwiesenen Betrag mit seiner Rente. 
 
B.   
Die von A.A.________ gegen die Verfügung vom 29. August 2016 erhobene
Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom
30. März 2017 ab. 
 
C.   
A.A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids. In Aufhebung der
Verfügung der IV-Stelle vom 29. August 2016 sei gerichtlich festzustellen, dass
für B.A.________ ab 1. August 2016 kein Anspruch auf eine Kinderrente bestehe.
Die IV-Stelle sei zu verhalten, die Rentenbeträge in der Höhe der monatlichen
Kinderrente ab 1. August 2016 an ihn nachzuzahlen. Eventuell sei die
Kinderrente ab sofort im Sinne einer dringlichen Anordnung auf das von ihm
bezeichnete Konto, subeventuell auf ein Sperrkonto, zu bezahlen. 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. B.A.________ und das
Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichten auf eine Stellungnahme. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter
anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG
). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
1.2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG
). Indes prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht
der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend
gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich
sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236).  
 
2.   
Streitig ist der Anspruch auf eine Kinderrente ab 1. August 2016. Dabei steht
fest und ist unbestritten, dass die Tochter des Versicherten ihre Ausbildung
zur Kauffrau E-Profil abgeschlossen hat. Ebenfalls liegt ausser Streit, dass es
sich bei der von Tochter B.A.________ ab August 2016 angefangenen
Berufsmaturität Richtung Gesundheit und Soziales um eine Zweitausbildung
handelt. 
 
2.1. Die Vorinstanz erwog in Anlehnung an die Wegleitung des BSV über die
Renten in der Eidgenössischen Alters-, Hinterlassenen- und
Invalidenversicherung (RWL Rz. 3358), die von der Tochter B.A.________
angetretene Zweitausbildung gelte als Ausbildung im Sinne der Rechtsprechung
und Art. 49 ^bis Abs. 1 AHVV (SR 831.101), weshalb sich die erneute Ausrichtung
einer Kinderrente der Invalidenversicherung als rechtmässig erweise. Es bestehe
kein Anlass, im sozialversicherungsrechtlichen Verfahren aus zivilrechtlichen
Überlegungen von der Praxis abzuweichen.  
 
2.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Rz. 3358 RWL verstosse klar gegen
Art. 49 ^ter AHVV. Tochter B.A.________ habe eine abgeschlossene Ausbildung.
Bei einer Zweitausbildung sei ein Anspruch auf eine Kinderrente zu verneinen.
Die genannte Weisungsbestimmung verlange zudem eine systematische Ausbildung,
von welcher im vorliegenden Fall nicht auszugehen sei; denn Tochter
B.A.________ habe bereits im Sommer 2014 eine KV-Lehre abgeschlossen und
während zwei Jahren nichts im Hinblick auf die weitere Ausbildung unternommen.
Es bestehe kein Anspruch auf Mündigenunterhalt für eine klassische
Zweitausbildung, weshalb die zivilrechtliche Ordnung durch die Bejahung des
Kinderrentenanspruchs und die direkte Zahlung an die Tochter unterlaufen werde.
 
 
3.  
 
3.1.  
 
3.1.1. Männer und Frauen, denen eine Invalidenrente zusteht, haben für jedes
Kind, das im Falle ihres Todes eine Waisenrente der Alters- und
Hinterlassenenversicherung beanspruchen könnte, Anspruch auf eine Kinderrente (
Art. 35 Abs. 1 IVG). Anspruch auf eine Waisenrente im Sinne der AHV haben
Kinder, deren Vater oder Mutter gestorben ist (Art. 25 Abs. 1 AHVG). Der
Anspruch entsteht am ersten Tag des dem Tode des Vaters oder der Mutter
folgenden Monats; er erlischt mit der Vollendung des 18. Altersjahres oder mit
dem Tod der Waise (Art. 25 Abs. 4 AHVG). Für Kinder, die noch in Ausbildung
sind, dauert der Rentenanspruch bis zu deren Abschluss, längstens aber bis zum
vollendeten 25. Altersjahr. Der Bundesrat kann festlegen, was als Ausbildung
gilt (Art. 25 Abs. 5 AHVG).  
 
3.1.2. Diesem Auftrag kam der Bundesrat mit den auf den 1. Januar 2011 in Kraft
getretenen Art. 49 ^bis und Art. 49 ^ter AHVV nach. Dabei handelt es sich um
unselbstständige Verordnungsnormen im Sinne von gesetzesvertretenden
Bestimmungen, weshalb dem Bundesrat ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt (
BGE 141 V 473 E. 8.2 S. 477). Das Bundesgericht hielt in BGE 138 V 286 E. 4.2.2
S. 289 fest, für die nähere Bestimmung des Begriffes Ausbildung sowie deren
Unterbrechung und Beendigung könne auf die Gerichts- und Verwaltungspraxis,
namentlich auf die Weisungen des BSV, abgestellt werden (vgl. BGE 142 V 442 E.
3.1 S. 443).  
 
3.1.3. Gemäss Art. 49 ^bis Abs. 1 AHVV ist ein Kind in Ausbildung, wenn es sich
auf der Grundlage eines ordnungsgemässen, rechtlich oder zumindest faktisch
anerkannten Bildungsganges systematisch und zeitlich überwiegend entweder auf
einen Berufsabschluss vorbereitet oder sich eine Allgemeinausbildung erwirbt,
die Grundlage bildet für den Erwerb verschiedener Berufe (vgl. auch BGE 108 V
54 und 104 V 64). Als in Ausbildung gilt ein Kind auch, wenn es Brückenangebote
wahrnimmt wie Motivationssemester und Vorlehren sowie Au-pair und
Sprachaufenthalte, sofern sie einen Anteil Schulunterricht enthalten (Art. 49 ^
bis Abs. 2 AHVV). Nach Rz. 3358 RWL spielt es keine Rolle, ob es sich um eine
erstmalige Ausbildung, eine Zusatz- oder Zweitausbildung handelt. Mit einem
Berufs- oder Schulabschluss ist die Ausbildung beendet (Art. 49 ^ter Abs. 1
AHVV). Gemäss Erläuterungen des BSV zu den Änderungen der AHVV auf den 1.
Januar 2011 betreffend Art. 49 ^ter Abs. 1 AHVV (Dokument einsehbar unter:
www.bsv.admin.ch, Sozialversicherungen, unter der Rubrik Gesetze und
Verordnungen, Archiv) ist es nach einem Berufsabschluss möglich, anschliessend
oder später eine weitere Ausbildung aufzunehmen. Das Gleiche gilt für einen
Schulabschluss (Bsp. Matura).  
 
3.2. Zweck der Kinderrente der Invalidenversicherung für volljährige Kinder ist
- wie jener der Waisenrenten der AHV für volljährige Waisen - die Förderung der
beruflichen Ausbildung (BGE 139 V 122 E. 4.3 S. 126 mit Hinweis auf EVGE 1950
S. 61 E. 1 S. 62 ff.; UELI KIESER, Alters- und Hinterlassenenversicherung, 3.
Aufl. 2012, S. 244 Rz. 5 zu Art. 25 AHVG). Der Begriff der Ausbildung ist
umfassend und weit zu verstehen (GABRIELA RIEMER-KAFKA, Bildung, Ausbildung und
Weiterbildung aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht, in: SZS 2004 S. 216).
Eine weite Fassung des Begriffs Ausbildung war bereits in der Botschaft vom 24.
Mai 1946 zum Entwurf des AHVG (BBl 1946 II 412 Ziff. III/3b) vorgesehen. Danach
sollten in der Ausführungsverordnung alle Arten der Ausbildung für den
zukünftigen Beruf unter diesen Begriff subsumiert werden.  
 
3.3. Dies setzte der Bundesrat in Art. 49 ^bis AHVV um, welcher keinen
abschliessenden Charakter hat (BGE 140 V 314 E. 4.3.1 S. 318 f.; ULRICH MEYER/
MARCO REICHMUTH, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG], 3. Aufl.
2014, S. 472 Rz. 4 zu Art. 35 IVG). Durch die Regelung des Ausbildungsbegriffes
auf Verordnungsstufe und die Präzisierungen in der RWL ist die ältere strengere
Rechtsprechung teilweise überholt. Unter anderem dehnte der Bundesrat den
Ausbildungsbegriff im Vergleich zur bis dahin geltenden Praxis gar weiter aus.
Namentlich gilt ein Motivationssemester im Vergleich zu früher als Ausbildung
(vgl. Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 546/01 vom 27. Februar 2002 E.
3).  
 
3.4. Mit Blick auf den weit und umfassend zu verstehenden Ausbildungsbegriff
und den Umstand, dass das Bundesgericht für die nähere Bestimmung dieses
Begriffes explizit auf die Gerichts- und Verwaltungspraxis, namentlich die RWL,
verwies (E. 3.1.2), ist es für die Sozialversicherungen unerheblich, ob es sich
um eine Erst- oder eine Zweitausbildung handelt (so auch: UELI KIESER/MARCO
REICHMUTH, Bundesgesetz über die Familienzulagen [FamZG], Praxiskommentar,
2010, S. 75 Rz. 52 zu Art. 3 FamZG; MARKUS KRAPF, Die Koordination von
Unterhalts- und Sozialversicherungsleistungen für Kinder Art. 285 Abs. 2 und 2
^bis ZGB, 2004, Rz. 352; MIRIAM LENDFERS, Junge Erwachsene in Ausbildung, JaSo
2014, S. 131; THOMAS LOCHER/THOMAS GÄCHTER, Grundriss des
Sozialversicherungsrechts, 4. Aufl. 2014, S. 415 Rz. 14; DIETER WIDMER, Die
Sozialversicherung in der Schweiz, 10. Aufl. 2015, S. 45). In diesem Sinne
entschied das Eidgenössische Versicherungsgericht bereits in BGE 104 V 64. Es
bejahte einen Kinderrentenanspruch für einen Bezüger einer AHV-Altersrente,
dessen volljähriger Sohn sich nach dem Abschluss einer Drogistenlehre auf dem
zweiten Bildungsweg auf die Matura vorbereitete.  
 
3.5. Nach dem Gesagten stellt die Rz. 3358 RWL entgegen dem Beschwerdeführer
keinen Verstoss gegen Art. 49 ^ter Abs. 1 AHVV dar. Denn fällt auch eine
Zweitausbildung unter den Begriff der Ausbildung, ist es möglich, nach einem
Berufs- oder Schulabschluss anschliessend oder später eine weitere Ausbildung
aufzunehmen, wobei die Altersgrenze zu beachten ist (Art. 25 Abs. 5 AHVG). Der
vom Versicherten geltend gemachte Umstand, seine Tochter habe nach Beendigung
ihrer kaufmännischen Ausbildung zwei Jahre nichts im Hinblick auf die weitere
Ausbildung unternommen, führt nicht zur Verneinung der geforderten Systematik
nach Art. 49 ^bis Abs. 1 AHVV. Für die Zeit zwischen dem Abschluss der ersten
Ausbildung und dem Beginn der Zweitausbildung steht denn auch ein Anspruch auf
eine Kinderrente ausser Frage.  
 
4.   
Im Weiteren ist der Frage nachzugehen, ob der Kinderrentenanspruch von einer
zivilrechtlichen Unterhaltspflicht abhängig ist, wie der Beschwerdeführer
geltend macht. 
 
4.1. Bei der Auslegung sozialversicherungsrechtlicher Regelungen mit Anknüpfung
an familienrechtliche Tatbestände (wie Ehe, Verwandtschaft oder Vormundschaft)
ist rechtsprechungsgemäss davon auszugehen, dass der Gesetzgeber vorbehältlich
gegenteiliger Anordnungen die zivilrechtliche Bedeutung des jeweiligen
Instituts im Blickfeld hatte, zumal das Familienrecht für das
Sozialversicherungsrecht Voraussetzung ist und diesem grundsätzlich vorgeht
(vgl. BGE 140 I 77 E. 5.1 S. 80; 135 V 361 E. 5.3.3 S. 366 f.; 124 V 64 E. 4a
S. 67; 121 V 125 E. 2c/aa S. 127).  
 
4.2. Die Kinderrente soll für den Unterhalt des Kindes verwendet werden (ULRICH
MEYER/MARCO REICHMUTH, a.a.O., S. 476 Rz. 11 zu Art. 35 IVG). Dies ist jedoch
nicht gleichbedeutend mit einer Unterhaltspflicht im zivilrechtlichen Sinne.
Denn das Gesetz verlangt nach Art. 25 AHVG in Verbindung mit Art. 35 Abs. 1 IVG
als Anspruchsvoraussetzung neben dem Eintreten des Versicherungsfalles bei der
versicherten Person einzig das Kindesverhältnis zum anspruchsbegründenden Kind.
Der Gesetzgeber hat anlässlich der 6. AHV-Revision, mit welcher die
Altersgrenze für den Rentenanspruch vom vollendeten 20. auf das vollendete 25.
Altersjahr heraufgesetzt wurde, davon abgesehen, den Anspruch der Waisenrente
mit der Voraussetzung zu verbinden, dass die elterliche Unterhaltspflicht bei
Eintreten des Versicherungsfalles weiterbesteht (BGE 106 V 147 E. 3b S. 151 f.;
Botschaft vom 16. September 1963 zur Änderung des AHVG, BBl 1963 II 543 Ziff. B
/II/3; MARKUS KRAPF, a.a.O., Rz. 170).  
 
4.3. Eine analoge Anwendung der Unterhaltspraxis nach ZGB wäre denn auch nicht
sachgerecht. Beim zivilrechtlichen Mündigenunterhalt ist die Zumutbarkeit nach
den gesamten Umständen zu prüfen. Diese verlangt unter anderem Rücksichtnahme
auf die wirtschaftliche Leistungskraft der Eltern (PETER BREITSCHMID, in:
Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 5. Aufl. 2014, Rz. 14 zu Art. 277 ZGB).
Erst nach Abwägung der finanziellen Möglichkeiten des Pflichtigen mit den
Ausbildungsplänen und -wünschen des Kindes und dessen Fähigkeiten (sowie
allfälligen weiteren Faktoren) lässt sich beurteilen, was in der konkreten
Situation angemessen ist. Dieses Kriterium der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit des Vaters oder der Mutter spielt im Anwendungsbereich von 
Art. 35 IVG in Verbindung mit Art. 25 AHVG offensichtlich keine Rolle (vgl.
MARKUS KRAPF, a.a.O., Rz. 355). Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kindes
sind einzig bei der Abgrenzung der Ausbildung von der Erwerbstätigkeit von
Bedeutung (Art. 49 ^bis Abs. 3 AHVV; vgl. hierzu BGE 142 V 226).  
 
4.4. Der Beschwerdeführer erblickt darin eine Ungleichbehandlung von Kindern,
dessen Eltern nicht rentenberechtigt sind. Nach dem Gesagten handelt es sich
jedoch bei der Kinderrente um einen vom Zivilrecht losgelösten Anspruch mit
eigenen Voraussetzungen. Sind diese erfüllt, vermag daran nichts zu ändern,
dass ein volljähriges Kind in Zweitausbildung ohne invalide Eltern allenfalls
keinen Unterhalt im Sinne des Zivilrechts erhält. Es bleibt im Übrigen auf den
umgekehrten Fall hinzuweisen, wonach aufgrund der Vollendung des 25.
Altersjahres nur noch der familienrechtliche Unterhaltsanspruch in Frage kommt.
 
 
5.   
Zu prüfen bleibt, ob die Kinderrente direkt der Tochter des Versicherten
ausbezahlt werden kann. 
 
5.1. In BGE 134 V 15 (bestätigt mit Urteil 9C_326/2009 vom 20. Oktober 2009)
verneinte das Bundesgericht eine Auszahlung der Kinderrente an das mündige
Kind. Es führte aus, der Bundesrat habe auf den 1. Januar 2002 Art. 71 ^
ter AHVV erlassen und damit positivrechtlich die Drittauszahlung an den nicht
rentenberechtigten Elternteil, unter dessen Sorge das Kind stehe, geregelt,
während er die Direktauszahlung an das mündige Kind nicht normiert habe. Eine
richterrechtlich auszufüllende Lücke für die Auszahlung einer Kinderrente an
mündige Kinder verneinte das Bundesgericht (BGE 134 V 15 E. 2.3.4 S. 18 mit
Hinweis auf BGE 129 V 362 E. 3.4 S. 365 f.).  
 
5.2. Diese Rechtsprechung zeitigte in der Praxis unbefriedigende Ergebnisse,
die nur über den in Art. 35 Abs. 4 zweiter Satz IVG vorbehaltenen
zivilrechtlichen Weg beseitigt werden konnten (Erläuterungen des BSV, a.a.O.,
Vorbemerkung zu Art. 71 ^ter AHVV; ULRICH MEYER/ MARCO REICHMUTH, a.a.O., S.
477 Rz. 14 zu Art. 35 IVG). Der Bundesrat erliess in der Folge Art. 71 ^
ter Abs. 3 AHVV, welcher am 1. Januar 2011 in Kraft trat. Danach ändert sich an
der vorher praktizierten Auszahlung nichts, wenn das Kind volljährig wird, es
sei denn, das volljährige Kind verlange die Auszahlung an sich selber.
Abweichende vormundschaftliche oder zivilrechtliche Anordnungen bleiben
vorbehalten. Diese Vorschrift ist nach Art. 35 Abs. 4 IVG in Verbindung mit 
Art. 82 Abs. 1 IVV sinngemäss auf Kinderrenten der Invalidenversicherung
anwendbar. Ein Verstoss gegen Zivilrecht ist darin entgegen dem
Beschwerdeführer nicht zu erblicken; denn in Art. 71 ^ter Abs. 3 AHVV sind
abweichende vormundschaftliche oder zivilrechtliche Anordnungen ausdrücklich
vorbehalten. Die direkte Auszahlung an die Tochter des Beschwerdeführers ist
somit keineswegs rechtswidrig, geschweige denn willkürlich.  
 
6.   
Dem Beschwerdeführer wird die Komplementärrente aufgrund der an die Tochter
auszuzahlenden Kinderrente gekürzt, was unbillig erscheinen mag, jedoch keine
vom Gesetz abweichende Behandlung rechtfertigt. Es stellt sich lediglich die
Frage, ob im Rahmen der Berechnung der Komplementärrente allenfalls eine Lösung
im Sinne des Versicherten möglich wäre. Dies kann allerdings im
invalidenversicherungsrechtlichen Verfahren nicht beantwortet werden. 
 
7.   
Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um sofortige Bezahlung der
Kinderrente auf ein vom Beschwerdeführer genanntes Konto, eventuell auf ein
Sperrkonto, im Sinne einer vorsorglichen Massnahme nach Art. 104 BGG
gegenstandslos. 
 
8.   
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, B.A.________, dem Versicherungsgericht des
Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich
mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 7. September 2017 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Die Gerichtsschreiberin: Huber 

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