Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 176/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
9C_176/2017        

Urteil vom 18. August 2017

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann, Bundesrichter Parrino,
Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Grünenfelder.

Verfahrensbeteiligte
SWICA Krankenversicherung AG, Rechtsdienst, Römerstrasse 38, 8400 Winterthur,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle Basel-Landschaft,
Hauptstrasse 109, 4102 Binningen,
Beschwerdegegnerin,

A.A.________,
handelnd durch seine Eltern
B.A.________ und C.A.________

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 3.
Februar 2017.

Sachverhalt:

A. 
Der 2011 geborene A.A.________ leidet an einer angeborenen Entwicklungsstörung
der Harnröhre (Hypospadie), weshalb er am 9. Dezember 2012 hospitalisiert wurde
und sich am folgenden Tag einer Operation unterziehen musste. Die Rechnung für
diese Behandlung ging am 3. Februar 2014 bei der SWICA Krankenversicherung AG
(nachfolgend: SWICA) ein. Diese übernahm den ausgewiesenen Betrag als
obligatorische Krankenpflegeversicherung des Versicherten vorleistungsweise. Am
12. August 2014 wurde A.A.________ unter Hinweis auf das Geburtsgebrechen bei
der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet. Die IV-Stelle
Basel-Landschaft teilte seinen Eltern am 29. April 2015 mit, die Vorleistungen
der SWICA könnten infolge verspäteter Geltendmachung nur für die zwölf der
Anmeldung vorangehenden Monate nachgezahlt werden; die Voraussetzungen für eine
weitergehende Nachzahlung seien nicht erfüllt. In diesem Sinne sprach sie
A.A.________ erst ab 1. August 2013 die für die Behandlung des
Geburtsgebrechens notwendigen medizinischen Massnahmen unter Ausschluss einer
rückwirkenden Vergütung der von der SWICA erbrachten Leistungen zu (Verfügung
vom 17. Mai 2016).

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde der SWICA wies das Kantonsgericht
Basel-Landschaft mit Entscheid vom 3. Februar 2017 ab.

C. 
Die SWICA beantragt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten,
in Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei die IV-Stelle zu verpflichten,
ihr die erbrachten Vorleistungen von Fr. 8'506.05 zurückzuerstatten.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. A.A.________ und das
Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

2. 
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über den Anspruch auf medizinische
Massnahmen bei Geburtsgebrechen (Art. 3 Abs. 2 ATSG in Verbindung mit Art. 13
IVG; Art. 1 f. der Verordnung vom 9. Dezember 1985 über Geburtsgebrechen [GgV;
SR 831.232.21]) und Hypospadie im Besonderen (Ziff. 352 Anhang GgV) zutreffend
dargelegt.

3.

3.1. Begründet ein Versicherungsfall einen Anspruch auf
Sozialversicherungsleistungen, bestehen aber Zweifel darüber, welche
Sozialversicherung die Leistungen zu erbringen hat, so kann die berechtigte
Person Vorleistung verlangen (Art. 70 Abs. 1 ATSG). Vorleistungspflichtig ist
die Krankenversicherung für Sachleistungen und Taggelder, deren Übernahme durch
die Krankenversicherung, die Unfallversicherung, die Militärversicherung oder
die Invalidenversicherung umstritten ist (Art. 70 Abs. 2 lit. a ATSG). Die
berechtigte Person hat sich bei den in Frage kommenden Sozialversicherungen
anzumelden (Art. 70 Abs. 3 ATSG). Soweit von Art. 70 Abs. 2 lit. a ATSG
Sachleistungen erfasst sind, muss ein Zweifel über die Leistungspflicht bei
einer Heilbehandlung bestehen, weil die Krankenpflegeversicherung grundsätzlich
nur Leistungen mit einer diagnostischen, therapeutischen oder pflegerischen
Zielsetzung erbringt. Es geht somit um Untersuchungen, Behandlungen,
Pflegemassnahmen, Analysen, Arzneimittel sowie bestimmte Mittel und Gegenstände
(UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, N. 20 zu Art. 70 ATSG).

3.2. Nach Art. 71 ATSG erbringt der vorleistungspflichtige Versicherungsträger
die Leistungen nach den für ihn geltenden Bestimmungen. Wird der Fall von einem
anderen Träger übernommen, so hat dieser die Vorleistungen im Rahmen seiner
Leistungspflicht zurückzuerstatten. Ist somit gestützt auf Art. 70 ATSG die
Vorleistungspflicht bestimmt worden, richtet sich in der Folge die
Leistungspflicht nach den Bestimmungen der für den betreffenden
Sozialversicherungszweig massgebenden Regelung (vgl. BGE 131 V 78 E. 2 S. 80
f.), was bedeutet, dass sämtliche für die Leistungsausrichtung erheblichen
Fragen nach diesen Bestimmungen zu beantworten sind (vgl. KIESER, a.a.O., N. 3
und 4 zu Art. 71 ATSG; FRANZ SCHLAURI, Die zweigübergreifende Verrechnung und
weitere Instrumente der Vollstreckungskoordination des
Sozialversicherungsrechts, in: Schaffhauser/Schlauri [Hrsg.],
Sozialversicherungstagung 2004, S. 171 ff.).

4. 
Streitig und zu prüfen ist allein, ob eine länger als zwölf Monate
zurückreichende Nachzahlungspflicht der Invalidenversicherung zu Gunsten der
Beschwerdeführerin als vorleistende Krankenkasse besteht.

4.1. Macht eine versicherte Person ihren Anspruch auf eine
Hilflosenentschädigung, auf medizinische Massnahmen oder auf Hilfsmittel mehr
als zwölf Monate nach dessen Entstehung geltend, so wird die Leistung in
Abweichung von Artikel 24 Absatz 1 ATSG nur für die zwölf Monate nachgezahlt,
die der Geltendmachung vorangehen (Art. 48 Abs. 1 IVG).

4.2. Art. 48 Abs. 2 IVG lautet wie folgt:

"Die Leistung wird für einen längeren Zeitraum nachgezahlt, wenn die
versicherte Person:
       a.       den anspruchsbegründenden Sachverhalt nicht
kennen                     konnte; und
       b.       den Anspruch spätestens zwölf Monate, nachdem sie
davon                     Kenntnis erhalten hat, geltend macht."

4.3. Es steht fest, dass die Beschwerde führende Krankenkasse erst mit
Rechnungseingang am 3. Februar 2014 Kenntnis vom anspruchsbegründenden
Sachverhalt erhielt. Ebenso ist unbestritten, dass der Leistungsanspruch des
Versicherten bei der Invalidenversicherung im August 2014, d.h. innert zwölf
Monaten seit der Kenntnisnahme durch die Beschwerdeführerin (Art. 48 Abs. 2
lit. b IVG), geltend gemacht wurde.

4.4. Das kantonale Gericht hat dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin erst
mit Rechnungseingang am 3. Februar 2014 von der Operation des Versicherten im
Dezember 2012 erfuhr, keine Bedeutung beigemessen. Vielmehr hat es darauf
abgestellt, dass die Eltern des A.A.________ schon seit dessen Geburt vom
Behandlungsbedarf betreffend das Geburtsgebrechen Ziff. 352 Anhang GgV gewusst
hätten, und dieses Wissen der vorleistenden Krankenkasse zugerechnet. Daraus
hat die Vorinstanz geschlossen, dass die Anmeldung zum Leistungsbezug im August
2014 verspätet erfolgt sei und eine Nachzahlungspflicht der
Invalidenversicherung gemäss Art. 48 Abs. 2 IVG nicht bestehe.
Die Beschwerdeführerin wendet dagegen ein, das selbstständige Anmelderecht der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung mache nur Sinn, wenn diese die
Leistungen ab eigener Kenntnis des anspruchsbegründenden Sachverhalts geltend
machen könne. Es komme oft vor, dass die berechtigten Eltern die rechtzeitige
Anmeldung verpassten, sodass die Kasse den Leistungsanspruch im Eigeninteresse
einfordere. In dieser Konstellation sei die zwölfmonatige Frist, seitdem die
Eltern über den anspruchsbegründenden Sachverhalt orientiert gewesen seien,
meistens bereits verstrichen, während der betroffene Krankenpflegeversicherer
davon noch nichts wisse. Daher müsse Art. 48 Abs. 2 IVG, obschon die Bestimmung
nur die versicherte Person erwähne, analog auch für die vorleistende
Krankenkasse gelten.

5. 

5.1. Die Auslegung des Gesetzes ist auf die Regelungsabsicht des Gesetzgebers
und die von ihm erkennbar getroffenen Wertentscheidungen auszurichten.
Ausgangspunkt bildet der Wortlaut der auslegungsbedürftigen Bestimmung. Vom
daraus abgeleiteten Sinn ist abzuweichen, wenn triftige Gründe dafür bestehen,
dass der Gesetzgeber diesen nicht gewollt haben kann (vgl. BGE 136 V 84 E.
4.3.2.1 S. 92). Solche Gründe können sich insbesondere aus der
Entstehungsgeschichte der Norm, aus ihrem Zweck oder aus dem Zusammenhang mit
anderen Vorschriften ergeben (BGE 135 IV 113 E. 2.4.2 S. 116; 135 V 382 E.
11.4.1 S. 404; 127 III 318 E. 2b S. 322 f.).

5.2. Was die hier zu beantwortende Rechtsfrage (E. 4 a.A.) betrifft, erscheint
der - in allen drei Sprachfassungen übereinstimmende - Wortlaut des Art. 48
Abs. 2 IVG eindeutig: Massgebend für eine weiter als ein Jahr zurückreichende
Nachzahlungspflicht der Invalidenversicherung ist unter rein grammatikalischem
Blickwinkel, ob die versicherte Person ("l'assuré", "l'assicurato") den
anspruchsbegründenden Sachverhalt kennen konnte.

5.3.

5.3.1. Aus entstehungsgeschichtlicher Warte kommt in den Materialien (Botschaft
des Bundesrats an die Bundesversammlung zum Entwurf eines Bundesgesetzes
betreffend Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung vom 27.
Februar 1967, BBl 1967 I 687 ff.) betreffend den mit der 1. IV-Revision neu
eingeführten Art. 48 IVG die Absicht des Gesetzgebers zum Ausdruck, die
Rechtsstellung des Versicherten durch die Einführung einer vorläufigen
Leistungs- oder Kostengutsprachepflicht zu schützen. Der Bundesrat hielt fest,
es solle dafür gesorgt werden, dass ein Versicherungsfall auch dann ohne
Verzögerung abgedeckt werde, wenn noch nicht feststehe, welcher
Sozialversicherungszweig leistungspflichtig sei. Weiter sei es naheliegend, die
Vorleistungspflicht den Krankenkassen aufzuerlegen, weil sich der Versicherte
in Zweifelsfällen eher an seine Krankenpflegeversicherung als an die
Invalidenversicherung wenden dürfte. Zudem sei die Krankenkasse auch
verfahrensmässig besser in der Lage, die Vorleistung oder Kostengutsprache zu
übernehmen (BBl 1967 I 688).

5.3.2. Diese Entwicklung fand vor allem im Verordnungsrecht der
Krankenversicherung ihren Ausdruck: Art. 19 der Verordnung III über die
Krankenversicherung vom 15. Januar 1965 (AS 1965 41) sah vor, dass die
Invalidenversicherung, wenn sie einen Fall übernimmt, für welchen eine
Krankenkasse bereits Krankenpflegekosten bezahlt hat, der betreffenden Kasse
diese Kosten zurückerstatten muss, "sofern sie hievon zur Zeit der Erledigung
des Falles Kenntnis hat" (BBl 1967 I 688; zur entsprechenden Delegationsnorm in
der Invalidenversicherung vgl. Art. 45bis lit. a IVG des Bundesgesetzes
betreffend Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung vom 5.
Oktober 1967 [BBl 1967 II 503]). Was hingegen den Nachzahlungsanspruch der
versicherten Person betrifft, wurde mit der 1. IV-Revision einzig die zuvor auf
sechs Monate befristete Nachzahlungspflicht - der heutigen Regelung
entsprechend - auf zwölf Monate erhöht (vgl. Art. 48 Abs. 2 Bundesgesetz
betreffend Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung vom 5.
Oktober 1967). Die Botschaft betonte hierbei, der Versicherte werde sich, falls
er seine Ansprüche voll wahren wolle, bei der Anmeldung nach wie vor an eine
bestimmte Frist zu halten haben (BBl 1967 I 690).

5.3.3. Beschränkte der Bundesrat den Nachzahlungsanspruch der versicherten
Person auf ein Jahr vor der Geltendmachung, fehlen entsprechende Hinweise in
Bezug auf die Nachzahlungspflicht der Invalidenversicherung gegenüber der
vorleistenden Krankenkasse. Dies rührt daher, dass die Krankenpflegeversicherer
- wie soeben dargelegt (E. 5.3.1) - in erster Linie zur uneingeschränkten
Vorleistung verpflichtet werden sollten, um die Kostendeckung der versicherten
Person in Grenzfällen sicherzustellen. Insoweit vermag nicht zu erstaunen, dass
den Krankenkassen mit der 1. IV-Revision auch ein selbstständiges
Beschwerderecht für den Fall eingeräumt wurde, dass sie Vorleistungen erbracht
hatten (BBl 1967 I 689). Gestützt darauf liegt nahe, dass der Gesetzgeber der
unbegrenzten Vorleistungspflicht der Krankenkassen einen ebenso umfassenden
Nachzahlungs- bzw. Rückzahlungsanspruch gegenüberstellen wollte, während der
Nachzahlungsanspruch der versicherten Person an die zwölfmonatige Frist
gebunden - und somit beschränkt - sein sollte. Die historische Auslegung
spricht demzufolge eher für den Standpunkt der Beschwerdeführerin.

5.4.

5.4.1. Art. 48 Abs. 2 IVG ist aus systematischer Sicht als bereichsspezifisch
konkretisierte Form der Fristwiederherstellung analog Art. 41 ATSG, Art. 50 BGG
und Art. 24 VwVG zu verstehen, was einem allgemeinen Rechtsgrundsatz entspricht
(vgl. BGE 108 V 109; Urteil C 125/03 vom 10. Juli 2003 E. 1 mit Hinweisen;
AMSTUTZ/ARNOLD, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 1
zu Art. 50 BGG; KIESER, a.a.O., N. 4 zu Art. 71 ATSG; KÖLZ/HÄNER/BERTSCHI,
Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 3. Aufl. 2013, S.
204; PATRICIA EGLI, in: Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], Praxiskommentar
Verwaltungsverfahrensgesetz [VwVG], 2. Aufl. 2016, N. 1 zu Art. 24 VwVG). Die
Wiederherstellung setzt das Fehlen eines Verschuldens voraus, wobei ein
strenger Massstab anzuwenden ist. Ein bloss auf Unachtsamkeit beruhendes
Versehen stellt kein unverschuldetes Hindernis dar (EGLI, a.a.O, N. 4 zu Art.
24 VwVG; Urteil 2C_703/2009 vom 21. September 2010 E. 3.3 mit weiteren
Hinweisen). Die Überlegung, dass die Frist bei unverschuldeter Unkenntnis erst
mit Kenntnisnahme des anspruchsbegründenden Sachverhalts zu laufen beginnt,
findet sich im Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts beim Erlöschen
des Rückforderungsanspruchs oder beim Rückgriff (vgl. Art. 25 Abs. 2 ATSG und
Art. 72 Abs. 3 Satz 2 ATSG). Ferner ist auf die Bestimmungen des Privat- und
Strassenverkehrsrechts zu verweisen, welche für den Beginn des relativen
Fristenlaufs die Kenntnis des Schadens und der Person des Ersatzpflichtigen
voraussetzen (vgl. Art. 60 Abs. 1 OR und Art. 83 Abs. 1 SVG).

5.4.2. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (nachfolgend: EGMR)
befasste sich mit der Fristwahrung bzw. -wiederherstellung im Zusammenhang mit
der Haftung für Körperschäden, welche durch den Kontakt mit Asbest verursacht
wurden (vgl. Urteil in Sachen  Howald Moor gegen die Schweiz [52067/10 und
41072/11] vom 11. März 2014; zum Sachverhalt: BGE 136 II 187) : Der Gerichtshof
gelangte zur Auffassung, die systematische Anwendung der Verjährungs- oder
Verwirkungsregeln auf die Opfer von Krankheiten, welche erst lange Zeit nach
den krankheitsverursachenden Ereignissen hätten diagnostiziert werden können,
sei geeignet, die Betroffenen von der Möglichkeit auszuschliessen, ihre
Ansprüche vor Gericht geltend zu machen. Wenn es wissenschaftlich nachgewiesen
sei, dass eine Person nicht wissen könne, dass sie an einer bestimmten
Krankheit leide, müsse dieser Umstand bei der Berechnung der Verjährungs- oder
Verwirkungsfrist berücksichtigt werden. Nach dieser Rechtsprechung beginnt die
absolute (zehnjährige) Verjährungsfrist bei gesundheitlichen Spätfolgen einer
Asbestbelastung folglich erst zu laufen, wenn der Schaden bekannt ist, da den
Betroffenen ansonsten der Rechtsweg verschlossen bliebe (vgl. auch Urteil 4F_15
/2014 vom 11. November 2015 mit Hinweis auf die im Zuge des EGMR-Urteils
angestossene Revision des Verjährungsrechts [BBl 2014 235 ff.] sowie die
Diskussion in Form eines "runden Tisches" betreffend die Schaffung eines "Fonds
zur vollumfänglichen Entschädigung nach Haftpflichtrecht von Asbestopfern").
Mit Blick darauf ist nicht ersichtlich, weshalb die eingangs (E. 5.4.1)
erwähnte Rechtsregel nicht anwendbar sein sollte, wenn sich im Zusammenhang mit
Art. 48 Abs. 2 IVG nicht die versicherte Person, sondern eine
Krankenpflegeversicherung darauf beruft (betreffend die Kenntnisnahme der in
Art. 66 IVV und Art. 67 AHVV genannten Drittpersonen vgl. BGE 139 V 289 E. 6 S.
295 ff. mit weiteren Hinweisen).

5.5. Der Zweck des Art. 48 Abs. 2 IVG liegt darin, einem unverschuldeten
Rechtsverlust vorzubeugen. Ein solcher läge jedoch vor, wenn der vorleistenden
Krankenkasse nicht der eigene Kenntnisstand, sondern derjenige der versicherten
Person bzw. ihrer Eltern als gesetzliche Vertreter entgegen gehalten werden
könnte. Die Vorinstanz verkennt, dass die Invalidenversicherung auf diese Weise
oft dem Nachzahlungsanspruch der Krankenkassen entginge. Dem steht vorliegend
schon entgegen, dass die Beschwerdeführerin an der verspäteten Kenntnisnahme
kein Verschulden trifft: Inwieweit sie vom anspruchsbegründenden Sachverhalt
wusste oder hätte wissen müssen, legt das kantonale Gericht nicht dar. Im
Zusammenhang mit der Vorleistungspflicht kann überdies weder von einer
Nachforschungspflicht der Krankenkasse betreffend eine allfällige
Leistungspflicht der Invalidenversicherung noch von einer entsprechenden
Informationspflicht des Versicherten bzw. seiner Eltern die Rede sein. Im
Gegenteil war die Beschwerdeführerin von Gesetzes wegen verpflichtet, die
Leistungen im Zusammenhang mit der Operation des Versicherten im Dezember 2012
("vorläufig"; vgl. Art. 113 KVV) zu erbringen. Dies, weil zum Einen die
Voraussetzungen gemäss Art. 32 ff. KVG unstreitig erfüllt waren; zum Anderen
traf sie - mit Blick auf die in diesem Zeitpunkt noch ungeklärte
Leistungspflicht der Invalidenversicherung - gestützt auf Art. 113 KVV und Art.
70 Abs. 2 lit. a ATSG eine Vorleistungspflicht. Könnte allein der Versicherte
eine weiter als zwölf Monate zurückreichende Nachzahlungspflicht in Anspruch
nehmen, wäre der Anspruch der Krankenkasse einzig von dessen rechtzeitiger
Anmeldung bei der Invalidenversicherung abhängig. Weil der vorleistende
Krankenpflegeversicherer darauf keinen Einfluss hat, widerspricht die vom
kantonalen Gericht vertretene Ansicht - aufgrund des damit eintretenden
unverschuldeten Rechtsnachteils - dem Rechtssinn des Art. 48 Abs. 2 IVG. Im
Übrigen moniert die Beschwerdeführerin zu Recht, dass das vorinstanzliche
Verständnis auch mit Blick auf das selbstständige Anmelderecht der
Krankenkassen (vgl. BGE 135 V 106) keinen Sinn macht.

6. 
Zusammengefasst ist insoweit vom Wortlaut des Art. 48 Abs. 2 IVG abzuweichen,
als eine über zwölf Monate zurückreichende Nachzahlungspflicht der
Invalidenversicherung nicht nur zu Gunsten der versicherten Person, sondern
analog auch gegenüber dem vorleistenden Krankenpflegeversicherer besteht. Für
die Fristwahrung kommt es auf den Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch die
vorleistende Krankenkasse selber an. Wenn die Vorinstanz erwogen hat, nach dem
Wortlaut des Art. 48 Abs. 2 lit. a IVG gehe es allein um die Kenntnis der
versicherten Person bzw. um diejenige ihrer gesetzlichen Vertreter, bedient sie
sich einzig der grammatikalischen Gesetzesauslegung, was zu kurz greift (zum
vom Bundesgericht befolgten pragmatischen Methodenpluralismus vgl. statt
vieler: BGE 142 V 488 E. 6.3.1 S. 495). Die Beschwerdeführerin wusste
unstreitig erst mit Rechnungseingang am 3. Februar 2014 vom
anspruchsbegründenden Sachverhalt (vgl. E. 4.3). Da sie ihren
Nachzahlungsanspruch in der Folge fristgerecht innert eines Jahres (vgl. Art.
48 Abs. 2 lit. b IVG) geltend machte, ist bezüglich der Operation des
Versicherten vom Dezember 2012 ein über zwölf Monate zurückreichender
Nachzahlungsanspruch gemäss Art. 48 Abs. 2 IVG zu bejahen. Die Beschwerde ist
begründet.

7. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdegegnerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführerin hat
keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 66 Abs. 3 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Kantonsgerichts
Basel-Landschaft vom 3. Februar 2017 wird aufgehoben und die Verfügung der
IV-Stelle Basel-Landschaft vom 17. Mai 2016 insoweit abgeändert, als die
Beschwerdeführerin ab 9. Dezember 2012 Anspruch auf Vergütung der für
A.A.________ vorleistungsweise erbrachten Zahlungen durch die
Beschwerdegegnerin hat. Die Sache wird in masslicher Hinsicht an die IV-Stelle
zurückgewiesen, damit sie über die Nachzahlung zu Gunsten der
Beschwerdeführerin im Sinne der Erwägungen neu verfüge.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an
das Kantonsgericht Basel-Landschaft zurückgewiesen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, A.A.________, dem Kantonsgericht
Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 18. August 2017

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Pfiffner

Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder

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