Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.802/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
8C_802/2017  
 
 
Urteil vom 21. Februar 2018  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichterinnen Heine, Viscione, 
Gerichtsschreiberin Polla. 
 
Verfahrensbeteiligte 
 A.________, vertreten durch Rechtsanwältin Anna Abplanalp-Zumbrunn, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Bern, Scheibenstrasse 70, 3014 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 12.
Oktober 2017 (200 17 324 IV). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ meldete sich am 12. März 2012 unter Hinweis auf drei in den Jahren
2002, 2007 und 2011 erlittene Unfälle erneut bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an, nachdem bereits in den Jahren 2006 und 2007 ergangene
Leistungsgesuche infolge der innerhalb eines Jahres wiedererlangten
vollständigen Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit abgewiesen worden
waren (Verfügungen vom 13. November 2006 und 29. Januar 2008). Die IV-Stelle
Bern zog die Unfallakten der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva)
bei, veranlasste eine berufliche Abklärung durch die Genossenschaft E.________
und liess A.________ interdisziplinär durch das Zentrum für
versicherungsmedizinische Begutachtung (ZVMB) GmbH, Medizinische
Abklärungsstelle (MEDAS), Bern, begutachten (Expertise vom 24. Februar 2016).
Im Rahmen des Vorbescheidverfahrens nahm ihr Regionaler Ärztlicher Dienst (RAD)
zu den Einwänden Stellung (Bericht vom 10. Mai 2016), worauf die Verwaltung
zusätzlich bei den Dres. med. B.________, FMH Neurologie, und C.________, FMH
Psychiatrie und Psychotherapie, eine Begutachtung in Auftrag gab (Expertise vom
24. September 2016). In Berücksichtigung einer weiteren Stellungnahme des RAD
vom 27. Januar 2017 wies die IV-Stelle das Rentenbegehren ab (Verfügung vom 21.
Februar 2017). 
 
B.   
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 12. Oktober 2017 ab. 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei die Sache zur
erneuten Beurteilung an die IV-Stelle zurückzuweisen. 
Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Beschwerde an das Bundesgericht ist grundsätzlich ein reformatorisches
Rechtsmittel (Art. 107 Abs. 2 BGG), weshalb sie einen Antrag in der Sache (vgl.
Art. 42 Abs. 1 BGG) enthalten muss. Das Ersuchen um einen Rückweisungsentscheid
reicht ausnahmsweise aus, wenn das Bundesgericht im Falle der Gutheissung in
der Sache nicht selbst entscheiden könnte, wobei die Beschwerdebegründung zur
Interpretation des Rechtsbegehrens beigezogen werden kann (BGE 136 V 131 E. 1.2
S. 135 mit Hinweis; Urteile 8C_314/2017 vom 5. Juli 2017 E. 1 und 8C_673/2016
vom 10. Januar 2017 E. 1; ferner Meyer/Dormann in: Basler Kommentar,
Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 2a und 7 zu Art. 107 BGG). Dass der
Beschwerdeführer vorliegend kein Rechtsbegehren in der Sache stellt, schadet
nicht. Denn aus seiner Begründung ergibt sich, dass die beantragte Rückweisung
der Sache an die Beschwerdegegnerin bezweckt, den als nicht rechtsgenüglich
abgeklärt gerügten Sachverhalt durch zusätzliche medizinische oder berufliche
Abklärungen zu ergänzen, gestützt darauf den Invaliditätsgrad zu ermitteln und
über den Leistungsanspruch neu zu verfügen. Auf die Beschwerde ist daher
einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (
Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
2.2. Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich
unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und
augenfällig unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Eine offensichtlich
unrichtige Sachverhaltsfeststellung weist damit die Tragweite von Willkür auf (
BGE 135 II 145 E. 8.1 S. 153). Es liegt noch keine offensichtliche
Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt,
selbst wenn diese als die plausiblere erschiene (Urteil 9C_570/2007 vom 5. März
2008 E. 4.2). Eine Sachverhaltsfeststellung ist etwa dann offensichtlich
unrichtig, wenn das kantonale Gericht den Sinn und die Tragweite eines
Beweismittels offensichtlich falsch eingeschätzt, ohne sachlichen Grund ein
wichtiges und für den Ausgang des Verfahrens entscheidendes Beweismittel nicht
beachtet oder aus den abgenommenen Beweisen unhaltbare Schlüsse gezogen hat (
BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9; Urteile 8C_734/2016 vom 12. Juli 2017 E. 1.2; 9C_275/
2016 vom 19. August 2016 E. 1.2 mit Hinweisen).  
 
3.   
 
3.1. Bei der Beurteilung der Arbeits (un) fähigkeit stützt sich die Verwaltung
und im Beschwerdefall das Gericht auf Unterlagen, die von ärztlichen und
gegebenenfalls auch anderen Fachleuten zur Verfügung zu stellen sind. Ärztliche
Aufgabe ist es, den Gesundheitszustand zu beurteilen und dazu Stellung zu
nehmen, in welchem Umfang und bezüglich welcher Tätigkeiten die versicherte
Person arbeitsunfähig ist. Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes
ist entscheidend, ob dieser für die streitigen Belange umfassend ist, auf
allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden
berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in
der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge sowie der medizinischen
Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen der Experten begründet sind
(BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis).  
 
3.2. Bei den vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit der versicherten Person handelt es sich grundsätzlich um
Entscheidungen über eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.), welche das
Bundesgericht seiner Urteilsfindung zugrunde zu legen hat (E. 2.1). Die
konkrete Beweiswürdigung stellt ebenfalls eine Tatfrage dar. Dagegen ist die
Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln (BGE 132
V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.; Urteil I 865/06 vom 12. Oktober 2007 E. 4 mit
Hinweisen) wie auch die Frage nach der rechtlichen Relevanz einer attestierten
Arbeitsunfähigkeit (BGE 140 V 193) frei überprüfbare Rechtsfrage.  
 
4.   
Die Vorinstanz mass nach einlässlicher Beweiswürdigung dem polydisziplinären
Gutachten der MEDAS vom 24. Februar 2016 und dem neurologisch-psychiatrischen
Gutachten der Dres. med. B.________ und C.________ vom 24. September 2016 in
Bezug auf den medizinischen Sachverhalt Beweiskraft bei. In Abweichung von der
im bidisziplinären Gutachten psychiatrisch begründeten Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit von 20 % stellte sie fest, es sei das aus orthopädischer Sicht
formulierte Zumutbarkeitsprofil anzunehmen, ansonsten bestehe aber eine
uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit. Bei einem ermittelten Invaliditätsgrad von
12 % verneinte sie einen Rentenanspruch. 
 
5.  
 
5.1.  
 
5.1.1. Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, die Vorinstanz habe dem
psychiatrischen Gutachten des Dr. med. C.________ zu Unrecht Beweiswert
zuerkannt, da sich dieser nicht mit sämtlichen aktenkundigen Berichten
auseinandergesetzt habe. Diese Vorbringen sind nicht stichhaltig, zumal er
nicht weiter ausführt, welche Vorakten der Experte in seine Beurteilung hätte
einbeziehen müssen. Den Darlegungen des Dr. med. C.________ kann vielmehr
entnommen werden, dass er sich in der Expertise unter Ziffer 10 "Beurteilung
und Differenzialdiagnose" namentlich mit dem psychiatrischen Vorgutachten der
MEDAS sowie mit den Berichten des dannzumal behandelnden Psychiaters Dr. med.
D.________ ausführlich auseinandersetzte. Er legte schlüssig dar, weshalb er
die anamnestisch rezidivierenden depressiven Episoden (ICD-10 F33.4) als
zurzeit remittiert erachtete, in Einklang mit Dr. med. D.________ aber eine
andauernde Persönlichkeitsänderung bei chronischem Schmerzsyndrom (ICD-10
F62.8) bejahte. Er diagnostizierte zudem - anders als der psychiatrische
Sachverständige im Gutachten der MEDAS - eine somatoforme Schmerzstörung und
wies auf die negative Wechselwirkung zwischen der Persönlichkeitsänderung und
der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen
Anteilen (ICD-10 F45.4) hin; die Symptomatik stufte er allerdings als leicht
ein. Sodann bezog der Gutachter ebenfalls den Bericht der Genossenschaft
E.________ vom 16. Mai 2013 in seine Beurteilung mit ein, wobei er diesen für
die medizinische Einschätzung der Arbeitsfähigkeit nicht als massgeblich ansah.
Entgegen dem Einwand des Beschwerdeführers schloss die Vorinstanz in nicht zu
beanstandender Weise diesbezüglich, die Erkenntnisse aus dem Arbeitstraining
änderten an der gutachtlichen Zumutbarkeitsbeurteilung nichts. Denn nach der
Rechtsprechung ist die Frage nach den noch zumutbaren Tätigkeiten und
Arbeitsleistungen nach Massgabe der objektiv feststellbaren
Gesundheitsschädigung in erster Linie durch die Ärzte und nicht durch die
Eingliederungsfachleute auf der Grundlage der von ihnen erhobenen, subjektiven
Arbeitsleistung zu beantworten (Urteile 9C_396/2014 vom 15. April 2015 E. 5.4
und 9C_401/2014 vom 26. November 2014 E. 4.2.2; je mit Hinweis). Nach dem
Gesagten ist eine willkürliche vorinstanzliche Beweiswürdigung nicht
auszumachen, wenn das kantonale Gericht dem psychiatrischen Gutachten des Dr.
med. C.________ in medizinischer Hinsicht folgte.  
 
5.1.2. In Bezug auf die verbleibende Leistungsfähigkeit erachtete Dr. med.
C.________ wegen der Persönlichkeitsänderung mit mehr Pausenbedarf und einer
verlängerten Erholungszeit die Arbeitsfähigkeit um 20 % eingeschränkt. Der
Experte verfügt bei der Festsetzung der Arbeitsunfähigkeit (Art. 6 ATSG) über
einen naturgemässen Ermessensspielraum. Dr. med. C.________ gab seine
Einschätzung in Kenntnis der gesamten Aktenlage und nach gut dokumentierter
eingehender Erhebung eigener Befunde unter Hinweis auf die funktionelle
Beeinträchtigung, die leicht verminderten innerpsychischen Ressourcen aufgrund
eines starren Bewältigungsschemas und die etwas vermindert guten sozialen
Ressourcen ab. Wenn er unter Ziffer 7 "Ressourcen" eine gänzlich emotionale
Stabilität festhielt, handelt es sich, wie sich aus dem Kontext des gesamten
psychiatrischen Gutachtens ohne Weiteres ergibt, um einen Verschrieb. Richtig
sollte es heissen "Seine emotionale Stabilität ist nicht gänzlich gegeben". Die
Beweiskraft der Expertise wird dadurch nicht geschmälert. Entgegen der
Behauptung des Beschwerdeführers kann somit in medizinischer Hinsicht nicht von
einer höchst beliebigen gutachterlichen Annahme einer 20 %-igen
Arbeitsfähigkeit die Rede sein. Ob vorliegend die diagnostizierte
Persönlichkeitsänderung eine solche Annahme aus rechtlicher Sicht nicht
zulässt, wovon die Vorinstanz ausging, kann, auch wenn nunmehr sämtliche
psychischen Leiden einem strukturieren Beweisverfahren nach BGE 141 V 281 zu
unterziehen sind (Urteil 8C_130/2017 vom 30. November 2017, zur Publikation
bestimmt), offen gelassen werden. Denn auch in Abweichung von der
vorinstanzlichen Annahme einer mit Blick auf die gestellten Diagnosen fehlenden
invalidisierenden Gesundheitsschädigung, würde sich eine - anhand der
medizinischen Gutachten maximal anzunehmende 20 %-ige Arbeitsunfähigkeit in
einer leidensadaptierten Tätigkeit - jedenfalls nicht rentenbegründend
auswirken:  
 
5.2. Zur Invaliditätsbemessung des kantonalen Gerichts, insbesondere zur
Festsetzung von Validen- und Invalideneinkommen, äussert sich der
Beschwerdeführer nicht. Bei einem Einkommen als Gesunder von jährlich Fr.
66'924.- und dem vorinstanzlich bei einer vollständigen Arbeitsfähigkeit in
einer leidensadaptierten Tätigkeit angenommenen hypothetischen Einkommen als
Invalider von Fr. 65'177.10, resultierte bei einer 80 %-igen Arbeitsfähigkeit
und einem behinderungsbedingten Abzug von 10 % ein Verdienst von Fr. 46'927.50.
In Gegenüberstellung beider Vergleichseinkommen würde sich ein
rentenausschliessender Invaliditätsgrad von gerundet 30 % ergeben.  
 
5.3. Bei diesem Ergebnis besteht kein Anlass zur beantragten Rückweisung. Das
kantonale Gericht hat zu Recht einen Rentenanspruch verneint. Die Beschwerde
ist unbegründet.  
 
6.   
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die Kosten zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 21. Februar 2018 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Polla 

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