Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 24/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_24/2017

Urteil vom 4. Mai 2017

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Hübscher,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau,
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin,

BVG-Sammelstiftung Swiss Life,
c/o Swiss Life AG,
General Guisan-Quai 40, 8002 Zürich.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
16. November 2016.

Sachverhalt:

A. 
Der 1966 geborene A.________ bezog gemäss Verfügung der IV-Stelle des Kantons
Aargau vom 3. Oktober 2002 vom 1. Januar 1999 bis am 31. Dezember 2001 eine
halbe und seit 1. Januar 2002 eine ganze Invalidenrente aufgrund eines
Invaliditätsgrades von 100 %, welche in zwei Revisionsverfahren bestätigt
wurde. Im Februar 2013 leitete die IV-Stelle eine neuerliche Rentenrevision
ein. Sie holte eine polydisziplinäre Expertise des Ärztlichen
Begutachtungsinstituts GmbH, Basel (ABI), vom 10. Februar 2014 ein. Gestützt
darauf und auf eine Stellungnahme des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) vom
20. Februar 2014 hob sie die bisher ausgerichtete Invalidenrente mit Verfügung
vom 16. Juni 2016 auf den 31. Juli 2016 auf. Dabei berief sich die IV-Stelle
auf die Schlussbestimmungen zur 6. IV-Revision, wonach die Aufhebung einer
Invalidenrente bei Beschwerdebildern ohne nachweisbare organische Grundlage
unter bestimmten Voraussetzungen auch in Betracht falle, wenn sich der
medizinische Sachverhalt nicht geändert hat. Diese Voraussetzungen seien hier
erfüllt.

B. 
A.________ liess Beschwerde führen mit dem Rechtsbegehren um Weitergewährung
einer ganzen Invalidenrente. Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau liess
die Frage offen, ob eine Aufhebung der Invalidenrente aufgrund der
Schlussbestimmungen der 6. IV-Revision zulässig sei. Denn in Anwendung der
Revisionsbestimmung des Art. 17 Abs. 1 ATSG sei die Rentenaufhebung zu
bestätigen. Dementsprechend wies es die Beschwerde nach Beiladung der
BVG-Sammelstiftung Swiss Life als Vorsorgeeinrichtung des Versicherten zum
Verfahren mit Entscheid vom 16. November 2016 ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt der Versicherte
den vorinstanzlich gestellten Antrag auf Weiterausrichtung der ganzen
Invalidenrente erneuern; ferner ersucht er um die Bewilligung der
unentgeltlichen Rechtspflege.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde, eventuell auf Rückweisung
der Sache zu weiteren Abklärungen an die Vorinstanz, schliesst, verzichten die
zum Verfahren beigeladene BVG-Sammelstiftung Swiss Life und das Bundesamt für
Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung
des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 lit. a BGG beruht und wenn die Behebung
des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs.
1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob die seit 1. Januar 2002 ausgerichtete ganze
Invalidenrente zu Recht eingestellt wurde.

2.1. Die Vorinstanz hat festgehalten, ob die Rente im Sinne der
Verwaltungsverfügung vom 16. Juni 2016 gestützt auf lit. a der
Schlussbestimmungen der Änderung vom 18. März 2011 des Bundesgesetzes über die
Invalidenversicherung (6. IV-Revision) eingestellt werden dürfe, könne
offenbleiben. Denn die Rentenaufhebung könne gestützt auf die
Revisionsbestimmung des Art. 17 ATSG einer erneuten Überprüfung unterzogen
werden.

2.2. Dieser Auffassung ist beizupflichten. Die Rechtsprechung betreffend die
substituierte Begründung kommt auch im Zusammenhang mit der Schlussbestimmung
zur 6. IV-Revision zur Anwendung (vgl. SVR 2014 IV Nr. 39 S. 137, 9C_121/2014
E. 3.2.2; Urteil 8C_23/2015 vom 24. Juli 2015 E. 2.2).

3.

3.1. Das kantonale Gericht gelangte aufgrund des polydisziplinären Gutachtens
des ABI vom 10. Februar 2014, namentlich des psychiatrischen Teilgutachtens des
Dr. med. B.________, welchem es vollen Beweiswert zuerkannte, zum Schluss, dass
im Zeitraum seit Erlass der Rentenverfügung vom 3. Oktober 2002 bis zur
Aufhebung der Invalidenrente gemäss Verfügung vom 16. Juni 2016 eine erhebliche
Verbesserung im Gesundheitszustand des Beschwerdeführers eingetreten sei. Die
ursprünglich diagnostizierte mittelschwere depressive Episode sei im Zeitpunkt
der Rentenaufhebung remittiert gewesen. In somatischer Hinsicht sei die
Expertise des ABI unbestritten geblieben.

3.2. Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass dem
psychiatrischen Teilgutachten des Dr. med. B.________, welches die Vorinstanz
ihrem Entscheid zugrunde gelegt hat, kein Beweiswert zukomme. Es sei nicht auf
das Beweisthema einer Rentenrevision, d.h. die Entwicklung des
Gesundheitsschadens im massgebenden Zeitraum, ausgerichtet. Das kantonale
Gericht hätte nicht auf diese Expertise abstellen dürfen, da der Psychiater des
ABI sich nicht mit den ursprünglichen Berichten der behandelnden Ärzte
auseinandersetzte. Auch die Verlaufsberichte des behandelnden Psychiaters Dr.
med. C.________, vom 4. April 2013 und des Dr. med. D.________ habe der
Gutachter nicht in seine Beurteilung einbezogen.

3.3. Soweit sich die beschwerdeweise vorgetragenen Ausführungen nicht in einer
im Rahmen der gesetzlichen Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts (E. 1
hievor) unzulässigen Kritik an der vorinstanzlichen Beweiswürdigung und einer
nicht näher zu prüfenden Diskussion der verschiedenen Auffassungen der
beteiligten Ärzte erschöpfen, ohne dass eine Bundesrechtsverletzung geltend
gemacht wird, sind sie unbegründet. Wie die Vorinstanz dargelegt hat,
entspricht das psychiatrische Teilgutachten des Dr. med. B.________ in allen
Teilen den Anforderungen, die von der Rechtsprechung an eine medizinische
Expertise gestellt werden, die zwecks Rentenrevision eingeholt wird (SVR 2013
IV Nr. 44 S. 134, 8C_441/2012 E. 6.1.2 und 2012 IV Nr. 18 S. 81, 9C_481/2010 E.
4.2). Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers beschränkt sich
ABI-Gutachter Dr. med. B.________ nicht auf aktuelle Befunde und die
Einschätzung der zum Zeitpunkt der psychiatrischen Untersuchung vom 16.
Dezember 2013 bestehenden Arbeitsunfähigkeit. Vielmehr äussert er sich zu
Beginn und Verlauf der Arbeitsunfähigkeit und gelangt zum Schluss, dass sich
gegenwärtig keine Hinweise für eine depressive Störung mehr fänden, die
erwähnte mittelgradige depressive Episode also remittiert sei, sodass aus
psychiatrischer Sicht keine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit attestiert
werden könne. Das Fehlen eines depressiven Zustandes hat der Psychiater im
Übrigen mittels seiner Feststellungen bei der Untersuchung veranschaulicht,
indem er ausführlich die verschiedenen Tätigkeiten geschildert hat, die der
Beschwerdeführer regelmässig verrichtet, die er aus fachärztlicher Sicht jedoch
nicht oder nicht im gleichen Ausmass ausüben könnte, wenn eine erhebliche
depressive Störung vorläge. Wenn das kantonale Gericht in Würdigung des
psychiatrischen Teilgutachtens des ABI eine massgebliche Verbesserung des
Gesundheitszustandes mit Folgen für die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit
angenommen hat, lässt sich darin weder eine offensichtlich unrichtige
Sachverhaltsfeststellung noch eine anderweitige Bundesrechtsverletzung (E. 1
hievor) erkennen.
Hieran vermögen die weiteren Einwendungen in der Beschwerde nichts zu ändern.
Nicht entscheidend ist, dass sich der Gutachter nicht mit allen zur Verfügung
stehenden psychiatrischen Unterlagen seit dem Zeitpunkt der Zusprechung einer
ganzen Invalidenrente im Einzelnen auseinandergesetzt hat. Die für die
Beurteilung der Entwicklung des Gesundheitszustandes notwendigen medizinischen
Unterlagen standen dem Psychiater zur Verfügung, wie sich der Auflistung der
vorhandenen Akten und dem Auszug aus den wichtigsten Vordokumenten im Gutachten
ergibt.

4. 
Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist stattzugeben, da die gesetzlichen
Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Der Beschwerdeführer
ist indessen auf Art. 64 Abs. 4 BGG hinzuweisen. Danach hat die Partei der
Gerichtskasse Ersatz zu leisten, wenn sie später dazu in der Lage ist.
 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren
wird gutgeheissen, und es wird dem Beschwerdeführer Rechtsanwalt Andreas
Hübscher als Rechtsbeistand beigegeben.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4. 
Rechtsanwalt Andreas Hübscher wird aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von
Fr. 2'800.- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, der BVG-Sammelstiftung Swiss Life, dem
Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 4. Mai 2017

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Pfiffner

Der Gerichtsschreiber: Widmer

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