Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 254/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
9C_254/2017        

Urteil vom 21. August 2017

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
Bundesrichter Parrino, nebenamtlicher Bundesrichter Weber,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch
Rechtsanwältin Claudia Schumacher-Starkl,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Luzern, 3. Abteilung, vom 3.
Februar 2017.

Sachverhalt:

A. 
Die IV-Stelle Luzern sprach dem 1977 geborenen A.________ im Anschluss an
dessen Besuch einer Sonderschule berufliche Massnahmen und entsprechende
Taggelder zu. Im Oktober 1997 (Postaufgabe) meldete sich der Versicherte erneut
zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung an. Im Feststellungsblatt
vom 12. Oktober 1998 zum Rentenbeschluss vermerkte die IV-Stelle als
Ausgangsbasis "Jugendinvalidität"; sodann errechnete sie einen Invaliditätsgrad
von 85,39 %. Mit Verfügung vom 4. Dezember 1998 sprach sie A.________ eine
ganze Invalidenrente ab 1. Juli 1997 zu. Mit Verfügung vom 7. Februar 2003,
Mitteilung vom 15. Juni 2007 und Verfügung vom 13. Mai 2008 wurde der bisherige
Rentenanspruch jeweils (ohne nähere Überprüfung der entsprechenden
Voraussetzungen) bestätigt.
Im Februar 2014 leitete die Verwaltung erneut ein Revisionsverfahren ein. Dabei
veranlasste sie insbesondere das Gutachten des Dr. med. B.________, Facharzt
für Psychiatrie und Psychotherapie beim Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD), vom
13. November 2014 ("neuropsychiatrisch-neuropsychologische
Komplexfallabklärung"). Am 10. Februar 2015 bot die IV-Stelle Luzern A.________
Unterstützung bei der Stellensuche an. Ab März 2015 kam sie für zwei
Arbeitsversuche während jeweils sechs Monaten auf. Zu einer anschliessenden
Festanstellung kam es nicht. Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens hob
die IV-Stelle mit Verfügung vom 2. Juni 2016 die Invalidenrente
wiedererwägungsweise auf Ende Juli 2016 auf.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Kantonsgericht Luzern mit Entscheid
vom 3. Februar 2017 gut. Es hob die Verfügung vom 2. Juni 2016 auf und bejahte
einen weiterhin bestehenden Anspruch auf eine ganze Rente.

C. 
Die IV-Stelle beantragt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten, der Entscheid vom 3. Februar 2017 sei aufzuheben, und ihre
Verfügung vom 2. Juni 2016 sei zu bestätigen.
A.________ schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es legt seinem
Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105
Abs. 1 BGG) und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Eine
Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig, wenn
sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig
unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Es liegt noch keine
offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in
Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erscheint (vgl. BGE 129 I
8 E. 2.1 S. 9; Urteil 9C_101/2015 vom 30. November 2015 E. 1.1). Diese
Grundsätze gelten auch in Bezug auf die konkrete Beweiswürdigung (Urteile
9C_391/2015 vom 28. Januar 2016 E. 1; 9C_753/2015 vom 20. April 2016 E. 1).

2.

2.1. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen vor Bundesgericht nur so weit
vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt
(Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 135 V 194), was in der Beschwerde näher darzulegen ist
(BGE 133 III 393 E. 3 S. 395). Der vorinstanzliche Verfahrensausgang allein
bildet noch keinen hinreichenden Anlass im Sinne von Art. 99 Abs. 1 BGG für die
Zulässigkeit von unechten Noven, die bereits im kantonalen Verfahren ohne
Weiteres hätten vorgebracht werden können. Das Vorbringen von Tatsachen, die
sich erst nach dem angefochtenen Entscheid ereigneten oder entstanden (echte
Noven), ist vor Bundesgericht unzulässig (BGE 143 V 19 E. 1.2 S. 23 f.; 140 V
543 E. 3.2.2.2 S. 548; 139 III 120 E. 3.1.2 S. 123).

2.2. Die Beschwerdeführerin reicht neu eine "fachliche Stellungnahme" des
RAD-Arztes Dr. med. B.________ und einen Datenträger ein, die sie in einem
anderen - mittlerweile entschiedenen - bundesgerichtlichen Verfahren ebenfalls
vorgelegt hatte. Sie erläutert jedoch nicht, warum sie diese nicht bereits im
vorinstanzlichen Verfahren präsentierte; sie bleiben daher unberücksichtigt.
Das gleiche gilt für die erstmals geltend gemachten Resultate einer
Internet-Recherche über den Beschwerdegegner. Zudem wurden die entsprechenden
Auszüge aus dem facebook-Profil des Versicherten erst im letztinstanzlichen
Verfahren als Beweismittel produziert, weshalb sie von vornherein unzulässig
sind.

3.

3.1. Der Versicherungsträger kann durch Wiedererwägung auf formell
rechtskräftige Verfügungen oder Einspracheentscheide zurückkommen, wenn diese
zweifellos unrichtig sind und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist
(Art. 53 Abs. 2 ATSG). Zweifellose Unrichtigkeit bedeutet, dass kein
vernünftiger Zweifel an der (von Beginn weg bestehenden) Unrichtigkeit der
Verfügung möglich, also einzig dieser Schluss denkbar ist. Das Erfordernis ist
erfüllt, wenn eine Leistungszusprechung unvertretbar war, weil sie aufgrund
falscher Rechtsregeln erfolgte oder weil massgebliche Bestimmungen nicht oder
unrichtig angewandt wurden (BGE 138 V 324 E. 3.3 S. 328). Qualifiziert
unrichtig ist die Verfügung auch, wenn ihr ein unvollständiger Sachverhalt
zugrunde liegt, z.B. in der Form, dass die Invaliditätsbemessung nicht auf
einer nachvollziehbaren oder unvollständigen ärztlichen Einschätzung der
Arbeitsfähigkeit beruht (vgl. Urteile 9C_466/2010 vom 23. August 2010 E. 3.2.2
und 9C_307/2011 vom 23. November 2011 E. 3.2 mit Hinweis). Die Frage der
zweifellosen Unrichtigkeit beurteilt sich nach der Sach- und Rechtslage im
Zeitpunkt des Verfügungserlasses, einschliesslich der damaligen Rechtspraxis
(vgl. BGE 138 V 147 E. 2.1 S. 149).

3.2. Streitig und zu prüfen ist, ob die ursprüngliche Verfügung vom 4. Dezember
1998 zweifellos unrichtig war, was die Vorinstanz verneint hat.

3.3.

3.3.1. Die Rentenzusprache an den Beschwerdegegner wurde laut dem
Feststellungsblatt vom 12. Oktober 1998 auf einen Einkommensvergleich
abgestützt, wobei das Valideneinkommen gemäss Art. 26 IVV (SR 831.201)
festgelegt und das vom Versicherten bei einem Verwandten als Hilfsgipser
erzielte Einkommen als Invalideneinkommen angenommen wurde. Damit wurde ein
Invaliditätsgrad von 85.39 % ermittelt. Ein Arztbericht für die damalige
Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Beschwerdegegners ist nicht aktenkundig.

3.3.2. Die Vorinstanz schliesst aus dem Eintrag vom 7. Oktober 1996 im
Protokoll der IV-Stelle, dass eine RAD-Ärztin zum einen sich mit einer
Abklärung im Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst (KJPD) einverstanden
erklärt und zum anderen eine Rentenüberprüfung wegen mangelnder
Eingliederungsfähigkeit empfohlen habe. Eine derartige Stellungnahme habe wohl
nur nach einer medizinischen Aktenbeurteilung erfolgen können. Damit sei aber
zumindest seitens des RAD eine medizinische Einschätzung vorgenommen worden.
Diese Interpretation des Protokolleintrages vom 7. Oktober 1996 ist jedoch
nicht haltbar. Inhalt des protokollierten Gesprächs war die Zustimmung der
RAD-Ärztin zu einer Abklärung durch den KJPD. Eine solche fand offensichtlich
nicht statt. Mangels einer medizinische Aktenlage konnte die RAD-Ärztin eine
solche auch gar nicht würdigen. Die aktenkundigen Berichte über den Aufenthalt
in der Sonderschule und in einem heilpädagogischen Zentrum und jener des
Schulpsychologischen Dienstes haben einen anderen Inhalt und Stellenwert als
eine medizinische Beurteilung und vermögen eine solche nicht zu ersetzen.
Es kann auch keine Rede davon sein, dass am 4. Dezember 1998 eine
Rentenzusprache ohne jegliche Prüfung der medizinischen Voraussetzungen üblich
gewesen sein soll, wie die Vorinstanz ausgeführt hat. So legte etwa ULRICH
MEYER-BLASER in seinem mehr als ein Jahr vor Erlass der Verfügung vom 4.
Dezember 1998 erschienenen Werk "Rechtsprechung des Bundesgerichts zum
Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG) "
(1. Aufl. 1997, S. 229) dar, dass der Arztbericht ein notwendiges Element zur
Beurteilung des Leistungsanspruches sei und als Aussage eines Sachverständigen
den Feststellungen medizinischer Laien vorgehe und auch nicht durch einen
gerichtlichen Augenschein ersetzt werden dürfe (vgl. auch BGE 122 V 157 E. 1b
S. 158 f. mit Hinweisen). Dass die Verwaltung diese Auffassung teilte, zeigt
insbesondere der Protokolleintrag vom 7. Oktober 1996 mit der dort vorgesehenen
(aber unterbliebenen) Abklärung durch den KJPD. Die Zusprache einer ganzen
Invalidenrente ohne medizinische Grundlage war zweifellos unrichtig im Sinn von
Art. 53 Abs. 2 ATSG (E. 3.1).

3.4. Aus dem Urteil 8C_265/2016 vom 6. Juni 2016, auf welches sich der
Versicherte in diesem Zusammenhang beruft, ergibt sich nichts anderes: Die dem
genannten Urteil zugrunde liegenden medizinischen Grundlagen wurden als "aus
heutiger Sicht zwar eher knapp" bezeichnet (Urteil 8C_265/2016 vom 6. Juni 2016
E. 4.2). Im Gegensatz zur vorliegenden Aktenlage waren aber medizinische
Unterlagen vorhanden.

4.

4.1. Die Aufhebung der Rente auf dem Weg einer Wiedererwägung setzt voraus,
dass zu diesem Zeitpunkt keine (anspruchsbegründende) Invalidität vorhanden ist
(SVR 2014 IV Nr. 39 S. 137, 9C_121/2014 vom 3. September 2014 E. 3.4). Die
Beschwerdeführerin beruft sich dafür auf das Gutachten des RAD-Arztes Dr. med.
B.________ vom 13. November 2014. Diesem hat die Vorinstanz die Beweiskraft
abgesprochen.

4.2. Bei der Beurteilung der Arbeits (un) fähigkeit stützt sich die Verwaltung
und im Beschwerdefall das Gericht auf Unterlagen, die von ärztlichen und
gegebenenfalls auch anderen Fachleuten zur Verfügung zu stellen sind. Ärztliche
Aufgabe ist es, den Gesundheitszustand zu beurteilen und dazu Stellung zu
nehmen, in welchem Umfang und bezüglich welcher Tätigkeiten die versicherte
Person arbeitsunfähig ist. Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes
ist entscheidend, ob dieser für die streitigen Belange umfassend ist, auf
allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden
berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in
der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge sowie der medizinischen
Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen der Experten begründet sind
(BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis).
Auf das Ergebnis versicherungsinterner ärztlicher Abklärungen - zu denen die
RAD-Berichte (vgl. Art. 49 Abs. 2 IVV) gehören - kann nicht abgestellt werden,
wenn auch nur geringe Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit
bestehen (BGE 139 V 225 E. 5.2 S. 229; 135 V 465 E. 4.4 S. 469 f. und E. 4.7 S.
471; Urteil 8C_839/2016 vom 12. April 2017 E. 3.2).

4.3. Die Vorinstanz hat festgestellt, es gebe keine medizinischen
Fachgesellschaften, welche die bei der RAD-Begutachtung angewandten Methoden
zur individuellen klinischen Diagnostik empfehlen oder anerkennen. Weiter sei
früher ein Intelligenzquotient von 75 angenommen worden, während der RAD-Arzt
einen solchen von 95 ermittelt habe. Dessen Einschätzung stehe zudem in krassem
Gegensatz zur gesamten früheren schulischen und ausbildungsmässigen Aktenlage.
Der Experte habe sich mit diesen Diskrepanzen nicht auseinandergesetzt.
Ob die Begutachtung auf methodischen Mängeln beruhte, kann offenbleiben. Die
verbindlich (E. 1) festgestellten Diskrepanzen ohne entsprechende
Auseinandersetzung genügen bereits, zumindest geringe Zweifel am RAD-Gutachten
zu begründen (E. 4.2). Auch wenn es allenfalls Teile einer lege artis
erstellten psychiatrischen Expertise enthält, genügt es insgesamt den
Anforderungen an die Beweiskraft nicht. Für eine aussagekräftige Bewertung wäre
eine umfassende psychiatrische Begutachtung notwendig gewesen, wie das
kantonale Gericht zutreffend erkannt hat.

4.4. Die Vorinstanz hat weder selber die notwendigen Abklärungen veranlasst,
noch die IV-Stelle im Rahmen eines Rückweisungsentscheides dazu angehalten.
Vielmehr hat sie die wiederwägungsmässigen Voraussetzungen für die Aufhebung
der bestehenden Invalidenrente als nicht erfüllt betrachtet und erwogen, dass
bei der bestehenden Aktenlage "nicht dargetan werden" könne, dass aktuell eine
Arbeitsfähigkeit im freien Markt vorliege.
Dieses Vorgehen widerspricht dem Untersuchungsgrundsatz (Art. 43 und Art. 61
lit. c ATSG), der verlangt, dass entsprechende Beweise erhoben werden. Die
Annahme einer Beweislosigkeit ist erst möglich, wenn es sich als unmöglich
erweist, im Rahmen der Abklärungspflicht aufgrund einer Beweiswürdigung einen
Sachverhalt zu ermitteln, der zumindest die Wahrscheinlichkeit für sich hat,
der Wirklichkeit zu entsprechen (UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, N.
59 zu Art. 43 ATSG, mit Verweis auf Urteil 8C_641/2012 vom 14. Januar 2013 E.
3.3). Hinzu kommt, dass der Versicherte nach der wiedererwägungsweisen
Aufhebung der ursprünglichen Verfügung vom 4. Dezember 1998 (E. 3) hinsichtlich
eines weiteren Rentenanspruchs grundsätzlich die objektive Beweislast, d.h. die
Folgen der Beweislosigkeit trägt. Auch aus diesem Grund hätte die Vorinstanz
nicht eine Arbeitsunfähigkeit annehmen dürfen. Die IV-Stelle wird weitere
Abklärungen zu treffen und erneut über den Rentenanspruch ab August 2016 zu
befinden haben.

5. 
Die Vorinstanz qualifizierte die beruflichen Massnahmen der Beschwerdeführerin,
die es dem Beschwerdegegner ermöglichen sollten, die (von der Verwaltung
angenommene) Arbeitsfähigkeit zu verwerten, als ungenügend.
Sollte sich durch die weiteren Abklärungen ergeben, dass der Versicherte im
massgeblichen Zeitpunkt zumindest teilweise arbeitsfähig war, so ist Folgendes
zu berücksichtigen: In zahlreichen Protokolleintragungen ist dokumentiert, dass
die IV-Stelle versuchte, den Beschwerdegegner ab dem 5. März 2015 durch
Arbeitsvermittlung und durch zwei Arbeitstrainings von je sechs Monaten Dauer
einzugliedern. Diese Massnahmen sind grundsätzlich als hinreichende
Unterstützung zu den ihm selber obliegenden Bemühungen zur Selbsteingliederung
zu werten. Die von der Vorinstanz gestellte Anforderung, dass eine
differenzierte schriftliche Evaluation zu erfolgen habe, die als Grundlage für
die Beurteilung der Verwertbarkeit der (allfälligen) Arbeitsfähigkeit zu dienen
habe, geht über die im Urteil 9C_228/2010 vom 26. April 2011 E. 3.3 angeführten
Verpflichtungen der Verwaltung, in Einzelfällen Eingliederungshilfe zu leisten,
hinaus. Auch bei Versicherten, die, wie der Beschwerdegegner, mehr als 15 Jahre
eine Invalidenrente bezogen, gelten die Grundsätze eines ausgeglichenen
Arbeitsmarktes. Dieser bietet auch Nischenarbeitsplätze, in welchen die
Verwertbarkeit einer Arbeitsfähigkeit bei einem Arbeitgeber mit einem sozialen
Entgegenkommen möglich ist (vgl. dazu das Urteil 8C_602/2010 vom 30. August
2010 E. 4.2.2).

6. 
Dem Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden
Beschwerdegegner aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Ergebnis ist ohne
Einfluss auf die vorinstanziche Kostenregelung, weshalb sich eine
diesbezürliche Rückweisung an die Vorinstanz erübrigt.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Kantonsgerichts
Luzern vom 3. Februar 2017 und die Verfügung der IV-Stelle Luzern vom 2. Juni
2016 werden aufgehoben, soweit sie den Rentenanspruch ab 1. August 2016
betreffen. Die Sache wird zu neuer Verfügung an die IV-Stelle Luzern
zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 21. August 2017

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Pfiffner

Die Gerichtsschreiberin: Dormann

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