Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.873/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
8C_873/2017  
 
 
Urteil vom 30. Oktober 2018  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine, 
Gerichtsschreiberin Berger Götz. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Advokat Erich Züblin, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Neuanmeldung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
18. Oktober 2017 (VBE.2017.347). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der 1965 geborene A.________ bezog bei einer zugrunde liegenden 100%igen
Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit mit Wirkung ab 1. August 2000 eine ganze Rente
der Invalidenversicherung. Im Rahmen eines 2011 eingeleiteten
Revisionsverfahrens holte die IV-Stelle des Kantons Aargau unter anderem
Berichte der behandelnden Ärzte ein und veranlasste ein polydisziplinäres
Gutachten bei der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) Ostschweiz, St.
Gallen, welches am 7. Mai 2013 erstattet wurde. Als Ergebnis der gestützt auf
lit. a Abs. 1 der Schlussbestimmungen zur 6. IV-Revision, erstes
Massnahmepaket, vom 18. März 2011 (in Kraft getreten am 1. Januar 2012)
erfolgten Prüfung hob sie die bisherigen Rentenleistungen per Ende November
2013 auf (Verfügung vom 22. Oktober 2013). Auf die dagegen am 2. Dezember 2013
erhobene Beschwerde trat das Versicherungsgericht des Kantons Aargau nicht ein
(Entscheid vom 1. Juli 2014). Nach der Rentenaufhebung hatte die IV-Stelle
berufliche Massnahmen durchgeführt und mit Verfügung vom 25. Februar 2014 die
Weiterausrichtung der Rente ab 1. Dezember 2013 für die Dauer der Massnahmen,
längstens aber bis 30. November 2015, angeordnet. Mittels Verfügung vom 10.
Dezember 2015 schloss sie die beruflichen Wiedereingliederungsmassnahmen ab und
stellte die Invalidenrente per 31. Oktober 2015 ein.  
 
A.b. Am 15. Februar 2016 meldete sich A.________ erneut bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle holte namentlich die
Berichte der behandelnden Dr. med. B.________, Fachärztin FMH für Psychiatrie
und Psychotherapie, vom 11. Februar und 26. Oktober 2016 sowie die
RAD-Stellungnahmen des med. pract. C.________, Facharzt für Psychiatrie und
Psychotherapie FMH, Praktischer Arzt FMH, vom 16. September 2016 und 10. Januar
2017 ein. Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte sie einen
neuerlichen Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung (Verfügung vom
21. März 2017).  
 
B.   
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies die dagegen erhobene
Beschwerde ab (Entscheid vom 18. Oktober 2017). 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, die IV-Stelle sei zu verpflichten, ihm mindestens eine
Viertelsrente auszurichten. Ferner wird um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege und Verbeiständung ersucht. 
Das kantonale Gericht, die IV-Stelle - je unter Hinweis auf die Begründung im
angefochtenen Entscheid - und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten
auf eine Stellungnahme. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG
). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG).
Indes prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der
Beschwerde (vgl. Art. 42 Abs. 1 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten
Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE
141 V 234 E. 1 S. 236). 
 
2.  
 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem
sie die am 21. März 2017 durch die Beschwerdegegnerin verfügte Rentenablehnung
nach Neuanmeldung vom 15. Februar 2016 bestätigte.  
 
2.2. Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen und die von der
Rechtsprechung entwickelten Grundsätze, namentlich zur - analog der
Rentenrevision nach Art. 17 Abs. 1 ATSG vorzunehmenden - Überprüfung des
Anspruchs auf eine Invalidenrente im Zuge einer Neuanmeldung (BGE 133 V 108 E.
5.3 S. 112; 134 V 131 E. 3 S. 132 f.; 141 V 9 E. 2.3 S. 10 f.) sowie zum
Beweiswert und zur Beweiswürdigung ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 137 V
210 E. 6.2.2 S. 269; 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3 S. 352 mit
Hinweisen), zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.  
 
3.  
 
3.1. Im angefochtenen Entscheid wird nach umfassender Würdigung der vorhandenen
ärztlichen Berichte darauf geschlossen, dass im unbestrittenen
Vergleichszeitraum vom 22. Oktober 2013 (Renteneinstellungsverfügung) bis 21.
März 2017 (rentenablehnende Verfügung nach Neuanmeldung) keine Veränderung des
Gesundheitszustandes eingetreten sei. Die Beschwerdegegnerin habe das
Leistungsbegehren daher zu Recht abgewiesen.  
 
3.2. Die Vorbringen des Beschwerdeführers führen zu keinem anderen Ergebnis.
Sein Einwand, indem die Vorinstanz den Anspruch auf Einholung eines
unabhängigen Gutachtens nach Art. 44 ATSG verneint habe, seien Art. 44 ATSG
einerseits sowie der Untersuchungsgrundsatz nach Art. 43 Abs. 1 bzw. Art. 61
lit. c ATSG verletzt worden, ist nicht begründet. Es trifft zwar zu, dass sich
das kantonale Gericht bei seinem Entscheid (unter anderem) auf zwei
RAD-Stellungnahmen vom 16. September 2016 und 10. Januar 2017 stützt und
rechtsprechungsgemäss ergänzende Abklärungen vorzunehmen sind, wenn auch nur
geringe Zweifel an der Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit solcher
versicherungsinterner ärztlicher Feststellungen bestehen (BGE 139 V 225 E. 5.2
S. 229; 135 V 465 E. 44. S. 470). Solche geringen Zweifel sind allerdings nicht
auszumachen. Im Vordergrund stehen im Übrigen vorliegend nicht diese
versicherungsinternen Aktenberichte, sondern die aktuellen Einschätzungen der
behandelnden medizinischen Fachpersonen, welche vom RAD-Arzt reflektiert
werden.  
 
3.2.1. Aus dem Vergleich mit den Ergebnissen des MEDAS-Gutachtens vom 7. Mai
2013, das Grundlage der Rentenaufhebungsverfügung vom 22. Oktober 2013 gebildet
und unter anderem eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine depressive
Störung verneint hatte, und der damaligen Einschätzung der Dr. med. B.________
vom 15. September 2013, leitet die Vorinstanz eine fehlende wesentliche
Verschlechterung des Gesundheitszustandes ab. Dies kann nicht als
offensichtlich unrichtig (willkürlich) oder sonstwie rechtsverletzend
qualifiziert werden. Denn es zeigt sich bei der Gegenüberstellung mit den
aktuellen Akten, dass keine neuen Leiden dazu gekommen sind und eine Zunahme
von Ausmass und Schwere der Beschwerden aus objektiver Sicht zu verneinen ist.
Soweit die behandelnde Psychiaterin nun neben der posttraumatischen
Belastungsstörung neu (wohl eher als Ablösung der Diagnose der
posttraumatischen Belastungsstörung, da die gleichzeitige Befundung dieser
beiden Störungen nach ICD-10 ausgeschlossen ist) von einer andauernden
Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung und anstelle einer rezidivierenden
mittelgradigen depressiven Störung jetzt von einer rezidivierenden
mittelgradigen bis schweren depressiven Störung ausgeht, erübrigen sich
Weiterungen. Denn - wie schon das kantonale Gericht vermerkt - nicht die
Diagnosen an sich, sondern die Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit sind
massgebend. In dieser Hinsicht bleibt die Einschätzung der behandelnden
Psychiaterin seit 2013 gleich. Auch in ihren Berichten vom 11. Februar und 26.
Oktober 2016 gibt sie unverändert eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit sowohl im
bisherigen Beruf als Restaurator und Lackierer als auch in einer angepassten
Tätigkeit an. Entgegen der Behauptung des Versicherten ging sie bereits im
Bericht vom 15. September 2013 davon aus, dass sich sein Leiden auf alle
Lebensbereiche auswirke, dass er depressiv, verzweifelt und suizidgefährdet
sei; er könne sich nicht konzentrieren, ermüde rasch und pflege mit niemandem
ausser den Ärzten und seiner Familie Kontakt. Ausserdem äusserte sie ebenfalls
schon im Bericht aus dem Jahr 2013 die Vermutung einer Urgeinkontinenz. Nun
behauptet sie in ihren Stellungnahmen aus dem Jahr 2016 zwar eine
Verschlechterung der psychischen Symptomatik. Eine solche lässt sich aber in
Gegenüberstellung ihrer Funktionalitätsbeschreibungen aus den Jahren 2013 und
2016 nicht ausmachen.  
 
3.2.2. Auch die vom Beschwerdeführer geltend gemachten somatischen Beschwerden
sind nicht neu. Das MEDAS-Gutachten ging namentlich bereits auf die plantare
Hyperkeratose sowie auf gastroenterologische und urogenitale Probleme ein,
welchen es jedoch keine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit zumass. Einzig das
chronische Thorako-Lumbalsyndrom bei degenerativen Veränderungen führte gemäss
Expertise (neben den sonstigen Reaktionen auf eine schwere Belastung [ICD-10
F43.8]) zu einer 20%igen Leistungseinschränkung, bezogen auf ein 100%-Pensum in
einer angepassten Beschäftigung. Der Versicherte vermag nicht aufzuzeigen,
inwieweit die vorinstanzliche Feststellung, wonach mit Blick auf die Berichte
der mit neuerlichen Abklärungen betrauten Spezialärzte auch somatisch keine
Verschlechterung ausgewiesen sei, anzuzweifeln wäre. Allein der Umstand, dass
der Beschwerdeführer die spezialärztlichen Abklärungen überhaupt veranlasst
hatte, kann entgegen seiner Auffassung nicht schon als Beweis dafür gelten,
dass ihn die somatischen Gesundheitsstörungen aktuell stärker als früher
belasten würden.  
 
3.3. Zusammenfassend beruhen die vorinstanzlichen Annahmen zum
Gesundheitszustand des Versicherten weder auf offensichtlich unrichtigen noch
auf sonstwie rechtsfehlerhaften Tatsachenfeststellungen. Auszugehen ist mithin
nach wie vor von einer rentenausschliessenden Invalidität. Weil von
zusätzlichen medizinischen Abklärungsmassnahmen keine neuen
entscheidwesentlichen Aufschlüsse zu erwarten sind, konnte und kann auf
weitergehende medizinische Erhebungen und Gutachten verzichtet werden
(antizipierte Beweiswürdigung; BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236 f. mit Hinweis).  
 
4.   
Ausgangsgemäss hat grundsätzlich der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Seinem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (Art.
64 BGG; BGE 125 V 201 E. 4a S. 202) kann jedoch entsprochen werden. Es wird
indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG hingewiesen, wonach er der
Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn er später dazu in der Lage
ist. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. Advokat Erich
Züblin wird als unentgeltlicher Rechtsbeistand des Beschwerdeführers bestellt. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen. 
 
4.   
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse eine
Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 30. Oktober 2018 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz 

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