Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.639/2017
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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                [displayimage]  
 
 
8C_639/2017  
 
 
Urteil vom 11. Dezember 2017  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Frésard, Wirthlin, 
Gerichtsschreiber Jancar. 
 
Verfahrensbeteiligte 
 A.________, vertreten durch Advokat Nicolai Fullin, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Basel-Landschaft, Hauptstrasse 109, 4102 Binningen, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, vom 6. Juli 2017 (720 16 328 / 176). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.________ war je teilzeitlich bis Ende Februar 2002 als
Servicemitarbeiter bei B.________ Betriebe, und bis 30. April 2002 als Barmann
bei der C.________ AG angestellt. Am 16. September 2001 fuhr er auf der
Autobahn mit seinem Fahrzeug auf einen stehenden PKW auf, worauf der
nachfolgende Wagen ins Heck seines Fahrzeugs prallte. Als Folge dieses Unfalls
wurde beim Versicherten ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule (HWS)
diagnostiziert. Am 11. April 2003 meldete er sich bei der IV-Stelle
Basel-Landschaft zum Leistungsbezug an. Diese sprach ihm mit unangefochten in
Rechtskraft erwachsener Verfügung vom 3. Oktober 2007 ab 1. September 2002 eine
halbe Invalidenrente (Invaliditätsgrad 52 %) zu. Hierbei stützte sie sich auf
das Gutachten des Ärztlichen Begutachtungsinstituts (ABI) GmbH, Basel, vom 12.
Dezember 2005.  
 
A.b. Im März 2009 leitete die IV-Stelle ein Revisionsverfahren ein. Sie holte
diverse Arztberichte und ein ABI-Gutachten vom 27. März 2012 mit Ergänzung vom
29. Mai 2012 ein. Mit Verfügung vom 29. August 2016 hob sie die Rente auf Ende
des auf die Verfügungszustellung folgenden Monats auf.  
 
B.   
Die hiergegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit
Entscheid vom 6. Juli 2017 ab. 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt der
Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei die IV-Stelle zu
verpflichten, ihm auch nach dem 30. September 2016 weiterhin eine ganze
Invalidenrente zu leisten; es sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu
gewähren. 
 
Ein Schriftenwechsel wurde nicht angeordnet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine
Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet
das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es -
offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten
Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (
Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art.
105 Abs. 2 BGG). Rechtsfragen sind die vollständige Feststellung erheblicher
Tatsachen, die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes bzw. der
Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG und der Anforderungen an den
Beweiswert von Arztberichten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232). Bei den aufgrund
dieser Berichte getroffenen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit und bei der konkreten Beweiswürdigung geht es um
Sachverhaltsfragen (nicht publ. E. 1 des Urteils BGE 142 V 342, veröffentlicht
in SVR 2016 IV Nr. 41 S. 131, 8C_676/2015). 
 
2.   
Das kantonale Gericht hat die rechtlichen Grundlagen betreffend die
Arbeitsunfähigkeit (Art. 6 ATSG), die Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), die
Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG; Art. 4 Abs. 1 IVG), die Voraussetzungen des
Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 f. IVG) und die Invaliditätsbemessung nach der
allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (vgl. Art. 16 ATSG) richtig
dargelegt. Gleiches gilt bezüglich der Rentenrevision (Art. 17 Abs. 1 ATSG; BGE
141 V 9 E. 2.3 S. 10, 134 V 131 E. 3 S. 132) und des Beweiswerts von
Arztberichten (vgl. E. 1 hiervor). Darauf wird verwiesen. 
 
3.   
Strittig und zu prüfen ist, ob die von der IV-Stelle per Ende September 2016
verfügte und vom kantonalen Gericht bestätigte Rentenaufhebung vor Bundesrecht
standhält. 
 
3.1. Grundlage der rentenzusprechenden Verfügung vom 3. Oktober 2007 war das
interdisziplinäre (internistische, neurologische und psychiatrische)
ABI-Gutachten vom 12. Dezember 2005. Gestützt hierauf ging die IV-Stelle davon
aus, dem Beschwerdeführer sei eine körperlich leichte bis selten mittelschwere
Tätigkeit (ohne Heben, Stossen und Ziehen von Lasten über 10 kg, ohne
Überkopfarbeiten und ohne Zwangshaltungen und repetitive Belastung des
Schultergürtels) im Umfang von 50 % zumutbar.  
 
3.2. Das kantonale Gericht hat im Wesentlichen erwogen, im interdisziplinären
(internistischen, neurologischen und psychiatrischen) ABI-Gutachten vom 24.
April (richtig 27. März) 2012 seien keine Diagnosen mehr mit Auswirkung auf die
Arbeitsfähigkeit gestellt worden. Laut diesem Gutachten sei der
Beschwerdeführer in einer körperlich leichten bis mittelschweren
wechselbelastenden Tätigkeit vollständig arbeits- und leistungsfähig. Auch in
der früher ausgeübten Tätigkeit im Service könne keine Arbeitsunfähigkeit mehr
festgestellt werden. Aufgrund der zervikozephalen Problematik seien lediglich
körperlich schwere Tätigkeiten und solche mit andauernden Überkopfarbeiten
nicht geeignet. Gegenüber dem ABI-Gutachten vom 12. Dezember 2005 hätten sich
die objektiv-medizinisch feststellbarem Befunde deutlich verbessert. In der
Stellungnahme vom 29. Mai 2012 hätten die ABI-Gutachter erklärt, weshalb
subjektiv und objektiv von einer Verbesserung der Beschwerden auszugehen sei.
Aus der Stellungnahme des regionalen ärztlichen Dienstes (RAD) der IV-Stelle
von 18. Januar 2017 ergebe sich, dass seit dem ABI-Gutachten vom 27. März/29.
Mai 2012 bis zur Verfügung der IV-Stelle vom 29. August 2016 keine massgebende
und längerfristige Verschlechterung des Gesundheitszustandes eingetreten sei.
Demnach sei von einer vollständigen Arbeitsfähigkeit sowohl in einer
adaptierten leichten Verweisungstätigkeit als auch in der angestammten
Tätigkeit auszugehen.  
 
4.  
 
4.1. Der Beschwerdeführer wendet im Wesentlichen ein, laut dem ABI-Gutachten
vom 12. Dezember 2005 sei er neurologischerseits zu 50 % eingeschränkt gewesen.
Damals seien ein mässig bis mittelstark ausgeprägtes oberes sowie ein mässig
ausgeprägtes mittleres Zervikalsyndrom, ein leicht ausgeprägtes
Lumbovertebralsyndrom und eine leicht ausgeprägte vestibuläre Störung
festgestellt worden. Es hätten typische Befunde (Tonuserhöhung und Dysbalance
der Muskulatur, Myogelosen, Einschränkung der HWS-Beweglichkeit und
Triggerzonen) bestanden. Auch im ABI-Gutachten vom 27. März 2012 sei - entgegen
der Vorinstanz - eine Einschränkung der HWS-Beweglichkeit festgestellt worden.
Letztlich sei dies aber nur ein Aspekt im ABI-Gutachten vom 12. Dezember 2005.
Eine eigentliche Begründung für die Verbesserung der neurologischen Situation
liege nicht vor. Laut dem ABI-Gutachten vom 27. März 2012 seien die von ihm
geschilderten Beschwerden übertrieben, weshalb sie keinen Einfluss auf die
Arbeitsfähigkeit hätten. Diese Diskussion habe bereits im ABI-Gutachten vom 12.
Dezember 2005 stattgefunden. Die damaligen Gutachter hätten es aber verstanden,
seine Verdeutlichungstendenzen mit zum Teil etwas theatralischem Verhalten von
der bestehenden Klinik abzugrenzen und eine 50%ige Arbeitsunfähigkeit
festzustellen. Vergleiche man die neurologischen Befunde, lasse sich keine
Verbesserung feststellen. Selbst wenn eine solche aus psychischer Sicht vorläge
(was bestritten werde), sei er neurologischerseits weiter zu 50 %
arbeitsunfähig. Somit sei insgesamt keine Verbesserung eingetreten, weshalb
kein Revisionsgrund vorliege.  
 
4.2. Im ABI-Gutachten vom 27. März 2012 wurde ausgeführt, die Befunde seien
nicht mehr auf den zervikalen Bereich lokalisiert. Vielmehr habe sich ein
multilokuläres generalisiertes Schmerzsyndrom entwickelt, das die
Arbeitsfähigkeit für eine körperlich leichte bis mittelschwere
wechselbelastende Tätigkeit nicht einschränke. Objektiv-medizinisch könne seit
dem ABI-Gutachten vom 12. Dezember 2005 von einer deutlichen Verbesserung der
Befunde und der Arbeitsfähigkeit ausgegangen werden. Andere Beurteilungen des
Bewegungsapparates, insbesondere Hinweise auf ein rheumatisches Leiden, fänden
sich nicht in den Akten. In der Ergänzung vom 29. Mai 2012 führten die
ABI-Gutachter aus, es bestehe primär eine veränderte subjektive
Beschwerdesymptomatik, indem die früher als gravierend im Vordergrund
empfundene zervikale Problematik nun in den Hintergrund getreten sei und ein
generalisiertes Schmerzsyndrom geltend gemacht werde. Objektiv sei die
Untersuchung gemäss der Beurteilung im Jahre 2005 durch eine deutlich
eingeschränkte HWS-Beweglichkeit gekennzeichnet gewesen, was heute nicht mehr
feststellbar sei. Aus diesem Grund sei subjektiv und objektiv eine Verbesserung
eingetreten.  
Damit haben die ABI-Gutachter die festgestellte Verbesserung der neurologischen
Problematik hinreichend begründet. Wenn die Vorinstanz auf diese Einschätzung,
die auf eingehender klinischer Untersuchung des Beschwerdeführers beruhte und
interdisziplinär bestätigt wurde, abstellte, ist dies im Lichte der
eingeschränkten bundesgerichtlichen Kognition (E. 1 und E. 3.2 hievor) nicht zu
beanstanden. Es sind keine konkreten Indizien ersichtlich, die gegen die
Zuverlässigkeit des ABI-Gutachtens vom 27. März/29. Mai 2012 sprechen würden
(siehe BGE 135 V 465 E. 4.4 S. 470). Der Beschwerdeführer gibt insgesamt bloss
die eigene Sichtweise wieder, wie die Akten tatsächlich und rechtlich zu
würdigen gewesen wären (vgl. E. 4.1 hievor), womit er eine unzulässige
appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid vornimmt (BGE 138 I 171 E.
1.4 S. 176; 137 II 353 E. 5.1 S. 356; Urteil 8C_461/2017 vom 27. September 2017
E. 7.2). Er erhebt aber keine Rügen, aus denen sich ergäbe, dass das kantonale
Gericht den Sachverhalt offensichtlich unrichtig oder sonstwie
bundesrechtswidrig festgestellt hätte. 
 
5.   
Gegen die vorinstanzliche Feststellung, dass kein rentenbegründender
Invaliditätsgrad vorliege, erhebt der Beschwerdeführer keine Einwände.
Weiterungen hierzu erübrigen sich somit. 
 
6.   
Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1).
Die unentgeltliche Rechtspflege kann ihm wegen Aussichtslosigkeit der
Beschwerde nicht gewährt werden (Art. 64 BGG; BGE 138 III 217 E. 2.2.4 S.
218). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 11. Dezember 2017 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Der Gerichtsschreiber: Jancar 

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