Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.679/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
8C_679/2017  
 
 
Urteil vom 19. Februar 2018  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione, 
Gerichtsschreiberin Schüpfer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
 A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. André Largier, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Revision), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 7. August 2017 (IV.2016.01125). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
 
A.a. Der 1978 geborene A.________ meldete sich am 17. August 2009 wegen
Rückenbeschwerden bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit
Verfügung vom 9. Februar 2010 verneinte die Sozialversicherungsanstalt des
Kantons Zürich, IV-Stelle, einen Anspruch auf berufliche
Eingliederungsmassnahmen. Nach weiteren medizinischen Abklärungen verneinte sie
mit Verfügung vom 24. Februar 2012 auch einen Anspruch auf Rentenleistungen.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 9. September 2013 in dem Sinne gut, dass es
die angefochtene Verfügung aufhob und die Sache an die Verwaltung zurückwies,
damit diese nach erfolgten zusätzlichen Abklärungen über den Leistungsanspruch
neu verfüge.  
 
A.b. Nach weiteren Abklärungen - insbesondere durch Einholung eines
interdisziplinären Gutachtens der MEDAS Ostschweiz vom 26. November 2014 samt
ergänzender Stellungnahme vom 15. Januar 2015 und einer Expertise des Dr. med.
B.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, leitender Arzt des
Psychiatrischen Zentrums C.________, vom 15. Januar 2016 - verneinte die
IV-Stelle mit Verfügung vom 21. September 2016 einen Leistungsanspruch erneut.
 
 
B.   
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das kantonale Gericht mit Entscheid vom
7. August 2017 teilweise gut. Es hob die angefochtene Verfügung auf und stellte
fest, der Versicherte habe für die Zeit vom 1. Oktober 2011 bis 30. November
2015 Anspruch auf eine ganze Rente gehabt. Im Übrigen wies es die Beschwerde
ab. 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, in Aufhebung des Entscheides vom 7. August 2017 sei ihm eine
zeitlich unbefristete ganze Invalidenrente zuzusprechen. Weiter sei ihm die
unentgeltliche Prozessführung zu bewilligen. 
Das Bundesgericht ordnet keinen Schriftenwechsel an. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
 
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (
Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
1.2. Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich
unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und
augenfällig unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Es liegt noch keine
offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in
Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erscheint (vgl. BGE 129 I
8 E. 2.1 S. 9; Urteil 8C_629/2017 vom 29. Dezember 2017 E. 1.2 mit Hinweisen).
Diese Grundsätze gelten auch in Bezug auf die konkrete Beweiswürdigung (Urteil
9C_222/2016 vom 19. Dezember 2016 E. 1.2 mit Hinweis).  
 
2.   
Strittig und - hinsichtlich Sachverhalts eingeschränktem Blickwinkel - zu
prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie den
Rentenanspruch des Beschwerdeführers bis 30. November 2015 befristete. 
 
2.1. Die für die Beurteilung relevanten Rechtsgrundlagen sind im angefochtenen
Gerichtsentscheid zutreffend dargelegt worden. Dies betrifft namentlich die
Bestimmungen und Grundsätze zu den Begriffen der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG
in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 ATSG) und Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG)
sowie zum Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 28 IVG). Richtig sind auch die
Ausführungen zum Beweiswert und zur Beweiswürdigung medizinischer Berichte und
Gutachten (BGE 137 V 210 E. 6.2.2 S. 269; 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E.
3 S. 352 mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen.  
 
2.2. Ändert sich der Invaliditätsgrad eines Rentenbezügers erheblich, so wird
die Rente von Amtes wegen oder auf Gesuch hin für die Zukunft entsprechend
erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben (Art. 17 Abs. 1 ATSG). Anlass zur
Rentenrevision gibt jede wesentliche Änderung in den tatsächlichen
Verhältnissen seit Zusprechung der Rente, die geeignet ist, den
Invaliditätsgrad und damit den Anspruch zu beeinflussen. Insbesondere ist die
Rente bei einer wesentlichen Änderung des Gesundheitszustandes revidierbar.
Hingegen ist die lediglich unterschiedliche Beurteilung eines im Wesentlichen
gleich gebliebenen Sachverhalts im revisionsrechtlichen Kontext unbeachtlich (
BGE 141 V 9 E. 2.3 S. 10 f. mit Hinweisen).  
Auf die rückwirkende Zusprechung einer abgestuften und/oder befristeten
Invalidenrente sind die für die Rentenrevision geltenden Bestimmungen analog
anzuwenden (BGE 133 V 263 E. 6.1 S. 263; 131 V 164 E. 2.2 S. 165). 
 
3.   
Die Vorinstanz würdigte die medizinischen Akten und stellte vorerst fest, aus
somatischer Sicht liege keine relevante Einschränkung der Arbeitsfähigkeit
vor. 
Weiter führte sie aus, die von Dr. med. B.________ getroffene medizinische
Beurteilung sei einleuchtend. Seine Diagnosen einer chronischen Schmerzstörung
mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10 F45.41), einer akzentuierten
Persönlichkeit mit emotional-instabilen, selbstunsicher-vermeidenden sowie
sensitiv-paranoischen Zügen (ICD-10 Z73.1) und - zumindest für den Zeitpunkt
der Begutachtung im November 2015 - von Angst und depressiver Störung gemischt
(ICD-10 F41.2) seien nicht in Frage zu stellen. Entgegen den Ausführungen der
IV-Stelle in der angefochtenen Verfügung bestehe keine eindeutige
Aggravationsproblematik im Sinne eines Ausschlussgrundes für Leistungen. In der
Folge nahm das kantonale Gericht eine Prüfung der Indikatoren gemäss BGE 141 V
281 vor. Demnach sei der chronischen Schmerzstörung mit somatischen und
psychischen Faktoren im Begutachtungszeitpunkt ein massgeblicher Einfluss auf
die Arbeitsfähigkeit nicht gänzlich abzusprechen. Angesichts des eher
bescheidenen Ausprägungsgrades der Störung, der mangelhaften
Leistungsmotivation, der nicht beeinträchtigenden Komorbiditäten, der vom
Gutachter beschriebenen Ressourcen und gewisser Inkonsistenzen ergebe sich
keine höhere als die vom Experten attestierte Arbeitsunfähigkeit von 50 % in
der bisherigen, beziehungsweise 30 % in einer angepassten Tätigkeit. Daran
vermöge auch die zusätzlich gestellte Diagnose "Angst und Depression gemischt"
nichts zu ändern. Entgegen den Ausführungen im Gutachten des Dr. med.
B.________ hielt das kantonale Gericht hingegen den Beschwerdeführer aufgrund
der echtzeitlichen medizinischen Akten ab Oktober 2011 für gänzlich
arbeitsunfähig. Spätestens ab April 2014 sei gemäss Gutachten der MEDAS
Ostschweiz vom 26. November 2014 von einer durch die Medikamentennebenwirkungen
verursachten vollen Arbeitsunfähigkeit auszugehen. Die Medikation sei in der
Folge optimiert worden. Überwiegend wahrscheinlich ab Frühjahr 2015 habe sich
das Beschwerdebild dadurch gebessert. Spätestens ab der Begutachtung durch Dr.
med. B.________ sei daher von der von ihm attestierten Arbeitsfähigkeit
auszugehen. Entsprechend habe der Beschwerdeführer vom 1. Oktober 2011 bis zum
30 November 2015 einen befristeten Anspruch auf eine ganz Invalidenrente
gehabt. 
 
4.   
Der Beschwerdeführer macht geltend, das kantonale Gericht habe seinen
Rentenanspruch zu Unrecht befristet. Im Sommer oder Herbst 2015 hätten sich die
tatsächlichen Verhältnisse bezüglich seines Gesundheitszustandes oder dessen
Auswirkungen auf seine Arbeits- und Erwerbsfähigkeit entgegen den Ausführungen
im angefochtenen Entscheid nicht wesentlich verändert. Entsprechendes ergebe
sich aus den Arztberichten aus dieser Zeit nicht. Selbst der Gutachter Dr. med.
B.________ sei nicht davon ausgegangen, dass sich die gesundheitlichen
Verhältnisse in den fünf Jahren vor seinen Untersuchungen verändert hätten. Da
die Einschätzung seiner Arbeitsfähigkeit durch Dr. med. B.________ lediglich
eine abweichende Beurteilung einer im Wesentlichen gleich gebliebenen
gesundheitlichen Beeinträchtigung darstelle, liege kein Revisionsgrund im Sinne
von Art. 17 ATSG vor. 
 
5.   
 
5.1. Der Beschwerdeführer zitiert insbesondere verschiedene Arztberichte, die
im Zeitraum von April bis Juli 2015 erstellt worden waren (Austrittsbericht
psychiatrische Klinik D.________ vom 27. April 2015, Bericht des PD Dr. med.
E.________, Leiter des Schmerzzentrums am Spital F.________ vom 11. Juni 2015
und Bericht des Dr. med. G.________, Facharzt für Psychiatrie und
Psychotherapie FMH, vom 21. Juli 2015). Demnach werde unisono über eine
unveränderte Situation des Gesundheitszustandes berichtet. Die Feststellung
einer Verbesserung sei damit aktenwidrig.  
 
5.2. Die Vorinstanz stellte gestützt auf das MEDAS-Gutachten vom 26. November
2014 sowie die ergänzende Stellungnahme vom 15. Januar 2015 für das
Bundesgericht verbindlich fest, dass die volle Arbeitsunfähigkeit ab April 2014
durch die Medikamentennebenwirkungen verursacht worden war. Konkret wurde im
genannten Gutachten ausgeführt, die Arbeitsfähigkeit sei aus psychiatrischer
Sicht zu 100 % eingeschränkt. Diese Einschränkung könne alleine durch die
Müdigkeit des Versicherten erklärt werden, die so stark ausgeprägt sei, dass er
sich kaum auf etwas konzentrieren könne. Die Experten führten aus, der
Versicherte wirke "verladen". Weil die Müdigkeit durch verschiedene Medikamente
verursacht sei, beruhe die Arbeitsunfähigkeit auf der Einnahme der - ärztlich
verordneten - Medikation.  
Mit anderen Worten verhielt es sich so, dass aus Sicht der MEDAS-Gutachter
zufolge des Medikamentenkonsums und der dadurch bedingten Müdigkeit keine
verwertbare Arbeitsfähigkeit bestand. Weiter ist dem angefochtenen Entscheid zu
entnehmen, dass die Medikation ab Frühling 2015 optimiert wurde. Als Folge
davon hielt Dr. med. B.________ in seinem Gutachten vom 26. November 2015
ausdrücklich fest, Medikamentennebenwirkungen würden nicht mehr als wesentlich
limitierende Faktoren betrachtet. Damit haben sich die Verhältnisse bezüglich
der zumutbaren Arbeitsfähigkeit und damit auf die Erwerbsfähigkeit wesentlich
verändert. Als Folge der Veränderung bestand mit dem kantonalen Gericht
spätestens ab dem Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. med. B.________ eine
Arbeitsfähigkeit von 50 % in der bisherigen, beziehungsweise 70 % in einer
angepassten Tätigkeit. Die entsprechenden vorinstanzlichen Feststellungen sind
nicht aktenwidrig. Die Vorinstanz durfte das Vorliegen eines Revisionsgrundes
bejahen. 
 
5.3. Zusammengefasst sind die vorinstanzlichen Feststellungen zum
Gesundheitszustand beziehungsweise zu dessen Auswirkung auf die
Arbeitsfähigkeit und deren Veränderung nicht offensichtlich unrichtig oder
rechtsfehlerhaft. Der Rentenanspruch des Beschwerdeführers wurde zu Recht auf
Ende November 2015 terminiert. Die Bestimmung des Invaliditätsgrades durch die
Vorinstanz wird vom Beschwerdeführer so wenig in Frage gestellt wie der
Zeitpunkt der Rentenaufhebung. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.  
 
6.   
Ausgangsgemäss wird der Beschwerdeführer grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 66
Abs. 1 Satz 1 BGG). Seinem Gesuch um unentgeltliche Prozessführung kann jedoch
entsprochen werden (Art. 64 Abs. 1 BGG), da seine Bedürftigkeit aufgrund der
Bestätigung der Stadtverwaltung Zürich vom 30. September 2016 ausgewiesen ist
und das Verfahren nicht zum Vornherein aussichtslos erschien. Es wird indessen
ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG hingewiesen, wonach er der
Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn er später dazu in der Lage
ist. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und
Rechtsanwalt Dr. André Largier wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen. 
 
4.   
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse eine
Entschädigung von Fr. 2800.- ausgerichtet. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 19. Februar 2018 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Schüpfer 

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