Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.864/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
8C_864/2017  
 
 
Urteil vom 22. Februar 2018  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Frésard, Wirthlin. 
Gerichtsschreiber Jancar. 
 
Verfahrensbeteiligte 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
 SWICA Krankenversicherung AG, SWICA Gesundheitsorganisation, Rechtsdienst,
Römerstrasse 38, 8400 Winterthur, 
Beschwerdegegnerin, 
 
Erbengemeinschaft  A.________, 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 29. September 2017 (IV.2016.00164). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Die am 15. Juli 1995 geborene und am 10. September 2016 verstorbene
A.________ litt am Geburtsgebrechen Ziff. 384 der Verordnung über
Geburtsgebrechen (GgV). Am 20. Juli 2001 meldeten sie ihre Eltern bei der
IV-Stelle des Kantons Zürich zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 19.
September 2001 sprach ihr diese für die Zeit vom 17. Juli 2001 bis 31. Juli
2011 medizinische Massnahmen zu. In der Folge erteilte sie diverse
Kostengutsprachen, unter anderem für Hörgeräte und Signalübertragungsanlagen.
Mit Mitteilung vom 8. Juni 2011 verlängerte die IV-Stelle die Kostengutsprache
für die Behandlung des Geburtsgebrechens Ziff. 384 bis 31. Juli 2015. Sie
übernahm insbesondere die Kosten für stationäre Behandlungen und für eine
erstmalige berufliche Ausbildung der Versicherten zur Gärtnerin Zierpflanzen
(EBA) ab 13. August 2012 bis 12. August 2014. Mit Verfügung vom 6. Februar 2015
sprach ihr die IV-Stelle ab 1. August 2014 eine ganze Invalidenrente zu.  
 
A.b. Die SWICA Krankenversicherung AG (nachfolgend SWICA) teilte der IV-Stelle
am 30. Juni 2014 mit, die Versicherte sei vom 27. März bis 7. August 2012
physiotherapeutisch und vom 3. bis 24. April 2012 ergotherapeutisch behandelt
worden. Diese Behandlungen seien im Zusammenhang mit ihrem Geburtsgebrechen
Ziff. 384 erfolgt, weshalb dafür um Kostengutsprache ersucht werde. Mit
Verfügung vom 19. Januar 2016 wies die IV-Stelle dieses Begehren ab.  
 
B.   
Die gegen letztgenannte Verfügung von der SWICA erhobene Beschwerde hiess das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich teilweise gut. Es stellte fest,
dass die IV-Stelle für die physiotherapeutische Behandlung vom 27. März bis 7.
August 2012 sowie für die ergotherapeutische Behandlung vom 3. bis 24. April
2012 der Versicherten leistungspflichtig sei. Im Übrigen trat es auf die
Beschwerde nicht ein (Entscheid vom 29. September 2017). 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die
IV-Stelle die Aufhebung des kantonalen Entscheides und Bestätigung ihrer
Verfügung vom 19. Januar 2016. Ferner verlangt sie die Gewährung der
aufschiebenden Wirkung der Beschwerde. 
 
Die SWICA und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine
Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine
Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet
das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es -
offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten
Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (
Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art.
105 Abs. 2 BGG). Rechtsfragen sind die vollständige Feststellung erheblicher
Tatsachen, die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes bzw. der
Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG und der Anforderungen an den
Beweiswert von Arztberichten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232). Bei den aufgrund
dieser Berichte getroffenen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit und bei der konkreten Beweiswürdigung geht es um
Sachverhaltsfragen (nicht publ. E. 1 des Urteils BGE 141 V 585). 
 
2.   
Das kantonale Gericht hat die rechtlichen Grundlagen betreffend den Anspruch
auf medizinische Massnahmen bei Geburtsgebrechen (Art. 3 Abs. 2 ATSG in
Verbindung mit Art. 13 f. IVG; Art. 1 f. GgV; BGE 136 V 209 E. 7 S. 211 mit
Hinweisen) richtig dargelegt. Gleiches gilt betreffend die Geltendmachung des
Leistungsanspruchs und deren Folgen (Art. 29 Abs. 1 ATSG; Art. 65 IVV; BGE 121
V 195 E. 2 S. 196; SVR 2013 UV Nr. 16 S. 61, 8C_888/2012 E. 3.4), die
Nachzahlung von Leistungen (Art. 48 Abs. 1 IVG), das Prinzip der absoluten
Priorität im Sinne der ausschliesslichen Leistungspflicht einer einzigen
Sozialversicherung (Art. 64 ATSG; BGE 134 V 1 E. 6.1 S. 2) und die
Vorleistungspflicht in Zweifelsfällen (Art. 70 ATSG). Darauf wird verwiesen. 
 
3.  
 
3.1. Strittig ist, ob das kantonale Gericht zu Recht eine Leistungspflicht der
IV-Stelle für die Behandlung des Geburtsgebrechens Ziff. 384 der Versicherten
bejaht hat. Im Einzelnen geht es um physiotherapeutische Behandlung vom 27.
März bis 7. August 2012 sowie um ergotherapeutische Behandlung vom 3. bis 24.
April 2012. In beiden Fällen war die SWICA im Rahmen ihrer Vorleistungspflicht
für die Kosten aufgekommen.  
 
3.2. Das kantonale Gericht hat richtig erkannt, dass kein Anwendungsfall von 
Art. 70 ATSG vorliegt, da die SWICA im Zeitpunkt der Leistungserbringung keine
Zweifel daran hatte, dass die IV-Stelle für das Geburtsgebrechen der
Versicherten leistungspflichtig war (vgl. BGE 131 V 78 E. 2 S. 80).  
 
3.3. Das letztinstanzlich erneuerte Argument der IV-Stelle, das
Kostenübernahmegesuch der SWICA vom 30. Juni 2014 sei mit Blick auf Art. 48
Abs. 1 IVG verspätet eingereicht worden, verfängt nicht, wie das kantonale
Gericht zutreffend ausgeführt hat. Denn die IV-Stelle hat ihre Leistungspflicht
gegenüber der Versicherten für das Geburtsgebrechen Ziff. 384 mit Verfügung vom
19. September 2001 in grundsätzlicher Hinsicht anerkannt und insbesondere mit
Kostengutsprache vom 8. Juni 2011 für medizinische Massnahmen bis 31. Juli 2015
bekräftigt. Zwar stellt die Kostengutsprache kein verbindliches
Leistungsversprechen dar (vgl. allgemein zur Kostengutsprache BGE 142 V 478 E.
4.2 S. 483 mit Hinweisen). Das schliesst aber nicht aus bzw. verlangt sogar -
dem Wesen der Kostengutsprache gemäss -, dass die prioritär leistungspflichtige
IV-Stelle (vgl. Art. 64 Abs. 2 lit. c und d ATSG) die ihr von der SWICA
vorgelegten Abrechnungen einer näheren Prüfung unterzieht und insbesondere
klärt, ob die zugrunde liegenden Behandlungen davon erfasst werden und
namentlich den Anforderungen gemäss Art. 2 Abs. 3 GgV entsprechen. Dass
letzteres auf die im Streit liegenden Behandlungen nicht zuträfe, ist nach den
insofern unbeanstandet gebliebenen vorinstanzlichen Feststellungen nicht der
Fall. Wieso es unter diesen Umständen einer weiteren Anmeldung bei der
IV-Stelle bedurft hätte, ist nicht einzusehen.  
 
Aus dem von ihr ins Feld geführten Urteil BGE 143 V 312 kann die IV-Stelle in
der vorliegenden Konstellation nichts zu ihren Gunsten ableiten. Dort ging es
um die Anwendung von Art. 48 Abs. 2 IVG auf die Krankenkasse und um die Frage,
ob sich diese bei der Prüfung der Rechtzeitigkeit der Anmeldung das Wissen der
versicherten Person um den anspruchsbegründenden Sachverhalt anrechnen lassen
muss. 
 
4.   
Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch der IV-Stelle um aufschiebende
Wirkung gegenstandslos. 
 
5.   
Die unterliegende IV-Stelle hat in diesem Verfahren im eigenen
Vermögensinteresse gehandelt, weshalb sie die Gerichtskosten trägt (Art. 66
Abs. 1 und Abs. 4 BGG). Da sich zwei Versicherer gegenüberstehen, gilt für die
Gerichtsgebühr der ordentliche Rahmen nach Art. 65 Abs. 3 BGG, während Art. 65
Abs. 4 lit. a BGG keine Anwendung findet (nicht. publ. E. 6.1 des Urteils BGE
134 V 153; Urteil 8C_236/2008 vom 14. Oktober 2008 E. 9.1). Als Organisation
mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben, welche in ihrem amtlichen Wirkungskreis
handelt, hat die Beschwerdegegnerin keinen Anspruch auf Parteientschädigung (
Art. 68 Abs. 3 BGG; Urteil 8C_236/2008 E. 9.2). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 3000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, der Erbengemeinschaft A.________, dem
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 22. Februar 2018 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Der Gerichtsschreiber: Jancar 

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