Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.914/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
8C_914/2017  
 
 
Urteil vom 3. Mai 2018  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Frésard, Wirthlin, 
Gerichtsschreiberin Durizzo. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Advokatin Raffaella Biaggi, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft AG, 
Direktion Bern, Bundesgasse 35, 3011 Bern, 
vertreten durch Advokat Andrea Tarnutzer-Münch, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (versicherter Verdienst), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid 
des Kantonsgerichts Basel-Landschaft 
vom 5. Oktober 2017 (725 17 127 / 266). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________, geboren 1960, war seit dem 15. Oktober 2007 bei der B.________ AG
angestellt und im Restaurant C.________ als Hilfsköchin beschäftigt. Sie war
bei der Schweizerischen Mobiliar Versicherungsgesellschaft AG (nachfolgend:
Mobiliar) für die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen sowie
Berufskrankheiten versichert. Am 17. Oktober 2012 meldete die Arbeitgeberin der
Mobiliar, dass A.________ am 3. Oktober 2012 beim Spazieren einen Abhang
hinunter gestürzt sei (zehn Meter) und sich dabei zahlreiche Brüche zugezogen
habe. Mit Verfügung vom 1. November 2012 lehnte die Mobiliar ihre
Leistungspflicht ab mit der Begründung, dass keine Versicherungsdeckung
bestehe, weil A.________ seit dem 20. Januar 2011 ununterbrochen arbeitsunfähig
gewesen sei, zum Zeitpunkt des Unfalls kein Lohnanspruch mehr bestanden habe
und auch keine Abredeversicherung abgeschlossen worden sei. Auf die von
A.________ erhobene Einsprache trat sie nicht ein (Einspracheentscheid vom 25.
Februar 2015). Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Kantonsgericht
Basel-Landschaft mit Entscheid vom 27. August 2015 gut, soweit darauf
einzutreten war, und wies die Sache an die Mobiliar zurück. 
Mit Verfügung vom 15. Juli 2016 und Einspracheentscheid vom 23. März 2017
gewährte die Mobiliar der Versicherten eine Integritätsentschädigung von 35 %,
lehnte jedoch den Anspruch auf Taggelder und auf eine Invalidenrente mangels
eines versicherten Verdienstes ab. 
 
B.   
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit
Entscheid vom 5. Oktober 2017 ab. 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides seien ihr die
gesetzlichen Taggeld- und Rentenleistungen zuzusprechen. Eventualiter sei die
Sache zu weiteren Abklärungen an die Mobiliar zurückzuweisen. 
Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).  
 
1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).  
 
2.   
Streitig und zu prüfen ist, ob die vorinstanzlich bestätigte Ablehnung der
Ansprüche auf Taggeld- und Rentenleistungen vor Bundesrecht standhält.
Umstritten ist dabei, ob der Beschwerdeführerin im Sinne eines Sonderfalls nach
Art. 23 beziehungsweise Art. 24 UVV ein versicherter Verdienst anzurechnen
ist. 
 
3.   
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über den für die
Taggelder und Renten massgeblichen versicherten Verdienst nach der Grundregel
von Art. 15 Abs. 2 UVG sowie in Sonderfällen gemäss Art. 23 Abs. 1 und Art. 24
Abs. 1 UVV und die dazu ergangene Rechtsprechung (BGE 122 V 100; 139 V 473)
zutreffend dargelegt. Danach gilt als versicherter Verdienst für die Bemessung
der Taggelder der letzte vor dem Unfall bezogene Lohn, für die Bemessung der
Renten der innerhalb eines Jahres vor dem Unfall bezogene Lohn. Diese
Grundregel (und nicht die Sonderregeln über eine weitergehende Lohnanrechnung)
gelangt rechtsprechungsgemäss insbesondere dann zur Anwendung, wenn eine
invaliditätsbedingte Erwerbseinbusse die Hauptursache für ein reduziertes
Einkommen war. 
 
4.   
Die Vorinstanz stellte hinsichtlich des Rentenanspruchs fest, dass die
Beschwerdeführerin in dem für die Beurteilung zu berücksichtigenden Zeitraum
eines Jahres vor dem Unfall, also vom 3. Oktober 2011 bis zum 2. Oktober 2012,
praktisch durchgehend arbeitsunfähig gewesen sei. Sie habe während dieser Zeit
keinen Lohn, aber bereits mehr als ein halbes Jahr eine Rente der
Invalidenversicherung bezogen. Dieser Rentenanspruch sei aufgrund des
Wartejahrs gemäss Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG und wegen verspäteter Anmeldung
erst am 1. April 2012 entstanden. Die Invalidenversicherung sei von einer
100%igen Einschränkung im erwerblichen Bereich ausgegangen und habe unter
Anwendung der gemischten Methode eine Dreiviertelsrente gewährt. Hauptursache
für den fehlenden Lohnbezug sei - mit dem mehr als sechsmonatigen Rentenbezug -
die Invalidität gewesen. Die Sonderregel von Art. 24 Abs. 1 UVV betreffend
reduzierte Einkommen insbesondere aus krankheitsbedingten vorübergehenden
Gründen und deren Aufrechnung sei daher nicht anwendbar. Da kein versicherter
Verdienst angerechnet werden könne, bestehe kein Rentenanspruch. Gleiches gelte
für die Taggeldberechtigung, da die Beschwerdeführerin insbesondere auch im
Monat vor dem Unfall invalid gewesen und die Sonderbestimmung von Art. 23 Abs.
1 UVV daher ebenfalls nicht anwendbar sei. 
 
5.   
Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass im Zeitraum vom 3. Oktober 2011 bis
zum 2. Oktober 2012 keine durchgehende Arbeitsunfähigkeit bestanden habe. Die
Arbeitsunfähigkeiten ab Januar 2011 wegen eines Enzephalopathieverdachts, ab
dem 31. Juli 2011 wegen eines akuten zervikothorakalen Schmerzsyndroms, ab dem
5. Dezember 2011 wegen einer Venenentzündung, wegen einer Meniskusoperation am
22. März 2012 und wegen eines Hirninfarkts am 26. März 2012 seien nur
vorübergehend gewesen. Diese Leiden hätten die Arbeitsfähigkeit nur kurzfristig
beziehungsweise - in einer leidensangepassten Tätigkeit - gar nicht
einzuschränken vermögen. Auf die Abklärungen der IV-Stelle könne nicht
unbesehen abgestellt werden. 
 
6.   
Praxisgemäss durfte die Vorinstanz hinsichtlich der für die Beurteilung der
Anwendbarkeit von Art. 24 Abs. 1 UVV massgeblichen Frage, ob im zu
berücksichtigenden Zeitraum ein vorübergehender krankheitsbedingter
Einkommensverlust aufgetreten sei oder aber ein gesundheitlicher Dauerzustand
mit eingeschränkter Erwerbsfähigkeit bestanden habe, auf die Abklärungen der
Invalidenversicherung abstellen (BGE 139 V 473 E. 4.2 S. 476 ff.; 122 V 100;
Urteile 8C_342/2008 vom 14. Mai 2009 E. 4; 8C_669/2007 vom 14. Oktober 2008 E.
3.1). Es wird von der Beschwerdeführerin zwar bestritten, aber nicht mit
abweichenden Arztberichten belegt, inwiefern die vorinstanzliche Annahme einer
praktisch durchgehenden, zumeist 100%igen Arbeitsunfähigkeit seit dem 20.
Januar 2011 - wegen einer stationär behandelten hypertensiven Krise, einem
akuten zervikothorakalen Schmerzsyndrom mit beidseitigen Brachialgien, einer
Bandscheibenprotrusion, einer Dorsalgie beziehungsweise eines pseudoradikulären
lumbalen Schmerzsyndroms, einer Gonalgie, einer Meniskusoperation sowie eines
Hirninfarkts - unrichtig wäre. Das kantonale Gericht berücksichtigte dabei die
Berichte der Kliniken D.________ vom 7. Februar 2011 und vom 4. Mai 2012, der
Hausärztin Dr. med. E.________, Fachärztin für Allgemeinmedizin, vom 7.
Dezember 2011, des Dr. med. F.________, Facharzt für Orthopädie und
Unfallchirurgie, vom 7. März 2012 und insbesondere auch des regionalen
ärztlichen Dienstes (RAD) der Invalidenversicherung. Dieser bestätigte am 25.
September 2013, dass die Beschwerdeführerin bereits ab dem 20. Januar 2011 -
abgesehen von einer attestierten, aber nicht verwerteten 35%igen
Arbeitsfähigkeit vom 1. Juli bis zum 12. November 2011 und einer vollen
Arbeitsfähigkeit während des anschliessenden dreiwöchigen Arbeitsversuchs bis
zum 5. Dezember 2011 - praktisch durchgehend zu 100 % in allen Tätigkeiten
arbeitsunfähig gewesen sei. Da die Beschwerdeführerin im massgeblichen Zeitraum
ab dem 3. Oktober 2011 bis zum 2. Oktober 2012 (ab dem 1. April 2012) während
über sechs Monaten eine Invalidenrente bezog, durfte das kantonale Gericht
praxisgemäss davon ausgehen, dass eine invaliditätsbedingte Erwerbsbusse die
Hauptursache für den verminderten Lohn bildete (BGE 122 V 100). Die
vorinstanzliche Schlussfolgerung, dass eine Aufrechnung des Einkommens nach 
Art. 24 Abs. 1 UVV ausser Betracht falle, ist nicht bundesrechtswidrig.
Gleiches gilt für die Feststellung des kantonalen Gerichts, dass die
Beschwerdeführerin insbesondere auch im Monat vor dem Unfall wegen Invalidität
keinen Lohn bezogen habe und deshalb kein Sonderfall im Sinne von Art. 23 Abs.
1 UVV vorliege. Es besteht keine Taggeld- und Rentenberechtigung. 
 
7.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden der
unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Die
unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der vorläufigen Befreiung von den
Gerichtskosten und der unentgeltlichen Verbeiständung, Art. 64 Abs. 1 und Abs.
2 BGG) kann gewährt werden. Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4
BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Bundesgerichtskasse
Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und
Advokatin Raffaella Biaggi wird als unentgeltliche Anwältin bestellt. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen. 
 
4.   
Der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin wird aus der Bundesgerichtskasse
eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich
mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 3. Mai 2018 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo 

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