Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.66/2017
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
8C_66/2017         

Urteil vom 9. Juni 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiberin Schüpfer.

Verfahrensbeteiligte
Öffentliche Arbeitslosenkasse Baselland, Bahnhofstrasse 32, 4133 Pratteln,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung
(Einstellung in der Anspruchsberechtigung),

Beschwerde gegen den Entscheid
des Kantonsgerichts Basel-Landschaft
vom 2. Dezember 2016.

Sachverhalt:

A. 
Der 1990 geborene A.________ arbeitete seit dem 31. Juli 2014 bei der
B.________ AG. Mit Schreiben vom 30. März 2015 kündigte er das
Arbeitsverhältnis per 30. April 2015. Am 8. April 2015 meldete er sich beim
Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) zur Arbeitsvermittlung an. Er
ersuchte um Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigung ab dem 1. Mai 2015. Mit
Verfügung vom 10. Juni 2015 stellte ihn die Öffentliche Arbeitslosenkasse
Baselland (nachfolgend: Arbeitslosenkasse) wegen selbstverschuldeter
Arbeitslosigkeit für 31 Tage in der Anspruchsberechtigung ein. Das kantonale
Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit Basel-Landschaft (KIGA) hiess eine
dagegen erhobene Einsprache mit Entscheid vom 11. September 2015 in dem Sinne
teilweise gut, als es die Dauer der Einstellung unter Berücksichtigung von
Schuldminderungsgründen auf 24 Tage reduzierte.

B. 
Hiegegen erhob der Versicherte beim Kantonsgericht Basel-Landschaft Beschwerde.
Dieses holte schriftliche Auskünfte des Dr. med. C.________, Facharzt für
Innere Medizin FMH, vom 3. März 2016 und der Dr. med. D.________, Fachärztin
FMH für Allgemeine Innere Medizin, vom 2. Mai 2016 ein. Mit Entscheid vom 2.
Dezember 2016 hob das Kantonsgericht den Einspracheentscheid auf.

C. 
Mit Beschwerde beantragt die Arbeitslosenkasse die Aufhebung des kantonalen
Entscheides.
A.________, die Vorinstanz und das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO)
verzichten auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG geltend
gemacht werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Trotzdem prüft es - vorbehältlich offensichtlicher Fehler - nur
die in seinem Verfahren geltend gemachten Rechtswidrigkeiten (Art. 42 Abs. 1
und 2 BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen,
wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne
von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG in Verbindung mit Art.
105 Abs. 2 BGG). Rechtsfragen sind die vollständige Feststellung erheblicher
Tatsachen sowie die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes bzw. der
Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG und der Anforderungen an den
Beweiswert von Arztberichten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232).

2. 
Strittig ist, ob das kantonale Gericht den Einspracheentscheid, womit der
Versicherte wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit für die Dauer von 24
Tagen in der Anspruchsberechtigung eingestellt wurde, zu Recht aufgehoben hat.
Die Vorinstanz hat die Grundlagen über die Einstellung in der
Anspruchsberechtigung wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit bei Kündigung
durch die versicherte Person (Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG; Art. 44 Abs. 1 lit. b
AVIV) und die dazu ergangene Rechtsprechung, wonach bei der Frage der
Unzumutbarkeit des Verbleibens am Arbeitsplatz ein strenger Massstab anzulegen
ist (BGE 124 V 234 E. 4b/bb S. 238), zutreffend dargelegt. Beizupflichten ist
der Vorinstanz auch darin, dass ein schlechtes Arbeitsklima und
Meinungsverschiedenheiten mit Vorgesetzten oder Arbeitskollegen grundsätzlich
keine Unzumutbarkeit der Fortführung des Arbeitsverhältnisses zu begründen
vermögen. Belegt die versicherte Person allerdings durch ein eindeutiges
ärztliches Zeugnis (oder allenfalls durch andere geeignete Beweismittel), dass
ihr die Weiterarbeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zumutbar ist, ist
grundsätzlich von einer Unzumutbarkeit aus gesundheitlichen Gründen auszugehen
(BGE 124 V 234 E. 4b/bb S. 238). Richtig sind auch die vorinstanzlichen
Ausführungen zum Untersuchungsgrundsatz (Art. 43 Abs. 1, Art. 61 lit. c ATSG;
BGE 138 V 218 E. 6 S. 221) und zum Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit (BGE 134 V 109 E. 9.5 S. 125). Darauf wird verwiesen.

3.

3.1. Aufgrund der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen steht fest, dass
der Versicherte am 30. März 2015 seine Arbeitsstelle kündigte, ohne dass ihm
eine neue zugesichert gewesen wäre. Das kantonale Gericht führt aus, der
Versicherte habe glaubhaft geschildert, aufgrund der belastenden Situation am
Arbeitsplatz hätten sich gesundheitliche Probleme, allen voran eine Entzündung
des Magendarmtraktes sowie psychische Beschwerden, entwickelt. Er habe sich
erstmals am 3. März 2015 und damit vor der Kündigung des Arbeitsverhältnisses
in ärztliche Behandlung begeben. Vom 3. bis 6. März 2015 und wiederum vom 24.
März bis 24. April 2015 - und damit auch im Zeitpunkt der Kündigung vom 30.
März 2015 - sei er aus Krankheitsgründen zu 100 % arbeitsunfähig gewesen. Die
Vorinstanz schloss aus der von ihr eingeholten Auskunft der Dr. med. D.________
vom 2. Mai 2016, die gesundheitlichen Beschwerden, beziehungsweise die dadurch
bewirkte Arbeitsunfähigkeit, seien auf die Verhältnisse am Arbeitsplatz
zurückzuführen. Sie erkannte, zum Zeitpunkt der Selbstkündigung habe eine
Unzumutbarkeit des Beibehaltens der Stelle aus gesundheitlichen Gründen
vorgelegen. Die Kündigung stütze sich daher auf triftige Gründe, weshalb kein
Verschulden ersichtlich sei. Der Tatbestand von Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG sei
nicht erfüllt, weshalb der Einspracheentscheid vom 11. September 2015
aufgehoben werde.

3.2. Die Beschwerde führende Arbeitslosenkasse rügt insbesondere, das kantonale
Gericht habe zu Unrecht erkannt, im Zeitpunkt der Kündigung habe eine ärztlich
bescheinigte Unzumutbarkeit der Weiterführung des bisherigen
Arbeitsverhältnisses im Sinne von Art. 16 Abs. 2 lit. c AVIG vorgelegen.

4. 
Unbestritten ist, dass der Beschwerdegegner seine Arbeitsstelle aufgegeben hat,
ohne dass ihm eine andere zugesichert gewesen wäre. Zu prüfen ist daher, ob es
ihm aus arbeitslosenversicherungsrechtlicher Sicht zugemutet werden konnte, bis
zum Antritt einer neuen Stelle am Arbeitsplatz bei der B.________ AG zu
verbleiben.

4.1. Das kantonale Gericht stützt seinen Entscheid vor allem auf die von ihm
bei Dr. med. D.________ eingeholte ärztliche Stellungnahme vom 2. Mai 2016 ab.
Demnach wurde der Beschwerdegegner ab dem 3. März 2015 bei positivem
Helicobacter-Nachweis wegen Magenbeschwerden behandelt. Die Ärztin attestierte
eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 6. März 2015. Bei der Konsultation vom 26. März
2015 seien die Bauchbeschwerden nicht mehr vorhanden gewesen. Es könne somit
von einer erfolgreichen Antibiotikatherapie ausgegangen werden. Nunmehr seien
psychische Beschwerden wegen Problemen am Arbeitsplatz thematisiert worden. Sie
habe eine Psychotherapie, nicht aber eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses -
welche von ihrem Patienten thematisiert worden sei - empfohlen.

4.2. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses erfolgte am 30. März 2015. Zum
Kündigungszeitpunkt war der Beschwerdegegner damit erst während einer Woche
wegen arbeitsplatzbezogener psychischer Probleme arbeitsunfähig. Zu diesem
Zeitpunkt hatte er die empfohlene Psychotherapie noch nicht begonnen und konnte
entsprechend auch noch nicht wissen, ob diese seinen Gesundheitszustand
verbessere. Auch aus dem vorinstanzlich eingeholten Zeugnis der Dr. med.
D.________ vom 2. Mai 2016 ergibt sich nicht, dass der Beschwerdegegner schon
vor dem 3. März 2015 wegen psychischer Probleme in ihrer Behandlung stand.
Zwischen dem erstmaligen Aufsuchen seiner Ärztin - wegen Magenbeschwerden, die
nachweislich auf eine bakterielle Infektion zurückzuführen waren - und der
Kündigung verging damit nicht einmal ein ganzer Monat. Aus Sicht der Dr. med.
D.________ bestand denn auch (noch) keine medizinisch begründete Notwendigkeit
für eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Im Bericht vom 2. Mai 2016 weist
sie im Gegenteil darauf hin, dass sie grundsätzlich primär immer zu einer
aktiven Problemlösung am Arbeitsplatz rate und die Patienten dabei unterstütze.
Die Ärztin war denn auch von der Kündigung des Versicherten überrascht, als sie
dieser bei der nächsten Konsultation am 9. April 2015 über seinen Schritt
orientierte. Aufgrund dieser Tatsachen kann im Zeitpunkt der Kündigung nicht
von einer Unzumutbarkeit des Verbleibens am Arbeitsplatz gesprochen werden. Es
fehlt diesbezüglich an einem eindeutigen ärztlichen Zeugnis (vgl. E. 2 hievor).
Der vorinstanzlichen Schlussfolgerung, für die Annahme einer Unzumutbarkeit des
Verbleibens in der bisherigen Stelle genüge eine Arbeitsunfähigkeit, die ihre
Ursache im Arbeitsverhältnis habe, kann nicht gefolgt werden. Das kantonale
Gericht wertete den Umstand, dass der Beschwerdegegner per 13. Juni 2015 mit
voller Leistungsfähigkeit eine neue Stelle antrat, als Indiz dafür, dass einzig
die Situation am Arbeitsplatz seine Gesundheit gefährdet hatte. Dies belegt
indessen nicht, dass es ihm umzumutbar gewesen wäre, während der Suche nach
einer neuen Stelle am bisherigen Arbeitsplatz zu verbleiben. Indem das
kantonale Gericht aus dem von ihm festgestellten Sachverhalt zur gegenteiligen
Erkenntnis gelangte, hat es Bundesrecht verletzt.

4.3. Diese Schlussfolgerung hält auch Art. 20 lit. c des Übereinkommens Nr. 168
der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über Beschäftigungsförderung und
den Schutz gegen Arbeitslosigkeit vom 21. Juni 1988 (SR 0.822.726.8
nachfolgend: Übereinkommen) stand. Leistungen können unter anderem gekürzt
werden, wenn ein Arbeitnehmer seine Beschäftigung ohne triftigen Grund
freiwillig aufgegeben hat. Gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts
ist Art. 44 lit. b AVIV, auf welchen sich der Einspracheentscheid vom 11.
September 2015 stützt, mit der genannten Bestimmung des Übereinkommens
vereinbar (BGE 124 V 234 E. 3c S. 236). Demnach ist die Formulierung "ohne
triftigen Grund" im Übereinkommen mit dem Begriff "nicht zumutbar" im
Landesrecht deckungsgleich (BGE a.a.O. S. 237). Wie bereits dargelegt (E. 2)
muss die Unzumutbarkeit aus gesundheitlichen Gründen nach ständiger
Rechtsprechung durch ein eindeutiges ärztliches Zeugnis (oder allenfalls durch
andere geeignete Beweismittel) belegt sein, wobei die Zumutbarkeit zum
Verbleiben strenger beurteilt wird als die Zumutbarkeit zum Antritt einer neuen
Stelle (BGE 124 V 234 E. 4b/bb; THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung,
in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 3. Auflage 2016 S. 2516 Rz. 838 mit
Hinweisen).

4.4. Auch nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der
Vorinstanz (E. 1) liegt kein entsprechendes eindeutiges Zeugnis oder ein
anderes geeignetes Beweismittel vor, welches eine Unzumutbarkeit des
Verbleibens am bisherigen Arbeitsplatz belegen würde. Soweit im angefochtenen
Entscheid erwogen wird, es müsse der Verwaltung und dem kantonalen Gericht
vorbehalten bleiben, die entsprechende Unzumutbarkeit unabhängig von einem
entsprechenden ärztlichen Zeugnis oder Gutachten festzustellen, entspricht dies
nicht der eben dargelegten ständigen Rechtsprechung. Die Einstellung in der
Anspruchsberechtigung wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit erfolgte damit
zu Recht.

5. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten dem
Beschwerdegegner aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Kantonsgerichts
Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, vom 2. Dezember 2016 wird
aufgehoben und der Einspracheentscheid der Öffentlichen Arbeitslosenkasse
Baselland vom 11. September 2015 bestätigt.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO)
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 9. Juni 2017
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Schüpfer

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