Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.708/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
8C_708/2017  
 
 
Urteil vom 16. Mai 2018  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine, 
Gerichtsschreiberin Polla. 
 
Verfahrensbeteiligte 
 A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Cristina Schiavi, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente, Revision), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 7. August 2017 (IV.2016.00428). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der 1964 geborene A.________ meldete sich im Juni 1996 unter Hinweis auf
eine Wirbelsäulenproblematik nach einem am 20. Dezember 1993 erlittenen Unfall
bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Am 19. Juli 1996 zog er
seinen Antrag zurück, da er mit seiner Ehefrau ein eigenes Gipsergeschäft, die
B.________ GmbH (ab 6. April 2004: B.________ AG), gegründet habe. Im Juni 2000
meldete sich A.________ erneut zum Leistungsbezug bei der IV-Stelle des Kantons
Zürich an und beantragte Hilfsmittel und Rentenleistungen. Mit Verfügung vom 8.
Dezember 2000 erteilte die IV-Stelle Kostengutsprache für ein Hilfsmittel
(Abänderungen am Motorfahrzeug). Am 11. Juni 2001 beantragte A.________ zudem
Hilflosenentschädigung. Gestützt auf das Gutachten des Prof. Dr. med.
C.________, Chefarzt an der Orthopädischen Klinik D.________, vom 23. April
2001, die Abklärung vor Ort für Selbstständigerwerbende (Bericht vom 22.
Oktober 2001) und den Abklärungsbericht für eine Hilflosenentschädigung vom 23.
Oktober 2001, sprach ihm die IV-Stelle eine ganze Invalidenrente ab 1.
September 2000 zu (Verfügung vom 20. Dezember 2001). Dies bestätigte sie im
Rahmen eines Revisionsverfahrens im Jahr 2003/2004. Einen Anspruch auf
Hilflosenentschädigung verneinte sie mit Verfügung vom 14. Juni 2001.  
 
A.b. Auf einen anonymen Hinweis hin, wonach A.________ auf Baustellen schwere
Arbeiten verrichte, leitete die IV-Stelle im Jahr 2006 eine Rentenrevision ein.
Zudem erfuhr sie, dass eine Untersuchung des Staatssekretariats für Wirtschaft
(seco) wegen zu Unrecht bezogener Schlechtwetterentschädigung in der Höhe von
rund einer Million Franken eingeleitet worden sei. Am 7. September 2006 reichte
die IV-Stelle wegen Verdachts auf Versicherungsbetrug Strafanzeige ein. Das
Obergericht des Kantons Zürich wies mit Beschluss vom 6. März 2008 die Sache
zur weiteren Strafuntersuchung an die Staatsanwaltschaft zurück, nachdem die
IV-Stelle deren Einstellungsverfügung angefochten hatte.  
Mit Verfügung vom 14. Juli 2008 hob die IV-Stelle die ganze Rente rückwirkend
auf den 1. Juli 2004 auf. Mit Rückerstattungsverfügung vom 30. Juli 2008
forderte sie die zu Unrecht bezogenen Leistungen ab Juli 2004 zurück. Die gegen
diese Verfügungen erhobenen Beschwerden hiess das Sozialversicherungsgericht
des Kantons Zürich mit Entscheid vom 27. Februar 2009 in dem Sinne gut, dass es
die Sache zu weiteren Abklärungen an die Verwaltung zurückwies. Ein Gesuch um
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde respektive um
vorsorgliche Weiterausrichtung der Rentenleistungen wies das Gericht ab. 
 
A.c. Die IV-Stelle veranlasste daraufhin eine Begutachtung bei Dr. med. et Dr.
sc. nat. ETH E.________, Fachärztin FMH für Innere Medizin und Rheumatologie,
(Gutachten vom 22. August 2011) und zog die Untersuchungsakten der
Kantonspolizei Zürich sowie die Buchhaltungsunterlagen der B.________ AG bei.
Weiter führte sie eine Abklärung für Selbstständigerwerbende vor Ort durch
(Bericht vom 26. Oktober 2012). Gestützt hierauf hob die IV-Stelle mit
Verfügung vom 26. Februar 2016 die bisherige Rente rückwirkend vom 1. Juli 2004
bis zur Sistierung auf.  
 
B.   
Die von A.________ hiergegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht
des Kantons Zürich mit Entscheid vom 7. August 2017 ab. 
 
C.   
A.________ lässt Einheitsbeschwerde (recte: Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) führen und beantragen, in Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheids sei die IV-Stelle zu verpflichten, ihm ab 1. Juli
2004 weiterhin eine ganze, eventuell eine Teilrente, zuzusprechen. 
Das Bundesgericht führt keinen Schriftenwechsel durch. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung
des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.   
 
2.1.  
 
2.1.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte,
indem sie rückwirkend für die Zeit ab 1. Juli 2004 den Anspruch auf eine Rente
verneinte. Die Rückerstattungspflicht des Beschwerdeführers steht vorliegend
nicht im Streit.  
 
2.1.2. Die rückwirkende Korrektur eines unrechtmässigen Leistungsbezugs mittels
Rückforderung bedarf auch im Bereich der Invalidenversicherung eines
entsprechenden Titels. Im Einzelnen braucht es dazu einen Rückkommenstitel im
Sinne von Art. 53 Abs. 1 oder 2 ATSG (Wiedererwägung oder Revision). In Frage
kommt jedoch auch eine Revision nach Art. 17 ATSG, falls sie gemäss Art. 88 ^
bis Abs. 2 lit. b IVV i.V.m. Art. 77 IVV rückwirkend erfolgt (BGE 142 V 259 E.
3.2.1 S. 261; Urteil 8C_85/2016 vom 26. August 2016 E. 2).  
 
2.2. Die Vorinstanz stellte gestützt auf das als beweiswertig eingestufte
Gutachten der Frau Dr. med. et Dr. sc. nat. ETH E.________ vom 22. August 2011
fest, der Versicherte sei in einer adaptierten Tätigkeit zu 100 % arbeitsfähig.
Sie legte dabei namentlich dar, dass Frau Dr. med. et Dr. sc. nat. ETH
E.________ nicht befangen sei und auch keine inhaltlichen Mängel am Gutachten
beständen. Gestützt auf die echtzeitlichen Akten, den polizeilichen
Beobachtungsbericht vom 17. Juli 2007, Zeugeneinvernahmen bezüglich der
Geschäftstätigkeit der B.________ AG sowie die rückwirkende medizinische
Aktenbeurteilung der Gutachterin ging die Vorinstanz von einem verbesserten
Gesundheitszustand ab April 2004 aus. Sie nahm mit Blick auf die Ermittlung des
Invaliditätsgrads keinen Einkommensvergleich vor, da sie von einer
vollständigen Arbeitsfähigkeit als Geschäftsführer der B.________ AG ausging
und gestützt auf die Lohnunterlagen erwerbliche Auswirkungen ausschloss.
Schliesslich stellte die Vorinstanz eine Meldepflichtverletzung fest, da es der
Beschwerdeführer unterlassen habe, der Invalidenversicherung seinen seit April
2004 wesentlich verbesserten Gesundheitszustand zu melden, der es ihm
ermöglichte, seiner Geschäftsführertätigkeit in seiner eigenen Gesellschaft
wieder uneingeschränkt nachzukommen.  
 
2.3. Beschwerdeweise wird vorgebracht, entgegen dem Rückweisungsentscheid vom
27. Februar 2009 sei kein orthopädisch/rheumatologisches Gutachten erstellt
worden. Folglich fehle es der "rein" rheumatologischen Gutachterin am
notwendigen Fachwissen. Weiter habe das kantonale Gericht das Gutachten vom 22.
August 2011 im Sinne der Beschwerdegegnerin interpretiert, obschon es eine
Verbesserung des Gesundheitszustands nicht belege. Darin sei eine
Gehörsverletzung und eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes zu erblicken.
Gemäss Urteil des Bezirksgerichts Hinwil vom 27. September 2017 (betreffend die
strafrechtliche Verurteilung des Versicherten wegen mehrfachen gewerbsmässigen
Betrugs) seien sowohl die medizinische Expertise der Frau Dr. med. et Dr. sc.
nat. ETH E.________ als auch das Observationsmaterial im Strafverfahren nicht
verwertbar. Durch die willkürliche Sachverhaltsermittlung und Beweiswürdigung
liege ein Ermessensmissbrauch vor. Weiter seien die Schlussfolgerungen der
Vorinstanz bezüglich des Verdiensts des Beschwerdeführers falsch, da es sich
nicht um das von ihm selbst erwirtschaftete Vermögen handle, sondern um jenes
der Gesellschaft.  
 
3.  
 
3.1. Mit rechtskräftigem Urteil vom 27. September 2017 des Bezirksgerichts
Hinwil wurde der Beschwerdeführer des mehrfachen gewerbsmässigen Betrugs
bezüglich Schlechtwetterentschädigung schuldig gesprochen. Des mehrfachen
Betrugs betreffend Rentenleistungen insbesondere der Invalidenversicherung
wurde er hingegen freigesprochen. Das Bezirksgericht begründete dies damit,
dass aufgrund der dem Einkommensvergleich zugrunde gelegten
Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers ab April 2004 - ab dann war ihm
die Tätigkeit als Geschäftsführer der B.________ AG zu 100 % zumutbar - mangels
eines leistungsbegründenden Invaliditätsgrads gar kein Rentenanspruch
resultieren könne. Damit steht auch für das Bezirksgericht fest, dass der
Versicherte ab April 2004 keinen Rentenanspruch hatte, wobei festzuhalten ist,
dass das Sozialversicherungsgericht nicht an die strafgerichtlichen
Feststellungen und Würdigungen gebunden ist (BGE 125 V 237 E. 6a S. 242; SVR
2012 IV Nr. 2 S. 4 E. 7.2.1 [9C_785/2010]; vgl. auch BGE 138 V 74 E. 7 S. 81,
134 V 315 E. 4.5.3 S. 322). Folglich ist der Einwand der Unverwertbarkeit des
medizinischen Gutachtens im Sozialversicherungsprozess aufgrund der im
Strafverfahren noch offenen Frage der Verwertbarkeit desselben nicht
stichhaltig und entbehrt einer rechtlichen Grundlage. Weiterungen erübrigen
sich dazu, zumal nicht ersichtlich ist, dass die Observationsergebnisse im
vorliegenden Verfahren nicht verwertbar sind, zumal in der Beschwerde dagegen
einzig vorgebracht wird, die Verwertung der Strafakten im
Sozialversicherungsverfahren begründeten die Voreingenommenheit der
Gutachterin. Demnach schadet es nicht, dass die Expertin von diesen Kenntnis
hatte (zur Verwertbarkeit vgl. BGE 143 I 377 und Urteil 9C_468/2017 vom 11.
September 2017 E. 4.1). Bezüglich des wiederholten Einwands, Frau Dr. med. et
Dr. sc. nat. ETH E.________ sei befangen und voreingenommen, wird auf die
korrekte Darlegung im kantonalen Entscheid der hierzu ergangenen umfangreichen
Rechtsprechung des Bundesgerichts und die einlässliche vorinstanzliche
Auseinandersetzung mit diesem Vorwurf verwiesen. Konkrete Anhaltspunkte, die
den Anschein der Befangenheit oder die Gefahr der Voreingenommenheit zu
begründen vermöchten, sind nicht ersichtlich. Auch hierzu erübrigen sich
Weiterungen.  
 
3.2. Sodann hat das kantonale Gericht gestützt auf die Akten, insbesondere das
Gutachten der Frau Dr. med. et Dr. sc. nat. ETH E.________ vom 22. August 2011
bindend (E. 1) erkannt, dass durch die vierte lumbale Operation am 19.
September 2003 in revisionsrechtlicher Hinsicht (Art. 17 Abs. 1 ATSG) eine
wesentliche gesundheitliche Verbesserung erreicht werden konnte. Der
Beschwerdeführer kann dadurch seit April 2004 zu 100 % der Tätigkeit als
Geschäftsführer der B.________ AG nachgehen und damit gemäss vorinstanzlicher
Feststellung ein rentenausschliessendes Einkommen erzielen. Mit Blick auf die
Entwicklung der Gesellschaft mit jährlich gewachsenem Betriebsertrag ist davon
auszugehen, dass der verbliebene gesundheitliche Schaden keine erwerbliche
Auswirkungen mehr zeitigt. Der in der Beschwerde geäusserte Vorwurf, das
kantonale Gericht habe den Untersuchungsgrundsatz, den Anspruch auf rechtliches
Gehör und das Willkürverbot verletzt, stützt sich lediglich auf Kritik am
seitens der Vorinstanz verbindlich festgestellten Sachverhalt. Sie hat sich
indessen hinreichend mit den Vorbringen des Beschwerdeführers im kantonalen
Verfahren auseinandergesetzt und ihre wesentlichen Überlegungen genannt. Der
Beschwerdeführer verkennt, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29
Abs. 2 BV) nicht bedeutet, dass das angerufene Gericht jedes einzelne
Vorbringen ausdrücklich widerlegen muss. Jedenfalls kann von einer den
Untersuchungsgrundsatz verletzenden, offensichtlich unrichtigen (oder
unvollständigen) vorinstanzlichen Feststellung des rechtserheblichen
Sachverhalts oder gar von einer willkürlichen Würdigung der Aktenlage keine
Rede sein. Dies gilt auch hinsichtlich der antizipierten Beweiswürdigung,
wonach keine weiteren ärztlichen Abklärungen, insbesondere in orthopädischer
Hinsicht, erforderlich seien. In der Beschwerdeschrift werden praktisch
ausschliesslich blosse Tat- und Ermessensfragen aufgeworfen, die - wie
dargelegt - der freien Überprüfung durch das Bundesgericht von vornherein
entzogen sind. Gegen die vorinstanzlich bejahte Meldepflichtverletzung (Art. 31
ATSG in Verbindung mit Art. 88 ^bis Abs. 2 lit. b und Art. 77 IVV) wendet der
Beschwerdeführer schliesslich zu Recht nichts ein. Damit hat es mit der
rückwirkenden Leistungseinstellung gemäss angefochtenem Entscheid sein
Bewenden.  
 
4.   
Die im Sinne von Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG offensichtlich unbegründete
Beschwerde ist im vereinfachten Verfahren abzuweisen. 
 
5.   
Die Gerichtskosten werden dem Beschwerdeführer als unterliegender Partei
auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 16. Mai 2018 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Polla 

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