Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.897/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
8C_897/2017  
 
 
Urteil vom 14. Mai 2018  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin. 
Gerichtsschreiber Hochuli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
 A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dominique Chopard, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Revision), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 11. September 2017 (IV.2016.01042). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ ist verheiratet und Mutter von vier Kindern (geboren 2000, 2001,
2005 und 2009). Vom 1. September 1998 bis 30. November 2003 war sie als
Filialleiterin mit Vollzeitpensum bei der B.________ AG angestellt. Ab 1.
September 2004 bezog sie wegen Rückenschmerzen und psychischen Beschwerden bei
einem Invaliditätsgrad von 100% eine ganze Rente der Invalidenversicherung
(Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 3. November 2005).
Revisionsweise bestätigte die IV-Stelle diesen Rentenanspruch im November
2007. 
 
Im August 2014 leitete die Verwaltung erneut ein Revisionsverfahren ein. Nach
medizinischen und erwerblichen Abklärungen sowie Durchführung des
Vorbescheidverfahrens hob die IV-Stelle die Rente bei einem neu auf 32%
ermittelten Invaliditätsgrad auf (Verfügung vom 26. Juli 2016). 
 
B.   
Die hiegegen erhobene Beschwerde der A.________ wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ab (Entscheid vom 11. September
2017). 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________
beantragen, der angefochtene Entscheid und die Verfügung vom 26. Juli 2016
seien aufzuheben und die IV-Stelle habe ihr weiterhin die bisherige
Invalidenrente auszurichten. 
 
Während die IV-Stelle auf Beschwerdeabweisung schliesst, verzichten die
Vorinstanz und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf eine
Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
 
1.1. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine
Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet
das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es -
offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren beanstandeten
Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (
Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG in Verbindung mit Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
1.2. Auf der nichtmedizinischen beruflich-erwerblichen Stufe der
Invaliditätsbemessung charakterisieren sich als frei überprüfbare Rechtsfragen
die gesetzlichen und rechtsprechungsgemässen Regeln über die Durchführung des
Einkommensvergleichs (BGE 130 V 343 E. 3.4 S. 348 f. mit Hinweisen),
einschliesslich derjenigen über die Anwendung der Schweizerischen
Lohnstrukturerhebung/LSE (BGE 129 V 472 E. 4.2.1 S. 475 ff. mit Hinweisen) und
der Dokumentation von Arbeitsplätzen/DAP (BGE 129 V 472 ff.). In dieser Sicht
stellt sich die Feststellung der beiden hypothetischen Vergleichseinkommen als
Tatfrage dar, soweit sie auf konkreter Beweiswürdigung beruht, hingegen als
Rechtsfrage, soweit sich der Entscheid nach der allgemeinen Lebenserfahrung
richtet. Letztes betrifft etwa die Frage, ob Tabellenlöhne anwendbar sind (BGE
132 V 393 E. 3.3 S. 399).  
 
2.   
Strittig ist, ob das kantonale Gericht die von der IV-Stelle am 26. Juli 2016
verfügte vollständige Aufhebung der ganzen Invalidenrente zu Recht bestätigt
hat. 
 
2.1. Fest steht und unbestritten ist, dass die Arbeitsfähigkeit der
Beschwerdeführerin auch über die verfügte Rentenaufhebung hinaus in jeder
leidensangepassten Verweistätigkeit aus gesundheitlichen Gründen um 30%
eingeschränkt blieb. Ebenfalls unbestritten ist, dass der Invaliditätsgrad nach
der Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG) zu bemessen ist.
Schliesslich sind sich die Parteien auch einig, dass dem Einkommensvergleich
seitens des Verdienstes, den die Versicherte im massgebenden Vergleichsjahr
2015 trotz des Gesundheitsschadens zumutbarerweise hätte erzielen können
(Invalideneinkommen), ein Jahreslohn von Fr. 36'989.- zu Grund zu legen ist.  
 
2.2. Zu prüfen bleibt einzig, ob Verwaltung und Vorinstanz das Einkommen, das
die Beschwerdeführerin im Jahre 2015 ohne Gesundheitsschaden mutmasslich
erzielt hätte (Valideneinkommen), zu Recht basierend auf den Tabellenlöhnen
gemäss der vom Bundesamt für Statistik alle zwei Jahre durchgeführten
Lohnstrukturerhebung (LSE) ermittelt und auf Fr. 54'887.- festgesetzt haben.
Demgegenüber macht die Versicherte geltend, sie habe ihre angestammte Stelle
als Leiterin einer B.________ AG-Filiale aus gesundheitlichen Gründen
aufgegeben. Deshalb sei praxisgemäss beim Valideneinkommen vom Verdienst
auszugehen, den sie in der angestammten, hypothetisch ohne Gesundheitsschaden
weiterhin ausgeübten Tätigkeit erzielt hätte. Basierend auf diesem Einkommen
von Fr. 65'000.-, welches sie nach Aktenlage an der angestammten Arbeitsstelle
2003 ohne Gesundheitsschaden erzielt hätte, sei für das Vergleichsjahr 2015
allein schon unter Berücksichtigung der Nominallohnentwicklung ein
Valideneinkommen von mindestens Fr. 74'000.- aufzurechnen. Nach Angaben
ehemaliger Arbeitskolleginnen entlöhne die B.________ AG heute eine
Filialleiterin mit Fr. 84'500.- (= Fr. 6'500.- x 13) pro Jahr.  
 
3.   
 
3.1. Die Vorinstanz hat zunächst zutreffend auf BGE 139 V 28 E. 3.3.2 S. 30
verwiesen:  
Bei der Ermittlung des Einkommens, das der Versicherte erzielten könnte, wäre
er nicht invalid geworden (Art. 16 ATSG), ist in der Regel am zuletzt
erzielten, nötigenfalls der Teuerung und der realen Einkommensentwicklung
angepassten Lohn anzuknüpfen, da es empirischer Erfahrung entspricht, dass die
bisherige Tätigkeit ohne Gesundheitsschaden fortgesetzt worden wäre; Ausnahmen
müssen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt sein (BGE 134 V 322 E. 4.1
S. 325 f. mit Hinweis). Auf Erfahrungs- und Durchschnittswerte darf nur unter
Mitberücksichtigung der für die Entlöhnung im Einzelfall relevanten
persönlichen und beruflichen Faktoren abgestellt werden (Urteil I 97/00 vom 29.
August 2002 E. 1.2; Ulrich Meyer, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum IVG,
Zürich 2010, 2. Aufl., S. 302 und  Peter Omlin, Die Invalidität in der
obligatorischen Unfallversicherung, Diss. Freiburg 1995, S. 180). 
 
3.2.   
 
3.2.1. Sodann hat das kantonale Gericht im angefochtenen Entscheid ausgeführt,
weil die Versicherte ihr angestammtes Arbeitsverhältnis bei der B.________ AG
"aus persönlichen Gründen" per 30. November 2003 gekündigt habe, stehe die
Auflösung dieses Arbeitsverhältnisses nicht in einem ursächlichen Zusammenhang
mit den invaliditätsbedingten Einschränkungen ihrer Leistungsfähigkeit.
Folglich habe die IV-Stelle das Valideneinkommen zu Recht anhand der
LSE-Tabellenlöhne bestimmt.  
 
Seit dem Vorbescheidverfahren macht die Beschwerdeführerin demgegenüber
geltend, beim Einkommensvergleich sei auf Seiten des Valideneinkommens vom
Verdienst ihrer angestammten Tätigkeit als Filialleiterin der B.________ AG
auszugehen. Entgegen dem angefochtenen Entscheid habe sie ihr
Arbeitsvertragsverhältnis bei der B.________ AG infolge ihrer gesundheitlichen
Beeinträchtigungen aufgelöst. Die Formulierung "aus persönlichen Gründen"
schliesse eine gesundheitsbedingte Ursache der Kündigung nicht aus. 
 
3.2.2. Vorweg ist festzuhalten, dass die IV-Stelle mit bundesrechtswidriger
Begründung abweichend von der einschlägigen Rechtsprechung (E. 3.1 hievor) bei
der Ermittlung des Valideneinkommens nicht auf den Verdienst aus der
angestammten Tätigkeit, sondern auf die Tabellenlöhne abstellte. Tatsächlich
war die Versicherte - wie in der Verfügung vom 26. Juli 2016 zutreffend
ausgeführt wurde - "seit Jahren keiner Erwerbstätigkeit" mehr nachgegangen.
Dies allerdings deshalb, weil sie seit 9. September 2003 aus somatischen und
psychischen Gründen ärztlich bescheinigt voll arbeitsunfähig war und demzufolge
nach Ablauf des Wartejahres ab 1. September 2004 bei einem Invaliditätsgrad von
100% eine ganze Invalidenrente bezog. Diese Umstände sprechen jedenfalls nicht
dagegen, dass die Beschwerdeführerin ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen
ihre angestammte Tätigkeit über das Jahr 2003 hinaus weiterhin ausgeübt hätte.
 
 
3.2.3. Die Schlussfolgerung der Vorinstanz, wonach die von der Arbeitgeberin
und der Versicherten verwendete Formulierung "aus persönlichen Gründen"
bedeute, dass die Auflösung des angestammten Arbeitsverhältnisses per 30.
November 2003 ausschliesslich "aus krankheitsfremden Gründen" erfolgt sei, ist
offensichtlich unrichtig. Sie widerspricht der klaren Faktenlage mit
langjährigem Bezug einer ganzen Invalidenrente ab 1. September 2004 bei
ausgewiesener und invalidisierender Arbeitsunfähigkeit ab 9. September 2003.
Dem kantonalen Gericht kann diesbezüglich nicht gefolgt werden, weshalb die
Beschwerde insoweit gutzuheissen ist.  
 
3.2.4. Da die Beschwerdegegnerin zu dem von der Versicherten geltend gemachten
Valideneinkommen (vgl. hievor E. 2.2 i.f.) bisher keine konkreten Abklärungen
der tatsächlichen Verdienstverhältnisse einer B.________ AG-Filialleiterin im
Jahre 2015 getätigt hat, ist die Sache diesbezüglich an die IV-Stelle
zurückzuweisen. Nach bundesrechtskonformer (vgl. E. 3.1 hievor) Ermittlung des
von der Beschwerdeführerin 2015 im hypothetischen Gesundheitsfall an der
angestammten Arbeitsstelle erzielten Einkommens wird die Beschwerdegegnerin
einen neuen Einkommensvergleich durchführen. Gestützt darauf wird sie sodann
über einen allfälligen Rentenanspruch ab dem Revisionszeitpunkt neu verfügen.  
 
4.   
 
4.1. Die Rückweisung der Sache zu erneuter Abklärung gilt für die Frage der
Auferlegung der Gerichtskosten als vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66
Abs. 1 BGG, unabhängig davon, ob sie beantragt und ob das entsprechende
Begehren im Haupt- oder im Eventualantrag gestellt wird (BGE 137 V 210 E. 7.1
S. 271 mit Hinweisen).  
 
4.2. Die unterliegende IV-Stelle hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs.
1 Satz 1 BGG).  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 11. September 2017 und die
Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 26. Juli 2016 werden aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verfügung an die IV-Stelle des Kantons Zürich
zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen. 
 
4.   
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
zurückgewiesen. 
 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 14. Mai 2018 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Der Gerichtsschreiber: Hochuli 

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