Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.771/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
8C_771/2017  
 
 
Urteil vom 3. Mai 2018  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione. 
Gerichtsschreiberin Schüpfer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Advokat Christof Enderle, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Basler Versicherung AG, 
vertreten durch Advokat Andrea Tarnutzer-Münch, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
28. September 2017 (VBE.2017.421). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Die 1978 geborene A.________ war seit dem 1. Januar 2010 bei der
B.________ AG als "Store Managerin" tätig und bei der Basler Versicherung AG
(nachstehend: Basler) gegen die Folgen von Unfällen versichert. Am 28. Januar
2010 verlor sie die Herrschaft über ihr Fahrzeug, fuhr gegen eine Böschung und
gelangte schliesslich, dieses auf dem Dach liegend, zurück auf die Strasse. Der
am 8. Februar 2010 konsultierte erstbehandelnde Dr. med. C.________, allgemeine
Medizin FMH, diagnostizierte nach einer unauffälligen bildgebenden
Magnetresonanz-Untersuchung ein Halswirbelsäulen-Beschleunigungstrauma mit
posttraumatischem muskulärem Cervico-Thoracovertebralsyndrom. Die
Unfallversicherung erbrachte Leistungen in Form von Heilbehandlung und richtete
Taggeld aus. Mit Verfügung vom 16. Juli 2010 stellte die Basler ihre Leistungen
per 2. August 2010 ein, da die weiterhin geklagten Beschwerden nicht mehr in
einem natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zum Unfall stünden. Eine
gegen den die Verfügung bestätigenden Einspracheentscheid vom 28. Januar 2011
erhobene Beschwerde hiess das Bundesgericht letztinstanzlich mit Urteil vom 16.
Oktober 2012 in dem Sinne teilweise gut, als es die Sache zu weiteren
medizinischen Abklärungen an die Unfallversicherung zurückwies.  
 
A.b. In der Folge holte die Basler beim Zentrum für medizinische Begutachtung,
Basel (ZMB), eine polydisziplinäre Expertise vom 19. Januar 2016 ein. Gestützt
darauf stellte die Unfallversicherung ihre Leistungen mit Verfügung vom 9.
Dezember 2016 auf den 31. Juli 2010 ein, da zu jenem Zeitpunkt der Status quo
ante, das heisst der Gesundheitszustand, wie er vor dem versicherten Unfall
vorhanden war, wieder erreicht worden sei. Daran hielt sie auch auf Einsprache
hin fest (Entscheid vom 3. April 2017).  
 
B.   
Die dagegen geführte Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau mit Entscheid vom 28. September 2017 ab. 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, in Aufhebung des kantonalen Entscheides seien ihr über den 31.
Juli 2010 hinaus die gesetzlichen Leistungen zu erbringen; eventuell sei die
Sache zu weiteren Abklärungen an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen. 
 
Die Basler schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Versicherungsgericht und
das Bundesamt für Gesundheit verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine
Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet
das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es -
offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten
Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). 
 
Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen
der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und
Art. 105 Abs. 3 BGG). 
 
2.   
Streitig und zu prüfen ist, ob die vom kantonalen Gericht bestätigte
Leistungseinstellung der Basler per 31. Juli 2010 vor Bundesrecht standhält. 
 
Das kantonale Gericht hat im angefochtenen Entscheid die Bestimmungen über den
Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung (Art. 6 Abs. 1
UVG) und namentlich die massgeblichen kausalrechtlichen Grundsätze zutreffend
dargelegt. Hervorzuheben ist, dass die Leistungspflicht des Unfallversicherers
einen natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem
eingetretenen Schaden voraussetzt (BGE 129 V 177 E. 3.1 und 3.2 S. 181). Dabei
spielt im Sozialversicherungsrecht die Adäquanz als rechtliche Eingrenzung der
sich aus dem natürlichen Kausalzusammenhang ergebenden Haftung des
Unfallversicherers im Bereich organisch objektiv ausgewiesener Unfallfolgen
praktisch keine Rolle, da sich hier die adäquate weitgehend mit der natürlichen
Kausalität deckt. Anders verhält es sich bei natürlich unfallkausalen, aber
organisch nicht objektiv ausgewiesenen Beschwerden. Hier bedarf es einer
besonderen Adäquanzbeurteilung. Dabei ist vom augenfälligen Geschehensablauf
auszugehen, und es sind je nachdem weitere unfallbezogene Kriterien
einzubeziehen (BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 111 f.). Hat die versicherte Person beim
Unfall eine Verletzung erlitten, welche die Anwendung der
Schleudertrauma-Rechtsprechung rechtfertigt, so sind hiebei die durch BGE 134 V
109 E. 10 S. 126 ff. präzisierten Kriterien massgebend. Ist diese
Rechtsprechung nicht anwendbar, so sind grundsätzlich die Adäquanzkriterien,
welche für psychische Fehlentwicklungen nach einem Unfall entwickelt wurden (
BGE 115 V 133 E. 6c/aa S. 140), anzuwenden (BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 111 f.;
vgl. zum Ganzen auch: BGE 138 V 248 E. 4 S. 250). 
 
3.   
Die Vorinstanz erwog im Wesentlichen, die Beschwerdeführerin sei mehrfach
untersucht worden, ohne dass ein organisches Korrelat für die geklagten
Beschwerden habe gefunden werden können. Einzig der behandelnde Hausarzt Dr.
med. C.________ habe die Diagnose eines posttraumatischen
Cervico-Thoracovertebralsyndroms gestellt, ohne jedoch auszuführen, auf welche
objektiven Grundlage er diese stütze. Gemäss dem polydisziplinären
ZMB-Gutachten vom 19. Januar 2016 hätten ab Juli 2010 unfallfremde,
nicht-somatische Faktoren eindeutig im Vordergrund gestanden. Das ergebe sich
auch aus dem Bericht der Klinik D.________ vom 24. November 2010, in welcher
die Beschwerdeführerin vom 11. Oktober bis 19. November 2010 stationär
behandelt worden sei. Es gebe keine Arztberichte, welche dem Gutachten
widersprechen würden oder dieses in Frage zu stellen vermöchten. Der
Fallabschluss per 31. Juli 2010 unter Verneinung weiterer Leistungen sei somit
rechtens. Ab diesem Zeitpunkt fehle es an einem adäquaten Kausalzusammenhang
der psychischen Beschwerden mit dem versicherten Unfall. 
 
4.   
Die Beschwerdeführerin bringt vor, das kantonale Gericht habe die Vorgabe des
Bundesgerichts in dessen Rückweisungsurteil 8C_396/2012 vom 16. Oktober 2012
nicht genügend umgesetzt. Das ZMB-Gutachten spreche sich nicht darüber aus, ob
nach dem 31. Juli 2010 noch eine namhafte Besserung des unfallbedingt
beeinträchtigten Gesundheitszustandes zu erwarten gewesen sei und ob noch das
typische Beschwerdebild nach einer HWS-Distorsion vorgelegen habe (2 Ziff. 4).
Damit beruhten die Schlussfolgerungen der Vorinstanz auf ungenügenden
medizinischen Abklärungen, womit sie Bundesrecht verletzt habe. 
 
5.   
Der Unfallversicherer hat einen Fall (unter Einstellung der vorübergehenden
Leistungen und mit Prüfung des Anspruchs auf eine Invalidenrente und auf eine
Integritätsentschädigung) abzuschliessen, wenn von der Fortsetzung der
ärztlichen Behandlung keine namhafte Besserung mehr erwartet werden kann und
allfällige Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung (IV)
abgeschlossen sind (Art. 19 Abs. 1 UVG; BGE 134 V 109 E. 4 S. 113 ff.). 
 
5.1. Eingliederungsmassnahmen der IV standen im Zeitpunkt des Fallabschlusses -
wie die Vorinstanz zutreffend dargelegt hat - nicht zur Diskussion. Massgebend
ist somit, ob von weiterer ärztlicher Behandlung eine namhafte Besserung des
Gesundheitszustandes erwartet werden konnte. Das kantonale Gericht hat dies
unter Hinweis auf die medizinische Aktenlage verneint. Die Beschwerdeführerin
vertritt die gegenteilige Auffassung. Sie beruft sich hiebei insbesondere auf
zwei Zeugnisse ihres Hausarztes Dr. med. C.________ vom 26. August und 4.
Oktober 2010. Demnach sei davon auszugehen, dass noch Beschwerden, die dem
typischen Beschwerdebild nach HWS-Distorsion entsprechen, vorhanden gewesen
seien.  
 
5.2.   
 
5.2.1. Die Frage, ob von der Fortsetzung der ärztlichen Behandlung eine
namhafte Besserung des Gesundheitszustandes erwartet werden kann, beurteilt
sich namentlich nach Massgabe der zu erwartenden Steigerung oder
Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, soweit unfallbedingt beeinträchtigt.
Dabei verdeutlicht die Verwendung des Begriffes "namhaft" durch den
Gesetzgeber, dass die durch weitere Heilbehandlung zu erwartende Besserung ins
Gewicht fallen muss. Unbedeutende Verbesserungen genügen nicht (BGE 134 V 109
E. 4.3 S. 115 mit Hinweisen). Sodann gilt, dass der Gesundheitszustand der
versicherten Person prognostisch und nicht auf Grund retrospektiver
Feststellungen zu beurteilen ist (RKUV 2005 Nr. U 557 S. 388, U 244/04 E. 3.1
mit Hinweisen).  
 
5.2.2. Dem Zeugnis des Dr. med. C.________ vom 26. August 2010 kann lediglich
entnommen werden, die Versicherte sei aufgrund eines physischen und psychischen
Erschöpfungszustandes mit Anorexie ab dem 1. Juli 2010 weder auf dem freien
Arbeitsmarkt noch in geschütztem Rahmen arbeitsfähig. Am 4. Oktober 2010
berichtet Dr. med. E.________, zwei Arbeitsversuche im Juli 2010 hätten nach
kurzer Zeit wegen erheblicher Schmerzen im Nacken-Schultergürtel und
Brustwirbelsäulenbereich aus medizinischen Gründen aufgegeben werden müssen.
Zusätzlich hätten sich aufgrund der Schmerzen und der Traumaverarbeitung
zunehmend depressive Verstimmungen gezeigt. Die Indikation für eine stationäre
Behandlung sei gegeben. Diese erfolgte in der Klinik D.________. In deren
Austrittsbericht vom 24. November 2010 werden eine Vielzahl von Diagnosen
gestellt: Emotionale instabile Persönlichkeitsstörung Typus Borderline;
rezidivierend depressive Störung, aktuell mittelschwer bei schwieriger
psychosozialer Belastungssituation; autonome somatoforme Funktionsstörung des
Gastrointestinaltraktes im Sinne einer Reizdarmsymptomatik mit Untergewicht;
chronischer Cannabismissbrauch; Untergewicht, BMI 16,4 kg/m2, Migräne;
Dyslipidämie; Otitis externa; Vitamin D Mangel; Autounfall Januar 2010 mit
Schleudertrauma. Dass durch letzteren noch Beschwerden vorhanden seien, wird
nicht erwähnt, obwohl von der Versicherten angegebene Schmerzen durchaus
Eingang in den Bericht fanden und auch näher abgeklärt wurden (Schmerzen im
rechten Unterbauch; Otitis). Die Therapie (Bewegungs- und Kunsttherapie,
kreatives Werken, Stresstoleranz-, Depressions- und Achtsamkeitsgruppe,
psychotherapeutische Gespräche im Einzelsetting) bezog sich einzig auf die
verschiedenen psychiatrischen Diagnosen. Diese gehören nicht zum typischen
Beschwerdebild nach einer HWS-Distorsion (vgl. BGE 134 V 109 E. 6.2.1 S. 116).
Daran vermag auch die depressive Störung nichts zu ändern, die einen Bezug zu
psychosozialen Belastungsfaktoren aufwies und im Übrigen schon vor dem Unfall
bestand.  
 
5.2.3. Aufgrund des ZMB-Gutachtens vom 1. Dezember 2016 steht gemäss
angefochtenem Entscheid fest, dass ab Juli 2010 keine organisch objektiv
ausgewiesenen Unfallfolgen mehr bestanden. Das wird auch von der
Beschwerdeführerin nicht bestritten. In psychiatrischer Hinsicht wird im
Gutachten ausgeführt, der Unfall könne lediglich als auslösendes Ereignis
bewertet werden. Die geklagten Beschwerden seien einerseits Ausdruck der
(vorbestehenden) Persönlichkeitsstörung der Versicherten mit erschwertem
Unfallerleben, und andererseits wäre jedes Ereignis geeignet gewesen, eine
entsprechende Symptomatik hervorzurufen. Damit steht fest, dass die ab dem 1.
August 2010 weiterbestehende psychische Problematik nicht als Teil des für das
sogenannte Schleudertrauma typischen, einer Differenzierung kaum zugänglichen
somatisch-psychischen Beschwerdebildes zu betrachten war, sondern ein
eigenständiges psychisches Leiden darstellte (vgl. BGE 134 V 109 E. 9.5 S.
125). Damit erfolgte der Fallabschluss und die Beurteilung des adäquaten
Kausalzusammenhanges zwischen dem Unfall vom 28. Januar 2010 und den
weiterbestehenden psychischen Problemen zu Recht in Anwendung der
Rechtsprechung gemäss BGE 115 V 133 und damit ohne Berücksichtigung des
psychischen Gesundheitsschadens.  
 
5.2.4. Gegen die vorinstanzliche Beurteilung der Adäquanzkriterien und die
gestützt hierauf erfolgte Verneinung der adäquaten Unfallkausalität ihres
Gesundheitsschadens bringt die Beschwerdeführerin keine Einwände vor. In diesem
Punkt hat es beim angefochtenen Entscheid somit ebenfalls sein Bewenden. Die
Beschwerde erweist sich insgesamt als unbegründet und ist abzuweisen.  
 
6.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die unterliegende Versicherte hat die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 3. Mai 2018 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Schüpfer 

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