Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 190/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     

{T 0/2}            
9C_190/2017

Urteil vom 12. April 2017

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Grünenfelder.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Advokat Dominik Zehntner,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Solothurn,
Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 8. Februar 2017.

Sachverhalt:

A. 
Die 1960 geborene A.________ meldete sich im Oktober 2012 wegen psychischen
Störungen, Kopfschmerzen und unkontrollierbaren Zuckungen bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons
Solothurn führte verschiedene Abklärungen durch; insbesondere holte sie bei den
Dres. med. B.________ und C.________ ein bidisziplinäres Gutachten ein, das vom
19. Mai 2014 datiert. Gestützt darauf erliess die Verwaltung einen ersten
Vorbescheid und stellte A.________ eine Viertelsrente (Invaliditätsgrad: 44 %)
in Aussicht. Aufgrund der Einwände der Vorsorgeeinrichtung der Versicherten
führte die IV-Stelle in der Folge ein neues Vorbescheidverfahren durch und
verneinte einen Rentenanspruch schliesslich mit Verfügung vom 12. Februar 2016.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn mit Entscheid vom 8. Februar 2017 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei die
IV-Stelle zu verpflichten, ihr ab 1. April 2013 eine Viertelsrente zu
entrichten.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen über die Invalidität
(Art. 8 Abs. 1 ATSG und Art. 4 IVG), den Rentenanspruch und dessen Umfang (Art.
28 Abs. 1 und 2 IVG) sowie den Untersuchungsgrundsatz und die freie
Beweiswürdigung (Art. 43 Abs. 1 und 61 lit. c ATSG) zutreffend dargelegt.
Ebenso korrekt sind die Ausführungen zum Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit (BGE 117 V 194 E. 3b S. 194 f.) und zu Funktion und
Beweiskraft medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 125 V 251 E. 3a S. 252
ff.; 135 V 465 E. 4.4 S. 470). Richtig wiedergegeben hat die Vorinstanz sodann
insbesondere die Rechtsprechung betreffend anhaltende somatoforme
Schmerzstörungen und damit vergleichbare psychosomatische Leiden (BGE 141 V 281
) sowie bezüglich Aufgabenteilung zwischen begutachtender Arztperson und
rechtsanwendender Stelle (BGE 140 V 193 E. 3.2 S. 195 f. mit Hinweisen). Darauf
wird verwiesen.

3. 
Die Vorinstanz hat der bidisziplinären Expertise vom 19. Mai 2014, insbesondere
dem psychiatrischen Teilgutachten des Dr. med. C.________, Beweiskraft
beigemessen, wonach die Versicherte an einer dissoziativen Bewegungsstörung
(ICD-10 F44.4) leidet, ferner akzentuierte Persönlichkeitszüge vom narzisstisch
instabilen, selbstunsicheren, ängstlich vermeidenden, anankastischen und
aggressionsgehemmten Typ (ICD-10 Z73.1) vorliegen. Nicht gefolgt ist das
kantonale Gericht hingegen der vom psychiatrischen Gutachter attestierten
Arbeitsunfähigkeit (40 %). Vielmehr hat es die Verfügung der IV-Stelle vom 12.
Februar 2016 bestätigt und einen invalidisierenden psychischen
Gesundheitsschaden gestützt auf BGE 141 V 281 verneint.

4. 

4.1. Die von den beiden Administrativgutachtern erhobenen gesundheitlichen
Beeinträchtigungen fallen unstreitig unter BGE 141 V 281 (vgl. BGE 140 V 8 E.
2.2.1.3 S. 13 f.). Der Sinn dieses - die Schmerzrechtsprechung gemäss BGE 130 V
352 ablösenden - Urteils liegt darin, die Festlegung der Arbeitsunfähigkeit
(Art. 6 ATSG) als Gegenstand eines (strukturierten) Beweisverfahrens unter
Heranziehung der rechtlich formulierten Beweisthemen (im Urteil "Komplexe",
"Indikatoren" genannt; BGE 141 V 281 E. 4.1.2 und 4.1.3 S. 297 f.) und nicht
mehr als qualifizierender Wertungsentscheid gemäss der früheren
Überwindbarkeitsvermutung zu verstehen (BGE 141 V 281 E. 3.6 S. 294 f.). Das
Urteil verlangt aber einen Beweis auf objektiver Beurteilungsgrundlage, weil
nur ein solcher den Anforderungen des Art. 7 Abs. 2 ATSG zu genügen vermag (BGE
141 V 281 E. 3.7.1 S. 295). Das heisst, dass allein die ärztliche
Arbeitsunfähigkeitsschätzung diesen Beweis nicht erbringen kann, weil sie vom
Ermessen des psychiatrischen Sachverständigen abhängt (fehlende Reliabilität in
der ärztlichen Folgenabschätzung; vgl. BGE 141 V 281 E. 5.1 und 5.2 S. 304
ff.). Vielmehr kann nach BGE 141 V 281 der Beweis für eine langdauernde und
erhebliche  gesundheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, also funktionelle
Einschränkungen und/oder Verlust psychischer Ressourcen, nur dann als geleistet
betrachtet werden, wenn die Prüfung der massgeblichen Beweisthemen, im Rahmen
einer umfassenden Betrachtung (allseitige Beweiswürdigung), ein  stimmiges
Gesamtbild für die Bejahung einer Arbeitsunfähigkeit zeichnet (vgl. BGE 141 V
281 E. 4.4.1 S. 303 f.). Fehlt es daran, ist der Beweis nicht geleistet und
nicht zu erbringen, was sich nach den Regeln über die materielle Beweislast
(Verteilung der Folgen der Beweislosigkeit) zulasten der rentenansprechenden
Person auswirkt, welche aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt ein Recht
(den Anspruch auf Invalidenrente) ableiten wollte (BGE 141 V 281 E. 6 in fine
S. 308).

4.2. In casu zeigt das diagnostisch überzeugende und in der Erläuterung der
psychodynamischen Vorgänge einleuchtende psychiatrische Gutachten des Dr. med.
C.________ kein solches stimmiges Gesamtbild einer Einschränkung der
Versicherten in allen Lebensbereichen. Dies ist jedoch nach dem Gesagten (E.
4.1) im Sinne von stützenden Indizien bei Leiden erforderlich, die als solche
nicht objektivierbar sind. Vielmehr ist das persönliche, familiäre und soziale
Leben der Beschwerdeführerin weitgehend intakt und nicht ersichtlich (im Sinne
der Evidenz) durch die Behinderung beeinträchtigt (vgl. Gutachten, S. 15 ["Zum
Sozialen"]). Demgemäss hat das kantonale Gericht insbesondere eine
Einschränkung im sozialen Kontext zu Recht verneint. Die 40%ige
Arbeitsunfähigkeit, wie sie der psychiatrische Experte Dr. med. C.________
attestiere (vgl. bidisziplinäres Gutachten, S. 21), ist zu wenig abgesichert,
um eine invalidisierende Gesundheitsbeeinträchtigung gemäss BGE 141 V 281
annehmen zu können. So ist beispielsweise nicht einsehbar, dass die
Beschwerdeführerin mit ihrer Fehlhaltung des rechten Armes und den
geschilderten Zuckungen gemäss verbindlicher (vgl. E. 1) vorinstanzlicher
Sachverhaltsfeststellung einen Töpferkurs - was manuelles Geschick verlangt -
besuchen kann, ihr aber Büroarbeit, wie sie sie vor Eintritt der beruflichen
Krise mit folgender Entlassung ausübte, nicht zumutbar sein soll. Die
vorinstanzlichen Erwägungen überzeugen in allen Teilen. Weitere Abklärungen
vermögen daran nichts zu ändern (antizipierende Beweiswürdigung; BGE 136 I 229
E. 5.3 S. 236; 134 I 140 E. 5.3 S. 148; 124 V 90 E. 4b S. 94), ebenso wenig die
Einwendungen in der Beschwerde, welche den dargelegten Sinn von BGE 141 V 281
verkennen. Der vorinstanzliche Entscheid ist bundesrechtskonform.

5. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 12. April 2017

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Pfiffner

Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder

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