Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.705/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
8C_705/2017  
 
 
Urteil vom 13. März 2018  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine. 
Gerichtsschreiber Jancar. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Susanne Friedauer, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Unfallversicherung Stadt Zürich, Stadelhoferstrasse 33, 8001 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang, Arbeitsunfähigkeit), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 17. August 2017 (UV.2016.00178). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die 1969 geborene A.________ war seit 19. August 2003 teilzeitlich als
Hortmitarbeiterin beim Hort B.________ angestellt und damit bei der
Unfallversicherung Stadt Zürich obligatorisch unfallversichert. Am 25. November
2011 verletzte sie sich bei einem Treppensturz am rechten Fussgelenk. Das
Spital C.________ diagnostizierte gleichentags eine OSG-Distorsion mit Läsion
des linken Ligamentum fibulotalare anterius; kleine schalenförmige Ausrisse im
Talusbereich. Die Unfallversicherung Stadt Zürich kam für die Heilbehandlung
und das Taggeld auf. Am 13. Oktober 2014 wurde in der Klinik D.________ ein
Release des N. peroneus superficialis am distalen lateralen Unterschenkel
rechts durchgeführt. Mit Verfügung vom 23. März 2016 stellte die
Unfallversicherung Stadt Zürich ihre Leistungen für die somatischen Beschwerden
per 21. Januar 2016 und für die psychischen Beschwerden per 15. Februar 2016
ein. Hiergegen erhoben die Versicherte und ihr Krankenversicherer Einsprache.
Letzterer zog sie in der Folge zurück. Die Einsprache der Versicherten wies die
Unfallversicherung Stadt Zürich mit Entscheid vom 29. Juni 2016 ab. 
 
B.   
Die hiergegen geführte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 17. August 2017 ab. 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die
Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei die Unfallversicherung
Stadt Zürich zu verpflichten, ihr die geschuldeten Leistungen auszurichten,
insb. Taggelder und Heilbehandlungskosten, evtl. ein Rente und eine
Integritätsentschädigung. 
Die Unfallversicherung Stadt Zürich schliesst auf Beschwerdeabweisung. Das
Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
 
1.   
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft
das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur
Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die
geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen). 
 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen
der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und
Art. 105 Abs. 3 BGG). 
 
2.   
Das kantonale Gericht hat die rechtliche Grundlagen betreffend den für die
Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers (Art. 6 UVG)
erforderlichen natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall
und dem Gesundheitsschaden im Allgemeinen (BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 111 f.) und
bei psychischen Unfallfolgen im Besonderen (BGE 115 V 133) richtig dargelegt.
Gleiches gilt betreffend den den massgebenden Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit (BGE 138 V 218 E. 6 S. 221) und den Beweiswert von
Arztberichten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 532). Darauf
wird verwiesen. 
 
3.   
Streitig und zu prüfen ist, ob die vom kantonalen Gericht bestätigte
Leistungseinstellung der Unfallversicherung Stadt Zürich für die somatischen
Beschwerden per 21. Januar 2016 und für die psychischen Beschwerden per 15.
Februar 2016 vor Bundesrecht standhält. 
Das kantonale Gericht hat in Würdigung der medizinischen Aktenlage im
Wesentlichen erwogen, Frau Dr. med. E.________, Oberärztin, Zentrum für
Fusschirurgie, Klinik D.________, die ein MRI des OSG rechts vom 6. Juli 2012
veranlasst habe, habe die Beschwerden der Versicherten keiner anatomischen
Struktur zuordnen können (Berichte vom 2. und 13. Juli 2012). Im
Konsiliarbericht vom 19. Januar 2015 habe Dr. med. F.________, FMH Innere
Medizin spez. Rheumatologie, die Unfallkausalität der Beschwerden bejaht und
das Vorliegen eines Endzustandes verneint. Der die Versicherte behandelnde Dr.
med. G.________, Leitender Oberarzt Rheumatologie, Klinik D.________, habe im
Bericht vom 19. Februar 2015 ein aktives CRPS I zunächst verneint, im Bericht
vom 1. April 2015 aber bejaht. Am 10. Dezember 2015 habe Dr. med. G.________
eine Verbesserung im Bereich des rechten Fusses verneint. Im Konsiliarbericht
vom 26. Januar 2016 habe Dr. med. F.________ den Endzustand als erreicht
angesehen. Er habe im Ergebnis - auch wenn seine Ausführungen etwas unklar
seien - keine wesentlichen Befunde mehr erheben resp. keine Diagnose stellen
können, die auf den Unfall vom 25. November 2015 zurükzuführen seien. Deshalb
sei in Bezug auf die somatischen Beschwerden die Leistungseinstellung auf den
Zeitpunkt seiner Untersuchung rechtens. Da es sich um einen leichten Unfall
gehandelt habe, sei die adäquate Unfallkausalität allfälliger psychischer
Beschwerden der Versicherten zu verneinen; die Prüfung des natürlichen
Kausalzusammenhangs dieser Beschwerden erübrige sich deshalb. 
 
4.   
Gegen die Verneinung der Unfalladäquanz der psychischen Beschwerden und die
entsprechende Leistungseinstellung per 15. Februar 2016 (vgl. BGE 135 V 465 E.
5.1 S. 472; 115 V 133 E. 6a S. 139) erhebt die Versicherte keine
substanziierten Einwände. Hierzu erübrigen sich somit Weiterungen. 
 
5.   
In somatischer Hinsicht kann dem vorinstanzlichen Ergebnis nicht beigepflichtet
werden, wie die folgenden Erwägungen zeigen. 
 
5.1. Dr. med. F.________ führte am 26. Januar 2016 zwar aus, das
Bewegungsverhalten, das Gangbild und das Sitzverhalten der Beschwerdeführerin
seien insofern diskrepant, als er keinerlei Schon-/Ausweichverhalten oder eine
Schmerzrezeption wahrnehmen könne. Bei all diesen Positionen und
Bewegungsabläufen klage sie nicht über Beschwerden. Eine weitere Diskrepanz sei
eine symmetrische Umfangmessung an Ober- und Unterschenkel; man müsste
zumindest eine gewisse Schonatrophie an der rechten unteren Extremität
erwarten. Gleichzeitig legte Dr. med. F.________ aber dar, reproduzierbar sei
eine diffuse, nicht näher spezifizierbare
Oberflächenberührungsqualitäts-Veränderung gegenüber links am mittleren und
distalen, ventralen und lateralen Unterschenkel rechts und diffus im Bereich
des Fusses und Sprunggelenks rechts gegenüber links. Neurologisch könne er dies
nicht zuordnen. Eine CRPS-Aktivität fehle. Dazu komme eine strukturell
ebenfalls nicht zuordnerbare diffuse Druckdolenz periartikulär im Bereich des
Sprunggelenks rechts. Das Schmerzbild sei nicht klar; allenfalls bestehe
zusätzlich eine Somatisierungs- resp. Schmerzverarbeitungsstörung. Die
Diskrepanzen beurteile er nicht als mangelnde Kooperation oder Compliance; sie
seien unklar. Es sei ihm nicht möglich, diese komplexen Fragen zu beantworten.
Er empfehle deshalb eine neurologische Abklärung mit der Frage nach neurogener
Mitbeteiligung, Denervationen und Eingrenzung des Beschwerdebildes aus
neurologischer Sicht. Weiter empfehle er eine Evaluation der funktionellen
Leistungsfähigkeit (EFL). Zum jetzigen Zeitpunkt beurteile er noch eine
Unfallkausalität; im Verlauf müsse der Endzustand diskutiert werden. Die Frage
nach der Integritätsentschädigung wolle er noch nicht beantworten, da die von
ihm empfohlenen Abklärungen und Berichte fehlten.  
 
5.2. In diesem Lichte kann nicht von einer rechtsgenüglichen Einschätzung des
Dr. med. F.________ ausgegangen werden. Hieran ändert seine Bemerkung nichts,
er gehe von einem Endzustand ohne Aussicht auf eine relevante Verbesserung
unter zusätzlichen somatischen Therapieoptionen aus. Denn aus seinen
Ausführungen ergibt sich klar, dass er die Beschwerden der Versicherten
weiterhin als unfallkausal ansah und eine abschliessende Beurteilung erst nach
Durchführung der von ihm empfohlenen Abklärungen für möglich hielt.  
Umstritten ist insbesondere auch das Vorliegen eines CRPS, das von Dr. med.
H.________, Facharzt Anästhesiologie/Interventionelle Schmerztherapie, Klinik
I.________, im Bericht vom 15. März 2015 sowie von Dr. med. G.________ in den
Berichten vom 1. April und 10. Dezember 2015 bejaht wurde (vgl. auch E. 3
hiervor). Hierzu ist festzuhalten, das im Rahmen der Diagnostik und Abklärung
des CRPS apparative Untersuchungen angezeigt sind, wie Röntgen, Szintigraphie,
Ninhydrintest oder Thermographie (Urteil 8C_955/2008 vom 29. April 2009 E. 7.1;
Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 267. Aufl., Berlin 2017, S. 1623; ALFRED M.
DEBRUNNER, Orthopädie/Orthopädische Chirurgie, 4. Aufl., Bern 2002, S. 696).
Dr. med. F.________ nahm entsprechende Untersuchungen nicht vor und verwies
auch nicht auf solche anderer Arztpersonen. 
Nach dem Gesagten ist der Sachverhalt in somatischer Hinsicht unvollständig
abgeklärt. Die Sache ist somit an die Unfallversicherung zurückzuweisen, damit
sie eine versicherungsexterne medizinische Begutachtung veranlasse.
Praxisgemäss ist es grundsätzlich den Gutachterpersonen überlassen, über Art
und Umfang der aufgrund der konkreten Fragestellung erforderlichen
Untersuchungen zu befinden (Urteil 8C_682/2017 vom 14. Februar 2018 E. 6.2).
Nach getätigten Abklärungen hat die Unfallversicherung über den
Leistungsanspruch der Beschwerdeführerin neu zu verfügen. 
 
6.   
Bei diesem Ergebnis kann offen bleiben, ob eine vorinstanzliche Verletzung der
Begründungspflicht (hierzu vgl. BGE 138 I 232 E. 5.1 S. 37) vorliegt, wie die
Beschwerdeführerin vorbringt. 
 
7.   
Die unterliegende Beschwerdegegnerin trägt die Verfahrenskosten (Art. 66 Abs.
1, Art. 68 Abs. 2 BGG; BGE 141 V 281 E. 11.1 S. 312). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 17. August 2017 und der
Einspracheentscheid der Unfallversicherung Stadt Zürich vom 29. Juni 2016
werden aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verfügung an die Unfallversicherung
Stadt Zürich zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen. 
 
4.   
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
zurückgewiesen. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 13. März 2018 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Der Gerichtsschreiber: Jancar 

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