Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.682/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
8C_682/2017  
 
 
Urteil vom 14. Februar 2018  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichterinnen Heine, Viscione, 
Gerichtsschreiber Jancar. 
 
Verfahrensbeteiligte 
 A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Michele Santucci, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, 
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Arbeitsunfähigkeit, Eingliederungsmassnahmen,
Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau 
vom 16. August 2017 (VBE.2017.298). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1960 geborene A.________ war seit 1997 bei der B.________ AG, Bremgarten,
als Maurer-Vorarbeiter angestellt. Am 22. Mai 2014 meldete er sich bei der
IV-Stelle des Kantons Aargau zum Leistungsbezug an. Diese zog unter anderem ein
für die Helsana Versicherungen AG (nachfolgend Helsana) als
Krankentaggeldversicherer erstelltes Gutachten des Dr. med. C.________, FMH
Innere Medizin und Rheumaerkrankungen, Bern, vom 15. August 2016 bei. Weiter
holte die IV-Stelle ein polydisziplinäres Gutachten des Swiss Medical
Assessment- and Business-Centers (SMAB), Bern, vom 11. November 2016 ein. Mit
Verfügung vom 23. Februar 2017 verneinte sie einen Rentenanspruch. 
 
B.   
Die hiergegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau ab, soweit es darauf eintrat (Entscheid vom 16. August 2017). 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt der
Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei ihm ab 1. Januar 2015
eine halbe Rente, eventuell eine Viertelsrente zuzusprechen; subeventuell sei
die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen mit der
Anweisung, hierzu vorab ein unabhängiges Obergutachten einzuholen. Dem
Versicherten sei Gelegenheit zu geben, sich zu den Gutachtervorschlägen zu
äussern oder eigene Vorschläge zu unterbreiten. 
 
Ein Schriftenwechsel wurde nicht angeordnet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine
Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet
das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es -
offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten
Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (
Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art.
105 Abs. 2 BGG). Rechtsfragen sind die vollständige Feststellung erheblicher
Tatsachen, die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes bzw. der
Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG und der Anforderungen an den
Beweiswert von Arztberichten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232). Bei den aufgrund
dieser Berichte getroffenen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit und bei der konkreten Beweiswürdigung geht es um
Sachverhaltsfragen (nicht publ. E. 1 des Urteils BGE 141 V 585). 
 
2.   
Da die streitige Verfügung vom 23. Februar 2017 nur die Rentenfrage betraf,
trat die Vorinstanz auf die Beschwerde mangels Anfechtungsgegenstandes zu Recht
insofern nicht ein, als der Versicherte die Zusprache von
Eingliederungsmassnahmen beantragte. Soweit er dies letztinstanzlich erneut
verlangt, ist die Beschwerde somit unzulässig (BGE 131 V 164 E. 2.1; Urteil
9C_832/2015 vom 9. Dezember 2012 E. 1). Über den Rentenanspruch kann befunden
werden, wenn er - wie hier - unabhängig von einer allfälligen
Eingliederungsberechtigung mangels eines rentenbegründenden Invaliditätsgrades
abzulehnen ist (Urteil 8C_308/2012 vom 29. Mai 2012 E. 2). 
 
3.   
Die Vorinstanz hat die rechtlichen Grundlagen betreffend die Invalidität (Art.
7 f. ATSG; Art. 4 Abs. 1 IVG), die Voraussetzungen des Rentenanspruchs (Art. 28
IVG), die Invaliditätsbemessung nach der allgemeinen Methode des
Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG; Art. 28a Abs. 1 IVG), den Grundsatz der
freien Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c ATSG) und den Beweiswert von
Arztberichten (BGE 135 V 465 E. 4.4 S. 470, 134 V 231 E. 5.1 S. 232, 125 V 351
E. 3a S. 532) richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
4.   
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzt hat,
indem es den Rentenanspruch des Beschwerdeführers in Bestätigung der Verfügung
der IV-Stelle vom 23. Februar 2017 verneinte. 
 
Die Vorinstanz erwog im Wesentlichen, das für die Helsana erstellte Gutachten
des Dr. med. C.________ vom 15. August 2016 sei nicht im Verfahren nach Art. 44
ATSG eingeholt worden. Es sei gleich zu werten wie eine versicherungsinterne
Beurteilung. Das Gutachten des Dr. med. C.________ sei den SMAB-Gutachtern
bekannt gewesen und, es seien keine Umstände ersichtlich, die von ihnen nicht
gewürdigt worden wären. Demnach sprächen keine konkrete Indizien gegen die
Zuverlässigkeit des polydisziplinären SMAB-Gutachtens vom 11. November 2016.
Diesem komme voller Beweiswert im Sinne der praxisgemässen Kriterien zu,
weshalb darauf abzustellen sei. Gestützt hierauf sei der Beschwerdeführer in
der angestammten Tätigkeit nicht mehr arbeitsfähig, in einer angepassten
Tätigkeit bestehe hingegen eine 100%ige Arbeitsfähigkeit. 
 
5.  
 
5.1. Der Beschwerdeführer wendet als Erstes im Wesentlichen ein, die
Rückstufung des Gutachtens des Dr. med. C.________ vom 15. August 2016 auf
einen vertrauensärztlichen Bericht sei willkürlich. Da es qualitativ und
quantitativ die allgemein gestellten Anforderungen an ein Gutachten erfülle,
sei es mit dem SMAB-Gutachten vom 11. November 2016 gleichwertig. Es verstosse
somit gegen den Gleichheitssatz (Art. 8 Abs. 2 BV), den Untersuchungsgrundsatz
(Art. 43 Abs. 1, Art. 61 lit. c ATSG) sowie die Grundsätze des fairen
Verfahrens und der freien Beweiswürdigung, wenn die Vorinstanz ohne Einholung
eines Obergutachtens entscheide, welches Begutachtungsergebnis zutreffender sei
 
 
5.2. Die Helsana gab die als "Gutachten" betitelte Beurteilung des Dr. med.
C.________ vom 15. August 2016 nicht im Verfahren nach Art. 44 ATSG in Auftrag,
sondern liess den Versicherten vertrauensfachärztlich untersuchern. Der
Einschätzung des Dr. med. C.________ kommt nicht der gleiche demnach Beweiswert
zu wie einem Gutachten nach von Art. 44 ATSG (hierzu siehe BGE 135 V 465).
Somit kann offen bleiben, ob er als Vertrauensarzt der Helsana zu gelten hat
(vgl. auch nicht publ. E. 6.2 des Urteils BGE 136 V 113, veröffentlicht in SVR
2010 UV Nr. 27 S. 109, 8C_408/2009).  
 
Die IV-Stelle holte das SMAB-Gutachten vom 11. November 2016
unbestrittenermassen im Verfahren nach Art. 44 ATSG ein. Ihm darf somit voller
Beweiswert zuerkannt werden, solange "nicht konkrete Indizien gegen die
Zuverlässigkeit" der Expertise sprechen (BGE 135 V 465 E. 4.4 S. 470). In
dieser Hinsicht liegt somit keine vorinstanzliche Rechtsverletzung vor (vgl. E.
4 hiervor). 
 
6.  
 
6.1. Der Versicherte rügt, das SMAB habe eine orthopädische, aber keine
rheumatologische Begutachtung vorgenommen. Die Disziplinen der Orthopädie und
Rheumatologie seien nicht identisch. Während sich Erstere eher mit Beschwerden
des Bewegungsapparates und möglichen Therapien befasse, berücksichtige Letztere
nebst funktionellen Einschränkungen des Bewegungsapparates zusätzlich weitere
limitierende Faktoren wie Gelenksentzündungen und weitere bildgebend nicht
objektivierbare Erkrankungen. Eine rheumatologische Expertise würde einen
breiter abgestützten Aussagewert beinhalten; es würden nicht nur operativ
beseitigbare Einschränkungen am Skelettapparat, sondern sämtliche degenerative
Erkrankungen berücksichtigt. Er beklage nachweislich nebst einer Kraftlosigkeit
im Schultergürtelbereich, die durch die Rotatorenmanschettenruptur erklärbar
sei, auch eine Schwäche mit Kraftminderung und Sensibilitätsstörung in Arm und
Hand. Nebst funktionellen Ausfällen bestünden somit nicht genau definierbare
Einschränkungen. Deshalb sei eine rheumatologische Teilbegutachtung angezeigt.
 
 
6.2. Es ist grundsätzlich den Gutachterpersonen überlassen, über Art und Umfang
der aufgrund der konkreten Fragestellung erforderlichen Untersuchungen zu
befinden. Das Gericht hat alsdann zu prüfen, ob das Gutachten die
praxisgemässen Anforderungen an eine medizinische Beurteilungsgrundlage erfüllt
(BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; Urteil 8C_611/2017 vom 29. Dezember 2017 E. 4.2).
 
 
An der Erstellung des SMAB-Gutachtens vom 11. November 2016 waren ein Facharzt
für Orthopädie/Traumatologie sowie eine Fachärztin und ein Facharzt für Innere
Medizin beteiligt, deren Fachkompetenz sich auch auf rheumatologische Leiden
erstreckt. Gegenstand der Rheumatologie - als Teildisziplin der Inneren Medizin
- sind (chronische) Schmerzen des Bewegungsapparates, was u.a. auch auf die
Orthopädie zutrifft (Urteile 9C_688/2016 vom 16. Februar 2017 E. 3.5 und 8C_835
/2014 vom 16. Januar 2015 E. 3.3). Ausserdem wirkten am SMAB-Gutachten
Fachärzte der Neurologie und Psychiatrie mit. Den SMAB-Gutachtern war die
Beurteilung des Dr. med. C.________ vom 15. August 2016 bekannt. Der
internistische SMAB-Teilgutachter Prof. Dr. med. D.________ verwies unter
anderem auf die von Dr. med. C.________ erhobenen Labor-Ergebnisse. Insgesamt
ist es - dem kantonalen Gericht folgend - nicht ersichtlich, weshalb die
SMAB-Gutachter nicht in der Lage gewesen sein sollen, die gesundheitlichen
Beschwerden und die damit einhergehende Arbeitsfähigkeit des Versicherten
kompetent zu beurteilen. Aus dem Urteil 9C_134/2011 vom 6. Juni 2011 E. 3.3
betreffend die scheinbare praktische Aufgabenteilung zwischen Rheumatologie und
Orthopädie kann unter den gegebenen Umständ nichts anderes abgeleitet werden. 
 
6.3. Im Übrigen vermag der Beschwerdeführer mit dem Verweis auf die
divergierende Beurteilung seiner Arbeitsfähigkeit durch Dr. med. C.________ und
die SMAB-Gutachter (vgl. E. 6.1 hiervor) keine konkreten Indizien gegen die
Zuverlässigkeit des SMAB-Gutachtens vom 11. November 2016 aufzuzeigen (siehe
auch Urteil 9C_540/2012 17. Dezember 2012 E. 3.2.1). Er legt insbesondere nicht
dar und es ist auch nicht ersichtlich, dass Dr. med. C.________ wichtige
Aspekte benannt hätte, welche bei der SMAB-Begutachtung unerkannt oder
ungewürdigt geblieben sind (vgl. nicht publ. E. 6.2 des Urteils BGE 142 V 342,
veröffentlicht in SVR 2016 IV Nr. 41 S. 131, 8C_676/2015). Entgegen dem
Beschwerdeführer wird das SMAB-Gutachten auch nicht durch die Begründung der
Vorinstanz in Frage gestellt, denn die divergierende Arbeitsfähigkeitsschätzung
rühre daher, dass die SMAB-Gutachter von einer sehr leichten, Dr. med.
C.________ hingegen von einer leichten, Verweisungstätigkeit ausgegangen seien
(siehe auch Oliveri/Kopp/Stutz/Klipstein/Zollikofer, Grundsätze der ärztlichen
Beurteilung der Zumutbarkeit und Arbeitsfähigkeit, Teil 2, in: Schweiz. Med.
Forum 2006, S. 425).  
 
6.4. Insgesamt ist es somit weder offensichtlich unrichtig noch anderweitig
bundesrechtswidrig, wenn die Vorinstanz auf die Arbeitsfähigkeitsschätzung der
SMAB-Gutachter abstellte (E. 6.1.2 hiervor).  
 
7.  
 
7.1. In erwerblicher Hinsicht (Art. 16 ATSG; zur Kognition des Bundesgerichts
vgl. BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399) ist das von IV-Stelle und Vorinstanz
ermittelte, im Gesundheitsfall erzielbare Valideneinkommen des Versicherten von
jährlich Fr. 83'980.- unbestritten, weshalb sich herzu Weiterungen erübrigen.  
 
7.2. Die Vorinstanz, erwog das trotz Gesundheitsschadens erzielbare
Invalideneinkommen (BGE 143 V 295 E. 2.2 S. 296, 135 V 297 E. 5.2 S. 301) habe
die IV-Stelle gestützt auf die Tabelle TA1 Total, Männer, Kompetenzniveau 1,
der vom Bundesamt für Statistik herausgegebene Schweizerischen
Lohnstrukturerhebung (LSE) 2014 auf Jährlich Fr. 66'646.- festgesetzt, was
unbestritten ist. Weiter ging die Vorinstanz zu Recht von einer 100 %igen
Arbeitsfähigkeit aus (vgl. E. 6.3 und 6.4). Mit der Vorinstanz ist entgegen dem
Beschwerdeführer kein leidensbedingter Abzug vorzunehmen.  
 
Doch Selbst bei Einbezug des von ihm verlangten 20%igen leidensbedingten Abzugs
resultierten ein Invalideneinkommen von Fr. 53'317.- (Fr. 66'646.- x 0.8) bzw.
im Vergleich zum Valideneinkommen von Fr. 83'980.- ein Rentenausschliessender
Invaliditätsgrad von gerundet 37 %. Demnach bestätigte das kantonale Gericht
die Rentenverneinende Verfügung von 23. Februar 2017 
 
8.   
Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG
). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 14. Februar 2018 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Der Gerichtsschreiber: Jancar 

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