Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.675/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
8C_675/2017  
 
 
Urteil vom 26. April 2018  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione. 
Gerichtsschreiber Grunder. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Ursula Reger-Wyttenbach, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, 
Beschwerdegegnerin, 
 
BVG-Sammelstiftung Swiss Life. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
17. August 2017 (VBE.2017.234). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1961 geborene A.________ meldete sich am 9. Dezember 2014 wegen juckendem
Hautausschlag, Schlaflosigkeit, zunehmender Schwäche, Depression sowie wegen
Brust- und Rückenschmerzen zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an.
Die IV-Stelle des Kantons Aargau klärte den Sachverhalt in beruflicher und
medizinischer Hinsicht ab. Vom 1. Juni bis 30. August und vom 9. September bis
6. Dezember 2015 absolvierte der Versicherte ein von der IV-Stelle gewährtes
Belastbarkeitstraining bei der Stiftung B.________. Laut Abschlussbericht vom
15. Dezember 2015 bestand aktuell keine Vermittelbarkeit in den primären
Arbeitsmarkt. Die IV-Stelle veranlasste daraufhin eine bidisziplinäre
Begutachtung bei den Dres. med. C.________, FMH Innere Medizin und
Rheumaerkrankungen, und D.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, Bern.
Gemäss deren Expertise vom 7. November 2016 war der Explorand in der Ausübung
der bisherigen Erwerbstätigkeiten (zuletzt als Baumaschinenführer) seit August
2016 zu weniger als 20 % eingeschränkt, wobei allein die psychiatrischen
Befunde leistungsmindernd wirkten (leicht- bis mittelgradige depressive Episode
[ICD-10 F32.0/1]). Dazu äusserte sich Dr. med. E.________, Facharzt für
Psychiatrie und Psychotherapie, Regionaler Ärztlicher Dienst (RAD), am 22.
November 2016. Er hielt fest, dass entgegen der Beurteilung des psychiatrischen
Sachverständigen bereits seit Juli 2014 eine langandauernde depressive Episode
bestanden haben müsse, diese indessen zu keiner über 20 % liegenden
Arbeitsunfähigkeit geführt habe. Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren
lehnte die IV-Stelle mit Verfügung vom 3. Februar 2017 einen Rentenanspruch ab,
weil keine Arbeitsunfähigkeit von durchschnittlich 40 % während eines Jahres
vorgelegen habe. 
 
B.   
Hiegegen liess A.________ Beschwerde führen und beantragen, die IV-Stelle sei
zu verpflichten, ihm ab Juli 2015 eine ganze Invalidenrente auszurichten;
eventualiter habe das kantonale Gericht ein psychiatrisches Gutachten
einzuholen. Mit Entscheid vom 17. August 2017 wies das Versicherungsgericht des
Kantons Aargau die Beschwerde ab. 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ die
vorinstanzlich gestellten Rechtsbegehren wiederholen. Zudem stellt er ein
Gesuch um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege für das
bundesgerichtliche Verfahren. 
 
Die IV-Stelle beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. Die zum
bundesgerichtlichen Verfahren beigeladene BVG-Sammelstiftung Swiss Life
verzichtet auf eine Stellungnahme. Das Bundesamt für Sozialversicherungen lässt
sich nicht vernehmen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine
Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet
das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es -
offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren beanstandeten
Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (
Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2
BGG). 
 
2.  
 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer ab Juli 2015 Anspruch
auf eine Invalidenrente hatte. Prozessthema bildet dabei die Frage, ob das
kantonale Gericht den Gesundheitszustand und die Arbeitsfähigkeit bezogen auf
den Zeitpunkt der Verfügung vom 3. Februar 2017 bundesrechtskonform
festgestellt hat, wobei - wie schon im vorinstanzlichen Verfahren -
unbestritten ist, dass sich allein die psychiatrischen Befunde
leistungsmindernd auswirkten.  
 
2.2. Das kantonale Gericht hat die zu beachtenden rechtlichen Grundlagen
zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu wiederholen ist, dass den von
den Versicherungsträgern im Verfahren nach Art. 44 ATSG eingeholten
medizinischen Gutachten externer Spezialärzte (sogenannte
Administrativgutachten), die den von der Rechtsprechung formulierten
Anforderungen genügen, voller Beweiswert zuerkannt werden darf, solange nicht
konkrete Indizien gegen deren Zuverlässigkeit sprechen (BGE 137 V 210 E. 2.2.2
S. 232; 135 V 465 E. 4.4 S. 470).  
 
3.  
 
3.1. Das kantonale Gericht hat erkannt, dass zur Beurteilung des
Gesundheitszustands und der Arbeitsfähigkeit auf das in allen Teilen
beweiskräftige bidisziplinäre Gutachten der Dres. med. C.________ und
D.________ vom 7. November 2016 abzustellen sei. Danach sei aus psychiatrischer
Sicht eine leicht- bis mittelgradige depressive Episode (ICD-10 F32.0/1) zu
diagnostizieren, die seit August 2016, nicht aber davor zu einer Minderung der
Arbeitsfähigkeit von weniger als 20 % geführt habe. Mit den Vorbringen des
Versicherten könnten keine konkreten Indizien gegen die Zuverlässigkeit der
Expertise begründet werden. Die Ärzte der Klinik F.________, Psychosomatik/
Psychiatrie/Psychotherapie, wo der Versicherte vom 18. November 2014 bis 8.
Januar 2015 stationär therapiert worden sei, hätten zwar hauptsächlich eine
mittelgradige depressive Episode (ICD-10 F32.1) diagnostiziert
(Austrittsbericht vom 20. Januar 2015) und den Patienten gegenüber der
Krankentaggeldversicherung vorläufig als vollständig arbeitsunfähig
eingeschätzt (Bericht vom 16. Februar 2015). Indessen gelte nach der
Rechtsprechung auch eine mittelgradige depressive Episode in der Regel als
therapierbar. Sodann hätten sich die medizinischen Sachverständigen mit den
Auskünften der behandelnden Dr. med. G.________, FMH für Psychiatrie und
Psychotherapie, und lic. phil. H.________, klinischer Psychologe (SPV, GedaP),
die zur Einschätzung der Arbeitsfähigkeit auf das Ergebnis des
Belastbarkeitstrainings bei der Stiftung B.________ hinwiesen, einlässlich
auseinandergesetzt. Zu der von diesen Therapeuten diagnostizierten ängstlich
vermeidenden Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.6) sei gestützt auf die
Expertise der Dres. med. C.________ und D.________ festzuhalten, dass der
Versicherte erst in den letzten Monaten vor der Begutachtung wegen der
finanziellen Schwierigkeiten infolge Kündigung der Arbeitsstelle verunsichert
und dadurch von der Unterstützung des Sohnes abhängig geworden sei. Davor habe
ihn eine selbstständige Lebensführung ausgezeichnet. Dem sei anzufügen, dass
dem einleitenden Kommentar zu F60 des Taschenführers zur ICD-10-Klassifikation
zu entnehmen sei, dass eine Persönlichkeitsstörung in der Jugend oder
Adoleszenz aufgetreten sein müsse, um im späteren Leben als eigenständige
psychische Erkrankung zu gelten. Weiter sei zum unterschiedlich beurteilten
Schweregrad der unbestritten bestehenden depressiven Episode festzuhalten, dass
die medizinischen Gutachter unter anderem darauf hinwiesen, dass der
Versicherte jedenfalls vor dem Sommer 2016 mehrere Male in sein Herkunftsland
gereist sei, was bei einer schweren Depression aus ärztlicher Sicht nicht
vorstellbar sei. Zudem sei den Auskünften des Dr. med. G.________ und lic.
phil. H.________ zu entnehmen, dass die Behandlung mit Psychopharmaka noch
nicht ausgereizt sei, woraus ohne Weiteres zu schliessen sei, dass keine
Therapieresistenz bezüglich der depressiven Episode vorliege. Die übrigen von
den Therapeuten genannten Diagnosen (Albträume [ICD-10 F51.5], Belastungen in
Verbindung mit der beruflichen Situation [ICD-10 Z56], sozialer Rückzug [ICD-10
Z60.8]) begründeten rechtsprechungsgemäss (Urteile 9C_955/2012 vom 13. Februar
2013 E. 3.3.4 und 9C_826/2011 vom 6 Februar 2012 E. 3.2) keinen
invalidenversicherungsrechtlich relevanten Gesundheitsschaden, weshalb es dazu
keiner weiteren Erörterung bedürfe.  
 
3.2. Was der Beschwerdeführer im Wesentlichen in Wiederholung der
vorinstanzlichen Beschwerde vorbringt, dringt nicht durch. Dr. med. E.________
hielt lediglich fest, dass die von den medizinischen Sachverständigen
festgehaltene Arbeitsunfähigkeit aus psychischen Gründen von weniger als 20 %
bereits seit Juli 2014 bestanden haben müsse. Inwiefern damit die
vorinstanzliche Feststellung des invalidenversicherungsrechtlich relevanten
Sachverhalts in Bezug auf das Ergebnis des angefochtenen Entscheids
entscheidend sein könnte (vgl. E. 1 hievor), geht aus der Begründung der
Beschwerde nicht hervor. Zudem ist in diesem Kontext darauf hinzuweisen, dass
das vorinstanzliche Ergebnis auch unter dem Blickwinkel der Urteile 8C_841/2016
vom 30. November 2017 (BGE 143 V 409) und 8C_130/2017 vom 30. November 2017 (
BGE 143 V 418) betrachtet, nicht zu beanstanden ist. Danach sind in Änderung
der Rechtsprechung grundsätzlich sämtliche psychischen Erkrankungen einem
strukturierten Beweisverfahren nach BGE 141 V 281 zu unterziehen. Insoweit
überzeugt die Auffassung des kantonalen Gerichts, die unbestritten vorliegende
leicht- oder mittelgradige depressive Episode vermöge keine Arbeitsunfähigkeit
zu begründen, weil sie a priori therapierbar sei, zwar nicht. Allerdings bleibt
ein erneutes psychiatrisches Gutachten entbehrlich, wenn im Rahmen
fachärztlicher Berichte eine invalidenversicherungsrechtlich relevante
Arbeitsunfähigkeit in nachvollziehbar begründeter Weise verneint werden kann (
BGE 143 V 409 E. 4.5 S. 415 f.). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden
Zusammenhang ohne Weiteres zu bejahen, zumal sich aus dem beweiskräftigen
Gutachten der Dres. med. C.________ und D.________ vom 7. November 2016 sowie
der dazu abgegebenen psychiatrischen Stellungnahme des Dr. med. E.________ vom
22. November 2016 fraglos ergibt, dass der Beschwerdeführer allein wegen der
psychiatrischen Befunde seit Juli 2014 höchstens zu 20 % in der Arbeits- und
Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt sein konnte.  
 
Sodann hat das kantonale Gericht zutreffend darauf hingewiesen, dass nicht
entscheidend sein kann, ob die von den Therapeuten diagnostizierte
Persönlichkeitsstörung nach ICD-10 F60.7 statt ICD-10 F60.6 (wie von den
Gutachtern anamnestisch angenommen) zu diagnostizieren sei. So oder anders kann
jedenfalls auch angesichts des nicht einfachen Lebenslaufs des
Beschwerdeführers sowie in Anbetracht der Auskünfte der behandelnden
Therapeuten ohne Weiteres ausgeschlossen werden, dass er je wegen einer
Persönlichkeitsstörung arbeitsunfähig geworden war. Auch in diesem Kontext ist
nicht ersichtlich, inwiefern das kantonale Gericht Bundesrecht oder gar Art. 6
EMRK verletzt haben soll. 
 
Im Übrigen beschränkt sich der Beschwerdeführer darauf, darzulegen, wie die
Beweismittel aus seiner Sicht zu würdigen sind. Er zeigt nicht auf, inwieweit
die vorinstanzliche Beweiswürdigung willkürlich sein soll, sondern beschränkt
sich darauf, den angefochtenen Entscheid appellatorisch zu kritisieren. Darauf
ist nicht einzugehen. 
 
4.   
Dem Gesuch des unterliegenden Beschwerdeführers um Bewilligung der
unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren ist
stattzugeben, da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht als
aussichtslos zu bezeichnen und die Verbeiständung durch eine Anwältin geboten
ist (Art. 64 Abs. 1-3 BGG). Er wird indessen auf Art. 64 Abs. 4 BGG
hingewiesen; danach hat er der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten, wenn er
später dazu in der Lage sein wird. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. Rechtsanwältin
Ursula Reger-Wyttenbach wird als unentgeltliche Anwältin des Beschwerdeführers
bestellt. 
 
3.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.   
Der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse
eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, der BVG-Sammelstiftung Swiss Life, dem
Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 26. April 2018 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Der Gerichtsschreiber: Grunder 

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