Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.867/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
8C_867/2017  
 
 
Urteil vom 20. September 2018  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Bundesrichterin Viscione, 
Gerichtsschreiber Nabold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich, Zürcherstrasse 8, 8400 Winterthur, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Herr Christoph Schneeberger, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Arbeitslosenversicherung (Insolvenzentschädigung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich 
vom 18. September 2017 (AL.2016.00095). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1990 geborene A.________ meldete sich am 23. Oktober 2015 bei der
Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich zum Leistungsbezug an und beantragte die
Ausrichtung einer Insolvenzentschädigung. Dabei machte er geltend, in der Zeit
vom 3. März bis 27. Juni 2014 als Hilfsgipser für die in der Zwischenzeit
konkursite B.________ GmbH gearbeitet zu haben. Nachdem die Arbeitslosenkasse
vom Versicherten weitere Unterlagen verlangt hatte, entschied sie mit Verfügung
vom 11. Januar 2016, ein allfälliger Anspruch auf Insolvenzentschädigung sei
erloschen, da ein Teil der verlangten Unterlagen nicht innert der angesetzten
Frist eingereicht worden sei. Die vom Versicherten hiegegen erhobene Einsprache
wies die Kasse mit Entscheid vom 11. Mai 2016 mit der Begründung ab, es bestehe
kein Anspruch auf Insolvenzentschädigung, da der Lohnanspruch nicht glaubhaft
gemacht worden sei. 
 
B.   
Die von A.________ hiegegen erhobene Beschwerde hiess das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 18. September
2017 teilweise gut und stellte fest, dass der Versicherte Anspruch auf eine
Insolvenzentschädigung im Sinne der Erwägungen habe. 
 
C.   
Mit Beschwerde beantragt die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich, es sei unter
Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides ihr Einspracheentscheid zu
bestätigen. 
Während A.________ auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Staatssekretariat für Wirtschaft auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).  
 
1.2. Das Bundesgericht kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein (Art. 97    Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel
dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz
dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).  
Die beschwerdeführende Partei, welche die Sachverhaltsfeststellungen der
Vorinstanz anfechten will, muss substanziiert darlegen, inwiefern die
Voraussetzungen einer Ausnahme gemäss Art. 105 Abs. 2 BGG gegeben sind und das
Verfahren bei rechtskonformer Ermittlung des Sachverhalts anders ausgegangen
wäre; andernfalls kann ein Sachverhalt, der vom im angefochtenen Entscheid
festgestellten abweicht, nicht berücksichtigt werden (BGE 140 III 16 E. 1.3.1
S. 18 mit Hinweisen). 
 
2.   
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, als sie
einen Anspruch des Versicherten auf eine Insolvenzentschädigung bejahte. 
 
3.   
 
3.1. Beitragspflichtige Arbeitnehmer von Arbeitgebern, die in der Schweiz der
Zwangsvollstreckung unterliegen oder in der Schweiz Arbeitnehmer beschäftigen,
haben nach Art. 51 Abs. 1 lit. a AVIG Anspruch auf Insolvenzentschädigung, wenn
gegen ihren Arbeitgeber der Konkurs eröffnet wird und ihnen in diesem Zeitpunkt
Lohnforderungen zustehen.  
 
Die Insolvenzentschädigung ist eine Lohnausfallversicherung bei
Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Sie bezweckt für eine beschränkte Zeit
den Schutz der Lohnguthaben sowie die Sicherung des Lebensunterhaltes des
Arbeitnehmers und damit die Vermeidung sozialer Härten (vgl. THOMAS NUSSBAUMER,
Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR],
Soziale Sicherheit, 3. Aufl., Basel 2016, Rz. 585 S. 2441 mit weiteren
Hinweisen). 
 
3.2. Der Sozialversicherungsprozess ist vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht.
Danach hat das Gericht von Amtes wegen für die richtige und vollständige
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts zu sorgen. Die Verwaltung als
verfügende Instanz und - im Beschwerdefall - das Gericht dürfen eine Tatsache
nur dann als bewiesen annehmen, wenn sie von ihrem Bestehen überzeugt sind. Im
Sozialversicherungsrecht hat das Gericht seinen Entscheid, sofern das Gesetz
nicht etwas Abweichendes vorsieht, nach dem Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit zu fällen. Die blosse Möglichkeit eines bestimmten
Sachverhalts genügt den Beweisanforderungen nicht. Der Richter und die
Richterin haben vielmehr jener Sachverhaltsdarstellung zu folgen, die sie von
allen möglichen Geschehensabläufen als die wahrscheinlichste würdigen (BGE 138
V 218 E. 6 S. 221 f. mit diversen Hinweisen).  
Der Untersuchungsgrundsatz schliesst die Beweislast im Sinne der
Beweisführungslast begriffsnotwendig aus, da es Sache des
Sozialversicherungsgerichts (oder der verfügenden Verwaltungsstelle) ist, für
die Zusammentragung des Beweismaterials besorgt zu sein. Im
Sozialversicherungsprozess tragen mithin die Parteien in der Regel eine
Beweislast nur insofern, als im Falle der Beweislosigkeit der Entscheid zu
Ungunsten jener Partei ausfällt, die aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt
Rechte ableiten wollte. Diese Beweisregel greift allerdings erst Platz, wenn es
sich als unmöglich erweist, im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes auf Grund
einer Beweiswürdigung einen Sachverhalt zu ermitteln, der zumindest die
Wahrscheinlichkeit für sich hat, der Wirklichkeit zu entsprechen (BGE 138 V 218
E. 6 S. 222 mit Hinweisen). 
 
3.3. Die Kasse darf gemäss Art. 74 AVIV eine Insolvenzentschädigung nur
ausrichten, wenn der Arbeitnehmer seine Lohnforderung glaubhaft macht. Mit
dieser Bestimmung werden die Beweisanforderungen bezüglich der Lohnforderung
herabgesetzt. Es braucht nicht im Sinne des Regelbeweismasses die Überzeugung
der Verwaltung begründet zu werden, dass die Lohnforderung überwiegend
wahrscheinlich besteht. Vielmehr genügt es, dass für den geltend gemachten
rechtserheblichen Sachumstand wenigstens gewisse Anhaltspunkte vorhanden sind,
auch wenn durchaus noch mit der Möglichkeit zu rechnen ist, bei eingehender
Abklärung werde sich der behauptete Sachverhalt nicht erstellen lassen (vgl.
zum Glaubhaftmachen im Rahmen von Art. 87 Abs. 1 IVV: SVR 2003 IV Nr. 25 S. 76,
I 238/02 E. 2.2). Diese herabgesetzten Beweisanforderungen gelten jedoch nur
für die Frage, ob und in welcher Höhe gegenüber dem insolventen Arbeitgeber
eine Lohnforderung besteht, an deren Stelle die Insolvenzentschädigung treten
soll. Zweck dieses Artikels ist es, die Auszahlung der Insolvenzentschädigung
an jene Arbeitnehmer, welche bezüglich der Höhe ihrer Lohnforderungen in
Beweisnot geraten, nicht zu verzögern (vgl. BORIS RUBIN, Commentaire de la loi
sur l'assurance-chômage, 2014, N. 15 zu Art. 51 AVIG). Insbesondere bei
Arbeitnehmern, die im Stundenlohn angestellt sind, wird man sich bezüglich der
Lohnhöhe, welche von der Anzahl der tatsächlich geleisteten Stunden abhängt,
auf die glaubhaften Angaben des Arbeitnehmers verlassen müssen. Aus diesem
Grund sieht Art. 74 AVIV vor, bezüglich dieser Frage vom im
Sozialversicherungsrecht grundsätzlich üblichen Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit (vgl. UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, N. 46 zu 
Art. 43 ATSG mit weiteren Hinweisen; vgl. auch E. 3.2 hievor) abzuweichen. Die
übrigen Anspruchsvoraussetzungen, wie namentlich der Bestand eines
Arbeitsverhältnisses mit Beschäftigung in der Schweiz oder der Eintritt eines
Insolvenztatbestandes müssen demgegenüber mit dem üblichen Beweisgrad der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt sein (vgl. URS BURGHERR, Die
Insolvenzentschädigung, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers als versichertes
Risiko, Diss. Zürich 2004, S. 115). Auch einem im Stundenlohn angestellten
Arbeitnehmer sollte es in aller Regel möglich sein, den  Bestand des
Arbeitsverhältnisses durch Arbeitsvertrag, Lohnabrechnungen für vergangene
Perioden, Zeugnis von Vorgesetzten und Arbeitskollegen, Eintrag im
Individuellen Konto der AHV, usw. mit dem Regelbeweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit nachzuweisen. Es ist deshalb kein hinreichender Grund dafür
ersichtlich, Art. 74 AVIV über seinen primären Schutzzweck hinaus auch auf
diese Fragen anzuwenden.  
 
4.   
 
4.1. Das kantonale Gericht hat erwogen, der Beschwerdegegner habe beharrlich
versucht, seinen Lohnanspruch gegenüber seiner Arbeitgeberin geltend zu machen,
damit sei dieser hinreichend glaubhaft gemacht worden. Daran vermöge auch der
Umstand nichts zu ändern, dass es zunächst aufgrund einer Falschbezeichnung der
genauen Firma der Arbeitgeberin und später aufgrund deren Konkurses nicht mehr
zu einem arbeitsrechtlichen Prozess kam. Die beschwerdeführende Kasse macht
demgegenüber geltend, die Angaben des Beschwerdegegners seien zwar
zugestandenermassen in sich schlüssig; trotzdem beruhe die gesamte Beweislage
ausschliesslich auf seinen Angaben. Damit sei der Lohnanspruch noch nicht
hinreichend glaubhaft gemacht.  
 
4.2. Ob alleine gestützt auf die Angaben einer versicherten Person ein
Lohnanspruch glaubhaft gemacht werden kann, erscheint mit Blick auf die
Rechtsprechung (vgl. Urteil 8C_558/2007 vom 25. April 2008 E. 4.2) als
zweifelhaft, braucht indessen nicht abschliessend geprüft zu werden. Die vom
kantonalen Gericht geprüfte Frage nach dem Glaubhaftmachen des Lohnanspruchs
stellt sich erst dann, wenn mit dem im Sozialversicherungsrecht üblichen
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt ist, dass die
Insolvenzentschädigung beanspruchende Person in einem Arbeitsverhältnis (mit
Beschäftigung in der Schweiz) zum insolventen Arbeitgeber stand (vgl. E. 3.3
hievor). Zu dieser entscheiderheblichen Frage hat sich die Vorinstanz bis anhin
noch nicht geäussert. Entsprechend ist die Beschwerde der Arbeitslosenkasse in
dem Sinne teilweise gutzuheissen, als die Sache unter Aufhebung des kantonalen
Gerichtsentscheides an die Vorinstanz zurückzuweisen ist, damit diese -
gegebenenfalls nach weiteren Abklärungen zum Sachverhalt (etwa unter
Einvernahme derjenigen Person, welche nach seinen Angaben den Beschwerdegegner
für die zwischenzeitlich in Konkurs gefallene Firma angestellt hat, unter
Strafandrohung als Zeuge) - einen neuen Entscheid fälle. Im Übrigen ist die
Beschwerde abzuweisen.  
 
5.   
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten dem
Beschwerdegegner aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 18. September 2017
aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und dem Amt für Wirtschaft
und Arbeit des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 20. September 2018 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Der Gerichtsschreiber: Nabold 

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