Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.858/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
8C_858/2017  
 
 
Urteil vom 17. Mai 2018  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione, 
Gerichtsschreiberin Polla. 
 
Verfahrensbeteiligte 
 A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kaspar Saner, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 31. Oktober 2017 (IV.2017.00363). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die 1981 geborene A.________, bis 31. März 2014 als Call-Center-Mitarbeiterin
eines Telekommunikationsanbieters tätig gewesen, meldete sich unter Hinweis auf
eine psychische Dekompensation mit psychosomatischen Auswirkungen am 9. Juli
2014 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Gegen die einen
Rentenanspruch verneinende Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 19.
Januar 2015 erhob A.________ Beschwerde, die das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich in dem Sinne guthiess, dass es die Verfügung vom 19. Januar 2015
aufhob und die Sache zur erneuten Anspruchsprüfung an die IV-Stelle zurückwies
(Entscheid vom 26. Mai 2015). Die IV-Stelle liess die Versicherte daraufhin
psychiatrisch begutachten (Expertise des Dr. med. B.________, Facharzt FMH für
Psychiatrie und Psychotherapie, vom 1. Dezember 2016 und verneinte abermals
einen Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung (Verfügung vom 22.
Februar 2017). 
 
B.   
Die dagegen geführte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich mit Entscheid vom 31. Oktober 2017 ab. 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die IV-Stelle zu
verpflichten, ihr die gesetzlichen Leistungen, namentlich eine Invalidenrente,
auszurichten. Eventualiter sei die Sache zur neuen Begutachtung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Subeventualiter sei die Angelegenheit zur Abklärung
betreffend Anspruch auf berufliche Massnahmen und zu deren Durchführung an die
IV-Stelle zurückzuweisen. Zudem wird um unentgeltliche Rechtspflege ersucht. 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Stellungnahme. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter
anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die
Feststellung des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (
Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
1.2. Bei den gerichtlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit handelt es sich grundsätzlich um eine Tatfrage (BGE 132 V 393
E. 3.2 S. 397 ff.). Ebenso stellt die konkrete Beweiswürdigung eine Tatfrage
dar (Urteil 9C_204/2009 vom 6. Juli 2009 E. 4.1, nicht publ. in: BGE 135 V 254,
aber in: SVR 2009 IV Nr. 53 S. 164). Die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes
und der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 43 Abs. 1 bzw. Art. 61 lit. c ATSG ist
Rechtsfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.; Urteil I 865/06 vom 12.
Oktober 2007 E. 4 mit Hinweisen).  
 
2.  
 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob der vorinstanzlich verneinte Anspruch der
Beschwerdeführerin auf Leistungen (berufliche Massnahmen und Rente) der
Invalidenversicherung rechtens ist.  
 
2.2. Bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit stützt sich die Verwaltung und im
Beschwerdefall das Gericht auf Unterlagen, die von ärztlichen und
gegebenenfalls auch anderen Fachleuten zur Verfügung zu stellen sind. Ärztliche
Aufgabe ist es, den Gesundheitszustand zu beurteilen und dazu Stellung zu
nehmen, in welchem Umfang und bezüglich welcher Tätigkeiten die versicherte
Person arbeitsunfähig ist. Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes
ist entscheidend, ob dieser für die streitigen Belange umfassend ist, auf
allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden
berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in
der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge sowie der medizinischen
Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen der Experten begründet sind
(BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis).  
 
2.3. Im Rahmen der freien Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c ATSG) darf sich die
Verwaltung - und im Streitfall das Gericht - weder über die (den
beweisrechtlichen Anforderungen genügenden) medizinischen
Tatsachenfeststellungen hinwegsetzen noch sich die ärztlichen Einschätzungen
und Schlussfolgerungen zur (Rest-) Arbeitsfähigkeit unbesehen ihrer konkreten
sozialversicherungsrechtlichen Relevanz und Tragweite zu eigen machen. Die
medizinischen Fachpersonen und die Organe der Rechtsanwendung prüfen die
Arbeitsfähigkeit je aus ihrer Sicht (BGE 141 V 281 E. 5.2.1 S. 306 f.; 140 V
193 E. 3 S. 194 ff.; je mit Hinweisen). Die rechtsanwendenden Behörden haben
mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, ob die ärztliche Einschätzung der
Arbeitsunfähigkeit auch invaliditätsfremde Gesichtspunkte (insbesondere
psychosoziale und soziokulturelle Belastungsfaktoren) mitberücksichtigt, die
vom sozialversicherungsrechtlichen Standpunkt aus unbeachtlich sind (vgl. BGE
140 V 193; 130 V 352 E. 2.2.5 S. 355 f.). Wo psychosoziale Einflüsse das Bild
prägen, ist bei der Annahme einer rentenbegründenden Invalidität Zurückhaltung
geboten (BGE 141 V 281 E. 4.3.3 S. 303; 127 V 294 E. 5a S. 299 f.; Urteile
8C_582/2017 vom 22. März 2018 E. 5, 8C_746/2015 vom 3. Februar 2016 E. 2.2 und
9C_146/2015 vom 19. Januar 2016 E. 3.1 mit Hinweisen).  
 
3.  
 
3.1. Die Vorinstanz gelangte gestützt auf die als beweiskräftig eingestufte
Expertise des Dr. med. B.________ vom 1. Dezember 2016 zum Schluss, die bei der
Beschwerdeführerin diagnostizierte rezidivierende mittelgradige depressive
Episode sei überwiegend auf psychosoziale Belastungsfaktoren zurückzuführen.
Die psychische Dekompensation mit psychosomatischen Auswirkungen sei durch eine
Mobbingsituation am Arbeitsplatz ausgelöst worden. Sehr belastend gewesen sei
zusätzlich der Verlust mehrerer ihr nahestehender Personen (Suizid des Vaters
im Jahr 2004, Krebstod des Partners im Januar 2015 und Tod der Grossmutter im
Juni 2015). Der Gutachter habe nachvollziehbar ausgeführt, durch den Wegfall
der psychosozialen Belastungsfaktoren könne die psychische Störung
grundsätzlich zur Remission gebracht werden. Ferner habe Dr. med. B.________
eine Aggravation bejaht. Die Versicherte habe diesbezüglich die Klagen
teilweise appellativ vorgebracht und die aktenkundige Problematik des
Magen-Darmtraktes trotz ausreichenden zeitlichen Rahmens kaum erwähnt; das
Funktionsniveau der Alltagsbewältigung sei über weite Bereiche intakt,
Routineaufgaben im Haushalt scheine sie überwiegend selbstständig
durchzuführen. Das Leistungsbegehren sei zu Recht abgelehnt worden, so die
Vorinstanz, da keine invalidisierende gesundheitliche Beeinträchtigung
vorliege.  
 
3.2. Mängel am Gutachten, die dessen Beweiswert schmälern würden, vermag die
Beschwerdeführerin nicht aufzuzeigen, weshalb die Vorinstanz ohne Verletzung
des Untersuchungsgrundsatzes oder von Beweiswürdigungsregeln darauf abstellen
durfte. Sie hat namentlich einlässlich dargelegt, dass mit der ungenauen
Wiedergabe von biografischen Daten der Versicherten die Aussagekraft der
medizinischen Darlegungen in der Expertise nicht tangiert wurde. Auch
hinsichtlich des erneuten Vorwurfs, der Gutachter habe die Aggravation nicht
gegenüber einer Verdeutlichung abgegrenzt, äusserte sich die Vorinstanz in
nicht zu beanstandender Weise, ohne in diesem Zusammenhang den Anspruch auf
rechtliches Gehör verletzt zu haben. Sie legte zutreffend dar, dass die von Dr.
med. B.________ festgestellte Aggravation auch ohne explizite "Grenzziehung"
zwischen diesen Begriffen nachvollziehbar ist und zu Recht bei der Einschätzung
der medizinischen Situation und der Arbeitsfähigkeit berücksichtigt wurde.
Nicht offensichtlich unrichtig ist weiter die vorinstanzliche Feststellung, das
Beschwerdebild sei wesentlich durch invaliditätsfremde psychosoziale Umstände
geprägt, insbesondere durch die Mobbingsituation am Arbeitsplatz, die als
Auslöser für die psychische Dekompensation genannt worden sei, sowie durch die
belastenden Verluste engster Angehöriger. Der psychiatrische Experte, der
durchaus auch den Krankeitsverlauf berücksichtigte, hielt psychosoziale
Belastungsfaktoren in deutlichem Mass fest und bejahte klar, dass der Wegfall
derselben die psychische Störung (mit therapeutischer Begleitung) beseitigen
könne. Dr. med. B.________ betonte, es liege kein verselbstständigtes
psychisches Leiden vor, die Depression sei zudem im Verlauf immer wieder
remittiert. Eine chronifizierte Depression stellte der Experte somit nicht
fest. Es ist weder willkürlich noch sonstwie bundesrechtswidrig, wenn das
kantonale Gericht mit Blick auf diese gutachterliche Einschätzung die
diagnostizierte mittelgradige depressive Episode nicht als verselbstständigten
Gesundheitsschaden im Rechtssinne ansah (vgl. z. B. Urteil 9C_736/2011 vom 7.
Februar 2012 E. 2.3.3 mit Hinweisen). Ob eine leicht- oder mittelschwere
Episode vorliegt, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle.  
Die vorinstanzliche Beurteilung, wonach die diagnostizierte depressive Störung
aufgrund der dargelegten Umstände keinen Rentenanspruch zu begründen vermag,
beruht auf einer eingehenden Würdigung der Sach- und Rechtslage und steht im
Einklang mit der Rechtsprechung zur invalidisierenden Wirkung psychischer
Gesundheitsstörungen unter Berücksichtigung von psychosozialen und
soziokulturellen Umständen (E. 2.3 hiervor). Ein psychosozial bedingtes
Beschwerdebild vermag zwar medizinisch die Diagnose einer depressiven Episode,
aber rechtlich keine Invalidität zu begründen (vgl. Art. 7 Abs. 2 und Art. 8
Abs. 1 ATSG). Daran ändert nichts, dass das Bundesgericht in BGE 143 V 409 und
418 entschieden hat, sämtliche psychische Erkrankungen, namentlich auch leichte
bis mittelschwere depressive Störungen, grundsätzlich einem strukturierten
Beweisverfahren nach BGE 141 V 281 zu unterziehen. Eine indikatorengeleitete
Überprüfung des depressiven Leidens erübrigt sich nach dem soeben Dargelegten.
Auf die diesbezüglichen Einwendungen in der Beschwerde ist daher nicht weiter
einzugehen, soweit ihnen nicht ohnehin aufgrund der geänderten Rechtsprechung
die Grundlage entzogen ist. Liegt kein invalidisierender psychischer
Gesundheitsschaden vor, erübrigen sich auch Weiterungen zur Kritik der
Beschwerdeführerin an der vorinstanzlich im Sinne einer Eventualbegründung
vorgenommenen Invaliditätsbemessung. Nicht stichhaltig sind schliesslich die
Vorbringen gegen den im angefochtenen Entscheid verneinten Anspruch auf
berufliche Massnahmen, nachdem es an einer leistungsbegründenden Invalidität
fehlt und die Versicherte ebenso wenig im Sinne von Art. 8 IVG von Invalidität
bedroht ist. 
 
4.   
Da die Beschwerde offensichtlich unbegründet ist, wird sie im Verfahren nach 
Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG erledigt. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege
im bundesgerichtlichen Verfahren ist wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art.
64 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführerin sind demnach die Gerichtskosten
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 17. Mai 2018 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Polla 

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